Editorial

Der Weg ist das Ziel

Karin Hollricher


Kaiserslautern: Wie finden Proteine ihr Ziel, die in Mitochondrien gebraucht, aber im Zytosol zusammengebaut werden? Sie surfen auf dem Endoplasmatischen Reticulum dorthin. Eine überraschende Erkenntnis, frisch präsentiert von Zellbiologen aus der Pfalz.

Die meisten mitochondrialen Proteine sind im Kerngenom kodiert, ihr Arbeitsplatz ist aber im Inneren der Zellkraftwerke. Mittlerweile versteht man ziemlich gut, wie die Vorläufer-Versionen solcher Proteine durch die mitochondrialen Membranen geschleust werden. Dabei helfen Translokasen, wie die Multiprotein-Kanäle TOM und TIM. „Aber eines ist wirklich verblüffend“, gibt Johannes Herrmann, Professor für Zelluläre Biologie an der Technischen Universität in Kaiserslautern, zu bedenken. „Man weiß noch fast nichts darüber, wie sie die Mitochondrien überhaupt finden.“

Wo geht‘s zu den Mitos, bitte?

Diffundieren sie womöglich nach ihrer „Entlassung“ von den Ribosomen einfach so lange im Zytosol herum, bis sie zufällig ein Mitochondrium treffen? Eher nicht. Denn nur im entfalteten Zustand können die Translokasen sie importieren. Im Zytosol aber überleben entfaltete Proteine nicht lange. Die Zelle erkennt sie als fehlerhaft und entsorgt sie möglichst schnell. Welchen Weg also nehmen mitochondriale Proteine, wie gelangen sie stattdessen an ihr Ziel?

jc_18_12_01a
Johannes Herrmann mit Mitochondrium und Katja Hansen mit Endoplasmatischem Reticulum. Foto: privat

Diese Frage beschäftigt die Kaiserslauterer Zellbiologen seit ungefähr sechs Jahren. So lange brauchte Katja Hansen, erst als Masterstudentin, dann als Doktorandin in Herrmanns Arbeitsgruppe, bis sie eine schlüssige Antwort gefunden hatte – und diese auch hieb- und stichfest belegen konnte. Der Lohn für die Mühe und den Willen, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen und nicht schon ein paar halbgare Ergebnisse vorab zu publizieren, ist ein frisches Science-Paper (361: 1118-22).

Um den Weg der Mitochondrien-Proteine zu identifizieren, hatten sich die Forscher einen klassischen genetischen Screen mithilfe der Gene OXA1 und URA3 in Bäckerhefe ausgedacht. Das Kerngen OXA1 kodiert für eine mitochondriale Translokase; das Ura3-Protein ist ein zytosolisches Enzym, das für die Synthese der RNA-Base Uracil nötig ist. Dank der Oxa1-Signalsequenzen wird das Oxa1-Ura3-Fusionsprotein in die Zellkraftwerke importiert, doch das an diesem Ort völlig deplatzierte Ura3-Enzym ist hier, obwohl intakt, funktionslos.

Der Screen funktioniert dann folgendermaßen: Hefe mit defektem URA3-Gen wird mit dem Vektor transformiert und sowohl auf Minimalmedium als auch zur Kontrolle auf Medium mit zusätzlichem Uracil kultiviert. Wenn der Import des Fusionsproteins in die Mitochondrien funktioniert, kann die Hefe auf Minimalmedium nicht wachsen, weil sie den Ura3-Mangel nicht kompensieren kann. Ist der Importmechanismus defekt, bleibt das Fusionsprotein im Zytosol und der Pilz kann sich auch ohne exogenes Uracil entwickeln.

Um diejenigen Gene zu identifizieren, die dem Fusionsprotein helfen, sein Ziel zu finden, untersuchte Hansen im Hochdurchsatzverfahren Mutanten-Bibliotheken. Unterstützung fand sie hierbei am Weizmann-Institut in Israel, wo mit Maya Schuldiner eine ausgewiesenen Expertin für solche Hefe-Screens arbeitet. Neben der technischen Expertise stellte sie zwei große Bibliotheken zur Verfügung: eine Sammlung von fast 5.000 Mutanten mit Defekten in nicht-essentiellen Genen, sowie eine weitere mit 1.100 Mutanten, die die mRNAs essentieller Gene lediglich reduziert bildeten. Die Frage war: Welche Mutanten würden Probleme mit dem Import des Oxa1-Ura3-Proteins haben? Hansen fand 120 Kandidaten.

