Düstere Wolken am Horizont Europas?
Horizon Europe

Ralf Schreck, Laborjournal 9/2020


Editorial

(01.09.2020) Eigentlich hätte Horizon Europe pünktlich zum Januar nächsten Jahres starten sollen. Doch längst ist nicht alles beim 9. Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation in trockenen Tüchern. Gerade hat der Europäische Rat den mehrjährigen Gesamtfinanzrahmen der EU und damit auch die finanziellen Mittel für Horizon Europe verhandelt. Mit dem Ergebnis war nicht nur das Europäische Parlament unzufrieden, das deutliche Nachbesserungen forderte. Was können wir also erwarten von Horizon Europe?

Editorial
Das liebe Geld

Wenn es um Finanzen geht, werden der europäische Gedanke und die Solidarität unter den EU-Mitgliedsstaaten immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Jedenfalls war auch nach dem Verhandlungsmarathon der EU-Staats- und Regierungschefs zum zukünftigen Haushalt am 21. Juli 2020 die Enttäuschung des Europäischen Parlaments wie auch bei zahlreichen Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen groß. Was war passiert?

Die EU verfügt über einen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), der die Obergrenzen für Ausgaben aber auch die Einnahmen pro Jahr festlegt. Der zuletzt verhandelte Vorschlag für die Periode 2021 bis 2027 sieht 1.074 Milliarden Euro für den regulären MFR-Siebenjahreshaushalt sowie 750 Milliarden Euro für das zusätzliche Aufbauprogramm „Next Generation EU“ zur Linderung der Folgen der COVID-19-Pandemie vor. Zahlreiche der vierzig über den mehrjährigen Finanzrahmen finanzierten EU-Programme blieben dabei plötzlich deutlich hinter den vor der Pandemie geplanten Mitteln zurück und mussten teilweise tiefe Einschnitte hinnehmen. Die vorgesehenen Kürzungen betreffen mehrere Programme wie Horizon Europe, ERASMUS+ oder EU4Health – und gehen daher auch zu Lasten von Forschung, Gesundheit, Digitalisierung oder Klima. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommentierte dies als „bittere Pille, die wir schlucken müssen“.

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Foto: Pixabay

Weitere Verzögerungen möglich

So waren für Horizon Europe zunächst sogar 120 Milliarden Euro vorgesehen, zu Beginn des Jahres immerhin noch knapp 95 Milliarden Euro. Der jetzige Vorschlag liegt bei rund 90 Milliarden Euro mit einem Zuwachs von weniger als zehn Prozent gegenüber dem aktuellen Programm Horizon 2020 – und er dürfte inflationsbedingt noch weiter schrumpfen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verteilung der 13,5 Milliarden Euro aus dem sogenannten Corona-Paket, das die 75,9 Milliarden des MFR verstärken soll. Diese verteilen sich nicht gleichmäßig: Exzellenzprogramme wie der European Research Council oder die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen sind explizit davon ausgenommen.

Doch wie geht es jetzt weiter? Bevor sich das EU-Parlament in die Sommerpause verabschiedet hat, hat es noch eine Resolution verabschiedet, die deutliche Nachbesserungen des MFR anmahnt. Mitte September steht die nächste Sitzung des EU-Parlaments an, bei der es um die Zustimmung zu jedem der vierzig MFR-geförderten Programme geht. Gibt es hier keine rasche Einigung, wird sich nicht nur die Auszahlung von Aufbaumitteln für die schwer von der Pandemie betroffenen Länder verzögern, sondern auch der Start von Horizon Europe. Zudem gibt es erste Hinweise aus den Generaldirektionen und ­Exekutivagenturen der EU, dass das erste Arbeitsprogramm mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor März 2021 oder sogar noch später verabschiedet werden kann – und erst danach Ausschreibungen erfolgen können.

Brexit-Folgen frühzeitig spürbar

Doch Horizon Europe hat noch weitere Probleme. Am 31. Januar 2020 trat das Vereinigte Königreich offiziell aus der EU aus. Auf Basis einer Übergangslösung können Wissenschaftler und Einrichtungen aus dem UK in Horizon 2020 jedoch weiterhin Förderanträge stellen und laufende Projekte auch über 2020 hinaus zu Ende bringen. Dennoch hat das Brexit-Referendum von 2016 schon früh deutliche Spuren hinsichtlich Beteiligung und Einnahmen hinterlassen. Laut einer Studie der Royal Society ging zwischen 2015 und 2018 die Zahl der Anträge mit UK-Beteiligung um knapp 40 Prozent zurück, die Zahl der Forscher, die über Maßnahmen wie Marie-Skłodowska-Curie-Stipendien gefördert werden, um 35 Prozent. Fanden 2015 noch rund 1,5 Milliarden Euro ihren Weg in das Vereinigte Königreich, entsprechend 16 Prozent der Gesamtsumme an vergebenen Fördermitteln, so waren es 2018 nur noch 1,06 Milliarden Euro.

