Editorial

Altbewährtes Allerlei

Sigrid März


MAINZ: Bienenwolflarven imprägnieren ihren Kokon mit Antibiotika-produzierenden Streptomyceten und halten sich auf diese Art lästige Schimmelpilze vom Leib. Mainzer Biologen fanden heraus, dass sich das Gemisch verschiedener Antibiotika seit Jahrmillionen bewährt. Winkt hier eine Strategie gegen multiresistente Humanpathogene?

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Bienenwölfe kultivieren seit Jahrmillionen Streptomyces-Arten in ihren Antennendrüsen für die „hauseigene“ Antibiotika-Produktion. Foto: Martin Kaltenpoth

Bienenwölfe (Gattung Philanthus) sind solitär lebende Grabwespen mit weit über einhundert bekannten Arten weltweit. Die ausgewachsenen Insekten ernähren sich von Pflanzennektar, für ihren Nachwuchs werden Bienenwolf-Weibchen indes zum Jäger: Eine blitzschnelle Giftinjektion lähmt das Bienen-Opfer, sodass die Grabwespe die nur minimal kleinere Biene ohne große Gegenwehr in dem eigens für die Kleinen gegrabenen Nest deponieren kann.

Die frisch geschlüpften Larven finden somit reichlich tierische Nahrung, um alsbald in einem selbst fabrizierten Kokon zu überwintern und im Frühjahr als neuer Bienenwolf zu schlüpfen – sofern, und da liegt der Hase im Pfeffer, die vor sich hin dämmernde Larve bis dahin nicht verschimmelt ist. Denn in einer feuchten Höhle fühlen sich auch Schimmelpilze pudelwohl. Die meisten Bienenwölfchen erblicken aber bei bester Gesundheit das Tageslicht. Wie das?

Bereits vor über zehn Jahren fanden Martin Kaltenpoth und sein damaliger Doktorvater, Bienenwolf-Pionier Erhard Strohm, heraus, dass die Damen des Europäischen Bienenwolfs (P. triangulum) bestimmte Streptomyceten (Streptomyces philanthi) in ihren Antennendrüsen kultivieren (Curr. Biol. 15: 475-9). Nach der Eiablage schmieren sie die Bakterien großzügig an die Wände der Brutkammer. Die Larven wiederum sammeln die Mikroben ein und packen sie auf die feinen Fäden ihres Kokons. Dort auf Diät gesetzt fahren die Streptomyceten ihre Antibiotikaproduk­tion hoch und halten so Schimmelpilz und Co. in Schach. Ein solches Phänomen nennt sich Verteidigungssymbiose.

Laborkompatible Grabwespen

Es ist wahrscheinlich, dass auch andere bodenlebende beziehungsweise bodenbrütende Insekten auf Strategien wie diese zurückgreifen: „Der Bienenwolf ist ein guter Repräsentant für alle möglichen Insekten, die einen Großteil ihres Lebens im Untergrund verbringen und dort Kontakt mit unterschiedlichen Mikroorganismen, vor allem aber Schimmelpilzen haben,“ sagt Tobias Engl. Engl studierte erst Chemie, dann Biologie in Regensburg und traf dort zur Promotion im Labor von Erhard Strohm auf Martin Kaltenpoth und die Bienenwölfe. Später folgte er Kaltenpoth nach Jena und nun Mainz, wo er an der Johannes Gutenberg-Universität am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie als Juniorgruppenleiter forscht.

Ein essentieller Schritt für den Bienenwolf zum Modellorganismus war laut Engl, dass es Strohm gelang, die Tiere im Labor zu halten und zu beobachten. Denn Letzteres ist bei Bodenbewohnern erwartungsgemäß schwierig, auch aufgrund der vielen komplexen Interaktionen und Faktoren, die in der Natur auftreten.

Da kam die laborkompatible Bienenwolf-Streptomyces-Symbiose gerade recht.

