Editorial

Wege zur Schleimhautimmunität

Im Corona-Gespräch: Reinhold Förster, Hannover

Das Interview führte Mario Rembold (8.8.22)


(06.09.2022) Wir werden mit Corona leben müssen, und es gibt keinen Vollkasko-Schutz gegen SARS-CoV-2. Dennoch sind wir durch die Impfungen ganz gut geschützt, sagt der Immunologe Reinhold Förster. Künftig könnten inhalative Vakzine besonders die Immunität auf den Schleimhäuten verbessern.

Laborjournal: Plötzlich ist das Thema „Schleimhautimmunität“ in „aller Munde“ – um an dieser Stelle dieses Wortspiel im doppelten Sinne zu bedienen. Vor der Corona-Pandemie habe ich das nie wahrgenommen. Es schien für die Impfstoffentwickler keine Rolle zu spielen. Und anscheinend haben sich auch nur wenige Forscher dafür interessiert, wodurch man wie lange gegen Erkältungsviren immun wird. Da sind ja bei der Schleimhautimmunität die Immunglobuline A, kurz: IgA, besonders wichtig.

Reinhold Förster » Durch SARS-CoV-2 ist die mukosale Immunität des Respirationstrakts natürlich deutlich mehr in den Fokus gerückt. Aber es gab auch vorher schon viele grundlegende Arbeiten dazu. Worauf man sich tatsächlich weniger fokussiert hatte, war, Vakzine zu entwickeln, die man so verabreicht, dass sie eben eine Schleimhautimmunität direkt im Respirationstrakt induzieren. Die Herausforderung dabei ist, dass man den Impfstoff inhalieren muss. Das macht die Applikation natürlich ungleich aufwendiger als eine intramuskuläre Spritze.

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Foto: Adobe Stock/PixieMe

Müsste nicht eigentlich der Weg über den Respirationstrakt recht simpel sein? Echte Erkältungsviren machen es ja genauso. Also braucht man doch bloß ein Trägervirus, das in die Schleimhautzellen eindringt, um dort entweder das Antigen oder alternativ DNA oder RNA zur Synthese des Antigens freizusetzen. Und die Immunreaktion findet direkt am richtigen Ort statt.

Förster » Ja und nein. Das Nein im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen entwickeln Sie gegen den Vektor natürlich ebenfalls eine Immunität. Das kann dazu führen, dass der Vektor seine Zielzellen gar nicht erst infiziert, und somit auch seine genetische Information nicht abgelesen wird. Dann bekommen Sie keine Immunantwort auf das eigentliche Antigen. Insbesondere von Adenoviren und Adeno-assoziierten Viren wissen wir, dass viele Menschen hiergegen bereits kreuzreagierende Antikörper haben.

Der zweite Punkt betrifft die Dauer der Applikation. Darüber kann ich aus eigener Erfahrung berichten, weil wir hier momentan für eine klinische Phase-1-Studie einen Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 inhalativ applizieren. Das ist zeitlich aufwendiger. Bei uns dauert das ungefähr eine Viertelstunde. In dieser Zeit nimmt der Proband über ein Mundstück den Impfstoff als einen Nebel auf. Das braucht einfach seine Zeit. Bei der Spritze sind Sie mit Desinfektion und Piksen spätestens nach einer Minute mit allem durch.

Zuletzt hatte ich nur von Studien an Tiermodellen gehört. Doch dass bereits klinische Studien laufen, war mir nicht klar.

Förster » Es gibt noch einige andere Studien zu inhalativen Impfstoffen, die sich bereits in Phase 1 befinden. Wir arbeiten hier auf Basis des modifizierten Vacciniavirus Ankara oder kurz: MVA. Den hat die Gruppe um Gerd Sutter an der Ludwig-Maximilians-Universität München in den vergangenen 30 Jahren etabliert. MVA ist bereits in einer Phase-1-Studie für intramuskuläre Applikation getestet worden, und bei uns läuft nun die inhalative Studie.

Könnte solch ein inhalativer Corona-Impfstoff mit einer besseren und länger anhaltenden Schleimhautimmunität schon in den nächsten ein bis zwei Jahren verfügbar sein?

