Editorial

Das Leben neu erfinden - Synthetische Zellen

Mario Rembold


hg_20_06_03a
Illustr.: Juliet Merz

(08.06.2020) Forscher können heute in vitro die Teilung von Membranvesikeln steuern oder Mini-Genome im Reagenzglas replizieren, die ihre eigene Polymerase codieren. Außerdem erzeugen sie synthetische Organellen und künstliche Chloroplasten. Vieles steckt noch in den Kinderschuhen, doch der Kreativität in der synthetischen Biologie scheinen kaum Grenzen gesetzt.

Gene ausknocken oder in andere Organismen einbringen, ist mittlerweile molekularbiologische Routine. Auch wenn dabei schon mal ein Quallenprotein in einer Mauszelle leuchtet – von Grund auf neue Lebewesen entstehen dabei nicht. In der synthetischen Biologie aber verfolgen einige Forscher genau diese Idee: Leben erschaffen, wie es die Evolution nicht hervorbringen könnte. Einige wollen hier möglichst komplett bei Null anfangen und synthetische Zellen bottom up konstruieren.

Doch womit würde ein Zell-Designer beginnen? Das wohl augenscheinlichste Merkmal eines Lebewesens ist seine Grenze zur Umwelt. Alles, was auf unserem Planeten als lebendig gilt, besteht aus mindestens einer Zelle, und die trennt ihr Inneres durch eine zweischichtige Membran von der Außenwelt. Auch im Labor kann man leicht Vesikel herstellen, die von einer Doppellipidschicht sphärisch umschlossen sind. Denn diese Konstellation ist energetisch günstig, weil die hydrophoben „Schwänzchen“ der Lipidmoleküle so vom wässrigen Teil innerhalb und außerhalb des Vesikels abgeschirmt sind.

„Membranen sind ein fundamentaler Bestandteil aller Zellen“, betont Biophysiker Roland Knorr. Am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam leitet er eine Arbeitsgruppe zur Dynamik von Biomembranen in der Abteilung von Reinhard Lipowsky. Kürzlich ist das Team der Frage auf den Grund gegangen, wie sich ein Vesikel mit einer Doppellipidmembran teilen kann. Ergebnisse hierzu haben die Wissenschaftler Anfang des Jahres in Nature Communications veröffentlicht, zusammen mit Max-Planck-Kollegen aus Mainz (11(1): 905).

Asymmetrische Schichten

Ob biologisch oder künstlich: Bevor sich eine Zelle teilen kann, muss sich zunächst die Membran verformen und einschnüren. „Es gibt eine ganze Reihe molekularer Mechanismen, die Membrankrümmung erzeugen“, erklärt Erstautor Jan Steinkühler. „Vielen Mechanismen gemeinsam ist, dass sie eine asymmetrische Membran voraussetzen.“ Indem man die äußere und die innere Lipidschicht also unterschiedlich designt, kann man auch die Form eines Vesikels vorbestimmen. Steinkühler, der bis vor kurzem noch in Potsdam forschte und jetzt am Center for Synthetic Biology der Northwestern University in Evanston (USA) arbeitet, ist ebenfalls fasziniert von der Art und Weise, wie sich Membranen organisieren. Man könne sich eine Biomembran als zwei Schichten vorstellen, die eine Oberflächenspannung zum umgebenden Wasser besitzen. „Wenn die Membran in ihrer Schichtzusammensetzung asymmetrisch ist, können die beiden Oberflächenspannungen verschieden sein – und da die Membran flüssig und flexibel ist, nimmt sie eine Krümmung an, die die gesamte Oberflächenspannung minimiert.“