Während prominente Wissenschaftler und renommierte Förderorganisationen wie der Wellcome Trust auf eine vollwertige Teilnahme des UK an Horizon Europe pochen, zeigt sich die Politik hiervon nur wenig beeindruckt und hat gerade eine Frist zur Verlängerung der Übergangslösung verstreichen lassen. Ein wesentlicher Grund: Eine vollständige Assoziierung nach geltenden Regeln verspricht mit geschätzt mehr als 14 Milliarden Euro sehr teuer zu werden. Da erscheint es der Regierung attraktiver, entweder abzuwarten, ob die EU hier zukünftig noch deutliche Rabatte anbietet, oder den Wegfall von EU-Mitteln über nationale Förderprogramme auszugleichen.

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Illustr.: EU

Ungeklärt sind bisher auch Fragen zur kommerziellen Verwertung gemeinsamer Ergebnisse aus der EU-Förderung im UK oder zu Regelungen hinsichtlich der grenzüberschreitenden bidirektionalen Mobilität von Forschern. Als schlechteste Lösung bewerten hier viele eine mögliche Teilnahme des UK an Horizon Europe in der Kategorie „Sonstige Drittstaaten“. Vergleichbar etwa mit Kanada oder Australien wäre auf diese Weise eine Teilnahme an bestimmten Förderlinien frei nach dem Motto „Dabei sein ist alles“ möglich, ohne direkte EU-Mittel zu erhalten.

Drei-Säulentruktur beibehalten

Bereits frühzeitig im letzten Jahr wurden für Horizon Europe die groben Ziele sowie maßgebliche Strukturen und Inhalte auf politischer Ebene definiert. So will man etwa prinzipiell an der Drei-Säulenstruktur von Horizon 2020 festhalten. Nach Umsortierung und Neustrukturierung sind Aufgaben und Anspruch der jeweiligen Säule jetzt allerdings besser nachvollziehbar und kommunizierbar. So ist wie bisher in der ersten Säule die „Exzellente Wissenschaft“ beheimatet, während in der zweiten Säule „Globale Herausforderungen und Industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas“ verortet sind. Die dritte Säule ist dem „Innovativen Europa“ vorbehalten.

Auf der nächsten Ebene sind neue und altbekannte Programmbereiche und Strukturen zu finden. Der Europäische Forschungsrat (ERC) zur Förderung der Spitzenforschung, die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen zur Mobilität und Entwicklung von wissenschaftlichen Karrieren sowie die Europäischen Forschungsinfrastrukturen sind die Programmlinien der Exzellenz-Säule. Zu den Themen-Clustern in der zweiten Säule gehören zum Beispiel „Gesundheit“, „Klima, Energie und Mobilität“ oder „Digitales, Wirtschaft und Weltraum“. Hier geht es unter anderem darum, Lösungen für zentrale Herausforderungen der Menschheit sowie industrielle Schlüsseltechnologien zu entwickeln.

Mission possible

Neu sind in Säule 2 die sogenannten Missionen. Ähnlich der Apollo-11-Mission mit dem damaligen Ziel Mondspaziergang will man hier interdisziplinär sowie mit „Wumms“ und klaren Zielvorgaben konkrete Lösungen zum Wohl der Menschheit anpeilen. Aktuell sind fünf Missionen zu Themen wie Krebsbekämpfung, Wasserqualität oder Stadtentwicklung geplant. Im Rahmen eines umfangreichen Beteiligungsprozesses unter Hinzuziehung von Wissenschaftlern, Bürgern und Interessengruppen sollen die Inhalte und Maßnahmen dieser Missionen gemeinsam erarbeitet werden. Erste Ausarbeitungen liegen jetzt vor. So lautet das ambitionierte Ziel der Mission „Krebs“: „By 2030, more than 3 million lives saved, living longer and better.” Oder das der Mission „Klimaneutrale und smarte Städte“: „100 climate-neutral cities by 2030.“ Bis Ende September sollen anlässlich der zweiten European Research and Innovation Days der EU-Kommission die umsetzungsreifen Missionen übergeben werden und noch 2021 mit festem Zeit- und Finanzrahmen starten.

