Editorial

On the Dark Side of Science

Von Christoph Enz, Bramsche


(07.07.2020) Irgendwo kommen die Gerätschaften und Materialien her, die wir täglich im Labor benutzen. Und manchmal begegnen wir gar dem „kommunikativen Interface“ dieser Quellen, die das Schicksal auf die „dunkle Seite“ der Life Sciences verschlagen hat – dem Vertrieb! Wie aber geraten Biologen und andere Life Scientists ausgerechnet in diese merkwürdige Welt? Und was bewegt die Menschen, die mit der Wissenschaft wirtschaftlich tätig, aber auch im Wirtschaftsteil des Laborjournals allenfalls nur zu erahnen sind?

Eine Menge der Klischees treffen auf mich zu, die neuerdings gerne mit dem Attribut „alter weißer Mann“ verbunden werden. Und seit einem Vierteljahrhundert tue ich Dinge, die manchen gar nicht wie Arbeit vorkommen mögen. Ich reise durch Mitteleuropa, trinke mit Menschen in Forschung und Entwicklung Heißgetränke (bisweilen sogar kalte), habe oft sehr interessante Gespräche – und manchmal geben meine Gesprächspartner uns nachher Geld für Dinge, die sie bis zu unserem Gespräch oft noch gar nicht kannten, mit denen sie aber in Zukunft ihre Forschungstätigkeit bereichern wollen. Mit anderen Worten: Ich bin im Vertrieb.

Im vorigen, wissenschaftlichen Leben war ich mal Biophysiker, und noch heute sind mir Dinge, die irgendwas mit Physik in der Biologie zu tun haben, deutlich näher als manch andere. So fühle ich mich beispielsweise bei den Feinheiten der Fluoreszenz wohler als bei molekularbiologischen Themen. Aber so häufig ist das gar nicht mehr gefragt, denn in dem Sinne ist meine jetzige Tätigkeit ja nicht wissenschaftlich.

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Foto: AdobeStock/Guillaume Besnard; Montage: LJ

Hätte ich gewarnt sein sollen? Nun ja, ich war gewarnt worden, damals im ersten Semester Biologie, hatte diese Warnung aber natürlich erstmal in den Wind geschlagen – und dann vergessen. Aber blicken wir kurz einige Jahrzehnte zurück:

Großer Hörsaal, Biologiegebäude, Mitte der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Einige hundert Erstsemester lauschen gespannt der Begrüßung des Dekans. Was kommt, ist ein bisschen ernüchternd: „Schön, dass Sie da sind, aber was in Gottes Namen wollen Sie denn bloß mal werden?“, geht es schon mal gar nicht gut los. Und weiter: „Nun gut, die Lehramtsstudenten werden mal Lehrer, aber was wollen die anderen denn mit einem Diplom in Biologie mal machen?“

Das ist lange her. Frische Biologie-Diplome gibt’s nicht mehr, und was wir mal werden wollten, haben die meisten von uns, ganz ehrlich gesagt, damals sowieso nicht gewusst. Man studierte idealerweise aus Freude am Fach, manchmal auch mangels einer besseren Idee.

Aber auch das schönste Studium geht einmal zu Ende, selbst wenn die Promotion noch eine letzte, gesellschaftlich gerade noch akzeptable Jugendverlängerung erlaubt hatte. Und kaum ein Jahrzehnt nach den ernüchternden Begrüßungsworten hatte die Welt sich weitergedreht: Zwei Deutschlande waren plötzlich eins, die PCR war auf der Welt, wir schrieben die ersten E-Mails – und bald danach die Danksagung unter die finale Abschlussarbeit.

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Was aber machte man nun mit seinem Leben? Vor allem, wenn man keine akademische Karriere anstrebte. Viele hatten seinerzeit gerade Siegfried Bärs „Forschen auf Deutsch“ gelesen und waren davon – nun ja – wenig ermutigt. Und ein Biologiestudium ist ja – anders als Medizin oder Architektur – nicht in dem Sinne berufsqualifizierend.