Membranmechanik reicht

Es gibt unterschiedliche Wege, Lipide oder andere amphiphile Moleküle so zu designen, dass sie sich zu einer asymmetrischen Doppelschicht anordnen. In Potsdam aber wollten die Forscher die Form bereits bestehender Vesikel dynamisch verändern. Dabei kam ein Green Fluorescent Protein (GFP) zum Einsatz, das mit einem His-Tag versehen war. Die Histidine am GFP ermöglichen nämlich eine nicht-kovalente und damit reversible Bindung des Proteins an die Membran. Über die Fluoreszenz der Vesikel kann man im Experiment auf die Proteindichte auf der Membran schließen. Gibt man zu bereits gebildeten Vesikeln GFP hinzu, so bindet das Protein folglich nur auf der Außenseite und erzeugt eine Asymmetrie zwischen beiden Monolayern. Je mehr GFP die Forscher zugaben, desto stärker wurde die Krümmung. Die zuvor runden Vesikel nahmen dann mehr und mehr die Form einer Hantel an. Ab einer gewissen GFP-Dichte auf der Außenmembran wird die Kraft, die auf den Hals der Hantel wirkt, so groß, dass sich dieser durchschnürt und zwei Tochtervesikel freigibt.

„Wir haben gezeigt, dass im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung keine spezifischen Proteine wie ESCRT oder Dynamin notwendig sind, um eine Membran zu teilen“, hebt Steinkühler ein wesentliches Resümee der Publikation hervor. „Die Elastizität der asymmetrischen Membran und die Form des Vesikels reichen aus, um die dafür notwendige Kraft zu erzeugen.“ Das Paper zeigt verschiedene Fotos der Vesikel; einige schnüren kleine Ausknospungen ab, während andere sich sehr gleichmäßig teilen. „Das können wir steuern über das Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche des Vesikels“, geht Steinkühler auf die Details ein. Je kleiner dieses Verhältnis wird, desto ähnlicher werden die Tochtervesikel in ihrer Größe. „Wir haben dieses Verhältnis hauptsächlich osmotisch gesteuert“, so Steinkühler, „doch man könnte ebenso die Fläche der Membran ändern.“

Möglicherweise spielen solche rein mechanischen Membraneigenschaften auch in der Natur eine wesentliche Rolle bei der Zellteilung. Steinkühler verweist auf eine Arbeit britischer Forscher aus dem Jahre 2013 (Cell 152(5): 997-1007). Die Autoren hatten das eigentlich für die Zellteilung der meisten Bakterien notwendige und zum Tubulin homologe FtsZ-Protein in Bacillus subtilis unterdrückt. In einem zellwandfreien Stadium war das Bakterium aber trotzdem in der Lage, sich zu teilen – zumindest eine Mutante, die verstärkt Membranlipide synthetisiert. Hier ermöglichte also offenbar allein die Vergrößerung der Membranoberfläche im Verhältnis zum Volumen eine Teilung. Auch Roland Knorr ist daher sicher, dass man viele biologische Prozesse besser verstehen wird, wenn mehr Details zur Membranmechanik erforscht sind. „Momentan hat man noch das Dogma im Kopf, dass fast alles in der Zelle durch Proteine geregelt wird“, so sein Eindruck. „Dass Membranproteine circa ein Viertel aller Proteine ausmachen, dass sie gleichzeitig die Mehrheit der pharmazeutischen Zielmoleküle stellen, unterstreicht die biologische Bedeutung der Zellmembran.“

Replikation im Reagenzglas

Nun steckt hinter der Teilung einer biologischen Zelle natürlich mehr als nur das Abschnüren eines Membranvesikels: Vor allem repliziert ein Lebewesen vor der Teilung auch die eigene DNA. Chemisch ist das Kopieren eines DNA-Abschnitts ein Kinderspiel fürs Bio-Grundstudium: Die passenden Primer, die vier Nukleosid-Triphosphate und eine Prise Taq-Polymerase in die richtige Pufferlösung geben, die zu replizierende Vorlage nicht vergessen, dann ein paar PCR-Zyklen fahren – und fertig sind die DNA-Kopien. 2011 haben Forscher aus Japan auf diese Weise auch DNA in Vesikeln vermehrt. Gleichzeitig sorgten sie für Bedingungen, unter denen die Vesikel ihre Membran vergrößerten und sich teilten (Nat. Chem. 3(10): 775-81). Man könnte also sagen, dass hier künstliche DNA-haltige Zellen gewachsen sind und sich geteilt haben.

