Editorial

"Die Zukunft der Wissenschaft ist dezentral"
Über Blockchain Im Gespräch: Martin Etzrodt, AKASHA Foundation

Interview: Henrik Müller


Martin Etzrodt erkundet bei der AKASHA Foundation neue Wege, die antiquierte Infrastruktur wissenschaftlicher Kommunikation zu modernisieren – vor allem mit Blockchain-Technologie. Laborjournal sprach mit ihm über die Fortentwicklung unserer Wissensgesellschaft und einen Ausweg aus der Replikationskrise.

Laborjournal: Seit letztem Jahr sind Sie ein Wissenschaftler der AKASHA Foundation. Was ist AKASHA?

Etzrodt » AKASHA ist eine gemeinnützige Stiftung, die 2017 von Mihai Alisie gegründet wurde, keinem Unbekannten in der Blockchain-Szene. Zuvor hatte er mit Vitalik Buterin das Bitcoin Magazin gegründet und das Blockchain-System Ethereum realisiert. Bei AKASHA dagegen ist es unser Ziel, dezentrale und offene Systeme zu etablieren und ihre globale Vernetzung zu stärken. Um hierfür die notwendigen Standards zu entwickeln, arbeiten wir auch aktiv im World Wide Web Consortium (W3C) mit, dem internationalen Gremium zur Erstellung von Richtlinien und Standards für Web-Technologien. Denn wenn sich die Blockchain-Technologie weiterentwickelt, werden ganz neue, rein Nutzer-bestimmte Peer-to-Peer-Märkte entstehen – in der Forschung wie auch in privaten Anwendungen. Beispielsweise wären dann neben einem von Forschern selbstbestimmten Publikationssystem auch Services wie AirBnB, Uber oder Amazon als Nutzer-bestimmte Plattformen denkbar.

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Martin Etzrodt erklärt potenzielle Blockchain-Anwendungen

Und was ist Ihre Aufgabe bei all dem?

Etzrodt » Mit meinem Hintergrund in Zellbiologie und Chemie ist die Welt der Web-Entwicklung zwar Neuland für mich, daher aber richtig spannend. Ich versuche, praktikable Anwendungen unserer dezentralen Technologien insbesondere in der Wissenschaft zu finden. Dafür suche ich Partner aus dem akademischen Umfeld, aber auch aus der Citizen-Science-Bewegung wissenschaftlich interessierter Laien. Denn die besten Talente schlummern vielleicht nicht unter den Talaren, sondern arbeiten als Büroangestellte. Aktuell implementiere ich zusammen mit dem CERN eine durch die Wissenschaftler selbst verwaltete Kommunikationsplattform auf Basis der AKASHA-Plattform.

Was unterscheidet AKASHAs Wissenschaftsnetzwerk denn von Plattformen wie Research­Gate?

Etzrodt » Unsere Kombination von InterPlanetary File System (IPFS), einem Peer-to-Peer-Netzwerk, als Speichermedium sowie Ethereum-Blockchain zur Notarisierung von Forschungsdaten macht Wissenschaftsverlage überflüssig. In diesem Sinne sind wir das genaue Gegenteil von ResearchGate – dem „Facebook“ für Wissenschaftler, deren Scores nach intransparenten Mechanismen verändert werden und deren Nutzer keinerlei Bestimmungsmöglichkeiten über ihre Daten haben. Letztendlich wird ResearchGate ein Instrument der Verlage werden, um zur Produktbindung mehr über die Nutzer zu erfahren. Bei aller Kritik möchte ich aber auch anmerken, dass Journale und ResearchGate ein heute funktionierendes System darstellen. Unsere Kombi von IPFS und Ethereum ist bisher nur auf der Protokollebene etabliert. Was wir daraus für den Anwender machen, ist genau unsere Frage bei AKASHA.

Was machen Sie denn daraus?

