Explosive Proben

Aus dem Tagebuch einer Jungforscherin

Karin Bodewits


Editorial

Jungforscherin

„Karin, ich muss mit dir sprechen!“

Taras klingt besorgt? Oder aufgeregt?

„Alles ok?“, frage ich.

„Ich denke ja.“

„Wo bist du?“

„Am Flughafen, ich bin gerade gelandet.“

„Stimmt, du hattest etwas von einer Forschungsreise erzählt.“ Taras bewirbt sich ständig für alle möglichen Fördermittel, um auf seinen vermeintlichen Forschungsreisen die Welt zu erkunden. Sao Paulo, Namibia, Island, USA... egal wohin, Taras überzeugt die Welt – und insbesondere die Drittmittelgeber auf dieser Welt – dass er unbedingt irgendwelche Proben von Meeresschwämmen von einem einsamen Strand sammeln muss, um seine bahnbrechenden Forschungen fortzusetzen.

Editorial

Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sein Professor in den letzten zwölf Jahren nichts publiziert hat. Schade, denn Taras hat durchaus Talent. Doch in diesem Umfeld wird er allenfalls auf die Kunst des Grant Sponging reduziert.

„Steckst du in Schwierigkeiten?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich kann darüber nicht am Telefon sprechen.“ Er lacht, was mich beruhigen sollte. Doch er klingt ungewohnt schrill.

„Bist du zu Hause?“, fragt er.

„Ja.“

„Ich nehme den nächsten Bus und bin in einer halben Stunde bei dir.“

Eine knappe Stunde später lässt Taras seine Taschen im engen Gang meiner Wohnung auf den Boden fallen und setzt sich auf eine der roten Küchenbänke.

„Warum bist du hier?“, frage ich ihn.

Er zögert und sieht so aus, als wäre er nicht mehr sicher, ob er sich mir anvertrauen sollte. Ich setze Wasser auf und wiederhole: „Warum bist du hier? Brauche ich Alkohol, um die Geschichte zu verdauen?”

„Vermutlich.“

Ich mache den Kühlschrank auf und nehme mir eine Flasche fruchtigen Weißwein, der dort seit einer Woche steht. „Es ist wirklich schlimmer Wein, du solltest also lieber mit einer guten Geschichte kommen.“

„Ein Russe, der in einem Washingtoner Hotel eine Explosion verursacht, während Shinzo Abe auf Staatsbesuch ist und Nordkorea die Welt mit Raketentests in Atem hält – ist das eine gute Story?“

„Du hast eine Explosion verursacht?... Eine Explosion?... “

„Ja.“

Ich sitze ihm gegenüber, stütze meine Ellenbogen auf den Küchentisch und starre ihn mit weit offenen Augen an. Bei jedem anderen würde ich denken, das ist Nonsens oder Übertreibung. Aber nicht bei Taras. Er schaut mich ausdruckslos an.

„Erzähl!“

„Wie du weißt, bin ich oft unterwegs.“

„Ja, ja... Was war jetzt mit der Explosion?“

„Normalerweise lagere ich die Proben, die ich von meinen Trips mitbringe, in Styroporboxen mit Trockeneis. Weil ich wegen der klobigen Dinger aber keinen Platz mehr für Souvenirs habe, habe ich diesmal eine Thermoskanne mitgenommen.“

„Aber du weißt doch, dass sich Trockeneis ausdehnt“, platzt es aus mir heraus.

„Nein! Echt, Karin! Ich habe die Thermoskanne ja extra einen Spalt offen gelassen. Doch um auf Nummer Extrasicher zu gehen, habe ich die Kanne noch in den Kühlschrank gestellt. Ich lag im Bett, als es plötzlich einen Riesenknall gab – die Kühlschranktür sauste über meinem Kopf gegen die Wand, tausend Teile der Minibar flogen durch die Gegend. Ein fürchterliches Chaos, und so laut! Ich hatte echt Angst! Zumal ich erstmal keine Ahnung hatte, was passiert war – bis ich Reste der Thermoskanne auf dem Boden sah. Ich suchte nach den Proben, aber das war hoffnungslos. Langsam konnte ich auch meine Gedanken ordnen. ‚Ein Russe, der während eines Staatsbesuchs in Washington unter falschem Namen eincheckt und eine Explosion verursacht‘, dachte ich. ‚Guantanamo Bay, here I come!‘“

„Unter falschem Namen eingecheckt?“

„Ich weiß, das klingt alles etwas komisch.“

„Quatsch, warum sollte man den eigenen Namen verwenden? Ist doch langweilig!“

„Das war reiner Zufall. Ich habe das Zimmer gleich bei Ankunft in bar bezahlt, und in dieser Absteige wollten die meinen Pass gar nicht sehen. Also habe ich irgendwas in das Formular geschrieben... Jedenfalls habe ich mir nach der Explosion meine Tasche geschnappt und bin aus meinem Zimmer gerannt – weil sicher bald das ganze Hotel auf den Beinen sein würde. Ich bin möglichst unauffällig durch die Hotellobby geschlendert und habe dann auf der Straße das erstbeste Taxi zum Flughafen genommen. Dort musste ich sieben Stunden auf meinen Flug warten. Ich hatte solche Angst, dass die Polizei mich verhaften würde. Paranoid!“

„Ich nehme an, Präsident Trump hätte wenig Verständnis für deine Forschung an Meeresschwämmen.“

„Oh, nein – der weiß doch nicht mal, was Trockeneis ist.“

Ein Moment der Stille, Taras trinkt Tee, ich Wein.

„Das hätte auch im Flugzeug passieren können“, stelle ich nüchtern fest.

„Ja, furchterregend. Du wirst es niemandem sagen, oder?“

„Kein Problem. Aber was wirst du deinem Chef sagen?“

„Nichts.“

„Und wenn er nach den Proben fragt?“

„Wird er nicht. Kratzt ihn nicht.“



Letzte Änderungen: 04.07.2018