Editorial

Corona-Krise? Welche Krise? – Zum Umgang mit einer Pandemie

Von Steffen M. Diebold, Jungingen


(15.07.2022) Ein Blick zurück auf Fehleinschätzungen und Versäumnisse. Und auf die Crux, die sich aus dem beliebigen Nebeneinander von Forschung und Aberglaube sowie Wissenschaft und Esoterik offenbart.

Seit mehr als zwei Jahren grassieren zum Coronavirus allerlei obskure Theorien und Mythen. Viele halten es für harmlos. Manche argumentieren bei der Sterblichkeit gar mit einer zyklischen Welle: Es träfe vor allem jene, die in einem halben Jahr sowieso an was auch immer gestorben wären. Im Falle von Corona-Maßnahmen würde deren Tod im Folgejahr lediglich nachgeholt. Das ist natürlich mehr als zynisch: Wer will das einem Menschen im Pflegeheim beibringen? Wer maßt sich die Entscheidung darüber an, ob es sich für einen anderen lohnt, noch ein paar zusätzliche Monate zu leben?

Insbesondere die vermeintlich fehlende Übersterblichkeit (Exzessmortalität) wird gerne marginalisierend ins Feld geführt. Übersterblichkeit ist jedoch nicht einfach zu erfassen. Sie bezieht sich stets auf exakt zu definierende Gruppen (Alterskohorte, Erkrankungskollektiv, Gesamtbevölkerung et cetera) sowie einen bestimmten Betrachtungszeitraum. Man vergleicht mit einer „Basismortalität“, die ihrerseits Schwankungen unterliegt. Ändert sich die Zusammensetzung des Kollektivs – zum Beispiel durch Einwanderung relativ Jüngerer, einen wachsenden Anteil von Frauen unter Rauchern et cetera –, so wirkt sich das auf die Basismortalität und folglich auf die kalkulierte Über- oder Untersterblichkeit aus.

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Zur Berechnung der (Über-)Sterblichkeit durch SARS-CoV-2 benötigt man außer der genauen Zahl der Verstorbenen präzise Angaben zur Prävalenz des Erregers, zu Infektions- und Testquoten innerhalb definierter Zeitspannen, zu Morbidität und Altersstruktur der jeweiligen Population sowie anderes mehr. Vor allem aber müssen sämtliche (!) konkurrierenden Faktoren mit Einfluss auf die Sterblichkeit bekannt sein. Effekte von Maßnahmen zum Infektionsschutz müssen evaluiert, die Qualität des Pandemie-Managements und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens inklusive etwa regionaler Intensivkapazitäten berücksichtigt werden. Unverzichtbar ist auch die genaue Definition eines Todesfalls. All das ist keineswegs trivial. Und so war selbst bei stärkeren Grippewellen vergangener Jahrzehnte nicht immer eine Exzessmortalität festzustellen.

In vielen Ländern war die Übersterblichkeit im Jahr 2020 signifikant. Das war aber nicht überall so. Für Deutschland betrug sie je nach Berechnungsmethode bis zu einem Prozent. Auffällig hoch war sie in der Alterskohorte der über Achtzigjährigen.

Infolge mancher Infektionsschutzmaßnahme gab es wahrscheinlich auch weniger Todesfälle durch Grippe, Unfälle, nosokomiale Infektionen, Behandlungsfehler und anderem. Dieses Phänomen ist als Präventionsparadoxon bekannt. Ferner registrierte man hierzulande – ebenso wie in Israel, Polen, USA, Italien, Neuseeland – eine Untersterblichkeit bei Kindern bis 14 Jahren. So ist es, vorsichtig formuliert, durchaus möglich, dass trotz Pandemie keine oder nur eine geringe Gesamt-Übersterblichkeit resultiert. Daraus den Schluss zu ziehen, die Pandemie oder der Erreger seien harmlos, ist jedoch unlogisch und methodisch fehlerhaft.

Vielfach wird auch behauptet, die offiziellen Todeszahlen wären gar nicht korrekt, da viele zwar positiv getestet, aber nicht an SARS-CoV-2, sondern nur (zufällig) mit dem Erreger gestorben wären. Selbstverständlich sind unter den „an oder mit Corona“ Verstorbenen auch welche, bei denen die unmittelbare Todesursache nicht das Virus war. Wer mit COVID-19 stirbt, ist meist alt, vorerkrankt oder beides.