Etzrodt » Wichtig ist uns, dass unsere Nutzer ihre persönlichen Daten selbst unter Kontrolle haben, was bei ResearchGate, Google oder Facebook eben nicht der Fall ist. Uns interessiert, wie wir von diesen manipulierbaren Posting-Plattformen zu einem global skalierenden, offenen Kommunikations- und Koordinationssystem für Forscher und Bürgerwissenschaftler aller Welt kommen. Dafür arbeitet unser Team an einem dezentralen Konzept, das möglichst vielen die Möglichkeit gibt, unzensierbare Datenstrukturen zu nutzen. Die Möglichkeit, Ideen sowie dafür nötige finanzielle Mittel global und effizient zu übertragen, steht dabei im Vordergrund. Wir werden das auf der Ethereum-Entwicklerkonferenz Devcon im Oktober 2019 in Osaka vorstellen. Dann brauchen wir nur noch die Entwickler, die darauf aufbauen wollen. Und natürlich Nutzer.

Die Zukunft der Wissenschaft liegt also in dezentralen Web-Technologien?

Etzrodt » Ganz klar. Leider leben wir in einer Zeit, in der Zensur sogar von wissenschaftlichen Daten Realität ist. Eine dezentrale Verteilung von Datenpaketen in Peer-to-Peer-Netzwerken wie IPFS und die dadurch erzeugte Redundanz erhöhen die Widerstandskraft im System, vor allem in Ländern mit Zensur oder schlechter finanzieller Ausstattung. Denn Teilhabe am globalen Informationsaustausch ist keineswegs ein gesichertes Grundrecht. IPFS wurde zum Beispiel eingesetzt, um eine Referenzkopie von Wikipedia zu erstellen. Diese ist auch in Ländern wie der Türkei zugänglich, wo zuletzt Wikipedia stark zensiert wurde. Ähnliche Systeme spielten auch eine Rolle bei der Sicherung von Klimadaten, die von staatlicher Zensur betroffen sind – wie etwa nach der Wahl von Donald Trump in den USA. IPFS rettet Forschungsdaten also langfristig vor Verlust oder Zerstörung.

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Das erklärt den Nutzen von IPFS. Wie nutzt AKASHA die Ethereum-Blockchain?

Etzrodt » Die Ethereum-Blockchain notarisiert die Daten. Im IPFS stellt der Fingerabdruck des Datenpaketes, der sogenannte hash, gleichzeitig die Adresse dar, unter der die Pakete gefunden werden können. Man kann diesen Fingerabdruck mittels einer Ethereum-Transaktion auf der Blockchain speichern. Somit ist die Blockchain der Index. Der Besitzer des privaten Schlüssels der hash-Adresse kann stets beweisen, dass die Transaktion von seiner Adresse ausgegangen ist – und somit seine Urheberschaft anzeigen.

Blockchain-Netzwerke machen Forschungsdaten ja nicht nur transparent, sondern damit auch leichter falsifizierbar. Warum sollten sich Wissenschaftler also AKASHA zuwenden?

Etzrodt » Weil sie sonst abgehängt werden. Wer in einem Team seine Fähigkeiten offen dort einbringt, wo er es am besten kann, anstatt auf seinen Daten zu sitzen, bis nach sechs bis zwölf Monaten endlich mal alle Gutachter und der Editor zufrieden sind, sollte letztlich schneller ans Ziel kommen. Kaum eine Idee in Naturwissenschaften, Technik und Medizin wird ja nur von Einzelnen verfolgt. Wir können wissenschaftshistorisch nachzeichnen, dass die meisten großen Entdeckungen die Arbeit von Denkkollektiven waren. Wenn mehrere Menschen parallel zur gleichen Fragestellung inspiriert sind, können sie den traditionellen Prozess der Wissenserzeugung und -verbreitung leicht abhängen. Nicht zu kooperieren, wird dann ein kompetitiver Nachteil. Wir müssen allerdings die Infrastruktur für solche Denkkollektive schaffen. AKASHA will so ein Ort werden.

Klingt so, als wollten Sie den eigenbrötlerischen Forscher aus dem Elfenbeinturm werfen?

Etzrodt » Na ja, richtig gemacht, könnte das die Akzeptanz von Forschern in unserer Informations-basierten Gesellschaft steigern. Und vielleicht würden dann Politiker auch mehr auf die Wissenschaft hören, beim Klimawandel zum Beispiel. Wir können unsere hierarchischen Strukturen und Rangkämpfe natürlich auch beibehalten. Dann wird die öffentlich geförderte Forschung mittelfristig in Europa intellektuell komplett ausbluten. Die Akademiker an den Hochschulen können dann alle twittern, aber die Talente arbeiten lieber für Facebook, Amazon und Google.

