Editorial

Wider die Sprachlosigkeit –
Erfahrungen mit der Gentechnikwende

Robert Hoffie, GAtersleben


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Angesichts der neuen Techniken des Genome Editing muss die Wissenschaft sich der Debatte mit den Gegnern der sogenannten „Grünen Gentechnik“ neu stellen. Trotz der alten, tiefen Gräben kann es gelingen. Vereinzelt tut es das schon.

Immer dasselbe! Es ist mindestens ernüchternd, oft sogar anstrengend, ermüdend oder einfach ärgerlich, einige Debatten über wissenschaftliche Themen in der Öffentlichkeit zu verfolgen. Gerade bei der Grünen Gentechnik gehen die Wahrnehmungen in Wissenschaft und Öffentlichkeit besonders weit auseinander. Nach Jahren, ja fast Jahrzehnten der erbitterten Auseinandersetzung sind die Fronten verhärtet und bewegen sich nicht mehr. Umweltorganisationen haben gemeinsam mit politischen Parteien Stimmung gegen alles gemacht, worauf Grüne Gentechnik stand. Im Resultat spielt der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU praktisch keine Rolle (vom gv-Mais-Anbau in Spanien abgesehen). Neue Entwicklungen für den europäischen Markt gibt es laut eigenen Angaben der Firmen nicht mehr.

Die Polarisierung könnte nicht größer sein. Auf der einen Seite wird gewarnt vor unkontrollierbaren Risiken für Umwelt und Konsum, vor der Nicht-Rückholbarkeit der Pflanzen, vor Patenten, vor der Marktmacht weniger Konzerne. Auf der anderen Seite werden die Sorgen relativiert sowie die Möglichkeiten betont, die die Grüne Gentechnik für den Fortschritt in der Landwirtschaft bietet – und dass sie die Welt womöglich vom Hunger befreien wird. Dazwischen steht eine Öffentlichkeit, die bei Befragungen zum Thema immer wieder mehrheitlich mit „Lieber nicht!“ antwortet – wodurch sich die Gentechnik-Gegner wiederum bestätigt fühlen („80 Prozent sind gegen Gentechnik“).

In Deutschland gibt es seit 2012 nicht einmal mehr Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Folgerichtig wurde ohne jegliche Anwendungsperspektive auch die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen für die Landwirtschaft weitestgehend eingestellt.

So ist die Situation, und eigentlich ist seit einigen Jahren Ruhe. Die großen Kämpfe sind ausgetragen, in der breiten Öffentlichkeit spielt das Thema keine Rolle. Auch für die über sechzig transgenen Pflanzen, die für den Import als Nahrungs- und Futtermittel in der EU zugelassen sind, interessieren sich nur wenige.

Stillstand also? Mitnichten!

In letzter Zeit kam wieder ordentlich Bewegung in die Sache. Das sogenannte Genome Editing erreichte die Labore – und zunehmend auch die Öffentlichkeit. Insbesondere die populärste Methode unter dem griffigen Akronym „CRISPR/Cas“ bringt neuen Schwung in die festgefahrene Debatte. Als der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juli urteilte, dass Pflanzen, die mit den neuen Techniken des Genome Editing gezüchtet wurden, nach dem strengen EU-Gentechnikrecht zu regulieren sind, schaffte es dieses Thema sogar mal wieder bis in die Tagesschau.

In der Naturbewusstseinsstudie 2017 zeigten sich die Unter-Dreißigjährigen bereits deutlich offener gegenüber Gentechnik als ältere Generationen [1]: Nur 35 Prozent der Befragten bis 29 Jahre halten ein Verbot von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft für sehr wichtig. Bei den Über-65-Jährigen waren es 51 Prozent. Ein weiterer Impuls kam in diesem Jahr aus einer sehr unerwarteten Richtung. Für ihr neues Parteiprogramm wollen Bündnis90/Die Grünen nochmals neu über Gentechnik und Genome Editing diskutieren. Einige Enthusiasten, darunter der Autor dieser Zeilen, wittern schon die „Gentechnikwende“.

Doch wie viel bewegt sich tatsächlich? Wiederholt sich nur die Debatte, oder ist tatsächlich etwas anders?

Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und andere Interessensgruppen, die Gentechnik ablehnen, kommunizieren schnell, professionell und emotional. Kaum dass auch nur eine kleine Meldung erscheint, gibt es eine Stellungnahme mit vielen Logos dazu. In den Sozialen Medien werden Bilder mit klaren Botschaften ge-liked und geteilt.

Das können wir nicht. Wissenschaft hat den Anspruch, gründlich zu sein – aber das macht unsere Kommunikation langsam und emotionsarm. Wissenschaftsorganisationen brauchen lange, bis alle Unterzeichner eine Stellungnahme gelesen, korrigiert und endlich abgesegnet haben. Bis dahin ist das Thema aus den Nachrichten raus, und die mühsam erarbeiteten Texte bleiben ohne große Beachtung.

Doch woran liegt das? Ist wissenschaftliche Expertise wirklich nicht gefragt? Populismus nimmt zu, auch bei wissenschaftlichen Themen. Während etwa „Flat Earth“ oder „Chemtrails“ Verschwörungstheorien einiger weniger sind, verursacht Impfskepsis vermeidbare Krankheitsfälle und viele Menschen setzen falsche Hoffnungen in Homöopathie. Bei Gentechnik sind wir den Populismus ohnehin schon gewohnt.

„Was ist los in der Wissenschaftsrepublik Deutschland?“, fragte Martin Spiewak im August 2017 in der ZEIT und plädierte für eine entspanntere Sicht der Dinge [2]. „Während Parteien, Kirchen und Medien über die Jahrzehnte an Rückhalt verloren haben, ist das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen.“ Auch das Wissenschaftsbarometer 2018 bestätigt diesen Befund [3].

Offensichtlich kommen aber bei einigen Themen unsere Botschaften nicht an. Es hilft also nichts, wir müssen raus aus unserer Komfortzone. Die Debatten finden heute zunehmend in den Sozialen Medien statt. Wenn wir da nicht vertreten sind, fehlt unsere Perspektive in den Diskussionen.

Das Problem: In der Vergangenheit wurde sehr viel übereinander und zu wenig miteinander geredet. Die eingangs skizzierte Konfliktlinie wird oft so wahrgenommen, doch genau das ist das Problem. Wir meinen, die Argumente der Gentechnik-Gegner zu kennen, und sie meinen zu wissen, was wir dagegen halten. Aus diesem Gegeneinander entstanden Missverständnisse und Stillstand.

Dabei geht es doch letztlich um Lösungen – und nicht darum, wer Recht hat. Egal ob Grundlagenforschung oder anwendungsnah: Getrieben von Neugier und Erkenntnisgewinn wollen wir doch letztlich zu Lösungen realer Probleme beitragen oder gute Dinge noch besser machen.

Das ist der Ansatzpunkt, mit Menschen ins Gespräch zu kommen: Gemeinsame Ziele zu definieren und dann über den Weg dorthin zu diskutieren.

Darum gilt es zunächst einmal, zuzuhören. Was und wie kommunizieren NGOs und Parteien zur Gentechnik? Aber noch viel wichtiger: Was beschäftigt die Menschen wirklich? Was denken beispielsweise in der Landwirtschaft Tätige, die sich angesichts immer strengerer Umweltauflagen fragen, wie sie ihre Betriebe in Zukunft weiterführen sollen? Was bedeuten Patente im Züchtungsbereich für sie? Was bewegt die Leute im aktiven Umweltschutz, die sich angesichts von Artenschwund in unserer Kulturlandschaft fragen, wie Pflanzenschutzmittel künftig ersetzt werden können? Warum bereitet es so vielen Sorge, gentechnisch veränderte Pflanzen zu essen?

Auch wenn in Europa die Patente für gv-Pflanzen so geregelt sind, dass sie auf die Landwirte keine Auswirkungen haben (sondern nur die Züchter untereinander betreffen), und auch wenn die Sicherheit von gv-Pflanzen wissenschaftlicher Konsens ist, so bewegen diese Fragen die Menschen doch real. Man muss wissen, wer welche Sorgen hat, um ihnen begegnen zu können. Schnell wird man dann auch erkennen, dass es trotz der verschiedenen Perspektiven um ähnliche Ziele geht.