Die Infektion durch das Coronavirus ist dennoch in aller Regel die Todesursache. Das heißt, ohne die Infektion hätten die Menschen länger gelebt. Frühzeitig ließ sich dies beispielsweise an den Ergebnissen mehrerer Autopsie-Serien des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) ableiten. Nur bei 5 bis 7 Prozent der klassifizierten Fälle war eine andere Ursache als COVID-19 für den Tod verantwortlich. Subtrahiert man bei kritischer Betrachtung der Autopsie-Befunde weitere rund 10 Prozent an „möglicherweise“ konkurrierenden Todesursachen, so resultieren immer noch etwa 85 Prozent obduktionsgesicherte COVID-19-Diagnosen.

Mit zunehmender Verbreitung des Virus steigt die Inzidenz. Da die Testrate im Pandemieverlauf jedoch nicht konstant ist, steigt die Inzidenz auch dann, wenn unter ansonsten gleichen Bedingungen mehr getestet wird. Hält die Testkapazität dagegen mit der Verbreitung des Virus nicht Schritt, ist umgekehrt auch eine Untererfassung möglich. Daher sollte die Zahl der SARS-CoV-2-Positiven ins Verhältnis zur jeweiligen Testrate gesetzt und als Quotient berichtet werden. COVID-19-Todesfälle sollten dann auf diesen Quotienten bezogen und als prozentualer Anteil berichtet werden!

Schließlich wird gerade auch die Letalität von COVID-19 von vielen heftig bezweifelt. Manche behaupten, sie läge nicht höher als bei einer saisonalen Grippewelle. Eine solche kann schwerwiegend verlaufen. Das macht Corona aber erst recht nicht harmlos. Grob geschätzt dürfte die Infektionssterblichkeit (IFR) durch den SARS-CoV-2-Erreger mindestens dreimal so hoch sein wie durch Influenza A, wenn für jene IFR-Raten zwischen 0,05 und 0,1 Prozent zugrunde gelegt werden.

Für sehr schwere saisonale Grippewellen, wie sie zuletzt etwa 2012/13 und 2017/18 auftraten, schätzte das RKI die Influenza-bedingten Todesfälle auf 20.000 beziehungsweise 25.000. Doch trotz aller Interventionen zum Infektionsschutz sind bis zum 15. April 2021, gut 15 Monate nach Ausbruch der Pandemie, allein in Deutschland bereits 80.000 SARS-CoV-2-Infizierte an COVID-19 verstorben. Ich kann mich an keine ähnlich verheerende Grippewelle der letzten Jahrzehnte entsinnen.

Für Länder mit hohem Anteil Jüngerer wurden für SARS-CoV-2 mittlere IFR-Raten von mindestens 0,23 Prozent berechnet, für Industrienationen mit morbiderer Bevölkerung dagegen bis zu 1,15 Prozent. In Spanien erreichte die mittlere IFR beispielsweise in der ersten Welle 0,8 Prozent, auf der Basis repräsentativer Sero-Surveys ermittelt. Global und über alle Altersgruppen hinweg errechnete man eine mediane IFR von circa 0,3 Prozent. Zwischen 15. April 2020 und 1. Januar 2021, also noch vor Einführung der Impfungen, sank diese globale IFR dabei von 0,47 Prozent auf 0,31 Prozent. Die 190 untersuchten Länder und Regionen unterschieden sich bis um den Faktor 30. Für bestimmte Untergruppen liegt die IFR weit über 0,3 Prozent. Etwa für die über Sechzigjährigen, für die eine US-Studie beispielsweise einen Wert von 1,71 Prozent ermittelte.

Vielfach war zu lesen, SARS-CoV-2 sei dennoch kein „Killervirus“. Das hat, mit Verlaub, auch kein seriöser Forscher je behauptet. Obgleich kontagiöser, ist das Coronavirus zum Beispiel weit weniger letal als ein Marburg- oder Ebolavirus. Doch es provoziert massive Thromboembolien, verursacht Myokarditiden und löst häufiger als etwa Influenza A oder andere Pneumonieerreger einen sogenannten Zytokinsturm aus. Durch Bildung von Auto-Antikörpern gegen körpereigene Interferone blockiert es zugleich die Immunabwehr. Und neben der Lunge sind nicht selten auch noch andere Organe betroffen. Nachgewiesen wurden bislang unter anderem Schäden an Herz, Nieren und dem Zentralnervensystem sowie Thrombosen tiefliegender Venen und Störungen von Geruchs- und Geschmackssinn.