Das Schöne am Leben ist aber bekanntlich, dass es immer weiter geht. Und so helfen oft Zufälle bei der Lösung der „großen Kühlschrankfrage“, die da lautet: Wie kriege ich in Zukunft meinen Kühlschrank voll? Und zwar ganz elementar den zu Hause mit Lebensmitteln – und nicht den im Labor mit Forschungsreagenzien. Letzteres ist zwar auch wichtig, aber doch ein bisschen weniger elementar.

Nun führte in einer meiner letzten Laborwochen ein eher konservativ gekleideter Herr, nur wenig älter als ich, eine damals unglaublich smarte Maschine in meiner Arbeitsgruppe vor. Er war ein paar Tage da, sprach mit den „richtigen“ Wissenschaftlern, gab eine Pizza aus, und anschließend wurde ein Antrag für die Beschaffung geschrieben. Und mich beschlich der Gedanke, dass er dafür womöglich von der Firma, deren Wunderwerk er in Wort und Tat präsentierte, sogar regelmäßig Geld bekäme. Den Kühlschrank voll, sozusagen. Und ich dachte: „Och …, das könntest du auch, gibt’s davon wohl noch mehr?“

Ja, gab es. Und so kam es, dass ich wenige Monate später als Kollege dieses Herrn in die Welt des Technologievertriebs eintauchte und noch nicht ahnte, wie viel von dem, was ich einmal studiert hatte, dort ganz gut zu gebrauchen war (überraschend viel!). Und wie viel von dem, was man sonst noch braucht, im Studium gar nicht vorkommt (noch viel mehr!).

Bis dahin war ich der zugegebenermaßen sehr naiven Auffassung gewesen, Laborausstattung und alle Messtechnologien seien einfach da. Dass Menschen arbeiten, damit auch so etwas „unter die Leute kommt“, dämmerte mir erst langsam...

Erst neulich wurde mir der große Spalt zwischen diesen Welten wieder mal bewusst. Ich hatte die Gelegenheit, auf Einladung einer Professorin „aus meiner Zeit“ einen Vortrag zu einer Seminarreihe „Biologen im Beruf“ beizusteuern. Übrigens ein großartiges Angebot für die jungen Leute. Wie oben erwähnt, gab es ja auch Zeiten, als die Worte „Biologe“ und „Beruf“ noch gar nicht so recht zusammenpassen wollten.

Es saßen also einige Dutzend junge Menschen vor mir, die meisten irgendwo zwischen Bachelor und Master. Aber auch einige Doktoranden und sogar eine Handvoll Postdocs hatten sich eingefunden, um aus der Praxis zu hören – in diesem Falle unter dem Tagesmotto „Biologen im Vertrieb“.

Nun ist es aber offenbar auch heute noch so, dass die Entscheidung für ein Biologiestudium in den meisten Fällen zunächst mal vom Interesse am Sujet getrieben ist – und weniger von sich später bietenden Möglichkeiten zum Erwerb und Füllung von Kühlschränken. Ich jedoch hatte zum Einstieg nichts Böses ahnend einige Zahlenbeispiele vorangestellt. Zur Sensibilisierung für die Kühlschrankfrage, sozusagen. So werden jährlich etwa 20 Milliarden US-Dollar als weltweiter Jahresumsatz für zellbasierte Assays angegeben. Das entspricht etwa der Hälfte des Konzernumsatzes von Bayer. Oder praktisch sämtlichen im Jahr 2010 verkauften iPhones. Persönlich fand ich den Gedanken übrigens sehr ermutigend, bedeutet es doch, dass viele tausend entsprechend qualifizierte Menschen davon leben können sollten.

Das Interessante daran war aber nun die Reaktion des Auditoriums: alleine die Erwähnung solcher ökonomischen Zusammenhänge rief bei vielen Unverständnis, bei manchen fast Entsetzen hervor. Nein, das könne doch nicht sein, dass die schöne Forschung einfach aufs Geld reduziert werde. Nun, wird sie ja auch nicht. Aber ohne funktioniert sie eben auch nur mäßig. Wegen Kühlschrank eben. Die Professorin in der letzten Reihe übrigens bestätigte dann auch mit einem Schmunzeln, dass ihre Arbeit und viele Projekte durchaus von hereinkommenden Geldern abhingen und man das nicht ganz außer Acht lassen dürfe.