Game Changer gesucht

In Säule 3 von Horizon Europe sollen Innovationen mit Durchschlagskraft ermöglicht werden – also sogenannte Breakthrough- oder Game-Changing-Innovations. Diese haben das Potenzial, neue Märkte zu erschließen und signifikante wirtschaftliche Erlöse zu erzielen. Hierzu wurde analog zum Europäischen Forschungsrat der Europäische Innovationsrat (EIC) installiert. Dieser lief bereits als Pilotprojekt mit kleinerem Finanzvolumen in Horizon 2020.

Im zukünftigen EIC gibt es weiterhin zwei zentrale Programmschienen: Pathfinder, der jetzt die technologieoffenen Future and Emerging Technologies (FET)-Programme inkorporiert, und den Accelerator, der kleinere Unternehmen und Start-ups mit einem Mix aus nicht-rückzahlbaren Zuschüssen und Kapitalfinanzierung auf dem Weg zu Marktreife und Markteinführung unterstützt. Weitere Einblicke in die zukünftige Entwicklung des EIC gibt das gerade erschienene Positionspapier des EIC-Beirats „The EIC: A Vision and Roadmap for Impact“.

Ebenso ist in Säule 3 das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) platziert. Die Bezeichnung „Institut“ ist dabei eher irreführend. Vielmehr handelt es sich hier um eine unabhängige Verwaltungsstruktur, die auf eine Initiative der EU aus dem Jahr 2008 zurückgeht und das Ziel hat, die Zusammenarbeit der leistungsfähigsten Institute, Universitäten und industriellen Forschungszentren in Wissens- und Innovationsgemeinschaften (Knowledge and Innovation Communities, KICs) zu ermöglichen. Bisher wurden in Horizon 2020 acht KICs zu Themen wie Klima, Ernährung, Gesundheit, Digitalisierung oder urbane Mobilität mit insgesamt rund 2,4 Milliarden Euro gefördert. Neue KICs sollen folgen.

Implementierung von Horizon Europe läuft

Als Fundament, das die drei Säulen miteinander verbindet, dient das Querschnittsfeld „Erweiterung der Teilnahme und Stärkung des Europäischen Forschungsraums“. Zentrale Themen sind hier neue Möglichkeiten für die intensivere Beteiligung von EU-Mitgliedstaaten, assoziierten Ländern oder Drittstaaten an Horizon Europe wie auch neue Formen von Partnerschaften und Kooperationen zwischen unterschiedlichsten Akteuren. Weitere Querschnittsthemen wie Open Science, Citizen Science oder Gleichstellung sind hier ebenso angesiedelt.

Die Herausforderung der letzten 18 Monate nach der politischen Zustimmung zu Horizon 2020 bestand darin, ein Arbeitsprogramm mit ersten Ausschreibungen für die Jahre 2021 und 2022 vorzubereiten und allgemeine Grundsätze und Regelungen zu finden, nach denen sowohl das Gesamtprogramm als auch einzelne Projekte in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden können. Dies betrifft unter anderem Antragseinreichung und -evaluierung, vertragliche Regelungen, finanzielle und inhaltliche Berichtspflichten, internationale Kooperationen oder Synergien mit weiteren MFR-geförderten Programmen. Wie auch in vorausgegangenen Rahmenprogramm erhoffen sich hier Forscher und Forschungseinrichtungen deutliche Vereinfachungen, Entbürokratisierung und mehr Transparenz.

Ade, Stundenaufschriebe!

Was ist hierzu geplant? Einmal sollen die Arbeitsprogramme hinsichtlich Komplexität vereinfacht sowie deren Lesbarkeit erhöht werden, um für Antragsteller besser verständlich zu sein. Die Häufigkeit der Ausschreibungen zu einem spezifischen Thema soll ebenso erhöht werden. Bisher war nach erfolgter Ausschreibung oft nicht klar, ob es im weiteren Verlauf des Rahmenprogramms nochmals eine Ausschreibung zu einem gleichen oder ähnlichen Thema geben wird. Überdies sollen die Evaluierungskriterien für Anträge dahingehend vereinfacht werden, dass bestimmte Aspekte nicht wie bisher teilweise doppelt be- und gewertet werden.

