Editorial

Tolerieren oder alarmieren?

Ann-Kristin Diederich


Braunschweig: Für die Feinabstimmung des Immunsystems sind regulatorische T-Zellen essentiell, da sie überschießende Immunantworten verhindern. Besonders effizient werden sie in Darm-drainierenden Lymphknoten gebildet. Die Gruppe um Jochen Hühn zeigte, dass die Gerüstzellen der Lymphknoten bereits frühkindlich durch die Darmflora geprägt werden – und dass sie diese Prägung an andere Immunzellen weitergeben können.

Es ist neblig und kalt, als ich das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig betrete. Abgesehen von der Größe des Geländes deutet nichts darauf hin, dass hier bahnbrechende Forschung stattfindet. Bis 2015 leitete zum Beispiel die CRISPR/Cas-Koentdeckerin Emmanuelle Charpentier die Abteilung „Regulation in der Infektionsbiologie“.

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Schema der Prägung von Gerüstzellen (Stromazellen) in Darm-drainierenden Lymphknoten. (Größere Darstellung hier) Abb.: AG Hühn
Eine lange Leidenschaft

Auch die Abteilung „Experimentelle Immunologie“, machte vor Kurzem von sich reden. Deren Leiter Jochen Hühn und seine Postdocs Jörn Pezoldt und Maria Pasztoi konnten mit weiteren Kollegen erstmals zeigen, dass die bisher wenig beachteten Gerüstzellen Darm-drainierender Lymphknoten, die sogenannten Stromazellen, wesentlich für die Induktion regulatorischer T-Zellen (Treg-Zellen) sind (Nat. Commun. doi: 10.1038/s41467-018-06423-7).

Bereits in seiner Diplom- und Doktorarbeit am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut widmete sich Jochen Hühn den Signalwegen in T-Zellen. An der Charité in Berlin begann er sich dann intensiver für Treg-Zellen zu interessieren. Die Begeisterung für diesen Themenkomplex ist ihm heute noch anzumerken. „Es ist eines der Highlights des Immunsystems, zwischen Fremd und Selbst unterscheiden zu können“, erklärt Hühn. „Regulatorische T-Zellen tragen zu dieser balancierten Immunantwort wesentlich bei.“

Bereits während der Entwicklung des adaptiven Immunsystems werden B- und T-Immunzellen beseitigt, die zu stark auf den eigenen Organismus reagieren. „Dennoch bleiben einige autoreaktive Zellen in jedem von uns übrig“, fügt Hühn hinzu. „Die regulatorischen T-Zellen halten sie jedoch in Schach.“ Fehlt Mäusen etwa das Schlüsselgen Foxp3 der Treg-Zellen, entwickeln sie starke Autoimmunkrankheiten trotz bester Umgebungsbedingungen.

Gleichzeitig sind Treg-Zellen aber ebenso wichtig, um entzündliche Immunreaktionen zu kontrollieren. „Wenn die Immunantwort gegen ein Pathogen zu stark ausfällt, kann das betroffene Gewebe zerstört werden. Die Treg-Zellen dämpfen und dosieren die Immunantwort und versuchen, derartige Kollateralschäden zu verhindern“, erläutert Jochen Hühn.

Zudem rückte in den letzten Jahren das Mikrobiom des Darms immer mehr in den Vordergrund. So wurden Störungen des Mikrobioms etwa auch mit Autoimmunkrankheiten wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Multipler Sklerose in Verbindung gebracht. Und tatsächlich konnten Hühn und Co. bereits erste Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der Treg-Induktion beschreiben (Mucosal Immunol. 7: 359-68). In Experimenten mit Mäusen, die in einer keimfreien Umgebung aufwuchsen, beobachteten die Braunschweiger, dass die verstärkte Induktion von Treg-Zellen in Darm-drainierenden Lymphknoten durch die Darmflora vermittelt und in den Gerüstzellen der Lymphknoten gespeichert wird. Die Gerüstzellen kann man sich dabei wie die Wände eines Gebäudes vorstellen: Der Lymphknoten ist das Gebäude, die immobilen Gerüstzellen die Wände und alle Menschen, die darin herumlaufen, sind die mobilen Immunzellen.

Fester Treffpunkt

Verteilt über den ganzen Körper drainieren die Lymphknoten alle Organe – wie etwa die Haut, den Darm oder die Lunge. Die Grundfunktion eines Lymphknotens ist vergleichbar mit dem Meeting Point an einem Flughafen. Dort kommen die Passagiere kurz hin, holen sich Informationen ab und gehen wieder. Eventuell bleiben sie bei wichtigen Informationen, wie Störungen des Flugverkehrs, aber länger und müssen handeln. Genauso verhält es sich in einem Lymphknoten. Die Immunzellen sind mobil, wandern in den Lymphknoten ein und verlassen ihn normalerweise schnell wieder. Bei der Präsentation von spezifischen Antigenen werden sie aber aktiviert und eine Immunantwort wird ausgelöst.

Aufgrund dieser Mobilität der Immunzellen werden beispielsweise bei einer Transplantation des Lymphknotens alle Immunzellen ausgetauscht – nur eben nicht die immobilen Gerüstzellen. Transplantationsexperimente sind somit eine gute Möglichkeit, die besonderen Eigenschaften der Gerüstzellen zu untersuchen.