Förster » Das wird man sehen. Die COVID-19-Situation hat das ganze Feld natürlich ziemlich beflügelt. Auf der anderen Seite gibt es für die inhalative Applikation keine schnelleren Zulassungswege, weil dort wirklich alles neu ist. Dazu braucht es wieder Toxizitätsstudien und Daten zur Wirksamkeit aus Tieren. Deshalb hat das etwas länger gedauert, bis wir mit der Vorklinik durch waren. Zwischenzeitlich hatten wir Gott sei Dank schon eine breite Impfkampagne, wobei wir jetzt wieder hohe Infektionszahlen haben. Beides macht es uns heute natürlich sehr schwer, Probanden zu finden, die weder geimpft sind noch jemals Kontakt zum Virus hatten. Somit ist die Durchführbarkeit der Studie nicht so ganz einfach.

Also mussten Sie wahrscheinlich auf Probanden zurückgreifen, die schon in irgendeiner Form Kontakt zu SARS-CoV-2-Antigenen hatten.

Förster » Ja. Ursprünglich wollten wir mit immunologisch naiven Menschen arbeiten, also die weder geimpft noch infiziert waren. Aber das Vorhaben mussten wir dann doch anpassen, um überhaupt noch sinnvoll Probanden rekrutieren zu können. Nun geht es in einer Phase-1-Studie natürlich erstmal um ganz grundlegende Daten: Wie immunogen wirkt die Applikation? Wie viele Antikörper finden wir nachher auf den Schleimhäuten? Und natürlich geht es um die Verträglichkeit, denn es gibt ja noch nicht viele Studien zur inhalativen Applikation.

Können Sie denn schon einen Ausblick geben anhand der präklinischen Daten?

Förster » Dazu hatten wir vergangenes Jahr Ergebnisse publiziert (Front. Immunol. 12: 772240). Wir haben das in Mäusen und Hamstern inhalativ verabreicht. Und die waren komplett geschützt. Wir haben wahnsinnig hohe Antikörper-Titer direkt in den Lungen gehabt. Und das ist ja das Ziel einer inhalativen Applikation: Dass es Plasmazellen gibt, die IgA sezernieren und in den Atemwegen sitzen, damit das Virus neutralisiert wird, bevor es Zellen infizieren kann.

Aber das setzt natürlich auch voraus, dass sich die Viren nicht so verändert haben, dass sie den Antikörperschutz umgehen können. Und das ist ja momentan gerade mit Omikron der Fall. Wir alle wissen, dass selbst die Infektion mit der einen Omikron-Variante nicht gut vor Infektionen mit der nächsten Omikron-Variante geschützt hat.

Ihre Gruppe erhob dazu damals immunologische Daten an Menschen, die sich mit dem Wuhan-Stamm infiziert hatten (Front Immunol, 13: 863039). Die Antikörper gingen deutlich hoch, und das hielt über mehrere Monate an. Dann aber gingen sie auch wieder zurück. Das hat sich dann auch in anderen Studien und für andere Varianten bestätigt. Selbst wenn man einen Impfstoff also direkt auf die Schleimhäute gibt und damit den Infektionsweg des echten Virus besser simuliert, kann man wohl auch nur wenige Monate davon profitieren. Vielleicht etwas länger als bei der Gabe in den Muskel, aber trotzdem nur vergleichsweise kurz.

Förster » Die Antikörper werden ganz sicher wieder zurückgehen. Das ist das Prinzip einer Immunantwort, denn energetisch wäre es viel zu aufwendig, für jeden beliebigen Erreger hohe Antikörpertiter zu halten – selbst wenn der Organismus diesen vielleicht jahrzehntelang nicht mehr gesehen hat. Aber Sie haben dann natürlich auch die Gedächtniszellen, die bereits zu IgA geswitcht sind. Nach einer erneuten Exposition – zum Beispiel nach der Infektion mit dem echten Virus – müssen die nicht mehr erst die Klassenwechsel und Affinitätsreifung durchlaufen und ständen viel schneller zur Verfügung. Auch das wird möglicherweise begrenzt sein. Wir können momentan also nicht davon ausgehen, mit zwei oder drei Immunisierungen ein Leben lang vor SARS-CoV-2 geschützt zu sein.

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Reinhold Förster leitet das Institut für Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover und sitzt außerdem im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Foto: MHH

Ehrlicherweise: Das hatte 2020 ja auch niemand versprochen, als die ersten Impfstoffe in der Entwicklung waren. Es wurde damals immer betont, dass es wahrscheinlich keine dauerhafte Immunität gibt, aber einen Schutz vor schweren Verläufen. Und diese Hoffnung hat sich ja zum Glück bislang erfüllt. Trotzdem gibt es diese Verunsicherung, dass man nach dreifacher Impfung noch immer erkrankt. Und dass ein sogenannter „milder Verlauf“ eben trotzdem bedeuten kann, viele Tage krank im Bett zu liegen. Hinzu kommt Long-COVID, von dem wir noch gar nicht wissen, wie gut hier die Impfungen schützen. Einige Menschen sind frustriert, wenn sie das Gefühl haben, jetzt trotz der Impfungen wieder genauso vorsichtig sein zu müssen wie zu Beginn der Pandemie.

