Editorial

Homer goes Nature

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Jungforscherin

Schon als ich meinen Fuß in die Tür setze, fällt mir die Kinnlade auf den Boden. Wow, unser gesamtes Labor würde mindestens viermal in dieses Büro passen. Es gibt eine Ecke mit Sofas, einen großen Konferenztisch mit Projektor, an dem leicht 20 Leute Platz finden können und eine Menge Computer. Die Wände zieren gerahmte Titelseiten von Nature, Science und Co. Ganz klar, ich habe die Hallen eines Professors betreten, der „es geschafft“ hat.

Ich gehe mit meinem Aminosäure-Fläschchen zu einer Kochnische mit einer modernen Kaffeemaschine, wo sich einige Leute unterhalten – und warte auf eine Gesprächspause, um zu fragen, wo Felix ist. Ein kahler Mann mittleren Alters, der irgendwie aussieht wie Homer Simpson, bemerkt mich zuerst. Bevor ich etwas sagen kann, erhalte ich den Hinweis: „Keine Chemikalien im Büro, junge Dame.“

„Ich suche einen gewissen Felix“, entgegne ich.

Homer Simpson schaut in die Runde – scheinbar in der Erwartung, dass mich einer von denen aufklären wird.

„Wahrscheinlich im Labor“, sagt ein großer, blonder Kerl.

Ich schaue in Richtung der Glastür, die vom Büro direkt ins Labor führt. „Du kannst mit den Chemikalien hier nicht durch, geh einfach über den Gang ins Labor“, sagt Homer Simpson freundlich, aber bestimmt, als er mir die Tür zum Korridor weist.

Was bleibt mir übrig: Ich folge also Homers Hinweis und verlasse das Büro durch die Tür, durch die ich gerade erst gekommen war.

Das Labor ist noch größer als das Büro. Es läuft Heavy Metal, mittellaut, und jeder trägt Laborkittel und Schutzbrille. Es ist betriebsam und fühlt sich nach „Wissenschaft“ an; es ist seltsam hypnotisierend und erhebend zugleich, diesem Betrieb zuzusehen.

„Ich suche nach einem gewissen Felix“, sage ich zur ersten Person, der ich begegne. Sie nickt zu einem Abzug im hinteren Teil des Labors. „Der Rothaarige da“, fügt sie noch hinzu. Zugleich deutet sie auf die Schachtel mit den Schutzbrillen für Gäste, die auf einem Tisch neben mir steht. Ich nehme mir die einzige rote Brille, setze sie auf und gehe zum Abzug von Felix.

„Kleinen Moment bitte“, sagt er, während er zwei Reagenzgläser austauscht, mit denen er eine klare Flüssigkeit auffängt. Eine große, farbige Glassäule hängt über den Reagenzgläsern; Chromatographie, denke ich bei mir. „Ja?“, fragt er knapp, ohne den Blick von der tropfenden Flüssigkeit zu lassen.

Ich stelle die Flasche mit der Aminosäure auf seinen Tisch und sage stolz: „Wir hatten sie tatsächlich vorrätig.“

„Ah, cool“, sagt er, während er das Etikett überfliegt und wieder ein volles Reagenzglas gegen ein leeres ersetzt. „Hast Du ‘ne Minute, damit ich mir rausnehmen kann, was ich brauche?“

„Kein Problem, ich habe Zeit.“

Ich sitze auf einem Schränkchen und schaue zu, wie er mit geübter Handbewegung die Gläschen tauscht, als würde er schon seit Jahren nichts anderes tun. Es hat sicher einen therapeutischen Wert, der Flüssigkeit auf ihrem Weg zuzusehen.

Schließlich schließt er den Hahn der Säule. „Fertig.“ Er dreht sich zu mir um und ich sehe hinter der Schutzbrille leuchtende, blaue Augen in einem freundlichen, sommersprossigen Gesicht. „Hast Du denn keinen Fraktionssammler, um diesen Arbeitsschritt zu automatisieren?“, frage ich ihn und deute auf die hundert Gläschen mit Flüssigkeit, die er per Hand gesammelt hat.

Er macht eine Geste, als wäre gerade der Theatervorhang aufgegangen: „Wozu das denn? Wir haben doch... mich!“

Er sieht verspielt aus, amüsiert. Er nimmt die Flasche mit der Aminosäure und ich folge ihm zu einer Waage. „Ich bin ein Postdoc, viel billiger als ein Fraktionssammler“, lacht er. „Meinen Chef koste ich nichts, musste ja mein eigenes Geld mitbringen.“

„Ist es okay, wenn ich etwas mehr nehme?“, fragt er mich.

„Mach nur.“

„Du bist ein Engel.“

„Du bist der Erste, der mir das sagt.“ Dabei fühle ich mich gar nicht wie ein Engel. Höchstens wie ein gefallener.

Er lächelt wieder. Er ist eben ein ‚Happy Bunny‘ – einer, der jeden aufmuntert.

„Kann ich Dir was als Gegenleistung geben?“, fragt er mich.

„So was wie Pipettenspitzen?“, scherze ich.

„Wirklich, magst Du welche?“

„Nein, ich brauche keine, aber ich würde mich über einen Kaffee aus Eurem tollen Gerät freuen.“ Er sieht etwas verdutzt aus. Vermutlich hat er noch nie mit jemandem zusammengearbeitet, der keine Kaffeemaschine in seinem Büro hat. Vermutlich weiß er nicht, wie rau es in der Welt da draußen werden kann.

„Klar, komm!“, sagt er und führt mich durch die Glastüre.

„Dürfen wir hier durchgehen?“

„Natürlich, dafür baut man Türen.“

„Ich habe mich vorhin nur etwas von Homer Simpson erschrecken lassen, der mir das verboten hat. Er meinte, ich solle nicht mit Chemikalien ins Büro gehen.“

„Homer Simpson?!“ wiederholt er, offensichtlich sehr vergnügt. „Das ist mein Chef, Professor Walker... Er ist nicht wirklich angsteinflößend, er ist nur fett.“

Ich schaue ihn ungläubig an. Will er mir wirklich weismachen, dass dieser Homer Simpson mit seinem weißen, zu kurzen Polohemd, den Jeans mit dem markanten Maurerdekolleté und den klobigen Fingern, die noch vom Öl der Chips leuchteten, dieselbe Person ist, die es mehrmals aufs Cover von Nature und Science schaffte? Ist Homer der Mann, der mindestens 25 Doktoranden oder Postdocs in seiner Gruppe hat?

„Du machst Witze.“

„Nö.“



Letzte Änderungen: 04.07.2018