Editorial

Gefährliches Selbstzitieren!

Karin Hollricher


Die Zeitschrift Cellular Physiology & Biochemistry wird ein Jahr lang nicht mehr vom Journal Citations Report berücksichtigt – und bleibt daher vorerst ohne offiziellen Impact-Faktor. Hauptgrund ist die hohe Rate an Eigenzitierungen.

Lange gab Thomson Reuters die Datenbank Web of Science heraus – und war damit die Herrin über die Zitierzahlen akademischer Ver­öffentlichungen. 2016 zog sich Thom­son Reuters zurück, und die US-Firma Clarivate Analytics übernahm das Erbsenzählen der Zitierungen in wissenschaftlichen Zeitschriften. Seitdem versorgt sie die Wissenschaftler neben dem Web of Science mit einer weiteren wichtigen Information: den offiziellen Journal-Impact-Faktoren. Knapp 12.000 Zeitschriften samt deren Faktoren listete Clarivate 2018 in ihrem Journal Citation Index. Doch immer wieder wird ein Journal daraus auch mal „delisted“ – meist wegen vermeintlich unlauterer Machenschaften.

Dieses Schicksal erlitt kürzlich die Zeitschrift Cellular Physiology & Biochemistry (CPB). Im Januar verkündete Clarivate, der Zeitschrift keinen Impact-Faktor mehr zu verleihen. Der Grund für diese „Suppression“: eine zu hohe Rate von Selbstzitierungen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde CPB von dem in Basel ansässigen Verlag Karger herausgegeben. Und dieser nahm Clarivates Entscheidung umgehend zum Anlass, die Zeitschrift einzustellen und aus dem Verlagsprogramm zu streichen. Offenbar waren die Basler schon länger nicht mehr zufrieden mit der CPB-Redaktion und ihrer Art, das Journal zu leiten. „Es bestanden zuletzt unterschiedliche Auffassungen von redaktionellen Entscheidungen. Deswegen haben wir uns gemeinsam entschieden, getrennte Wege zu gehen“, so Cora Wirtz-Spycher, Sprecherin von Karger. Weitere Details will sie nicht nennen.

Bevor das Heft jedoch vom Markt verschwand, konnte der Gründer und langjährige Chefredakteur der Zeitschrift, Florian Lang, CPB übernehmen. Der emeritierte, 73-jährige Professor für Physiologie der Universität Tübingen fungierte kurz als Interims-Manager, jetzt erscheint die Zeitschrift im Selbstverlag bei Cell Physiol Biochem Press GmbH & Co KG. Neuer Chief Editor ist Langs ehemaliger Schüler Erich Gulbins von der Universität Duisburg-Essen.

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Illustr.: delta.tudelft.nl

Plötzlich hob die Rate ab

Doch was hat es mit den von Clarivate angeprangerten Selbstzitationen auf sich? Gemeint ist hier die Zahl, wie oft CPB-Artikel andere Arbeiten zitieren, die ebenfalls in CPB erschienen sind (im Gegensatz zu Zitierungen eigener Arbeiten eines Autors). Clarivate schreibt dazu unter der Überschrift „Title Suppressions“, übermäßige Selbstzitationen seien eine „ Möglichkeit, die Zitationsmetrik zu manipulieren“ – und damit den Impact-Faktor auf unlautere Weise anzuheben.

Dazu ein paar Zahlen: Im Jahr 2014 wies CPB eine Selbstzitierungs-Rate von zehn Prozent auf. Das ist durchaus üblich, Zeitschriften ähnlicher Ausrichtung kommen auf vergleichbare Raten: Das Journal of Physiology lag 2017 bei acht Prozent, das Journal of Cellular Physiology bei drei Prozent, das Journal of General Physiology bei fünf Prozent. In der Folgezeit hob die Rate bei CPB aber regelrecht ab: 2015 und 2016 lag sie jeweils bei 40 Prozent, 2017 bei 34 Prozent. Florian Lang erklärt dazu, dass zum einen manche Gutachter mehr aktuelle Zitate aus CPB gewünscht hätten – und zweitens, dass ein deutlicher Anteil der Eigenzitationen aus seiner eigenen Arbeitsgruppe kommen. Dazu später mehr.