Unsere gegenwärtige Wissenschaftskultur missfällt Ihnen?

Etzrodt » Allerdings, denn alles geht nur noch um Publish or Perish. Die Wichtigkeit von Denkkollektiven hatte ich ja schon erwähnt. Wenn wir also ohnehin auf den Entdeckungen anderer aufbauen, ist unsere gegenwärtige Kommunikationskultur veraltet. Publikationen verlangsamen den Prozess der Erkenntnisverteilung. Oft werden wichtige Informationen ungenügend kommuniziert, um im Konkurrenzkampf einen Vorteil zu ergattern. Leider wird schon Studierenden in Kursen zur Wissenschaftskommunikation beigebracht, dass es ja vor allem aufs Storytelling ankommt. Selbst Stipendien-Institutionen bieten solche Selbstdarstellungskurse an. Auf einem EMBO-Fellows-Meeting wurde mir im Career Development Workshop mal erklärt, wie wichtig es als Junior Faculty ist, am besten gleich mal ein „schnelles Paper“ zu machen. Was für ein Quatsch!

Was sollte Ihrer Meinung nach vermittelt werden?

Etzrodt » Wie eine wissenschaftliche Tatsache zustande kommt. Wie wir eine Anomalie erkennen. Wie wir einen Paradigmenwechsel in einer Theorie erzeugen. Es wäre wünschenswert, wenn Institutionen mehr Wert auf die Vertiefung der humanistischen und wissenschaftstheoretischen Ausbildung als auf banale Karrieretipps legten. Außerdem stört mich, dass wir die Qualität eines Forschers an der Zahl und dem Impact seiner Publikationen messen. Masse scheint ebenso viel zu zählen wie Qualität. Reproduzierbarkeit ist in den biomedizinischen Wissenschaften zweitrangig. Das habe ich am eigenen Leib erlebt.

Was meinen Sie mit „eigenen Leib“?

Etzrodt » Während meines Postdocs habe ich miterlebt, wie ein hochrangiges Journal lieber eine faktisch falsche Publikation beibehielt als sie zurückzunehmen. Wir hatten einen Artikel mit abweichenden Ergebnissen verfasst. Statt eine transparente Gegendarstellung zuzulassen, wurden wir über drei Jahre bis zuletzt ohne Ergebnis hingehalten. Das Prinzip der Selbstkorrektur in der Wissenschaft hat hier absolut nicht funktioniert. Die betreffende Arbeit hatte zuletzt mehr als neunzig Zitierungen und den Autoren renommierte Fördermittel und Positionen eingebracht. Aber keine einzige Studie konnte die Daten reproduzieren. Die falschen Schlüsse des Papers werden offenbar bis heute zum Erzeugen von Hypothesen und zur Interpretation von Ergebnissen verwendet, wohl gemerkt ohne Evidenz der Reproduzierbarkeit. Wie viele Doktorarbeiten werden wohl jährlich aufgrund falscher Annahmen gestartet und dann durchgezogen? Ich habe das Gefühl, wir bauen Kartenhäuser auf immer fragileren Fundamenten.

Wie würden Sie diese Reproduzierbarkeitskrise bekämpfen?

Etzrodt » Letztlich müssen wir Publikationen durch Verfahren ersetzen, die eine rasche Kommunikation von Ergebnissen erleichtern. Wir brauchen einen Ansatz, der eine auf Kollaboration und Offenheit basierende Wissenschaftskultur aufbaut, die weniger Wert auf Impact-Faktoren legt. Da gibt es schon tolle Ansätze, wie das Quest-Institut von Ulrich Dirnagl in Berlin zeigt. Unsere Metrik sollte sein: Was klappt, das ist langfristig richtig. Natürlich muss nicht immer alles sofort reproduzierbar sein. Siehe etwa die Analyse von Ludwik Fleck zur Entstehung des Wassermann-Tests bei Syphilis. Die ersten Publikationen waren nicht reproduzierbar. Dennoch konnte das Denkkollektiv die Methode verfeinern und anwendbar machen. Wer handwerklich gute Arbeit abliefert, braucht nicht sofort einen signifikanten p‑Wert. Wer eine revolutionäre Idee hat, kann bei der ersten Umsetzung auch mal daneben liegen. Langfristig sollte Reputation aber auf Reproduzierbarkeit aufbauen!