Während die Wissenschaftler in der akademischen Forschung ja primär „am werdenden Wissen“ arbeiten, wie sich unser Institutsleiter damals einmal ausdrückte (und wie uns Christian Drosten neuerdings regelmäßig nahebringt), stehen jene in der Pharmaindustrie morgens auf, um an den Gehältern der nächsten Jahrzehnte für die Kollegen zu arbeiten. Wissenschaftler im Vertrieb jedoch sind ganz konkret für die laufenden Gehälter verantwortlich. Ohne Moos nix los, Kühlschrank leer.

Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit, die gar nicht so sehr mit dem Biologiestudium an sich, sondern vielmehr mit jeder weitergehenden Ausbildung einhergeht. Wichtig ist die Fähigkeit zur Problemlösung. Ob das Problem nun darin besteht, der Natur in kleinen Bröckchen ihre Geheimnisse zu entringen, oder darin, Menschen zu überzeugen, ihr Geld in die mühevoll entwickelten Tools von Technologiefirmen zu investieren und damit allen dort Arbeitenden die monatliche Kühlschrankfüllung zu ermöglichen, ist am Ende sekundär. Problemlösen heißt erfolgreich arbeiten. On the Bright and on the Dark Side.

Aber wie ist es denn nun wirklich auf der „dunklen Seite“? Nur Kaffee, Karre, Bahn und Flieger?

Nun, es artet durchaus in Arbeit aus, denn bekanntlich ist es gar nicht so einfach, an anderer Leute Geld zu kommen. Und auch wenn die Terminologie in Teilen unseres Geschäftes das glauben lässt (Drug Research!), sind die Abhängigkeiten in der Regel grundsätzlich andere als im Drogenbusiness. Ein alter Kollege aus Albuquerque (the City of „Breaking Bad“) äußerte kürzlich, dass eine Meth-Küche wohl der einfachere Weg zum Reichtum gewesen wäre – verglichen mit der Markteinführung einer neuen Messtechnologie.

Und Corona hin und neue Medien her, eine alte Kölner Weisheit gilt bei all dem weiterhin. Im dortigen Idiom lautet sie: „Dat persööönlische Jeschprähsch is dusch nix zu ähsätzen.“ Ich denke, auf deren Übersetzung ins Hochdeutsche können wir getrost verzichten.

Dazu kommt, dass sich Kulturen und Märkte unterscheiden – zumindest gelegentlich. Nicht von ungefähr kommt das Gros der technologischen Innovation in unserem Markt bisher aus dem amerikanischen Raum. Von löblichen Ausnahmen abgesehen, die dann aber gerne alsbald von amerikanischen Spielern übernommen werden. Das könnte auch daran liegen, dass in Industrie und Wissenschaft dort öfter die Haltung „Was gibt’s Neues? Denn bringt mich das schneller voran, investieren wir gerne...“ anzutreffen ist. Im deutschen Sprachraum dominiert dagegen eher die konservativere Position, die sich gerne in den Worten manifestiert: „Es kann eigentlich gar nichts geben, was besser funktioniert als unsere seit dreißig Jahren etablierte Methode! Und kosten darf es am besten auch nichts...“ – und damit den Ansatz „Das Bessere ist des Guten Feind“ klar auf den zweiten Platz verweist.

Kurzum, das persönliche Gespräch über neue Dinge ist in unseren Breiten oft von Skepsis geprägt – und das beginnt schon beim Zustandekommen eben dieses Gespräches. Sie kennen wahrscheinlich das Bild der Knechte, die den räderlosen Karren zerren, und das Angebot dieser merkwürdigen runden Dinger mit dem schönen Argument „Zu beschäftigt!“ ablehnen. Interessant am Rande: Bereits in der Schweiz neigt man deutlich eher zur „Investition“, während in Deutschland oft der Gedanke an die „Ausgabe“ dominiert.

