Editorial

Netzwerk im Knochen

Larissa Tetsch


Essen: Knochen verleihen nicht nur Stabilität, sondern stehen darüber hinaus in engem Kontakt mit dem Kreislaufsystem. Ermöglicht wird dies durch hunderte von kleinen Blutgefäßen, die den Knochen durchziehen und erst jetzt entdeckt wurden.

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Sowohl im „durchsichtigen“ Knochen (li., siehe Text), als auch mit Lichtscheibenmikroskopie (mi. & re.) lassen sich die transkortikalen Blutgefäße sichtbar machen. (Größere Darstellung hier) Foto: AG Gunzer

Knochen und Blutkreislauf, beides ist enger miteinander verwoben, als gemeinhin bekannt. Intensivmediziner wissen das, denn über eine sogenannte intraossäre Infusion bringen sie Medikamente schnellstmöglich in den Blutkreislauf von Patienten, bei denen sich kein venöser Zugang finden lässt. Dabei wird ein Knochen angebohrt und die Infusionslösung direkt ins Knochenmark injiziert. Trotz dieser medizinischen Relevanz war bislang unklar, wie der schnelle Blutaustausch zwischen Knochen und Blutkreislauf möglich ist, denn immerhin stellt die harte Knochensubstanz eine effektive Barriere für den Blutaustausch dar.

Mehr als Gerüstsubstanz

Eine Erklärung fand kürzlich ein Team unter der Leitung von Matthias Gunzer und ­Anja Hasenberg vom Institut für Experimentelle Immunologie und Bildgebung der Universitätsklinik Duisburg-Essen mehr oder weniger per Zufall (Nature Metabolism 1: 236-50). Die Publikation sorgte dementsprechend für Aufsehen, wie Gunzer bestätigt: „Noch nie haben wir eine derartige Resonanz auf einen unserer Artikel erhalten.“

Warum aber sind Röhrenknochen – sonst vor allem als Stützapparat und Ansatzpunkt für Sehnen und Muskeln bekannt – überhaupt so wichtig für den Blutkreislauf? Dies liegt an ihrem „Innenleben“, der Markhöhle, in der sich das Knochenmark mit den blutbildenden Stammzellen befindet. Umgeben ist dieser zentrale Hohlraum von einer hautartigen Bindegewebsschicht, dem Endost. Darum herum liegt die harte Knochensubstanz aus überwiegend Typ-I-Kollagen und Hydroxyapatit, die wiederum von einer Haut umgeben ist, dem Periost. Diese Knochenhaut steht mit dem Blutkreislauf des Körpers in Verbindung. „Bei Mäusen gab es bei einem typischen Röhren­knochen wie dem Schienbein klare Hinweise auf 10 bis 15 zufließende Arterien“, erklärt Gunzer, wie man sich bislang die Blutversorgung des Knochens vorstellte. „Etwa auf der Hälfte des Knochens existiert eine Öffnung, an der die Nährarterie eintritt. Die restlichen Arterien verteilen sich auf die beiden Gelenkköpfe. Außerdem existieren zwei austretende Venen, eine in der Mitte bei der Nährarterie und eine am oberen Gelenkkopf.“

Dieses Bild haben die Essener nun aber gehörig umgekrempelt: „Wir konnten jetzt zeigen, dass die Masse des Blutflusses – etwa 80 Prozent des arteriellen Zu- und 60 Prozent des venösen Abflusses – quer durch den Knochen verläuft.“ Offensichtlich verbindet ein Netzwerk aus hunderten von Kapillaren, die sowohl dem arteriellen als auch dem venösen Blutsystem zugeordnet werden konnten, das Blutgefäßsystem des Knochenmarks mit dem Periost. Durch diese transkortikalen Blutgefäße können Blutzellen wie neutrophile Granulozyten innerhalb weniger Minuten aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf wandern, wie Gunzers Team eindrucksvoll demonstrierte.

Gläserne Knochen sorgen für Durchblick

Dass diese Blutgefäße sich bis jetzt verstecken konnten, hängt wohl damit zusammen, dass neue bildgebende und präparative Methoden nötig waren, um sie aufzuspüren. Dazu gehört die Lichtscheibenmikroskopie, deren Prinzip Gunzer mit einem anschaulichen Vergleich erklärt: „Wenn wir ein mit Wasser gefülltes Plastikröhrchen mit einem Laserpointer bestrahlen, wird aus dem Laserpunkt ein Laserstreifen. In der Lichtscheibenmikroskopie geschieht das Gleiche mithilfe einer zylindrischen Linse. Durchstrahlt man jetzt mit dem Laserstreifen ein dreidimensionales Gewebe, wird daraus ein Laserblatt.“