Keine Zufalls-Symbiosen

Bereits 2010 zeigten Kaltenpoth und Co., dass die Streptomyceten den Schimmelpilzen mit einem komplexen Antibiotika-Gemisch aus Streptochlorin (Angiogenese-Inhibitor) und acht Piericidin-Derivaten (NADH-Dehydrogenase-Hemmer) zu Leibe rücken (Nat. Chem. Biol. 6: 261-3). Aber: Sind diese Gemische weltweit ähnlich? Oder haben sich im Laufe der Evolution lokale Unterschiede entwickelt? Dieser Frage gingen Erstautor Engl, Seniorautor Kaltenpoth und Kollegen in ihrer aktuellen Studie nach, die sie jüngst in PNAS veröffentlichten (115: E2020-9). Dafür verglichen sie Antibiotika-Gemische von 25 Arten und Unterarten der Grabwespen aus Afrika, Eurasien und Nord- sowie Süd-Amerika: Metha­nol­extrakte von wahlweise Bienenwolfantennen oder -kokons enthalten komplexe Substanzgemische, die zunächst in der Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) entzerrt werden. Derart vereinzelt und mittels Elektrosprayionisation (ESI) ionisiert bekommen die Substanzen im Massenspektrometer (MS) eine Summenformel zugeteilt. „Damit haben wir eine grundlegende Idee, womit wir‘s zu tun haben“, so Engl, gibt jedoch zu bedenken: „Aber im Prinzip kann es für jede Summenformel ein Dutzend möglicher Kandidaten geben. Deshalb nutzen wir MS/MS.“

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Alten Antibiotika-Strategien auf der Spur: Tobias Engl (links), Martin Kaltenpoth (rechts) Foto: Sigrid März

Nach dem ersten MS-Schritt werden die Vorläufersubstanzen in einer Ionenfalle gespeichert, um sie zu fragmentieren. Die meisten Substanzen brechen an charakteristischen Stellen auseinander, wie beispielsweise kurz nach einem Ringsystem wie beim Piericidin. So ergeben sich in der Tandem-Massenspektrometrie spezifische Fragmentmuster, die ein Hinweis auf Substanzderivate sind. Neben Streptochlorin und Piericidin identifizierten die Forscher noch 49 weitere antibiotisch aktive Substanzen.

Nun galt es, diese Mischungen geografisch und/oder verwandtschaftlich nahestehenden Symbionten-Wirt-Duos zuzuordnen. „Wir hatten bereits entdeckt, dass eine Bienenwolfart nicht irgendeinen beliebigen Symbionten hat, sondern einen, der meist nah verwandt ist mit dem, den auch ihre Schwesterart trägt“, fasst Engl Studienergebnisse aus dem Jahr 2014 zusammen. Allerdings sei es auch immer wieder zum Austausch von Symbionten gekommen, zum Beispiel wenn verschiedene Bienenwolf-Arten sich ein Habitat teilen. Bleiben Streptomyceten nach erfolgter Brut im Boden zurück, nehmen nachfolgende Mütter oder Larven einer anderen Art diese unter Umständen auf. Es sei also zu erwarten gewesen, dass einige Symbionten im Laufe der Evolution neue Antibiotikaklassen in ihr Repertoire aufgenommen hätten. „Deswegen haben wir die Antibiotika-Gemische zum einen mit der Wirts- und der Symbiontenphylogenie verglichen, also quasi mit der evolutionären Geschichte, und mit den Orten, wo wir Tiere gesammelt haben“, so Engl. „Interessanterweise haben wir die stärkste Korrelation nicht mit dem Verwandtschaftsgrad der Symbionten oder Wirte gefunden, sondern mit der Geografie. Tiere, die nah zusammenleben, haben gegebenenfalls ein ähnlicheres Gemisch als nah verwandte Arten.“

Resistenzbildung praktisch null

Die Antibiotikum-Komposition hat sich also in den 68 Millionen Jahren, die diese Symbiose existiert, nicht grundlegend geändert. Es gibt eine stabile Zusammensetzung der Hauptsubstanzen Piericidin A1 und B1 sowie Streptochlorin, abgerundet mit mehr oder weniger diversem Beiwerk. Das Gemisch scheint sich bewährt zu haben und wird nur minimal an lokale Gegebenheiten, sprich Pathogengemeinschaften, angepasst.