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Clarivate hat den CPB-Rauswurf aus dem Journal Citation Index zunächst auf ein Jahr begrenzt. Diese Art Strafmaßnahme führte bereits in anderen Fällen oftmals zur Senkung der Eigenzitierungen. Von 16 im Jahr 2016 ausgemusterten Zeitschriften, deren Literaturlisten zu sechzig bis neunzig Prozent aus Arbeiten bestanden, die im gleichen Heft erschienen waren, hatten zwei Jahre später fast alle die Eigenzitierung deutlich reduziert – die Hälfte der Zeitschriften auf unter zwanzig Prozent. Es sollte also auch im Fall von CPB damit zu rechnen sein, dass dessen neue Herausgeber, Redakteure und Gutachter sich die Literaturlisten sehr genau anschauen – in dem Bemühen, möglichst wenig Referenzen aus der Hauszeitschrift zulassen zu müssen.

Editorial Board gut dabei

Eigenzitierungen waren allerdings nicht der einzige Grund, weswegen Clarivate CPB aus dem Journal Citation Index strich. Wie Florian Lang in einer E-Mail an Laborjournal erklärte, sei darüber hinaus die starke Zunahme an Publikationen auf über achthundert pro Jahr bemängelt worden; außerdem die hohe Zahl an Publikationen aus China sowie die übermäßige Häufung an Arbeiten aus Gruppe und Umfeld des Herausgebers. Schauen wir uns die Vorwürfe der Reihe nach an.

Dass ein Journal viele Arbeiten veröffentlicht, kann man ihm schlecht vorwerfen – vorausgesetzt, die Gutachter achten vorschriftsmäßig auf wissenschaftliche Qualität. Dass CPB immer voluminöser wurde, könnte daran liegen, dass es ein reines Open-Access-Journal ist. Als solches muss es die Seitenzahlen nicht begrenzen, denn die Herstellungskosten werden über die Autoren gedeckt und nicht von Abonnenten oder Werbekunden bezahlt.

Und weiterhin: Warum sollen die Redakteure die Nationalität der Autoren berücksichtigen, wenn die wissenschaftliche Expertise stimmt? Jürgen Hescheler, Stammzellexperte an der Universität Köln und Mitglied des CPB-Editorial-Boards, bestätigt, dass chinesische Forscher viel in CPB veröffentlichen. „Die stehen unter sehr hohem Druck, in Journals mit hohem Impact-Factor zu publizieren“, sagt er. Derjenige von CPB liegt aktuell bei 5,5.

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Florian Lang: Wen soll man sonst zitieren, wenn man über viele Jahre nahezu alleine an einem Thema forscht? Foto: Uni Tübingen

Ob allerdings aus China oder von einem Mitglied des Editorial Boards, ob von einem berühmten oder einem weniger bekannten Forscher: Die Entscheidung darüber, ob eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht wird, fällen letztlich die Gutachter. Sie müssen herausfinden, ob die Ergebnisse neu, valide, plausibel, interessant und relevant für die entsprechende Publikation sind.

Damit kommen wir zum letzten Kritikpunkt, den Clarivate vorbringt: die hohe Zahl an Arbeiten von Mitgliedern des Editorial Boards. Die Kritik von Karger über „unterschiedliche Auffassungen von redaktionellen Entscheidungen“ dürfte in die gleiche Richtung gehen, auch wenn Karger das nicht näher erläutern mochte. Tatsächlich publizierten sowohl Chief Editor Florian Lang wie auch Mitglieder des Editorial Boards kräftig in CPB.

Lang selbst hat eine imposante Publikationsliste, die Clarivate mit über 1.400 Arbeiten zählt. Davon erschienen mehr als 300 in CPB – und in deren Literaturlisten findet man jeweils wiederum viele eigene, in CPB publizierte Arbeiten zitiert. Nehmen wir beispielsweise „Triggering of Eryptosis, the Suicidal Erythrocyte Death by Mammalian Target of Rapamycin (mTOR) Inhibitor Temsirolimus“ (CPB 42: 1575): In dessen Referenzliste mit 161 Literaturstellen findet man über sechzig Artikel aus CPB. In den Referenzen von „Anidulafungin-Induced Suicidal Erythrocyte Death“ (CPB 38: 2272) stammen 30 von 92 Referenzen aus CPB. „Triggering of Suicidal Erythrocyte Death by Exemestane“ (CPB 42: 1) enthält 56 CPB-Referenzen von insgesamt 109.