Apropos kulturelle Differenz: Als ich vor Jahren einmal an einem sonnigen Märztag in einem klinischen Labor in Amsterdam eintraf, gegen vier am Nachmittag und in vollem Business-Ornat, bot mir der sehr lässige Laborleiter zunächst mal ein Bier an. Ich war ganz kurz milde geschockt (die amerikanischen Kollegen wären tot umgefallen!), aber dann haben wir ein gemütliches Nachmittagsbier zusammen getrunken und für die nächsten Jahre großartig zusammengearbeitet. Ähnlich ging es mir mal in Warschau, wo mir um die Mittagszeit in einem Regierungslabor ein Cognac angeboten wurde, wohlgemerkt unter Verzicht auf die tageszeitgemäße Mahlzeit. Andere Länder, andere Sitten – auch in der Scientific Community.

Von Alkohol mitten am Tag abgesehen führt die gewisse technologische Dominanz der angloamerikanischen Szene in vielen Bereichen auch dazu, dass es in unserer Branche besonders viele amerikanisch geprägte Vertriebsorganisationen gibt. Und es ist ja richtig, dass Amerikaner die Sache mit dem Verkaufen in der Regel auch besonders gut beherrschen. Allerdings betreiben sie das bisweilen in einer Art, die ein englischer Kollege einmal so zusammenfasste: „They believe that people are going to buy more if you only beat them hard enough with a big enough stick.” Nun, das scheint mir – milde ausgedrückt – nicht unbedingt ein Erfolgsrezept für Mitteleuropa zu sein.

Insofern herrscht dort auch gelegentlich eine für die Beteiligten wenig nachhaltige Stimmung. Ich kann mich an Management-Meetings entsinnen, die ähnlich bizarr verliefen wie jene spektakuläre amerikanische Kabinettsitzung, die es vor wenigen Jahren bis in die Tagesschau geschafft hatte. Kulturelle Differenzen eben.

Von solchen Anekdoten abgesehen: Bemerkenswert gerade angesichts amerikanischer Firmen ist ja auch, dass die Konzentration im Markt immer stürmischer voranschreitet. Gab es Ende der Neunziger noch viele kleine Spezialisten, beispielsweise für Antikörper, Enzyme, Chromatographie oder Ähnliches, so finden sich sehr viele dieser Produkte heute bei einigen wenigen großen Konzernen. Ob diese Marktmacht am Ende den Kunden hilft, sei dahingestellt – auf jeden Fall bedeutet es auch Veränderungen für den Vertrieb. Und dies kann eben auch erstaunliche Karrieren ermöglichen. Ein Teamleiter unserer Kollegen in Großbritannien, mit dem ich Mitte der Neunziger öfter direkt zu tun hatte, leitet heute einen Geschäftsbereich mit vielen Milliarden Umsatz bei einem der ganz großen Player der Branche. Um seinen Kühlschrank wird er sich nicht mehr sorgen müssen.

Klar aber ist, dass das persönliche Gespräch mit interessanten Menschen und Heißgetränken vor allem eines bedingt: intensives Reisen. Zeitlich der weitaus größte Teil.

Und das muss man wollen, am besten sogar ein bisschen genießen. Jeden Dienstag zum Volleyball oder donnerstags zur Chorprobe sind Gewohnheiten, die nur ganz selten mit diesem Job vereinbar sind. Das gilt übrigens auch für Familienbelange, die einen sehr verständnisvollen Partner erfordern, wenn einer von zweien mehr als nur die eine oder andere Nacht fern von Kind und Küche verbringt.

