Editorial

BMW statt Biotech: Ohne Imagearbeit wird’s schwer für die Laborbranche

Von Klaus Ambos, Hamburg


(15.07.2022) Studien zeigen: Viele Schulabgänger denken bei der Berufswahl nicht einmal an die Life-Science-Branche. Und das, obwohl Naturwissenschaften in der Schule hoch im Kurs stehen. Eltern und Bekannte prägen das Berufsbild der Laborbranche ebenso wie die Medien. Wollen wir das Imageproblem lösen, müssen wir endlich neue zielgruppengerechte Bilder und Narrative des abwechslungsreichen Berufs zeichnen – und sichtbar machen.

Bei den Generationen Z und Alpha, also Personen der Geburtsjahrgänge 1995 beziehungsweise 2010, gehen wir davon aus, dass vor allem die nach den Millennials Geborenen nach Jobs mit viel Sinn streben. Sich selbst verwirklichen oder finden. Die Welt verbessern. Den Menschen und der Umwelt helfen. Die Zukunft sichern. Umso mehr irritiert die jüngste Umfrage des Beratungsunternehmens Trendence Institut unter mehr als 16.000 Akademikerinnen und Akademikern in Deutschland: Unter den Top Ten der beliebtesten Arbeitgeber finden sich in Zeiten der Rohstoffknappheit und des Klimawandels gleich vier Automobilhersteller wieder. Drei davon belegen die ersten Plätze. Life-Science-Unternehmen fehlen. Dafür sind unter den Top Ten Tech-Giganten wie Microsoft oder Google. Und das Auswärtige Amt.

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Wer offenkundige Gründe sucht, wird diese schnell finden. Schließlich klingt Arbeit bei BMW nach großem Portemonnaie, Prestige und Produkten, die alle kennen und viele lieben. Und ein Job bei Google? Hier winken Creative Work, Bällebad und eine ebenfalls hohe Bezahlung. Zumindest haben viele Absolventen ein solches Bild vor Augen. Doch wie steht es mit einer Tätigkeit beim Auswärtigen Amt? Abendessen mit Joe Biden, Emmanuel Macron und Justin Trudeau? Klingt auch spannend!

Ich möchte Auto und Computer in meinem Leben heute nicht missen. Meine Berufs- und vor allem Branchenwahl habe ich dennoch nie bereut. Wie viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kolleginnen und Kollegen. Nach 32 Jahren arbeite ich noch immer mit Stolz in dieser sinnstiftenden Branche. Und unterstütze geniale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei ihren bahnbrechenden Arbeiten mit Starlab-Produkten. Zwar nicht mehr als operativer Mitarbeiter oder im Vertrieb und Marketing, aber als Unternehmer und vor allem als People-Manager. Wie auch meine Kolleginnen und Kollegen kann ich also zweifelsohne sagen, dass die Berufe in der Life-Science-Branche alles andere als unattraktiv oder gar langweilig sind. Allerdings scheinen viele Unternehmen unseres Sektors nicht in der Lage, junge Fachkräfte zu inspirieren – und zu rekrutieren. Nun werden einige richtigerweise erwidern, „den Fachkräftemangel gibt es aktuell überall“. Doch ist er für eine so wichtige und schnell wachsende Branche wie die Life Sciences viel gravierender.

Wenn Autos nicht fahren, dann tun es Züge. Oder Fahrräder. Aber Krankheiten werden nicht einfach verschwinden. Es braucht Menschen, die sie erforschen, und Menschen, die die dafür anfallenden operativen Tätigkeiten übernehmen. Von der Blutabnahme über Rachenabstriche bis zu Urinproben. Inklusive Auswertung. Die Corona-Pandemie hat diesen Umstand eindrucksvoll vor Augen geführt. Zum ersten Mal konnten wir den Menschen ohne Weiteres klarmachen, wie wichtig die meist unsichtbare Arbeit in den Laboren ist. Leider nehmen gerade junge Menschen die Berufe in diesen Sparten nicht als attraktiv wahr. Geschweige denn, dass sie sie überhaupt wahrnehmen. Und genau dort liegt das Problem.

Im Corona-Hochjahr 2021 haben wir von Starlab Laborantinnen und Laboranten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie sie ihre Berufsbilder einschätzen. Das Ergebnis: Gerade mal ein Drittel (32 Prozent) der Befragten denkt, dass die Öffentlichkeit den Beruf des Laboranten als attraktiv bewertet. Spätestens damit war klar: Die Labor- und Life-Science-Branche hat ein Imageproblem.