Neu und zunächst als Versuchsballone sollen das „Right to React“ sowie die „Blind Evaluation“ eingeführt werden. So soll es bei einzelnen Ausschreibungen zukünftig möglich sein, Einfluss auf die abschließende Bewertung eines Antrags zu nehmen, indem der Entwurf des Evaluierungsberichts durch den Antragsteller kommentiert werden kann. Erfreulich auch, dass das Ausfüllen von „Stundenzetteln“ für die in EU-Projekten angestellten Mitarbeiter bald der Vergangenheit angehören wird oder bei Zwischen- und Endprojektberichten mehr Multiple-Choice-Häkchen gesetzt und damit weniger Felder mit Freitext zu füllen sind. Ob sich dagegen das in Horizon 2020 getestete „Lump Sum Modell“ – eine vereinfachte Form der Kostenerstattung über festgelegte Pauschalen für abgeschlossene Arbeitspakete statt über tatsächlich entstandene Kosten – in Horizon Europe weiter durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar.

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider

Die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen oder Marie-Skłodowska-Curie-Actions (MSCA) sind seit Mitte der Neunzigerjahre zentrales Element der EU-Rahmenprogramme. In den Genuss einer entsprechenden Förderung kamen bisher 140.000 Wissenschaftler, darunter mehr als 36.000 Doktoranden. Immerhin rund acht Prozent des Gesamtbudgets wurden im laufenden Horizon 2020 hierfür bereitgestellt. Die grundlegende Ausrichtung der MSCA soll auch in Horizon Europe beibehalten werden. Wesentliche Merkmale bleiben Karriereentwicklung und Mobilität von Wissenschaftlern aus aller Welt, der disziplinoffene Bottom-up-Ansatz, die Einbindung des akademischen und nicht‐akademischen Sektors oder die Ausrichtung auf Exzellenz und Sicherung attraktiver Arbeitsbedingungen. Bewährte Maßnahmen werden teilweise unter neuem Namen fortgesetzt, darunter die Doktoranden-Netzwerke, die Postdoc-Fellowships, der Personalaustausch sowie die Kofinanzierung bestehender Doktoranden- und Postdoc-Programme.

Nicht wirklich neu ist die Vorgabe, dass einzelne Programme nicht nur eigene Ziele – wie bei den MSCA etwa die Zahl geförderter Doktorandennetzwerke oder vollzogener Personalaustausche – erfüllen sollen, sondern auch zu übergeordneten Zielen der EU Beiträge leisten müssen. So sollen in Horizon Europe 35 Prozent des Gesamthaushalts zur Erreichung des EU-Klimaziels „Erster klimaneutraler Kontinent“ eingesetzt werden – sodass Antragsteller überzeugend darstellen müssen, was ihr Projekt hierzu leisten kann. Von der Kommission werden erstmals deutlich grünere MSCA mit einem signifikant reduzierten CO2-Footprint der MSCA-Projekte sowie einem gesteigerten Bewusstsein von Umweltaspekten gefordert. Tägliche Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zum Arbeitsplatz, Anreise zum Cold Spring Harbor Meeting per Schiff, Verzicht auf Radioaktivität und Verwendung weniger umweltschädlicher Laborreagenzien im Labor, Umweltbewusstseins-Module für Promotionskollegs? An dieser Stelle werden zukünftige Antragsteller ihre Kreativität ausleben können.

Plagiat-Software gegen die Antragsflut

Noch weitere geplante Neuerungen sind hervorzuheben: So werden die bisherigen förderfähigen Personalkategorien „Early Scientific Researcher“ und „Experienced Researcher“, die in der Vergangenheit teilweise für Verwirrung sorgten, durch die eindeutigen Kategorien Doktorand und Postdoc ersetzt. Aufgrund aktuell geringer Erfolgsquoten von 8 Prozent bei Netzwerk- und 14 Prozent bei Fellowship-Anträgen soll die Wiedereinreichung bereits einmalig abgelehnter und nachfolgend nur gering modifizierter Anträge ab 2022 auch durch Einsatz einer weiterentwickelten Plagiat-Software eingeschränkt werden. Ebenso ist angedacht, die Beantragung von Postdoc-Fellowships nur noch bis zu sechs Jahren nach der Promotion zuzulassen. Zukünftig soll auch der Zeitraum einheitlich festgelegt werden, den der Antragsteller bereits zuvor im zukünftigen Gastland verbracht haben darf: So ist ein dortiger Aufenthalt von insgesamt bis zu 12 Monaten innerhalb der drei Jahre vor Antragseinreichung unschädlich.