Ist Ihnen aufgefallen, dass diese drei Arbeiten jeweils die Wirkung eines einzelnen Wirkstoffs auf den gleichen Effekt beschreiben? Und davon gibt es noch einige mehr. Wenn man auf solche Weise immer wieder einen neuen Artikel generiert, lässt sich die eigene Publikationsliste natürlich ziemlich geschmeidig verlängern.

Auch als Autor viele Selbstzitate

Dazu kommt, dass Lang auch jenseits seiner CPB-Artikel viele eigene Arbeiten zitiert hat. Entsprechend hoch ist seine Selbstzitations-Rate generell. Clarivates Web of Science findet beispielsweise mit den Stichworten „Lang F“ und „Tübingen“ insgesamt 1.458 Artikel, die alle zusammen 46.730-mal zitiert wurden. 17.927 davon sind Selbstzitationen; fast vierzig Prozent kommen also von eigenen nachfolgenden Arbeiten der Gruppe von Florian Lang. Zum Vergleich: Der Zürcher Herzphysiologe Thomas Lüscher kommt auf 4,7 Prozent Selbstzitate, der Kliniker Michael Manns von der Medizinischen Hochschule Hannover auf 5,7 Prozent und CPB-Coeditor Jürgen Hescheler auf 8,3 Selbstzitate. Erich Gulbins, CPBs neuer Editor-in-Chief, liegt übrigens bei einer Selbstzitations-Rate von 12,1 Prozent.

Lang selbst erklärt seine weit über dem Durchschnitt liegende Rate damit, dass er und seine Mitarbeiter über viele Jahre nahezu allein an dem Thema Eryptose (Apoptose roter Blutkörperchen) forschten. „Gerade das ist ja auch ein Grund der hohen Eigenzitationen“, argumentiert er. „Ich bin nicht stolz auf die Zahl der Arbeiten, sehr wohl bin ich stolz darauf, mit meinen Mitarbeitern einen klinisch so bedeutsamen pathophysiologischen Mechanismus aufgedeckt und so viele junge Mitarbeiter für die Forschung begeistert zu haben. Ich bemesse Arbeiten in erster Linie an deren potenzieller Bedeutung und nicht nach indirekten Parametern, wie dem Impact-Faktor des publizierenden Journals.“

Nun sind zwar nicht alle von Langs Eryptose-Arbeiten in CPB erschienen, aber doch wirklich viele. Da kann einem das Wort „Interessenskonflikt“ doch schon mal durch den Kopf gehen. Danach gefragt antwortet Lang: „Prinzipiell wurden alle Manuskripte, die bei CPB eingereicht wurden (und werden), anonym von zwei Gutachtern/innen geprüft. Wenn ich selbst Co-Autor einer eingereichten Arbeit war, wurde ein Mitglied des Editorial Boards gebeten, die Begutachtung zu leiten – das heißt, die Gutachter zu bestimmen und herausgeberische Entscheidungen zu fällen. In keinem Fall wurden mir oder meinen Mitarbeitern die Namen der Gutachter offenbart. Fallweise waren die Gutachten so streng, dass wir entschieden, das Manuskript zurückzuziehen und woanders einzureichen.“

Im übrigen sei dieses Verhalten – das Publizieren in Zeitschriften, zu deren Editorial Board man gehört – gängige Praxis. Sonst würde sich wohl auch kaum jemand zur Mitarbeit in den Editorial Boards insbesondere von renommierten Zeitschriften bereit erklären, meint Lang.

Clarivate im Zwielicht

Tatsächlich? Eine kurze Recherche bei PNAS lieferte für die Associate Editors der Disziplin „Medical Physiology and Metabolism“ unter anderem folgende Zahlen: Christopher K. Glass (University of California in San Diego) publizierte in PNAS 79 seiner 315 in PubMed gelisteten Artikel, Barbara B. Kahn (Harvard University) 5 von 214, Robert J. Lefkowitz (Duke University) 118 von 786, David J. Mangelsdorf (University of Texas) 65 von 202, Andrew R. Marks (Columbia University) 99 von 255. Auf der Basis dieser kleinen Auswahl, bei der die „Hausjournal-Raten“ zwischen 2 und 39 Prozent liegen, lässt sich natürlich kein nachhaltiges Bild zeichnen, aber sie bestätigen doch wenigstens tendenziell Langs Aussage, dass Forscher ganz gerne in denjenigen Zeitschriften publizieren, für die sie als Editoren tätig sind. Ob sie aber darüber hinaus auch Einfluss auf die Begutachtung der eigenen Arbeiten nehmen? Wer weiß?