Wäre es nicht technisch schwierig, Forschungsleistung anhand ihrer Reproduzierbarkeit anstelle leicht quantifizierbarer Impact-Faktoren zu beurteilen?

Etzrodt » Eigentlich nicht. Peer-Review kann durch ein Qualifikationsverfahren ersetzt werden, das Ergebnisse, deren Reproduzierbarkeit gezeigt und zum Beispiel auch in AKASHAs Wissenschaftsnetzwerk dokumentiert wurde, höher bewertet als solche, die noch nicht validiert oder reproduziert wurden. Es gibt da etwa den Ansatz von Token Curated Registries. Die könnten eine Lösung sein, bei der auch finanzielle Anreize zur Aufrechterhaltung von Qualität gesetzt werden. Das zu erreichen, wäre natürlich schwer, weil die Verlage vom heutigen Ansatz profitieren und Innovationen bremsen.

Wiegen nicht die Zeitnot und die Faulheit von Wissenschaftlern, andere Publikationen zu kommentieren, viel schwerer?

Etzrodt » Solange die Metrik das Peer-reviewed Paper bleibt, wird sich das wohl auch nicht ändern. Der Anreiz ist einfach nicht gegeben, sich mit anderen Arbeiten kritisch auseinanderzusetzen, weil die Mühe nicht gewürdigt wird. Im Falle einer selbstbestimmten Identität, bei der Kommentare einer ID zugeordnet würden, könnte dagegen die Reputation des Kommentators steigen. Bei der Faculty of 1000 etwa, einer Webseite zur kollaborativen Bewertung von Publikationen, klappt es mit den Kommentaren ganz gut, denn da wurde genau das berücksichtigt. Übrigens gibt es genügend Ansätze, um das akademische Publikationswesen zu revolutionieren. Jedoch sind die Hürden bei der Umsetzung ziemlich hoch, wie etwa das zuletzt gescheiterte Open-Access-Projekt Scholarlyhub zeigt.

Sie nannten Token als Anreiz für Reviews. Wäre manch ein Gutachter nicht versucht, für mehr Token Manuskripte erneut anzufordern – was den Review-Prozess verlängern würde?

Etzrodt » Heute behalten wir Ergebnisse solange für uns, bis wir sie in einem anerkannten Journal veröffentlicht wissen. Was wäre, wenn wir in einem elektronischen Laborbuch Einträge durch einen kryptographischen Zeitstempel absichern und sie dann nach Belieben teilen oder als komplettes Werk veröffentlichen könnten? Es ist durchaus möglich, dass in einem Wettbewerb um solche Mikro-Veröffentlichungen der Prozess der Veröffentlichung beschleunigt würde. Sönke Bartling, ein Mitstreiter und Gründer des Think Tank Blockchain for Science spricht hier gerne von New Deals on Data. Der Ansatz ist gar nicht so abwegig. Immerhin wurden unsere früheren Ideen von der Max-Planck-Digital-Library implementiert. Sie haben ein Konsortium mit dem kreativen Namen Novel Blockchain for Science Consortium gegründet und vermarkten die Idee des Zeitstempelns nun als „Bloxberg“. Das finde ich super. Es zeigt, dass unsere Ideen ernst genommen und von akademischen Institutionen aufgegriffen werden.

Um den Kreis zu AKASHA zu schließen: Wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit dort gekommen?

Etzrodt » Das Blockchain-Fieber hat mich Ende 2016 gepackt, als ich feststellte, dass es hier um mehr geht als um Spekulation mit Geld. Als AKASHA im Dezember 2017 die Beta-Version seiner Plattform veröffentlichte, habe ich mich als Tester gemeldet. Zuvor hatte ich mit einem Kollegen der ETH Zürich ein Proof of Concept mit ähnlicher technischer Basis entworfen. Aber AKASHA war weiter und hatte alles schon in einem tollen User Interface implementiert. Ich postete also ein Paar DNA-Gele einer Genotypisierung inklusive der dazugehörigen Primersequenzen, PCR-Parameter sowie meiner Interpretation des Ergebnisses und beschrieb in einem weiteren Post meine Vision eines dezentralen Wissenschaftsnetzwerks. Zwei Tage später hatte ich einen Skype-Call mit Mihai Alisie, und ein paar Monate später war ich im Team.



Letzte Änderungen: 29.11.2019