ERC bestürzt über Budgetverhandlungen

Der Europäische Forschungsrat ist eine der Erfolgsgeschichten der EU-Rahmenprogramme. Seit 2007 wurden hier knapp 10.000 Wissenschaftler gefördert, die mit ihrer ERC-Förderung weitere 80.000 Postdocs, Doktoranden und zusätzliches Forschungspersonal finanzierten. Aus den Projekten gingen mehr als 110.000 Publikationen und 1.600 Patente hervor. Aktuell hat der ERC mit einer Summe von 13 Milliarden Euro einen Anteil von 17 Prozent am Gesamtetat von Horizon 2020.

Liebäugelte der ERC bisher mit einem Zuwachs auf 16,7 Milliarden Euro in Horizon Europe, stehen jetzt eine Nullnummer oder sogar Kürzungen im Raum. Eine noch offene Petition der „Freunde des ERC“ an die Präsidenten der EU-Kommission, des Europarates und des EU-Parlamentes wurde bisher 16.000 Mal unterschrieben, darunter sind auch zahlreiche Nobelpreisträger. Flugs wurde Ende Juli auch aufgrund der Krisensituation die vakante Stelle des ERC-Präsidenten temporär mit dem Mathematiker Jean-Pierre Bourguignon besetzt, der das Amt bereits zwischen 2014 und 2019 innehatte.

Auch treten jetzt erstmal bereits angeschobene oder geplante Neuerungen beim ERC hinter die Sorgen um das neue Budget zurück. Unter anderem sind das die beiden neuen Gutachter-Panels „Mobilität, Umwelt und Weltraum“ sowie „Werkstofftechnik“; die Optimierung von Deskriptoren in den Lebenswissenschaften, die insbesondere bei multidisziplinären Anträgen eine gleichmäßigere Verteilung von Anträgen auf die Gutachter-Panels gewährleisten soll; oder die Einführung von Interviews im Begutachtungsprozess der ERC Advanced Grants.

Ob die bereits kommunizierten Einreichungsfristen für 2021 eingehalten werden können, ist wegen alledem momentan eher unwahrscheinlich. Diese sind der 9. März für Starting Grants, der 20. April für Consolidator Grants und der 31. August für Advanced Grants, die in dieser Reihenfolge auf Forscher abzielen deren PhDs zwei bis sieben Jahre oder sieben bis zwölf Jahre zurückliegen, beziehungsweise auf Wissenschaftler mit zehn Jahren exzellentem Track Record.




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Foto: ERC
„Dramatisch, schädlich, realitätsfremd“

Laborjournal bat Jean-Pierre Bourguignon, den Interims-Präsidenten des Europäischen Forschungsrats (ERC), um einen Kommentar zur drohenden Budget-Nullrunde für das kommende EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe. Er schrieb uns:

„Eine Einigung erzielt zu haben, ist insgesamt zwar ein riesiger Fortschritt, aber der jüngste Gipfel des Europäischen Rates hat in Bezug auf die großen Ambitionen für Forschung und Innovation, wie sie ursprünglich zum Ausdruck gebracht wurden, nichts gebracht. Ohne Änderungen bedeutet dieses Ergebnis in Wirklichkeit eine Stagnation. Und das ist nicht nur dramatisch und schädlich, sondern auch realitätsfremd in einer Zeit, in der sich die Welt mitten in einer Pandemie befindet und sich die wissenschaftliche Forschung als unersetzlich erweist.

Ohne Nachbesserungen könnten viele brillante Forscher, die sich mit ihren ehrgeizigen und möglicherweise weltverändernden Ideen an den ERC wenden, aufgrund eines zu begrenzten Budgets nicht unterstützt werden. Europa geht damit das Risiko ein, einige seiner besten Talente zu verlieren. Das können wir uns einfach nicht leisten. Wenn wir wollen, dass Europa in Wissenschaft und Innovation führend ist, muss das Budget für Forschung und Innovation unter angemessener Berücksichtigung der Schlüsselrolle der Exzellenz- und Pionierforschung gesichert und weiter gesteigert werden. Nur wenn man langfristig denkt, kann man auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sein.

Wir hoffen nun auf nachträgliche Überlegungen der europäischen Staats- und Regierungschefs und auf die Entschlossenheit des Europäischen Parlaments, das in dieser Sache noch zu Wort kommen wird.“