Der Alte im Labor

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Editorial

Jungforscherin

„Wann war der Alte denn zuletzt im Labor?“, frage ich.

Die neue Doktorandin starrt mich verunsichert an und erwidert: „Keine Ahnung... ich habe ja gerade erst angefangen.“

„Glaube mir, das ist schon Jahre her. Das Polster auf seinem ‚Lehr-Stuhl’ ist schon durchgesessen. Der hat schon keine Haut mehr am Hintern vom vielen Sitzen!“

Ich schaue nochmal ins Mikroskop, aber da ist wirklich nichts zu sehen.

„Hat er wirklich gesagt, Du sollst 4 μL Blut in 20 mL PBS auflösen?“

Mit dem Finger fährt sie über die schlampige schriftliche Notiz, während sie diese laut vorliest. Mittendrin hält sie an, dreht das Blatt in meine Richtung und sagt: „Da steht doch wirklich 4 μL und 20 mL, oder?“

Editorial

Konzentriert betrachte ich das Gekritzel. „Nee, da könnte ich auch nichts anderes daraus machen.“

Ich schaue das Falcon-Tube mit der Mischung an. Von Blut ist nichts zu erkennen. Die Verdünnung war eindeutig zu hoch.

„Damit kannst Du nichts mehr anfangen. Kannst Du wegschmeißen. Oder dem Herrn Prof. Dr. Doktorvater schenken...“

Mit traurigen Augen schaut sie mich an. Ihr etwas zu großer, weißer Laborkittel hat noch Falten, kam wohl erst kürzlich aus der Verpackung. Frisch im Labor, hoch motiviert,...

„Hast du noch mehr Blut?“

„Nein“, sagt sie und zeigt mir das leere Eppi. „Ich hatte schon Schwierigkeiten, diese kleine Menge zu kriegen. Und die habe ich auch nur bekommen, weil die anderen keine Lust haben, nachts zum Krankenhaus zu radeln, um Nabelschnurblut von eineiigen Neugeborenen zu sammeln. Daher war ich um 5 Uhr morgens da!“

„Genauso ist es. Wenn Du den niedrigsten Rang im Wolfsrudel hast, dann musst Du mitten in der Nacht aufstehen, um Blut zu bekommen“, sage ich sarkastisch.

Sie nimmt das Falcon-Tube hoch und fragt nochmal: „Wirklich keine Chance?“

„Da findest Du eher eine Nadel im Heuhaufen.“

Noch ein letztes Mal schaut sie das Falcon-Tube an – fast wie man das Geschenk eines Ex-Geliebten ein letztes Mal ansieht – und lässt es dann in den gelben Abfall zu ihren Füßen fallen.

Mitfühlend schaue ich in ihre Richtung. „Ich sage Dir, der kann Publikationen schreiben, Kaffeeklatsch mit seinen Professorenkumpels halten, Fördermittel beantragen, sogar gute Ideen entwickeln – aber frage ihn nicht nach laborpraktischen Dingen. Dafür ist er schon zu lange aus dem Labor raus.“

„Aber warum sagt er dann nicht, dass er es nicht weiß, anstatt mir einen solchen Quatsch zu erzählen?“

Gerade in dem Moment kommt Stefan reingelaufen. In den nächsten Wochen muss er seine Doktorarbeit einreichen – und wirkt dennoch total entspannt.

„Wer erzählt hier Quatsch?“, fragt er.

„Mein Chef“, antwortet die Neue traurig.

Er lacht, ist sichtlich amüsiert.

„Er hat ihr gesagt, sie soll 4 μL Blut in 20 mL PBS auflösen“, erkläre ich.

„Ha, dann ist er wenigtens einen Schritt weiter als beim letzten Mal.“

„Wieso, was war letztes Mal?“

„Zu Andrea hat er mal ‚Wasser‘ statt ‚PBS‘ gesagt. Alle Zellen geplatzt! Aber witzig ist er schon, Dein Chef.“

„Wieso?“

„Neulich hatten wir mal Probleme mit dem Probengeber am MALDI-Massenspektrometer. Irgendwie kriegt das Ding manchmal nicht genug Saft, um das Target ins Gerät zu schieben. Und gerade als wir den Techniker am Telefon hatten, kam Dein Chef rein... Er fragte kurz, wo das Problem läge, öffnete kurzerhand das MALDI und ging mit seinen bloßen Händen zwischen all den Kabeln im MALDI durch, um dem Target schließlich einen Schubs zu geben. Ich habe noch vorsichtig gefragt: ‚Sie wissen schon, dass da eine Hochspannung anliegt?’ Worauf er nur entgegnete: ‚Ach, all dieser Sicherheitsquatsch. Früher zu meiner Zeit...‘ Seinen Fahrradhelm und die obligatorische gelbe Warnweste hatte er bei der Aktion aber noch angehabt.“

Mit großen Augen starre ich Stefan an. „Unglaublich.“

„Der fährt Fahrrad, mit kaputtem Hintern?“, fragt die neue Doktorandin mit einem Gesicht, als ob sie vor Mitgefühl selbst Schmerzen leidet. Da haben wir wieder eine Neue, die alles wörtlich nimmt.

„Kaputter Hintern?“, fragt Stefan erstaunt.

Sie zeigt auf mich. „Ja, sie hat gesagt, der hat keine Haut mehr am Hintern, weil er so viel im Büro rumsitzt.“

Stefan lacht. „Jetzt wird es interessant.“ Er bewegt seinen Kopf von ihr zu mir. „Woher weißt du denn, wie sein Hintern ausieht!“ Ein breites Grinsen liegt auf seinem Gesicht. „Ich weiß so etwas nicht!“, fügt er noch hinzu.

„Glaub‘ mir, ich weiß nicht, wie sein Hintern aussieht und ob er schon einen Dekubitus hat oder nicht! Sollte nur heißen, dass er nicht der Richtige ist, wenn man eine technische Beratung braucht.“

Stefan schaut mich an. Immer noch hat er sein Grinsen auf dem Gesicht. „Du musst Dich nicht verteidigen“, winkt er verspielt ab und wendet sich der neuen Doktorandin zu.

„Es stimmt“, sagt Stefan in belehrendem Ton. „Lass ihn ruhig das Telefon annehmen, Formulare ausfüllen und hin und wieder eine Konferenz auf den Bahamas besuchen. Powerpointchen hier, Posterlein da... Aber ins Labor gehören alte Professoren definitiv nicht.“



Letzte Änderungen: 04.07.2018