Förster » Da sprechen Sie wichtige Fragen an. Es gibt aber schon eine Reihe von gesicherten Daten, dass die Impfung uns schützt. Da muss man sich nur mal die Situation in China anschauen, wo es vor kurzem diese massiven Omikron-Ausbrüche gegeben hat, bei denen die Krankenhäuser „vollliefen“ – und dort wurden ja nicht die sehr wirkungsvollen Impfstoffe eingesetzt, die es in Europa gab. Dort waren wieder die älteren Menschen und Risikopatienten betroffen. Das haben wir hier bei uns mit Omikron in dieser Größenordnung nicht mehr. Das alles zeigt uns, dass die Impfung nach wie vor zu einem hohen Prozentsatz vor einem schweren Verlauf schützt. Aber wenn ich sage, dieser Schutz beträgt 95 Prozent, bedeutet das natürlich trotzdem: Von 20 Menschen, die ohne Impfung schwer erkrankt wären, wird einer noch immer schwer erkranken, trotz der Impfung. Es gibt also keinen absoluten Schutz, das ist leider so.

Über Long-COVID wissen wir tatsächlich noch wenig, auch was die Kausalitäten betrifft und zu welchen bleibenden Schäden das führen kann. Aber bisher können wir schon davon ausgehen, dass man mit einer Impfung auch vor Long-COVID besser geschützt ist als ohne Impfung.

Den Vollkasko-Schutz gibt es also nicht. Aber die Impfung ist nach wie vor dringend zu empfehlen?

Förster » Ja, die Deutsche Gesellschaft für Immunologie sagt deshalb: Dreimal geimpft oder zweimal geimpft und einmal infiziert bietet einen guten Schutz vor schweren Verläufen. Wir haben uns aber auch schwer getan, dem Gesundheitsminister inhaltlich zu folgen, als zeitweise der Eindruck vermittelt wurde, er empfehle allen Menschen eine vierte Impfung. Dafür sind uns die Daten zu dünn.

Dazu höre ich momentan von eigentlich allen Immunologen, dass sie auf die Empfehlungen der STIKO verweisen, die ja beim Prüfen solcher Daten als sehr sorgfältig gilt.

Förster » Richtig, das sehen wir auch so. Die STIKO ist ja im Robert-Koch-Institut angesiedelt, das wiederum das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde hat. Wenn dann das Ministerium etwas anderes empfiehlt als die Kommission, die extra dafür eingerichtet wurde, dann finde ich das schon bemerkenswert. Aber natürlich berücksichtigt die STIKO allein die wissenschaftlichen Aspekte, und der Gesundheitsminister hat darüber hinaus auch die politischen Aspekte zu berücksichtigen.

Der zweite Booster nach einem halben Jahr erhöht ja auch erstmal die Antikörper, somit würde ich mich mit einer vierten Impfung doch etwas sicherer fühlen. Andererseits: Würde ich mich jetzt erneut boostern, und dann steht in wenigen Wochen der auf Omikron angepasste Impfstoff zur Verfügung, dann bringt mir eine weitere Impfung in einem so kurzen Abstand immunologisch wahrscheinlich gar nichts oder nur sehr wenig. Da wäre es wohl besser, jetzt noch etwas vorsichtig im Alltag zu sein und sich stattdessen mit dem Impfstoff-Update zu boostern, oder?

Förster » Genau. Jetzt kann man fragen, warum dieser angepasste Impfstoff nicht längst zugelassen ist. Aber die Behörden tun sich heute natürlich deutlich schwerer mit der Zulassung eines Impfstoffs gegen COVID-19 als noch vor zwei Jahren. Denn damals gab es noch keinen Impfstoff. Jetzt muss jeder neue Impfstoff nicht nur zeigen, dass er vor schweren Verläufen schützt, sondern auch, dass er besser wirkt als die anderen Impfungen und kein höheres Risiko mitbringt. Das ist wahnsinnig schwierig, und deshalb haben wir momentan so eine Hängepartie.