Aber es kann eben auch aufregend sein. Geplant oder ungeplant. Einmal kam ich in Italien nach einigen Reisetagen zum Flughafen, und bei der Abgabe des Mietwagens war mein Portemonnaie verschwunden. Dazu gab es einen unerwarteten Fluglotsenstreik, der den geplanten morgendlichen Rückflug bis in den Abend verhindern sollte. Ohne irgendwelche Papiere, aber mit dem Flugschein durch einen glücklichen Zufall in der Sackotasche statt im Portemonnaie gelang es mir, mich in die Lounge durchzuschlagen, wo man es – Vielreisende wissen das – auch ohne Geld notfalls einige Stunden aushält. Und ich hatte zu der Zeit einen großartigen Chef in England, der am Telefon genau die richtigen Worte fand, um den armen verlorenen Agenten in der Fremde nicht verzweifeln zu lassen.

Abends dann flog man wieder, aber mein Auto stand am heimatlichen Flughafen im Parkhaus, und wie käme es da wieder raus, ohne Geld und Kreditkarte? Es blieb mir nichts übrig, als am Gepäckband fremden Menschen die Misere zu schildern, und ein freundlicher Leuchtenfabrikant aus dem Sauerland half mir mit einem Hunderter. Seitdem weiß ich, dass die Hidden Champions dieser Branche aus dem Sauerland kommen.

Öfter mal war auch in München der letzte Anschlussflieger in die Heimat weg. Dann hieß es Übernachten mit dem Notpaket der Fluggesellschaft, die Passform der dort enthaltenen Unterwäsche ist aber nur mäßig.

Legendär sind späte Biere im ICE. Wobei ich glaube, eine starke negative Korrelation der Funktion des Fassbierausschankes mit der Pünktlichkeit des Zuges statistisch belegen zu können: In pünktlichen Zügen neigt das Fass zur Fehlfunktion, in verspäteten gibt es immerhin Trost. Eigentlich smart.

Davon abgesehen zählen Speisewagen und die dortigen Begegnungen zu meinen absoluten Highlights im Beruf des Handelsreisenden. Dazu muss man übrigens nichts mit Life Science zu tun haben. Und je größer die Verspätung, desto größer der Fatalismus und je besser die Stimmung. Erst kürzlich trafen sich im proppenvollen Zug vier wildfremde Menschen am Tisch, darunter – eine eher seltene Begegnung – ein Schweizer TV-Entertainer. Auf einem Gleis bei Karlsruhe brannte ein Güterwaggon, das „System Bahn“ verschaffte uns damit zwei Stunden Zusatzunterhaltung, und bei bester Stimmung ließ sich der Verlust der Vollkornschnitte im Bistrowagen trefflich diskutieren.

Dazu kommen natürlich Übernachtungen in Unterkünften der gesamten Spannweite von ziemlich posh (wird gerne überschätzt) über zweckmäßig (schon oft sehr gut geschlafen) bis eher ranzig (ehe man im Auto schläft). Und das Abenteuer beginnt, wenn eine Buchung tatsächlich mal nicht mehr besteht und vor Ort gerade nichts mehr zu bekommen ist. Oder man eben noch keine hat, weil es die Flexibilität erfordert. Vor einigen Jahren war mal nach der Landung in Frankfurt in dreihundert Kilometern Umkreis nichts mehr zu finden. Erst an der Endstation des letzten Zuges fand sich noch ein Kissen um Mitternacht. Kleine Aufreger am Wegesrand.

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Foto: AdobeStock/ Frank Fichtmüller; Montage: LJ

Man lernt Gegenden kennen, die man sonst nicht so ohne weiteres sehen würde, muss aber aktiv darauf achten, die Chancen dazu auch gelegentlich zu nutzen. Ich war einige Jahre lang öfter geschäftlich in Rom, kannte aber nur Flughafen, Hotel und den Weg zum Kunden, bevor ich mir dort nach fünf Jahren endlich einmal einen freien Nachmittag in cittá gegönnt habe. Seitdem kenne ich das Kolosseum auch aus eigener Anschauung.