Als Nächstes galt es, die Falsch-Positiven auszusortieren – eine mitunter schwierige, mühselige Aufgabe. Herrmann, ganz der bereits für seine Lehrveranstaltungen ausgezeichnete Didaktiker, beschreibt das Problem mit einem schönen Bild: „Genetische Screens sind wunderbar, aber man fühlt sich dabei wie ein blinder Angler. Der kann nämlich allein vom Gewicht her nicht feststellen, ob er einen fetten Fisch oder einen alten Schuh am Haken hat. Um das erkennen zu können, müsste er beispielsweise herausfinden, ob der Fang zappelt oder wie er sich anfühlt.“

Von Fischen und Schuhen

Also machte sich Hansen daran, die Fische von den Schuhen zu trennen. „Wir haben ein Jahr gebraucht, um die 120 Treffer auf Herz und Nieren zu überprüfen“, erinnert sie sich. Am Ende warf sie quasi 108 olle Latschen zurück ins Wasser und machte sich über die verbliebenen zwölf Fische her. Ein paar TOM-Bestandteile waren darunter, aber auch mehrere, bis dahin nicht weiter charakterisierte Proteine.

Als fetteste Beute entpuppte sich ein Protein namens Djp1. Dieses Molekül war schon länger bekannt und ist in Hefezellen reichlich vorhanden, aber über seine Funktion wusste man nichts. Die Informationen waren nicht nur bruchstückhaft, sondern auch teilweise widersprüchlich. So hatte man Djp1 zwar überwiegend im Zytosol lokalisiert, aber manchmal auch am ER gefunden. Überdies hat Djp1 Ähnlichkeiten mit den Co-Chaperonen, die zur J-Protein/Hsp40-Familie gehören. Chaperone falten bekanntermaßen Proteine – Mitochondrienproteine aber sollten für den Import ungefaltet bleiben. Andererseits publizierte 2013 die Gruppe um Doron Rapaport von der Universität Tübingen, dass ein mitochondriales Protein namens Mim1 in Djp1-Deletionsmutanten nicht an seinen Arbeitsplatz gelangt (Mol. Cell. Biol. 33: 4083-94).

„Das machte für uns alles keinen Sinn, und wir waren anfangs doch sehr skeptisch. Was sollte Djp1 mit dem Transport zum Mitochondrium zu tun haben?“, so Herrmann. Es dauerte wirklich noch zwei weitere Jahre, bis Hansen und ihre Mitstreiter hieb- und stichfest belegen konnten, dass Djp1 tatsächlich am ER sitzt. „Das war nicht unsere einzige Durststrecke in diesem Projekt,“ erinnert sich Herrmann. „Zum Glück hat Katja eine sehr hohe Frustrationstoleranz und ist am Ball geblieben.“

Die Forscherin machte also ziemlich viele Tests. Sie untersuchte beispielsweise, ob Djp1 überhaupt für die Biogenese von Oxa1 benötigt wird – wofür sie Djp1 an Vakuolen koppelte. Und tatsächlich: Oxa1 konnte jetzt nicht mehr in Mitochondrien importiert werden.

Organellen-Surfing

Als besonders Djp1-abhängig entpuppte sich jedoch das sehr hydrophobe, in der inneren Mitochondrienmembran sitzende Protein Coq2, welches dort für die Synthese von Ubiquinon (Co-Enzym Q) nötig ist. Auch das erschien skurril, denn bis dahin hatte man angenommen, dass eine Bindung mitochondrialer Proteine an das ER deren Abbau bedeutet. Stattdessen sah es nun so aus, als würden sie vielmehr Djp1-vermittelt an der ER-Oberfläche entlang zu ihrem Ziel, dem Mitochondrium, surfen. Womöglich werden sie auf diese Weise davor bewahrt, zu aggregieren oder abgebaut zu werden – wodurch sie ihren Nutzen für die Zelle verlören oder ihr gar gefährlich werden könnten. Herrmann klingt stolz, wenn er das Ergebnis in einem Satz zusammenfasst: „Damit hat Katja eine wegweisende Erkenntnis, einen richtigen Durchbruch geschafft.“

Es gebe übrigens einen guten Grund, dass man die Funktion des ER als Wegweiser erst jetzt entdecken konnte, erklärt Hansen. „In der Vergangenheit hat man den Proteinimport vor allem an isolierten Mitochondrien untersucht. Dabei konnte man die wichtige Funktion des ER gar nicht sehen.“

Herrmann und seine Mitarbeiter – derzeit acht Doktoranden, drei Assistentinnen und eine Reihe von Master-Studenten – wollen nun untersuchen, ob Mitochondrienproteine auch in den Zellen höherer Tiere auf dem ER zu ihrem Ziel surfen. Katja Hansen allerdings macht sich auf zu neuen Ufern: Auf der anderen Seite des Atlantiks wird sie sich der Arbeitsgruppe von Frau Stirling Churchman an der Harvard University anschließen – und sich die nächsten Jahre mit der mitochondrialen Transkription beschäftigen.



Letzte Änderungen: 10.10.2019