Blicken wir zuletzt noch auf das „Umfeld“ des CPB-Chief-Editors. Im Editorial Board sitzen insgesamt drei Personen mit dem Namen Lang. Neben Florian Lang auch dessen Söhne Karl und Philipp. Beide erhielten unabhängig voneinander den Sofja-Kovalevskaja-Preis der Humboldt-Stiftung. Karl Lang sitzt auf dem Lehrstuhl für Immunologie an der Universität Essen, dessen Bruder Philipp auf demjenigen für Molekulare Medizin II an der Universität Düsseldorf. Weiterhin war Erich Gulbins von der Universität Duisburg-Essen bereits Mitglied des Boards, bevor er Chief-Editor von CPB wurde. Gulbins war als Postdoc am La Jolla Institute for Allergy and Immunology, dann sechs Jahre lang am Institut für Physiologie in Tübingen, und danach in Memphis am St. Jude Children‘s Research Hospital, bevor er nach Deutschland zurückkam. Und damit nicht genug: Noch vier weitere Namen ehemaliger Lang-Mitarbeiter finden sich in diesem Board. Resultiert eine solche Ansammlung ehemaliger Kollegen – trotz aller wissenschaftlicher Reputation – womöglich in einem Bias bei der Beurteilung von wissenschaftlichen Arbeiten? Zumindest bei Clarivate scheint man das anzunehmen.

Doch auch Clarivate selbst bietet ein zweifelhaftes Bild. Sehr zu Recht stellte etwa Jürgen Hescheler die Frage: „Werden die Verlage oder Chefredakteure eigentlich von Clarivate vorab gewarnt, wenn sie feststellen, dass womöglich etwas schiefläuft?“ Dazu erklärte Amy Bourke-Waite von Clarivate via E-Mail: „Wir informieren die Herausgeber über die Suppression. Wir diskutieren Details über spezifische Entscheidungen der Redaktion mit niemand anderem als dem Herausgeber.“

Cora Wirtz-Spycher von Karger berichtet dazu, Clarivate hätte den Verlag am 11. Januar 2019 erstmals über die drohende Entscheidung der CPB-Suppression informiert – zehn Tage später setzten die US-Amerikaner diese bereits in die Tat um. Lang erfuhr von der Entscheidung Clarivates erst drei Tage vor dem Delisting aus dem Journal Citation Index. Für eine Reaktion oder gar eine Erklärung bleibt da keine Zeit.

Lieber woanders hin?

Das Einzige, was Lang tun konnte, war, sämtliche Autoren, die bereits Manuskripte zur Veröffentlichung in CPB eingereicht hatten, darüber zu informieren, dass die Zeitschrift bald keinen Impact-Faktor mehr haben würde – und ihnen gleichsam freizustellen, ob sie unter diesen veränderten Umständen ihre Arbeiten lieber an andere Zeitschriften schicken wollten. Auch den Grund, weshalb Clarivate 2019 keinen Impact-Faktor mehr für CPB publizieren wolle, offenbarte er den Autoren in der Mitteilung: der hohe Prozentsatz an Selbstzitaten.

Clarivate hingegen hat mittlerweile auf seiner Webseite immerhin eine Warnung veröffentlicht, dass aus ähnlichen Gründen noch weitere Kandidaten unter deren strenger Beobachtung stehen. Dazu gehören unter anderem die Nanoscience and Nanotechnology Letters, das Journal of Biobased Materials and Bioenergy, das Journal of Biomedical Nanotechnology sowie das Journal of Nanoscience and Nanotechnology. Diese vier Zeitschriften werden vom Verlag American Scientific Publishers herausgegeben und enthalten, so Clarivate, „eine ungewöhnliche Konzentration von Zitierungen aus der Zeitschrift Bone Research“.

Ende Juni 2019 soll die neue Liste von Title Suppressions erscheinen. Man darf gespannt sein.




Für Laborjournal online führte Mario Rembold 2015 ein Interview mit Florian Lang, in dem dieser auch das hier erwähnte Phänomen der Eryptose näher erklärte – siehe Link.



Letzte Änderungen: 29.11.2019