Gehen wir auf die Suche nach möglichen Ursachen. Image – was heißt das eigentlich? Ursprünglich stammt das Wort aus dem Lateinischen, von „imago“. Das bedeutet so viel wie „Bild“ oder „Bildnis“. Um also zu verstehen, warum die Laborbranche ein Imageproblem hat, müssen wir uns das Bild, aber auch das Bildnis von der Arbeit im Labor vor Augen führen, das andere, allen voran Jugendliche, von den Berufen im Labor haben. Jugendliche gerade deswegen, weil sie die Fachkräfte von morgen sind. Als Teil der Kampagne „Colours of Science“ hat sich Starlab zum Ziel gesetzt, die Berufe im Labor für alle Menschen sichtbar zu machen. In diesem Jahr hat das Unternehmen in einer breit angelegten Studie 1.000 Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren in Deutschland im Auftrag befragen lassen, was sie von den Laborberufen halten. Die Ergebnisse waren sehr eindeutig.

Um das Imageproblem der Branche besser zu begreifen, lohnt zunächst die Unterscheidung zwischen den Begriffen Bildnis und Bild. Laut Duden meint der Begriff Bildnis die „bildliche Darstellung eines Menschen“. Zum Verständnis hilft es, sich ein Porträt, eine Büste oder eine Bildhauerei vorzustellen. Das, was wir sehen, ist kein unmittelbares Bild der abgebildeten Person oder Landschaft. Was wir betrachten, ist die Interpretation des Kunstschaffenden. Sie beeinflusst unsere Wahrnehmung über die dargestellte Landschaft oder Person. Von Kunstschaffenden will ich hier nicht reden, dafür aber von im Labor Schaffenden, Wissen-Schaffenden und deren Bildnissen. Wo kommen diese her? Vor allem bei Jugendlichen? Die Antwort lautet: aus dem (un-)mittelbaren Umfeld. Eltern, Schule, Freunde und Medien – klassische wie neue. All diese Dinge beeinflussen nicht nur Jugendliche, sondern ebenso Erwachsene nachweislich.

Das Bildnis, das junge Menschen von der Arbeit im Labor haben, scheint völlig klar: An erster Stelle dominiert laut der Erhebung mit 58 Prozent die Analyse von Blut und Urin in einer Arztpraxis, gefolgt von der Analyse von Mikroben im Trinkwasser (49 Prozent). Etwas abgeschlagen, aber dennoch weit vorn folgen dann – dank der Erfolge Modernas oder BioNTechs im Kampf gegen die Corona-Pandemie – die Erfindung des nächsten mRNA-Impfstoffes (37 Prozent) und anschließend die Heilung von Krebs (27 Prozent). Es sind jene Berufe von Medizinisch-Technischen Assistenten, die Blut- und Urinproben analysieren oder PCR-Tests auswerten; von Wissenschaftlern in Filmen, die nach einer verheerenden Katastrophe Trinkwasserproben untersuchen; von Forschern wie Uğur Şahin und Özlem Türeci, die der Menschheit in der Corona-Pandemie durch ihre Erfindung einen unbezahlbaren Dienst erweisen; oder von Medizinern, die mit Hochdruck daran arbeiten, Krebskrankheiten zu besiegen.

All diese Berufe nimmt die Gesellschaft meist unbewusst oder indirekt wahr. Wir fragen oder denken nicht großartig darüber nach. Geschweige denn, dass wir über sie reden würden. Auch nach zwei Jahren Pandemie nicht. Ein Fehler, wie die eingangs zitierte Studie über Lieblings-Arbeitgeber verdeutlicht. Materielle Arbeitsergebnisse scheinen wichtiger als immaterielle oder das Leben selbst – zumindest für bestimmte Generationen.