Dazu kommt, dass ein Lymphknoten umso toleranter gegenüber Allergenen oder anderen harmlosen Fremdmolekülen ist, je mehr regulatorische T-Zellen er produziert. „In den Darm-drainierenden Lymphknoten war die Konversionsrate zu Treg-Zellen noch mal um ein Vielfaches höher als in anderen“, erklärt Hühn auf die Frage, warum sich die Experimente seiner Gruppe ausgerechnet auf diese Lymphknoten konzentriert haben.

Prägung der Gerüstzellen ist sehr stabil

„Wir konnten zeigen, dass die Prägung der Gerüstzellen wahnsinnig stabil ist“, fasst Jochen Hühn die Ergebnisse zusammen. Um dies zu zeigen, entnahmen Erstautor Jörn Pezoldt und Co. Empfängermäusen deren Haut-drainierende Lymphknoten und setzten an deren Stelle Darm-drainierende Lymphknoten von Donormäusen ein. Mangge Zou, die das Projekt nach Pezoldts Weggang nach Lausanne weiterverfolgt, veranschaulicht die Herausforderungen. „Es ist wirklich schwer, die Lage der endogenen Lymphknoten zu erahnen, und man braucht viel Erfahrung für deren gezielte Entfernung.“

Etliche Wochen nach der Transplantation injizierten die Braunschweiger den Empfängermäusen zunächst naive T-Zellen mit einem für ein Ova-Peptid spezifischen T-Zell-Rezeptor. Kurz darauf impften sie die Mäuse mit dem Ova-Peptid, welches als Fremdpeptid die Differenzierung der naiven T-Zellen zu Treg-Zellen veranlasst. Deren Bildung wiederum maßen sie anhand des für Treg-Zellen spezifischen Transkriptionsfaktors Foxp3.

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Offenbar nicht nur an der Pipette stark: Die Abteilung „Experimentelle Immunologie“ am HZI in Braunschweig (Jochen Hühn vorne rechts in Blau, die Erstautoren Jörn Pezoldt und Maria Pasztoi sind inzwischen weitergezogen). Foto: HZI, Abteilung „Experimentelle Immunologie“

Im Vergleich mit der Bildung von Treg-Zellen in Haut-drainierenden Lymphknoten konnten Pezoldt et al. auf diese Weise die Rate der Induktion unter verschiedenen Bedingungen untersuchen. So prüften sie etwa, in welchem Zeitraum nach der Geburt die Gerüstzellen ihre tolerogenen Eigenschaften entwickeln, wie eine induzierte Infektion oder eine chronische Entzündung des Darms die Prägung beeinflusste und wie sich Antibiotika darauf auswirkten. Bereits wenige Tage nach der Geburt konnte die Gruppe eine stabile Treg-Induktion nachweisen. Zudem beeinflussten weder eine chronisch induzierte Infektion des Darms noch die Gabe von Antibiotika während der Schwangerschaft oder nach der Geburt die Induktion von Treg-Zellen negativ.

Dendritische Zellen vermitteln

Bereits vor fünf Jahren hatte Hühns Team zusammen mit Kollegen aus Hannover und Berlin nachgewiesen, dass dendritische Immunzellen essentiell für die Induktion von Treg-Zellen in vivo sind (Mucosal Immunol. 7: 359-68). Um herauszufinden, ob die Gerüst­zellen die Eigenschaften der dendritischen Zellen beeinflussen, transplantierten Pezoldt und Ko-Erstautorin Maria Pasztoi zunächst wieder Darm-drainierende Lymphknoten in Empfängermäuse. Nach einigen Wochen waren alle mit den Lymphknoten mittransplantierten dendritischen Zellen der Donormäuse durch dendritische Zellen der Empfängermäuse ersetzt. Zur Bestimmung der Treg-Bildungsrate isolierten die beiden die dendritischen Zellen aus den transplantierten Darm-drainierenden Lymphknoten und kultivierten sie mit Ova-spezifischen naiven T-Zellen unter Zugabe des Ova-Peptids in vitro.

Tatsächlich beobachteten die Autoren einen erhöhten Anteil von Treg-Zellen im Vergleich zur Kontrolle. Woraus sie folgerten, dass die Gerüstzellen ihre Treg-induzierenden Eigenschaften an die dendritischen Zellen weitergegeben hatten. Die Gerüstzellen der Darm-drainierenden Lymphknoten speichern demnach die Information, die sie zu Beginn der Immunentwicklung kurz nach der Geburt erhalten haben und sorgen durch ihre stabile Prägung und deren Weitergabe an mobile Zellen – wie eben den dendritischen Zellen – für eine gleichbleibende Toleranz.

Nächste Schritte

Und wie geht’s jetzt weiter? Zurzeit untersucht Mangge Zou, ob starke Magen-Darm-Infektionen bei Neugeborenen die tolerogenen Eigenschaften der Darm-drainierenden Lymphknoten nachhaltig beeinträchtigen. Denn wenn das Mikrobiom zur Zeit der Prägung der Gerüstzellen gestört ist, könnte dies einen langfristigen Effekt auf die Treg-Zellinduktion haben. Besser zu verstehen, wie und wann Treg-Zellen genau gebildet werden, könnte somit auch generell helfen, Autoimmunerkrankungen zu kontrollieren, die Abstoßungsreaktionen bei Transplantationen zu verringern oder Impfantworten zu verbessern. Vielleicht lüften sich auch ein paar dieser Nebelschleier demnächst in Braunschweig.



Letzte Änderungen: 10.10.2019