Die Sterblichkeit hospitalisierter Patienten betrug im Frühjahr 2020 etwa zwanzig  Prozent, diejenige Intensivpflichtiger dreißig bis vierzig  Prozent – bei invasiv Beatmeten sogar circa fünfzig  Prozent. Ausschlaggebend für das Letalitätsrisiko sind hohes Alter, Übergewicht und kardiopulmonale Grunderkrankungen. Auch haben Männer ein rund 1,6-fach höheres Sterberisiko als Frauen!

Da SARS-CoV-2 eine völlig neue Variante der Coronaviridae ist, gibt es kaum naive Immunität. Zudem könnte der Selektionsdruck auf das Coronavirus zur Bildung von immer neuen Escape-Varianten führen oder über multiple Mutationen Reassortanten hervorbringen, gegen die bisherige Impfungen nicht mehr ausreichend wirken. Sollte man in einer solchen Situation auf Maßnahmen zum Infektionsschutz weitgehend verzichten?

Die Intensivstationen arbeiteten vielerorts am Limit. Es galt, einen Kollaps zu vermeiden. Die hohen Todesraten in Bergamo oder New York im Frühjahr 2020 waren unter anderem auch auf die Überlastung der Intensivkapazitäten zurückzuführen. Und was nützen Apparate ohne die Fachleute, die sie bedienen können, und das Pflegepersonal, das die Patienten dann wochenlang versorgt? In Deutschland wurden bis Herbst 2021 in nur einem Jahr ein Fünftel der Intensivbetten aufgrund Personalmangels abgebaut. Bis dahin waren bereits mehr als 100.000 Corona-Tote zu beklagen, weltweit mehr als 5 Millionen.

Wann also sollte man am besten eingreifen? Erreicht ein Atemwegsvirus aufgrund hoher Kontagiosität und der Art seiner Übertragung eine exponentielle Infektionskinetik, ist es angesichts der globalen Vernetzung für eine Eindämmung meist zu spät. Bei der Mexikanischen Schweinegrippe und der Vogelgrippe, die von manchen zu Vergleichen herangezogen werden, war der mediale Hype letztlich übertrieben. Milliarden wurden für Neuraminidase-Hemmer und andere Arzneimittel verschwendet. Im Nachhinein war das mehr als ärgerlich.

Nur: Die Fachwelt wusste seit Jahren, dass irgendwann ein fatales Virus auftauchen könnte. Nicht wann und nicht welches – aber dass durch Zoonosen Infektionserreger von einer Spezies auf die andere übergehen, ist nicht neu. Wir haben jetzt vielleicht noch Glück gehabt: Eine Pandemie mit einem Atemwegserreger, der die Letalität eines Marburg-, die genetische Variabilität eines Influenza-, und die Kontagiosität eines Herpesvirus besäße, könnte die Weltbevölkerung mutmaßlich im 100-Millionen-Maßstab dezimieren. Wie laut wäre dann der Schrei nach der ansonsten oftmals verabscheuten Pharmaindustrie, sie möge doch bitte in Windeseile etwas Wirksames dagegen aus dem Hut zaubern?

Die Erkrankungs(fall-)Sterblichkeit (CFR) von COVID-19 betrug in Deutschland durchschnittlich circa 2,3 Prozent. Angesichts dessen ausschließlich auf eine natürliche Herdenimmunität zu setzen, hätte ein hohes Risiko dargestellt. Bei einer IFR von 0,3 Prozent riskiert man mit 83,5 Mio. Einwohnern und einer Herdenimmunitätsschwelle von 0,8 bereits über 200.000 Tote. Und selbst dafür ist die Voraussetzung, dass die Intensivkapazitäten zu keinem Zeitpunkt überlastet werden oder gar kollabieren.

Die Politik musste also handeln. Gefragt waren pragmatische Reaktionen auf Basis solider wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sind solche in einer unklaren Krisenlage nicht vorhanden, muss der Staat das transparent machen und die Motive seines Vorgehens offenlegen: Im Falle sogenannter Alltagsmasken mündete dies jedoch eher in den hilflosen Versuch, in Ermangelung anderer Optionen wenigstens irgendetwas zu tun. Man ließ die Leute anfangs sogar glauben, Kaffeefiltertüten oder Schals vor der Nase hätten einen Schutzeffekt. Doch für Alltagsmasken existierten weder kontrollierte klinische Studien noch valide In-vitro-Untersuchungen. Erkenntnisse aus der Reinraum-Technologie und der inhalativen Pharmazie zur Aerosolkinetik, zu Filtersystemen, Abscheide- und Leckageraten et cetera ließen vielmehr vermuten, dass deren Schutzwirkungen im Falle viraler Flüssig-Aerosole mit Fraktionen von Partikelgrößen deutlich unterhalb von 5 µm völlig unzureichend sind.