Allerdings enthalten diese Vesikel keinerlei sinnvolle Information in ihrer DNA. Weder ist darin deren Aussehen, Form oder Wachstum codiert, noch ist die Basenfolge in irgendeiner Weise relevant für die eigene Replikation. Von der DNA geht also keinerlei Informationsfluss aus. Im Gegenteil kann man beliebige und komplett sinnfreie Nukleotidstränge darin replizieren lassen. Selbst wenn man das „Erbgut“ komplett wegließe, würden sich die Vesikel vermehren.

Einen Schritt weiter gehen möchte da Hannes Mutschler vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. „Wir wollen gerne lebensähnliche Systeme aus unbelebten Komponenten zusammenbauen“, erklärt der Leiter der Forschungsgruppe „Biomimetische Systeme“. Dazu gehört ein Genom, das für Proteine codiert, die wiederum die Replikation des Genoms steuern. „Unser Vorbild ist das zentrale Dogma der Molekularbiologie“, so Mutschler. Damit meint er die DNA als Informationsspeicher, die Proteine als Werkzeuge und die RNA als Zwischenschritt beim Realisieren der Information. Ein System, wie es sich Mutschler vorstellt, wäre also auch fähig zur Transkription und Translation.

„Bisher ist es noch nie gelungen, Leben von Grund auf neu zu erschaffen“, räumt Mutschler ein. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb fasziniert ihn die Bottom-up-Herangehensweise: Möglichst minimal beginnen und dabei nach und nach Komponenten zusammenbringen, die aus unbelebter Chemie lebensähnliche Abläufe machen. Im Februar haben Forscher um Mutschler nun ein System in Nature Communications vorgestellt, das zumindest in einem gewissen Rahmen in der Lage ist, sich selbst zu replizieren und dabei auch für die DNA-Replikation notwendige Proteine selber synthetisiert (11: 904).

Wie ein kleines Bakteriengenom

„Eigentlich haben wir keine besonders exotischen Komponenten kombiniert“, stellt Mutschler fest. Ein wesentlicher Bestandteil ist ein In-vitro-Translationssystem, das es erlaubt, Proteine außerhalb der Zelle quasi im Reagenzglas zu synthetisieren. „Da gibt es auch kommerzielle Anbieter, die das verkaufen, und wir haben so etwas für unsere Zwecke abgewandelt.“ Die DNA des Systems umfasst rund 116 Kilobasen und ist auf mehrere Plasmide verteilt. „Das Genom ist modular aufgebaut, man könnte sagen, es enthält viele kleine Chromosomen“, so der Martinsrieder Forscher. In diesem „Genom“ codiert sind auch rund dreißig Translationsfaktoren, die dann für ihre eigene Synthese aus der transkribierten RNA sorgen. Außerdem codiert und synthetisiert das System seine eigene Polymerase, die aus dem Phi29-Phagen stammt.

Alle Komponenten schwimmen frei in einem Reaktionsgefäß und sind nicht von einer Membran umschlossen. Und auch sonst bleibt das System derzeit noch weit vom biologischen Leben entfernt. Aber: „Wir haben immerhin die DNA-Replikation hinbekommen – etwas unreguliert, doch es funktioniert“, freut sich Mutschler. Im Gegensatz zu einer PCR muss man keine Temperaturzyklen fahren, sondern kann das gesamte Experiment bei dreißig Grad Celsius laufen lassen. Die DNA-Menge von insgesamt mehr als einhundert Kilobasenpaaren erreicht dabei die Größenordnung der Genome einiger endosymbiontischer Bakterien (Genome Biol. Evol. 5(9): 1675-88).