Was aber ist mit Resistenzbildungen, mit denen die Humanmedizin seit Beginn antibiotischer Therapien zu kämpfen hat? „Bei Bienenwölfen ist das nicht der Fall, weil es keine spezifischen Pathogene gibt, gegen die sie sich immer wieder mit der gleichen Therapie verteidigen müssen“, vermutet Engl. Denn tatsächlich müssen sich die Grabwespen gegen alle möglichen Schimmelpilze wehren.

Gründe dafür sieht Engl im Verhalten der Tiere und ihrer Angreifer: Einerseits ziehen Bienenwölfe immer mal wieder um, denn sie brauchen für ihre Nester offene Sandflächen. Sind diese nach ein paar Jahren von Vegetation überwuchert, suchen sie sich eine neue Bleibe – mit neuen Schimmelpilzen. Andererseits ist für den Schimmelpilz der Tod der Larve eine Einbahnstraße, denn er sitzt unweigerlich in der Höhle fest. Spezielle Pilzarten können sich somit nur schwer verbreiten oder auf eine bestimmte Symbiontenspezies einstellen. Für den Bienenwolf ist es wichtiger, mit seinem Gemisch ein breites Spektrum an Pilzen zu erreichen. Es gibt also schlichtweg keinen Selektionsdruck, der eine natürliche Resistenzentwicklung erfordert. Und warum ändern, was gut funktioniert?

Was bei der Wespe geht,...

Was können wir aus dieser Beobachtung für die Problematik der Antibiotika-Resistenzen bei humanen Pathogenen lernen? „Meistens behandeln wir Patienten in einer Antibiotika-Therapie mit einer einzelnen Reinsub­stanz,“ erklärt Engl. Bienenwölfe hingegen nutzen ein komplexes Gemisch. Da kommt es natürlich zur Interaktion der Einzelsubstanzen. Dass diese für die Wirkung des Substanzgemisches wichtig ist, zeigten Engl et al., indem sie drei ausgewählte Pilzspezies entweder den Reinsubstanzen Piericidin A1 und B1 sowie Streptochlorin aussetzten, oder verschiedenen Kombinationen dieser drei. Wie zu erwarten, addierte sich in einigen Fällen die hemmende Wirkung der Antibiotika. „Wir haben aber hauptsächlich gesehen, dass eine Kombination einzelner Antibiotika weniger effektiv war als die Einzelsubstanzen. Inwiefern das gegen Resistenzen helfen soll, ist intuitiv erst einmal fragwürdig“, gibt Engl zu bedenken.

Allerdings zeigen unterschiedliche Experimente und Modellierungen, dass antagonistisch wirkende Antibiotika der Entwicklung von Resistenzen entgegenwirken können. „Wird der Pilz resistent gegen eine der beiden Substanzen, wird er von der anderen gleichzeitig wesentlich stärker inhibiert“, erläutert der Biologe. Eine Mutante, die eine Einzelresistenz entwickelt habe, habe dadurch einen selektiven Nachteil gegenüber dem normalen Wildtypstamm. Und das könne sehr wohl in der Humanmedizin Anwendung finden, indem Patienten mit einer sequenziellen Therapie behandelt würden, bei der aufkeimende resistente Mutanten direkt mit einem zweiten Antibiotikum wieder abgetötet würden. Oder eben mit einer Antibiotika-Mixtur.

Funktioniert beim Bienenwolf schon eine halbe Ewigkeit.



Letzte Änderungen: 10.10.2019