Während das Bildnis, das Jugendliche von der Arbeit im Labor besitzen, geprägt ist durch den alltäglichen Arztbesuch sowie Film und Fernsehen – in der Kommunikationswissenschaft als Kultivierungshypothese bezeichnet –, verhält es sich mit dem Bild anders. Ein Bild kann vieles sein. Für die weitere Betrachtung konzentrieren wir uns auf eine wesentliche Definition laut Duden: Vorstellung oder Eindruck. Welchen Eindruck haben also junge Menschen von der Arbeit im Labor? Nach zwei Jahren Corona-Pandemie wissen sie bestimmt viel mehr, oder? Fehlanzeige. Error 404. Bild nicht gefunden. 22 Prozent der von Starlab befragten Teenager geben an, genauso viel über die Arbeit im Labor zu wissen wie vor Corona. Weitere 12 Prozent meinen, überhaupt kein Bild von der Arbeit in den Laboren zu haben. Damit weiß einer von drei Jugendlichen nicht, wie die Arbeit in einem Labor aussieht. Mindestens. Doch warum eigentlich? Zum Vergleich: Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine verzeichnet die Bundeswehr einen unglaublich starken Anstieg der Bewerberzahlen. Das ist gerade erst einige Monate her, und die Nachrichten berichten seitdem über wenig andere Themen. Aber in den vergangenen zwei Jahren wurde crossmedial – in neuen wie in klassischen Medien – jeden Tag ebenfalls prominent über die Corona-Pandemie und ausgelastete Labore und Testkapazitäten berichtet. Anstieg an Bewerberzahlen in der Laborbranche? Erneut Fehlanzeige. Bei der School of Life Science Hamburg beispielsweise, mit der wir bei Starlab eng kooperieren, sind die Bewerberzahlen seit Jahren sogar rückläufig. Mediales Agenda-Setting allein verursacht nicht in jedem Fall eine Verhaltensänderung.

Dabei ist das Bild, das Jugendliche von der Tätigkeit im Labor haben, wenn sie denn eins abrufen, gar kein schlechtes. Sie können sich zwar nicht wirklich etwas unter der Arbeit vorstellen. Aber sie haben erkannt, wie wichtig und sinnhaft diese ist. Eigentlich genau das Richtige für die Generationen Z und Alpha, oder? Satte 75,2 Prozent der jungen Menschen halten laut der von uns durchgeführten Studie die Tätigkeiten im Labor für sinnhaft. Zudem messen 71,4 Prozent den Jobs viel Verantwortung bei. Das Image ist also gar nicht so schlecht wie gedacht. Und ja, auch die tägliche Berichterstattung über Labore oder Impfstoffe während der Corona-Pandemie hat dazu beigetragen.

In den Bewerberzahlen hat sich das bisher nicht widergespiegelt. Und das, obwohl 29 Prozent der Teenager durch Lockdowns, Brancheneinschränkungen und Unsicherheiten eine andere berufliche Präferenz haben als vor der Pandemie. Und weitere 70,9 Prozent der Jugendlichen erklären, dass ihnen die Arbeit im Labor Spaß bereiten würde. Kommen wir also zurück zur Unterscheidung zwischen dem Bild und dem Bildnis von der Arbeit im Labor: Die meisten Jugendlichen wissen nicht, was sie dort erwartet. Sie haben eine Vorstellung von dem, was die Arbeit im Labor ausmacht. Aber sie wissen nicht, wie sie gestaltet ist. Das, was sie darüber glauben zu wissen, haben sie sich aus ihrem Umfeld und aus den Medien angeeignet. Daher lohnt ein weiterer Blick auf genau dieses Umfeld – wenn wir dem Fachkräftemangel in Zukunft wirkungsvoll begegnen wollen.

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Nicht nur das Interesse für die Berufe im Labor, sondern auch das allgemeine Interesse für das (schulische) Themengebiet MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ist vorhanden. Wider Erwarten (!) hat die Mehrzahl (23,2 Prozent) der von Starlab befragten Teenager angegeben, dass die MINT-Fächer für sie von größtem Interesse in der Schule sind. Von diesen wiederum sind 39,7 Prozent durch die eigene Neigung auf das Gebiet aufmerksam geworden, weitere 28,4 Prozent durch ihre Lehrkräfte, 15,5 Prozent durch die Medien und zuletzt 12,5 Prozent durch Familie und Freunde.

Auch in der Berufswahl zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: 70,1 Prozent der Jugendlichen treffen ihre Berufswahl aufgrund persönlicher Interessen und Neigungen. 50,9 Prozent werden durch die Familie beeinflusst. Anschließend folgen Impulse aus der Kindheit in Form von Büchern, Idolen und Spielzeugen (40,7 Prozent) wie auch der Schule (40,3 Prozent).