Auch Translation finde definitiv statt, betont Mutschler. „Das wissen wir, weil wir Aminosäuren mit Isotopen markiert und später in Proteinen gefunden haben.“ Im Diskussionsteil der Arbeit räumen die Autoren aber ein, dass derzeit nicht klar sei, welche der neu synthetisierten Proteine tatsächlich funktionell sind. Schließlich muss sich eine Aminosäurekette auch korrekt falten, und ebenso sind posttranslationale Modifikationen in biologischen Zellen keine Seltenheit.

„Für die Translation müssen wir auch Ribosomen von außen zugeben“, verweist Mutschler auf einen weiteren Punkt, der noch auf der To-do-Liste steht. „Derzeit extrahieren wir Ribosomen noch aus lebenden Zellen, weil uns andernfalls Komponenten fehlen, die wir noch nicht wirklich verstehen.“ Das Vorhaben, eine synthetische Zelle bottom up zusammenzubasteln, steht also erst am Anfang. Zudem gilt es zu bedenken, dass jedes biologische Leben ja bereits in einem zellulären Kontext startet. Von Beginn an ist schon Cytoplasma mit all seinen Bestandteilen vorhanden. „Das nachzubauen ist so, als ob man in ein fahrendes Auto einsteigt“, bringt es Mutschler auf den Punkt.

Eines Tages aber könnte man mit künstlich erschaffenen Zellen vielleicht auch technologische oder biomedizinische Verfahren optimieren, die mit rekombinanten Organismen nur schwer zu realisieren wären. „Denn in einem biologischen Organismus geht halt sehr viel Energie für einen Overhead an vielen zusätzlichen Prozessen drauf“, so Mutschler. Ein synthetisches Lebewesen hingegen würde man dann allein auf die gewünschte Aufgabe hin optimieren und hätte viel mehr Kontrolle über die einzelnen Prozesse.

Unperfekte Evolution

In diese Richtung denkt auch Tobias Erb und lässt sich dabei von der Photosynthese der Pflanzen inspirieren. Der Leiter der Abteilung „Biochemie und Synthetischer Metabolismus“ am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg findet, dass die Evolution nicht für jedes Problem auch die perfekte Lösung bietet. „Die Natur ist am Anfang sehr kreativ, aber wenn sie eine Lösung findet, bleibt sie dabei und versucht, diese eine Methode zu optimieren“, analysiert Erb die Ergebnisse natürlicher Selektionsprozesse. „Von da an gelingt der Natur aber nur sehr selten der Sprung in eine komplett neue Lösung.“

hg_20_06_03b
Zukunftsmusik: Photovoltaik-Anlagen gekoppelt mit künstlichen Chloroplasten. Foto: Pixabay/Antranias

Auch bei der Photosynthese macht Erb solche Schwachstellen aus. „Die Pflanze wandelt nur rund ein Prozent der Sonnenenergie in für uns verfügbare Biomasse um – Solarzellen schaffen zwanzig Prozent.“ Jedoch sei es bislang schwer, die über Photovoltaik eingefangene Energie auch zu speichern. „Sie können damit Wasserstoff herstellen und haben darin noch etwa sechs Prozent der Sonnenenergie gespeichert“, so Erb. „Aber wir kennen bislang kein effizientes Verfahren, um damit CO2 aus der Atmosphäre in organischen Molekülen zu binden.“

Beim Anreichern von CO2 haben die Pflanzen demnach die Nase vorn. Sie können das Gas aus der Atmosphäre aufnehmen und in den Chloroplasten konzentrieren. Der Kohlenstoff wird dann im Calvinzyklus reduziert letztlich zu Biomasse verbaut. Das hierfür notwendige Enzym Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase – besser bekannt unter dem Namen RubisCO – sei aber recht fehleranfällig, weiß Erb. „Sie ist einerseits langsam und macht andererseits Fehler. Und verbessert man ihre Geschwindigkeit, erhöht man auch die Fehlerrate.“ Aus diesem Dilemma komme man nicht heraus. Das Phänomen ist als Photorespiration bekannt – dabei bindet die RubisCO Sauerstoff anstatt CO2, und diese Fehlerrate kann bis zu zwanzig Prozent betragen.