Ich halte die Empfehlung der STIKO für vollkommen richtig: Über 70-Jährige [Anm. d. Red.: STIKO empfiehlt mittlerweile ab 60 Jahren] und Menschen mit besonderen Risiken sollten sich schon jetzt in den Herbst hinein ein viertes Mal impfen lassen. Denn die dritte Impfung ist dann ja bereits fast ein Jahr her, und das ergibt dann absolut Sinn. Sich aber alle drei oder vier Monate impfen zu lassen, ist momentan nach meinem Dafürhalten durch gar nichts gerechtfertigt.

Bei allen anderen Menschen, die dreimal geimpft sind, bin ich relativ entspannt. Hier würde ich zum Abwarten raten. Zumal sich unter den dreifach Geimpften ein erheblicher Anteil jetzt im Sommer infiziert hat. Viele haben das gar nicht mitbekommen.

Kann man tatsächlich noch davon ausgehen, dass eine Infektion unbemerkt abläuft? Ich weiß von vielen im Bekanntenkreis, die trotz dreifacher Impfung ordentlich Symptome hatten.

Förster » Wir haben jetzt gerade eine Studie fertig hier an der MHH, für die wir uns im Frühjahr Impfdurchbrüche angeschaut haben. Es gab einen erheblichen Anteil derer, die im März glaubten, noch nicht infiziert gewesen zu sein, tatsächlich aber eine Infektion durchgemacht hatten [Anm.: Von einer Impfung lässt sich die Immunantwort nach Infektion unterscheiden, indem man Antikörper nicht nur gegen Spike, sondern auch gegen Nukleokapsid bestimmt]. Die Immunantwort derjenigen, die sich dann infiziert hatten, war sogar breiter aufgestellt, sie hatten deutlich mehr Antikörper.

Auch hier war die Impfung von Vorteil. Die einmalige Infektion mit Omikron ohne Impfung löst nämlich eine viel schwächere Immunantwort aus. Oft konnte man gar keine Antikörper messen. Wir haben das den Sommer über mit der zweiten Omikron-Welle nicht weiterverfolgt, aber ich gehe davon aus, dass viele Menschen mit dem Virus infiziert waren, und dass diejenigen, die dreifach geimpft waren, jetzt auch erstmal viele Antikörper besitzen.

Wobei man auch von dreifach Geimpften hört, die trotzdem im Sommer gleich zweimal an Corona erkrankt sind.

Förster » Wie gesagt, es geht nicht darum, Infektionen zu verhindern. Das werden wir nicht vermeiden können, damit müssen wir leben. Wir wissen eben, dass die Antikörper gegen BA.1 nicht gut vor BA.2 und BA.5 schützen. Es geht darum, nicht schwer zu erkranken und keine bleibenden Schäden zurückzubehalten.

Was konkret bedeutet das für den Alltag und die Rückkehr zur Normalität? Einerseits heißt es, wir müssen regelmäßige Infektionen zulassen, um sowohl individuell als auch gesellschaftlich eine Immunität zu generieren und zu erhalten. Zugleich wird davor gewarnt, sich leichtfertig dem Erreger auszusetzen. Auch das kann ich nachvollziehen, denn es ist ja ethisch nicht vertretbar, jemandem zu raten, sich gezielt mit einem Krankheitserreger zu infizieren. Dennoch ist die Botschaft insgesamt widersprüchlich!

Förster » Aber beides stimmt natürlich. Die Empfehlung, sich mit einem Virus zu infizieren, das schwer krankmachen kann, ist ethisch nicht vertretbar! Punkt! Auf der anderen Seite erleben wir aber auch, dass wir ohne kontinuierliche Infektion kein normales Leben zurückbekommen. Die Alternative wäre, wieder in einen Lockdown zu gehen oder wieder überall Maskenpflicht einzuführen und Kontakte massiv zu reduzieren. Doch die Konsequenzen, die das hätte, sind wohl noch viel gravierender.

Aber Menschen, die sich individuell schützen wollen, können das ja weiterhin tun. FFP2-Masken schützen sehr gut vor Infektionen. Und wer sein Risiko für besonders hoch hält, dem steht ja die Möglichkeit einer vierten Impfung offen.

Also Eigenverantwortung?

Förster » Absolut. Wie soll es anders gehen?

Auf Twitter verfolgte ich kürzlich eine Diskussion, in der jemand argumentierte, man dürfe das nicht so weiterlaufen lassen. Der R-Wert müsse unter 1 gebracht werden.