Der nächste Schritt klingt banal: Freundlich bleiben! Mir gelingt es selbst nicht immer. Die Debatte läuft seit Jahren, die Vorwürfe sind häufig dieselben, man hat die Diskussion vielleicht schon zwei Dutzend Mal geführt. Aber im konkreten Gespräch ist das Thema jetzt im Augenblick wichtig. Die Person gegenüber hat sich vielleicht gerade erst damit befasst und stellt sich jetzt erst diese Fragen. Wenn wir da genervt oder mit Zynismus antworten, wirkt das überheblich und die eigentliche Botschaft kommt nicht an.

Ähnliches gilt in Diskussionen mit profilierten Vertreterinnen und Vertretern von NGOs. Deren Meinung wird man nicht ändern. Aber bei der Argumentation sollten stets vor allem diejenigen bedacht werden, die zuhören und mitlesen. Darum: Nicht provozieren lassen! Bei der Sache bleiben, auch wenn es persönlich wird. Online kann man im Zweifelsfall auch aus einer Diskussion aussteigen, wenn es zu unsachlich wird.

Aber was ist die Botschaft?

Das Gegengewicht zu Vereinfachung und Schwarzmalerei kann nicht „Weißmalerei“ sein. Nach meiner Erfahrung versteht und begrüßt es ein Publikum sehr wohl, wenn man besonnen und ausgeglichen argumentiert:

  • Ja, Herbizidtoleranz ist bisher das wichtigste Ziel der Anwendung von Gentechnik – aber die Technologie kann mehr. Dafür gibt es gute Beispiele.
  • Ja, Gentechnik wird bisher vor allem von großen Konzernen an wenigen Pflanzenarten angewendet – aber das ist Folge von Überregulierung, nicht von mangelndem Potenzial.
  • Ja, Gentechnik bietet viele Möglichkeiten – aber sie ist keinesfalls ein Allheilmittel. Sie wird das Welternährungsproblem nicht im Handumdrehen lösen, zumal Hunger heutzutage in erster Linie eine Folge von Kriegen und politischer Instabilität ist.

Ganz offensichtlich gibt es Probleme, die wir mit den bisherigen Ansätzen nicht lösen konnten, und die Zukunft wird uns noch vor neue Herausforderungen stellen. Genau dafür haben wir nun mit Gentechnik einschließlich Genome Editing zusätzliche Werkzeuge, die dazu beitragen können, den stetig wachsenden Nahrungsbedarf bei gleichzeitig weniger Input und besserer Umweltverträglichkeit zu decken. Sie werden aber weder klassische Züchtung noch andere Maßnahmen in der Landwirtschaft ersetzen.

Wobei: Will diese Diskussionen überhaupt noch jemand führen?

Ja. Im Januar gab es eine studentisch organisierte, sehr gut besuchte Podiumsdiskussion zu Grüner Gentechnik in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle [4]. Im Oktober diskutierte Detlef Weigel, Direktor des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen, öffentlich mit Renate Künast, ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin der Grünen [5]. Spiegel online berichtete darüber [6]. Nur einen Tag später richtete das Exzellenzcluster CEPLAS in Düsseldorf mit „CRISPR/was?“ eine öffentliche Veranstaltung zum Thema aus – mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik, NGOs und Landwirtschaft. Weitere vergleichbare Veranstaltungen sind noch in diesem Jahr in Marburg und Bonn geplant. Zudem sind die Wissenschaftsseiten der Zeitungen wie auch die entsprechenden Sendungen in Radio und Fernsehen voll von „CRISPR“.

Deshalb: Offen sein, wenn Politik oder Presse anfragen. Welchen Eindruck macht es schließlich, wenn Interessierte zurückgewiesen werden? Wir haben am Institut jährlich einen gut besuchten Tag der offenen Tür. Auch außerhalb davon halten wir Vorträge, machen Führungen, beteiligen uns am Videoprojekt „erforschtCRISPR“ [7], stellen unsere Kompetenz für alle Medien zur Verfügung. Das Interesse ist da. „Uns fragt ja keiner“, zählt nicht.