Wir alle hatten doch diese eine Person, die uns nachhaltig inspiriert und dazu angeregt hat, einen bestimmten Weg einzuschlagen, oder? Gerade für Kinder und Jugendliche ist das sehr wichtig. Die Inspiration findet bereits sehr früh statt. Genderspezifisch tradierte Rollen tun ihr Übriges, wenn Jungen lieber Polizist oder Feuerwehrmann werden möchten. Und Mädchen unbedingt Tierärztin. Umso wichtiger ist es, diese Barrieren abzubauen, Kinder frühzeitig über mögliche Berufe aufzuklären und im entscheidenden Augenblick der beruflichen Weichenstellung zum Schuljahresende bildhaft in Erscheinung zu treten. Die Aufgabe, Jugendliche über Berufslaufbahnen, Berufe und Möglichkeiten der Ausbildung umfassend zu informieren, kann von niemandem allein getragen werden.

Vielmehr braucht es einen Schulterschluss zwischen dem Bildungssystem, der freien Wirtschaft und den Eltern. Gerade bei Letzteren gilt leider immer noch oft in Bezug auf die Berufswahl des eigenen Kindes: Du bist Anwalt, Arzt, Ingenieur oder gar nichts. Umso mehr benötigen wir Aktionstage wie den „Welttag des Labors“ oder spannende Unternehmenspraktika, um Eltern wie Jugendliche auf die Berufe und Einsatzmöglichkeiten im Labor aufmerksam zu machen. Die Laborbranche in ihrer ganzen Vielfalt muss auf den Radar gebracht werden. Es braucht Bilder und Narrative, die über das Handling mit Spritzen und Pipetten hinausgehen. Bilder, die zeigen, was Laborarbeit ebenso wie andere Jobs bieten können: Kommunikation, Teamarbeit, Spaß, Bestätigung, gesellschaftliche Anerkennung und ja, auch eine gute Bezahlung.

Auch ein CEO muss sich dann die halbe Stunde Zeit nehmen. Sich frühzeitig um den Praktikanten und die Praktikantin kümmern. Mit ihm und ihr reden. Das Gefühl geben, wahrgenommen zu werden. Sie kennenlernen. Denn: Praktikantinnen und Praktikanten von heute sind die Fachkräfte von morgen. Für Konzerne mag das in unserer Branche eher weniger ein Problem darstellen, da die finanzielle Kraft oft reicht, sich Fachkräfte teuer einzukaufen. Doch für mittelständische Unternehmen ist dieses Erlebnis, diese positive Verknüpfung und Wahrnehmung in den Köpfen junger Menschen umso wichtiger.

Bei Starlab beispielsweise haben wir uns zum Ziel gesetzt, eine Marke zu schaffen, die junge Menschen anspricht. Eine Marke, die Spaß bereitet und zeitgerecht ist. Und positive Verknüpfungen in den Köpfen der jüngeren Zielgruppe schafft. Sie für die Arbeit in Labor und Forschung begeistert. Es war ein langer Prozess. Dabei haben wir festgestellt, dass die Palette der möglichen Instrumente sehr breit und bunt sein kann und auch muss. Vom außergewöhnlichen Produktdesign und modernen Produkten über zielgruppengerechte Kommunikationskanäle bis hin zu inspirierenden Storys, die unbedingt erzählt werden müssen. Zum zweiten Mal in Folge haben wir den „Welttag des Labors“ als Anlass genutzt, das Labor als Arbeitsplatz im Rahmen einer Kommunikationskampagne zu promoten. „Colours of Science“ klärt daher auf. Multi-Channel. Auf Instagram, LinkedIn, in den klassischen Medien und Fachzeitschriften, via Podcasts, auf einer Landingpage mit Videos, Interviews, einem Kunstwerk und vielem mehr.

Es ist ein Anfang. Doch das allein reicht nicht. Wir brauchen eine generelle, übergreifende Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für alternative Berufsbilder. Teenager werden in ihrer Berufswahl sowohl von Familie und Freunden beeinflusst wie auch von Medien und Influencern. In diesem Jahr hat die Berichterstattung am „Welttag des Labors“ eher mau ausgesehen. Auch ist dieser Tag in Deutschland längst kein Aktionstag mehr. Viele Berufe im Labor bleiben unsichtbar und unpopulär. Es braucht mehr Unternehmen, die mittels öffentlichkeitswirksamer, generationengerechter Kampagnen über alternative Berufsmöglichkeiten aufklären und die Jugendlichen für diese begeistern. Natürlich muss dafür etwas Geld in die Hand genommen werden. Wenn man dieses Geld aber als das ansieht, was es sein soll, ist es gut angelegt: eine Investition in die Zukunft.



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Klaus Ambos ist CEO der auf Liquid-Handling-Technologie und Laborprodukte spezialisierten Unternehmensgruppe Starlab International GmbH mit Niederlassungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien sowie weltweiten Distributoren.