Allerdings kennt man effizientere Carboxylasen aus Bakterien. Erb und seine Kollegen haben sich ein solches Enzym aus Methylobacterium extorquens geborgt, eine Enoyl-CoA-Carboxylase/Reduktase – kurz: ECR. Die Marburger hatten schon vor Jahren begonnen, am Calvinzyklus herumzutüfteln, um den Kohlenstoff statt über die RubisCO mithilfe der bakteriellen ECR zu fixieren. Heraus kam letztlich ein komplett neuer Zyklus, für den Erbs Team erst passende Enzyme zusammenstellen musste. Die Forscher hatten sich aus insgesamt neun verschiedenen Organismen bedient; einige Proteine wurden auch noch im Labor weiter optimiert. 2016 stellten die Stoffwechseltüftler dann ihren „CETCH-Zyklus“ vor (Science 354 (6314): 900-4). „Wir wollten ein Akronym, das ‚catchy’ klingt“, spielt Erb auf die Phonetik des Namens an. Ausgeschrieben liest sich das Ganze etwas umständlicher: Crotonyl-CoA/Ethylmalonyl-CoA/Hydroxybutyryl-CoA-Zyklus.

Bislang ist es noch nicht gelungen, diesen aus 17 Enzymen designten Stoffwechselweg vollständig in E. coli oder gar einer eukaryotischen Zelle zu implementieren. Allerdings funktioniert die Reaktion in vitro und fixiert CO2 um zwanzig Prozent effizienter als der natürliche Calvinzyklus. „Wir waren naiv genug, die 17 Enzyme einfach zusammenzuwerfen“, scherzt Erb im Rückblick auf die damaligen Experimente. Denn schließlich ist es schon für eine biochemische Kaskade aus zwei oder drei Reaktionsschritten nicht selbstverständlich, dass diese unter denselben Bedingungen ablaufen; in einer biologischen Zelle gibt es schließlich auch abgegrenzte Zonen und eigene Organellen für einzelne Reaktionsschritte. Für CETCH ist genau das aber gelungen. „Da stehen sieben bis neun Jahre Laborarbeit drei Milliarden Jahren Evolution gegenüber“, freut sich Erb.

Erweiterter Code

Eine Übersicht über die Entwicklung des CETCH-Zyklus hat Erb zusammen mit seinen Kollegen Iria Bernhardsgrütter und Gabriele Stoffel Anfang des Jahres veröffentlicht (BIOspektrum 26: 24-7). Außerdem, so verrät Erb, habe man den CETCH-Zyklus abgewandelt und auf sechzig Enzyme erweitert. Demnach sind die Marburger nun in der Lage, direkt das Vorläufermolekül eines Antibiotikums aus CO2 zu synthetisieren. „Die Reaktion läuft in Vesikeln ab und wird von der Photosynthese-Maschinerie aus Spinatzellen gespeist.“ Ergebnisse hierzu hat das Team kürzlich in Science veröffentlicht (368 (6491): 649-54.

Den CETCH-Zyklus könne man auch direkt mit elektrischem Strom antreiben – an einer Elektrode entsteht dann NADPH als Reduktionsmittel für die CO2-Fixierung. Auf diese Weise lässt sich CETCH auch mit Photovoltaik koppeln, sodass man einerseits Sonnenlicht effizient einfängt und andererseits die Vorteile biologischer Katalysatoren zur CO2-Fixierung nutzt. Vielleicht stellen wir also irgendwann einmal Biotreibstoff direkt aus Luft und Licht her – mithilfe synthetischer Chloroplasten.