Förster » Aber das wird nicht gehen. Klar, nach einer Welle geht der Wert eine Zeit lang unter 1, wenn eine Variante einmal durch ist. Dann sind die meisten Menschen eine Weile geschützt. Aber wie wir eben schon besprochen haben: Der Schutz verliert sich nach ein paar Monaten – spätestens, wenn die nächste Variante da ist. Wir haben die Impfstoffe, wir haben inzwischen Medikamente, die einigermaßen wirken, und der Rest ist Eigenverantwortung. Ich jedenfalls glaube nicht, dass die Gesellschaft unter den jetzigen Bedingungen noch einmal einschneidenden Maßnahmen zustimmen wird. Das mag sich natürlich innerhalb kürzester Zeit ändern, falls neue Varianten auftreten, die unsere bisherige Immunantwort komplett unterlaufen und genauso krankmachend sind, wie das zu Beginn der Pandemie der Fall war. Doch momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass solche Maßnahmen irgendeine Akzeptanz finden.

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Manche erkranken trotz Dreifach-Impfung mehrmals an COVID-19, andere infizieren sich überhaupt nicht. Die Blutgruppe und ein Gencluster auf dem Chromosom 3 könnten dafür verantwortlich sein. Foto: Pixabay/Alexandra_Koch

Hat es sich eigentlich bestätigt, dass einige Menschen von Geburt an besser vor COVID-19 geschützt sind als andere? Da wurde ja mal die Sache mit den Blutgruppen diskutiert, und Blutgruppe Null sollte ein um einige Prozent verringertes Risiko für schwere Verläufe bedingen, oder auch dafür, sich überhaupt zu infizieren.

Förster » Ja, dazu gibt es inzwischen ein paar Studien, die bei mehr oder weniger gleichen Ergebnissen landen. Und das AB0-System der Blutgruppen ist ein relevanter Faktor. Wie das aber kausal zusammenhängt, darüber kann man nur spekulieren. Andere Studien zeigen, dass es auf Chromosom 3 ein 50-Kilobasen-Cluster gibt, das wir von den Neandertalern bekommen haben. Das führt dazu, dass man schwerer an COVID-19 erkranken kann. Dazu gab es eine interessante Studie in Nature (587(7835): 610-2). Es zeigte sich, dass dieses Cluster unterschiedlich stark in einzelnen Regionen der Welt vertreten ist, besonders stark in Bangladesch, wo 63 Prozent der Menschen Kopien dieses Clusters tragen. Das muss dort irgendwelche Vorteile gehabt haben, vielleicht hat es vor anderen Infektionen geschützt. Schaut man sich jedoch die Frequenz der Todesfälle zu COVID-19 in England an, dann sieht man: Menschen aus Bangladesch sind zweimal häufiger verstorben als andere Gruppen der Bevölkerung.

Und was macht dieses Cluster?

Förster » Das ist ja der Punkt: Wir wissen es nicht. Das alles sind ja nur genomische Assoziationen. Dort liegen beispielsweise Gene, die für Chemokin-Rezeptoren codieren, die ja im Immunsystem sehr wichtig sind. Der nächste große Schritt wäre, den Zusammenhang zur Pathogenese zu finden. Dazu kann man momentan aber nur spekulieren.

Was wir aber unabhängig von diesen genomischen Arbeiten wissen: Die Interferon-Antwort ist ganz wichtig. Es gibt Menschen, die total schnell mit Interferon reagieren, und andere machen langsame und niedrige Interferon-Antworten. Wir sprechen von High-Respondern und Low-Respondern. Es hat sich inzwischen gezeigt, dass Kinder sehr schnell sehr hohe Mengen von Typ-1-Interferonen im oberen Respirationstrakt produzieren. Das war eine erste Erklärung, warum Kinder weniger an Corona erkranken.

Das frage ich mich überhaupt sehr oft: Wir Erwachsenen hatten ja schon Zeit, uns eine Immunität zu erarbeiten. Doch Kinder kommen mit einem Erreger das erste Mal in Kontakt und überstehen das meistens trotzdem ganz gut. Dann liegt es also unter anderem am Interferon, dass ihre Virusabwehr über das angeborene Immunsystem früher anschlägt?

Förster » Da muss man vorsichtig sein mit Verallgemeinerungen. Man weiß, dass die Immunantworten von Kindern schneller ablaufen und die Amplituden höher sind. Das ist das, was sie schützt. Doch genau das war auch der Grund, warum an der Spanischen Grippe besonders die jungen Menschen verstorben sind. Hier war also gerade das Überschießen des Immunsystems problematisch. Es ist also eine Frage der Balance und kommt sehr drauf an. SARS-CoV-2 triggert das kindliche Immunsystem also offenbar gerade so gut, dass sie den Erreger optimal neutralisieren können. Bei anderen Erregern kann das aber anders sein.