Damit ist klar: der Vertriebsmensch bewegt sich reisend. Was aber bewegt den Menschen im Vertrieb? Was ist das Schöne, was motiviert? Zunächst der tägliche Umgang mit interessanten Menschen und interessanten Themen. Die meisten von uns da draußen sind ja mal wissenschaftlich sozialisiert worden, einer unserer Kollegen hat seinerzeit gleich mehrere Nature-Paper mit verantwortet. Und so ist es immer noch spannend, am „werdenden Wissen“ oder am Werden von Medikamenten zumindest als Zaungast beteiligt zu sein.

Als besonders stimulierend erinnere ich mich an einen Moment vor Jahren in München. Wir hatten bei einem Kunden ein seinerzeit neuartiges Messgerät installiert. Und während die Labormannschaft die ersten Tests fuhr, kam der Chef mit leuchtenden Kinderaugen, aus denen die Neugier nur so sprühte, ins Labor – und man konnte förmlich spüren, wie ihm neue Versuchsideen kamen. Er hatte gerade sein Leibniz-Preisgeld in das Instrument investiert, aber noch etwas machte den Moment ganz besonders: Er war zur Oktoberfestzeit saisongemäß in Lederhosen erschienen. Der Mann war schon damals ein Hotshot in seinem Fach – und dieser Augenblick ließ ahnen, warum.

Besondere Freude machen auch die Gelegenheiten, wenn Kunden so gut vorbereitet sind, dass schon wenige Wochen nach der Installation eines neuen Tools die Daten für das erste Paper zusammengemessen sind. Allerdings passiert es – leider – auch gelegentlich, dass die Hektik des Tagesgeschäfts es sehr schwierig macht, die nötige Fokussierung für das initiale Training aufzubringen. So werden die oft teuren Dinge nicht immer mit ihrem vollen Potenzial genutzt – und das ist ein wenig schade. Insofern gibt es hier Licht und Schatten.

Und dann ist es letztlich wie im richtigen Leben: Wenn’s sportlich wird, macht’s mehr Spaß. Vor allem solche Projekte sorgen für große Zufriedenheit, die mit Blut (nun, ja …), Schweiß (das allerdings) und Tränen (eher selten) erkämpft werden und in enger Zusammenarbeit zwischen der Kunden- und der Anbieterseite sowohl die technischen als auch die administrativen Hürden überspringen.

Bleiben noch die besonders kuriosen Erlebnisse. Einmal erreichte mich ein Anruf bei einem Meeting im Ausland, und mir war, als unterdrückte der Kunde nur mühsam das Lachen. Man hatte für ein Evaluierungsprojekt in großem Umfang Reagenzien erworben, und wir wollten in der kommenden Woche starten. Nun hatte aber ein gewissenhafter Hausmeister die im Keller gelagerten Kanister entdeckt, sie für herrenlos gehalten und daher kurzerhand und gemäß Sicherheitsaufkleber der ordnungsgemäßen Verbrennung zugeführt. Mein Entsetzen muss durch den Hörer spürbar gewesen sein, aber der Kunde hatte bereits alles geregelt: Die Versicherung käme dafür auf und man würde kurzerhand noch einmal bestellen. Puh!

Und natürlich die ultimativen Momente. Ein Forschungsleiter einer Pharmafirma sagte erst kürzlich: „Bei euch habe ich immer gute Sachen gekriegt, und gerade mit der letzten Anschaffung haben wir unser Molekül echt schneller als in früheren Projekten in die Klinik bringen können.“

Mehr geht nicht, dafür tun wir’s! Abgesehen vom Kühlschrank, natürlich.



Zum Autor

Christoph Enz ist seit 25 Jahren im Vertrieb für Life-Science-Messtechnologien tätig und betreibt heute mit der Cenibra GmbH in Bramsche ein Fachgeschäft für Zellmikroskopie. Er freut sich immer noch, wenn er „on the road“ sein, echte Kunden treffen und ihnen die Arbeit ein kleines bisschen leichter machen kann. Daher hofft er, dass dies bald wieder uneingeschränkt möglich sein wird – denn nach einer Woche im Büro wird er nervös.


Letzte Änderungen: 07.07.2020