Auch OP-Masken (Mund-Nasen-Schutz, MNS), erstmals 1897 durch den Chirurgen Mikulicz-Radecki in Breslau eingesetzt, bieten keinen Infektionsschutz für den Träger. 60 bis 90 Prozent des Luftstroms gelangen seitlich in die Atemwege. MNS dienen vielmehr dazu, bei Behandlungen von Patienten die Abgabe größerer (!) Tröpfchen auf kurze Distanz zu reduzieren. Sie wirken nicht gegen die Aufnahme und Abgabe kleinpartikulärer Aerosole. Genau dies wäre aber im Falle der hauptsächlich durch Aerosole verbreiteten Coronaviren erforderlich!

FFP-2-Masken wiederum wurden vorrangig für den Arbeitsschutz (Feststoff-Aerosole) und nicht für den medizinischen Einsatz bei kleinpartikulären Flüssig-Aerosolen entwickelt. Der für FFP-2-Masken reklamierte Schutz gegen eine Infektion durch Coronaviren musste daher erst wissenschaftlich belegt werden. Doch belastbare Daten dazu fehlten zunächst.

Vermutlich reduzieren manche Masken das Risiko einer Transmission. Aber welche, unter welchen Bedingungen, und in welchem Ausmaß? Im Herbst 2021 wollen Ärzteverbände bei Schülern und in Kindertagesstätten auf Masken verzichten. Virologen hingegen daran festhalten. Wer hat recht? Noch immer lassen sich Effekte des Abstandhaltens, des Aufenthalts im Freien, des Verzichts auf Händeschütteln und so weiter nicht klar von einem Effekt des Masketragens trennen. Auch ist völlig unklar, wie lange getrocknete virushaltige Aerosolpartikel nach dem Ausatmen kontagiös bleiben.

Folglich wurde versäumt, frühzeitig Nachweise zu erbringen, dass Masken wirksam schützen. Obwohl gerade damit entsprechende Rechtsverordnungen vernünftig hätten begründet und überzeugender durchgesetzt werden können.

Überhaupt zu glauben, man könne auf umfangreiche klinische und labortechnische Untersuchungen verzichten, ist ein Irrtum. Denn fehlen solche Belege, unterminiert das die Glaubwürdigkeit von Politik und Wissenschaft gleichermaßen – und führt in der Folge zu leichtsinnigem Verhalten bei Maßnahmen, die die Verbreitung aerogener Erreger tatsächlich eindämmen. Also bei Maßnahmen wie:

  1. Kontaktreduktion – Beschränkung von Anzahl und Frequenz persönlicher Kontakte.
  2. Abstand – Dieser sollte zur Sicherheit mehr als 4 Meter betragen (Niesen)! Weil dies im Alltag kaum einzuhalten ist und größere Tröpfchen auch schon auf kürzerer Distanz sedimentieren, gibt man – willkürlich – 1,5 Meter vor. Hauptsächlich erfolgt die Infektion aber durch Transgression kleinpartikulärer Aerosolwolken!
  3. Hohe Luftwechselraten – Da sich kleinpartikuläre Aerosol-Fraktionen mehrere Stunden in der Schwebe halten, ist es wichtig, Innenräume gut und regelmäßig mit Außenfrischluft zu durchlüften! Optimal ist ein Aufenthalt im Freien – was im Winter naturgemäß schwierig ist.
  4. Erregerspezifische Impfungen.


Skandalös bei alledem ist beziehungsweise sind:

  • Der vollkommen verspätete und halbherzige Versuch, besonders Vulnerable in Alten- und Pflegeheimen zu schützen. Stattdessen wurden – wenig fokussiert und wissenschaftlich unbegründet – generelle nächtliche Ausgangssperren verhängt. Vielleicht, weil bei individuellen Abendspaziergängen auf Feldwegen die Ansteckungsgefahr so hoch ist?
  • Dass Effekte von Maßnahmen zum Infektionsschutz nicht systematisch evaluiert, Inzidenzen übers Wochenende unvollständig sowie Hospitalisierungsraten mit bis zu zwei Wochen Verzug gemeldet werden. Zehn Monate nach Start der Kampagne kannte das Robert-Koch-Institut (RKI) die Impfquote nur mit einer Unsicherheit von plusminus 5 Prozent. Das macht einen Unterschied von Millionen!
  • Dass auch in Leitmedien Schlagzeilen irreführend formuliert werden – mal reißerisch, mal verharmlosend. Sowie dass schlampig recherchierte Angaben zu undefinierten Todesraten gemacht und verwirrende Botschaften zur Gefährlichkeit des Virus verbreitet werden.
  • Das in Summe diffuse Pandemie-Management, die miserable Kommunikation und die mangelnde Systematik bei Meldung und Dokumentation der Erkrankungen und Todesfälle. Fallzahlen werden ohne Bezugsgrößen referiert und Inzidenzen nicht (wie etwa in Österreich) nach Impfstatus aufgeschlüsselt. Das erschwert nicht zuletzt auch Risikovergleiche zwischen SARS-CoV-2 und Influenza A.
  • Dass man bisher immer wieder tausende vermeidbare Grippe-Tote achselzuckend als saisonales Naturereignis hingenommen hatte.
  • Die meist katastrophalen hygienischen Zustände in deutschen Krankenhäusern: Jeder dritte Patient, der wegen ganz anderer Beschwerden eingeliefert wird, infiziert sich erst im Krankenhaus mit (nicht selten multiresistenten) Keimen. Ein Deutscher, der in eine niederländische Klinik eingeliefert wird, musste daher schon vor Corona zuerst in Quarantäne.


Doch: Was kann man erwarten, wenn

  • selbst im 21. Jh. noch immer allerhand Wundermittel (Homöopathika, Anthroposophika) ohne klinischen Wirksamkeitsnachweis und ohne die für Allopathika erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung in Verkehr gebracht und sogar zulasten der gesetzlich Krankenversicherten verordnet werden;
  • allabendlich der Reizdarm-Schwachsinn mit seinen existenzbedrohenden Blähungen über die TV-Mattscheiben flimmert und damit eine offenbar breite Klientel an Blutentschlackern, Darmentgiftern und Datingfanatikern adressiert – man jedoch hierzulande nicht in der Lage ist, an stark frequentierten öffentlichen Orten überall berührungsfrei nutzbare Toiletten zu installieren. Das würde Infektionen aller Art reduzieren und wäre technisch kein Problem;
  • Impfgegner glauben, Impfungen würden die Persönlichkeit verändern, Pädagoginnen und Pädagogen meinen, Masketragen würde die Kindesentwicklung stören und entgegen aller wissenschaftlichen Belege behauptet wird, die mRNA der Impfstoffe würde die DNA des menschlichen Erbguts schädigen;
  • Ahnungslose von einer Corona-Diktatur faseln, ohne begriffen zu haben, dass solche Verlautbarungen in einer echten Diktatur erst gar nicht möglich wären!


Auffällig viele gefälschte Atteste sind an Waldorfschulen und im Dunstkreis von Anthro­posophen und Vertretern anderer Sekten in Umlauf. Auch die Impfquoten sind hier viel niedriger. Eine überzogene Rücksicht auf die esoterischen Befindlichkeiten dieser ganzheitlich-alternativen Szene kostet Tausenden zusätzlich das Leben. Doch anstatt hier für eine höhere Impfquote zu sorgen, sollen sich Geimpfte aus Solidarität mit den Impfgegnern ein drittes (viertes?, fünftes?, ...) Mal impfen („boostern“) lassen.

Leider erntet man daher nun in der Pandemie, was man jahrzehntelang gesät hat: Ein beliebiges Nebeneinander von Forschung und Aberglaube, von Wissenschaft und Esoterik musste in der Bevölkerung den Eindruck einer Gleichberechtigung jeglicher Aussagen erwecken. Ganz so, als wäre Vernunft oder Unsinn eben eine Frage des persönlichen Geschmacks, einer alternativen Weltanschauung. Doch zwischen Tatsachen und Blödsinn gibt es keinen Kompromiss. Es existiert kein Recht auf Aberglauben. COVID-19 wird nicht von 5G-Handymasten ausgelöst. Auch nicht vielleicht!

In der Folge stagnieren nun die Impfquoten. Und die lassen sich jetzt, nach Jahrzehnten boomender Esoterik, auch durch mehr „Kommunikation mit dem Volk“ nicht mehr wesentlich steigern.



Zum Autor

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Steffen M. Diebold ist unter anderem Fachapotheker für Öffentliches Gesundheitswesen, European Qualified Person für Arzneimittel und ehemals GMP-Inspektor der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Als solcher war er fast zwei Jahrzehnte in der Überwachung und Kontrolle international agierender Pharmakonzerne tätig.