Auch auf Twitter bringt sich mittlerweile eine wachsende Plant Science Community sehr aktiv in die Diskussionen ein. Es bleibt praktisch kein Artikel, kein Kommentar zu Gentechnik und Genome Editing ohne eine Antwort aus der aktiven Forschung.

Ich denke, genau hier liegt unsere Chance. Es bleibt ungemein wichtig, dass die Wissenschaftsorganisationen immer wieder ihre Kräfte bündeln und gemeinsam öffentlich Position beziehen – auch wenn es eine Weile dauert. Das Plädoyer von über achtzig europäischen Pflanzenforschungseinrichtungen zur Überarbeitung des EU-Gentechnikrechts schaffte es zum Beispiel auf die Seiten von Spiegel online wie auch in die FAZ [8], obwohl es über drei Monate nach dem EuGH-Urteil veröffentlicht wurde.

Zusätzlich können wir als „Graswurzelbewegung“ unsere Positionen und Ansichten in der täglichen, schnellen Kommunikation immer wieder formulieren, deutlich machen und dort einbringen, wo sich Populismus verbreitet. Ein jeder kann dies nach eigenen Möglichkeiten tun. Ein Twitter-Kanal ist beispielsweise in wenigen Minuten eingerichtet, das geht auch (erstmal) unter Pseudonym. Vor allem verteilen wir so nicht nur die „Last“ auf viele Schultern, sondern bilden auch die Vielfalt in der Wissenschaft ab. Und es bringt noch eine ganz wichtige Perspektive ein, die an anderen Stellen oft zu kurz kommt: das Wie und Warum?

Wissenschaftskommunikation sollte sich nicht nur auf das breite Streuen toller Ergebnisse beschränken. Wenn wir, die wir in der Wissenschaft aktiv sind, selbst kommunizieren, können wir auch viel besser unsere Motivationen und unser Vorgehen erläutern. Warum halten wir Gentechnik für eine geeignete Methode? Was wollen wir damit erreichen? Was treibt uns an? Warum gehen wir diesen Weg? Diese Antworten können wir selbst am besten geben.

Es ist viel zu tun. Aber am Ende werden es unsere Lösungsansätze nur dann raus auf die Felder schaffen, wenn sie auch gesellschaftlich akzeptiert sind.

Bibliographie
Zum Weiterlesen:

„Rike im Land der Gentechnik“: http://nulliusinverba.blockblogs.de/2018/09/04/rike-im-land-der-gentechnik/

Referenzen:

[1] Naturbewusstseinsstudie 2017: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/naturbewusstseinsstudie_2017_de_bf.pdf

[2] „Der deutschen Wissenschaft geht es so gut wie nie zuvor“ von Martin Spiewak, DIE ZEIT Nr. 35, 24. August 2017

[3] Wissenschaftsbarometer 2018: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2018/

[4] Mitschnitt der Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=CNTHsK3LCW8

[5] Mitschnitt der Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=Bc8H3yyv5yE&feature

[6] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gentechnik-in-der-landwirtschaft-frau-kuenast-trifft-den-feind-a-1235809.html

[7] erforschtCRISPR: https://www.erforschtcrispr.de/, YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UCkTE_XVZ0xBqoe0oMB7jfoQ

[8] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/gentechnik-in-der-landwirtschaft-forschungsinstitute-plaedieren-fuer-neue-gesetze-a-1234773.html; http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/wird-europa-in-der-landwirtschaft-abgehaengt-das-gen-urteil-15853767.html




Zum Autor

Robert Hoffie hat Pflanzenbiotechnologie studiert und ist derzeit Doktorand in der Arbeitsgruppe „Pflanzliche Reproduktionsbiologie“ am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. In seinem Projekt arbeitet er daran, Gerste mithilfe neuer Züchtungstechniken resistent gegen eine Viruserkrankung zu machen. Neben seiner Forschung versucht er sich in Wissenschaftskommunikation. Bei Twitter ist er als @ForscherRobert zu finden.



Letzte Änderungen: 29.11.2019