Auch an den elementaren Bausteinen des Lebens lässt sich herumschrauben. So ist es inzwischen möglich, den genetischen Code zu erweitern und so Proteine mit nicht-natürlichen Aminosäuren zu synthetisieren. Dafür greift man gern auf ein Basentriplett zurück, das eigentlich als Stopp-Codon dient: das Amber-Codon. Dieses kommt nämlich zumindest in E. coli von allen Stopp-Codons am seltensten zum Einsatz. Außerdem benötigt man eine von der Wirtszelle evolutionär möglichst weit entfernte tRNA-Synthetase, die so optimiert ist, dass sie die gewünschte nicht-natürliche Aminosäure erkennt und an die (ebenfalls artfremde) tRNA anfügt – deren Anticodon natürlich zum Amber-Triplett komplementär sein muss. Fortan steht das Amber-Triplett im Genom für die neue Aminosäure.

In der Praxis lauern aber immer wieder Tücken beim erweiterten genetischen Code, weiß Christopher Reinkemeier. „Wir arbeiten hier viel mit Säugerzelllinien“, erklärt er, „und in menschlichen Zellen sind immerhin zwanzig Prozent aller Stopp-Codons Amber-Codons.“ Reinkemeier bastelt am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg nicht nur am genetischen Code, sondern auch an seiner Doktorarbeit. Die Arbeitsgruppe seines Doktorvaters Edward Lemke untersucht eigentlich die Struktur von Proteinen und markiert gern einzelne Proteinabschnitte per Fluoreszenz. GFP ist dafür ungeeignet, da es meist nur an eines der Enden des Proteins fusioniert werden kann.

Die Alternative: Man markiert das Protein mit einer einzelnen nicht-natürlichen Aminosäure, an die später ein Fluoreszenzfarbstoff bindet. „Im Prinzip kann man so das gesamte Protein abklappern“, erklärt Reinkemeier. „Nun stellen Sie sich aber vor, dass ein Fünftel aller Proteine wegen ihres Stopp-Codons ebenfalls diese Aminosäure angehängt bekommen können“, bremst er die Begeisterung. Denn dann kommt es zu einem starken Hintergrundsignal. Eine Lösung für dieses Problem präsentierte der EMBL-Forscher zusammen mit seiner Kollegin Gemma Estrada Girona und mit Lemke vor einem Jahr in Science (363 (6434): eaaw2644).

Die Forscher sorgten dafür, dass sich die Moleküle zusammenfinden, die für die Synthese des markierten Proteins erforderlich sind. Reinkemeier und Kollegen hatten die zugehörige mRNA um eine Sequenz verlängert, die eine Hairpin-Struktur bildet – mit Spezifität zum Protein MCP. Und sowohl an MCP als auch an die artfremde tRNA-Synthetase war ein Assemblierungsprotein fusioniert. Dadurch lagerten sich diese Proteine und beide RNAs zusammen. „Es kommt dann zu einer Phasentrennung“, erklärt Reinkemeier. So entsteht ein eigenes Organell – ganz ohne Begrenzung durch eine Membran. Trifft das Organell auf ein Ribosom, wird dort fast ausschließlich das mit der nicht-kanonischen Aminosäure markierte Protein synthetisiert, weil andere mRNAs außerhalb dieser Phase bleiben. Und umgekehrt: In Ribosomen außerhalb des Organells werden die anderen ­mRNAs translatiert, ohne dass fremde beladene tRNA in der Nähe ist. Amber-Codons werden dort also nicht unterdrückt, sondern wie üblich als Stopp-Codon interpretiert.

Die Beispiele zeigen, dass die Community der synthetischen Biologie derzeit viele kreative Ideen entwickelt und ausprobiert. Dabei lernt man nebenher so einiges über das durch natürliche Evolution entstandene Leben – und wie schwer es dann doch ist, dessen Komponenten synthetisch nachzubasteln. Von einer wirklich synthetischen Zelle, die die Kriterien eines Lebewesens erfüllt, sind wir derzeit nämlich noch weit entfernt. Und auf dem Weg dorthin werden sich auch noch philosophische und ethische Fragen stellen.



Letzte Änderungen: 08.06.2020