Mittels Laserblatt erzeugten die Forscher optische „Dünnschnitte“ des fluoreszenzmarkierten Knochens, die sich anschließend zu einem dreidimensionalen Bild zusammensetzen ließen. „An einem harten Knochen lässt sich diese Technik aber natürlich nicht anwenden“, schränkt Gunzer ein. Praktisch, dass die Essener zuvor eine Methode entwickelt hatten, um den Knochen durchsichtig zu machen. „Wenn man vorsichtig ist, wird zwar der Knochen durchsichtig wie Glas, die Blutgefäße bleiben aber sichtbar.“ Das galt auch für die transkortikalen Blutgefäße. „Wir hatten zuerst keine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte“, erinnert sich Gunzer. „Da wir auch in Lehrbüchern und Fachveröffentlichungen nichts dazu fanden, dachten wir uns, das müssen wir selbst beschreiben.“ Dabei sieht es der Immunologe als Vorteil, dass sich seine Gruppe zuvor noch nicht detailliert mit Knochen-Blutgefäßen beschäftigt hatte: „So waren wir unvorbelastet und sind ganz unvoreingenommen an die Fragestellung heran gegangen.“ Um die Blutgefäße dann auch im harten Knochen darzustellen, kam die Röntgenmikroskopie zum Einsatz, eine Methode aus der Materialforschung, die für biologisches Material aber noch brandneu war. „Auf diese Weise konnten wir direkt die Kanäle für die Blutgefäße in der harten Knochensubstanz abbilden, während man mit der Lichtscheibenmikroskopie eher die Endothelzellen der Blutgefäße sieht.“

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„Knochenarbeiter“: Anja Hasenberg und Matthias Gunzer Foto: AG Gunzer
Osteoklasten als Kanalbildner

Wie und vor allem wann diese Kanäle gebildet werden, ist noch unklar, doch scheinen Osteoklasten dabei eine wichtige Rolle zu spielen. So waren in einem Tiermodell mit überaktiven Osteoklasten und einer dadurch bedingten Osteoporose vermehrt transkortikale Blutgefäße pro Knochenvolumen nachweisbar. Eine medikamentöse Hemmung dieser auf Knochenabbau spezialisierten Makrophagen führte dagegen zu einer Abnahme der Blutgefäße.

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler Osteoklasten in der Mitte der transkortikalen Blutgefäße nachweisen. Sie vermuten, dass diese dort für die Bildung von Verzweigungen verantwortlich sind. Um Kanäle zu bilden, sollten Osteoklasten nämlich eher auf der Außenseite der Blutgefäße sitzen. „Das haben wir bislang noch nicht gesehen, aber wir vermuten, dass dies bei Neugeborenen der Fall ist“, so Gunzer. „Wir versuchen gerade, uns die Knochen neugeborener Mäuse anzuschauen, aber das ist methodisch sehr schwierig.“

Daraufhin interessierten sich die Forscher für die Frage, ob auch andere Knochenkrankheiten mit einer Veränderung der Knochen-Blutgefäße einhergehen. In einem Tiermodell für Arthritis führte eine chronische Entzündung im Unterschied zu einer selbst heilenden akuten Erkrankung zu einer Zunahme der transkortikalen Blutgefäße. „Eine Arthritis ist eine Autoimmunerkrankung, die wir auslösen können, indem wir die Mäuse gegen Bestandteile des Knochens impfen“, erläutert Gunzer. „Die Immunreaktion entsteht, indem T-Zellen die Knochen angreifen. Wenn wir die dämpfend wirkenden regulatorischen T-Zellen ausschalten, wird die Entzündung chronisch.“ In diesem Fall sind die Osteoklasten hyperaktiv, was die Zunahme der transkortikalen Blutgefäße erklären könnte.

Eine Abnahme der Blutgefäße konnten die Forscher dagegen bei älteren Tieren und nach einer Bestrahlung und anschließender Knochenmarktransplantation nachweisen. Warum das so ist, wollen sie sich in den nächsten Jahren anschauen. Auf jeden Fall könnte es eine Erklärung dafür sein, warum es im Alter und nach einer Bestrahlung zu einem Verlust von Knochensubstanz kommt, denn weniger Blutgefäße bedeuten eine schlechtere Versorgung der im Knochen lebenden Osteocyten.

Forschungsgebiet mit Potenzial

Auch bei der Heilung von Knochenbrüchen könnten transkortikale Blutgefäße eine große Rolle spielen. „Das ist eine spannende Fragestellung“, meint Gunzer, „über die wir aber im Moment noch gar nichts sagen können.“ Ideen, in welche Richtung die Forschung in Zukunft gehen könnte, hat der Immunologe aber viele: „Ein interessantes und wichtiges Feld ist die Stammzellbiologie. Wir vermuten, dass die blutbildenden Stammzellen über die Kanäle aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf wandern, und möchten das gerne zeigen.“

Interessanterweise sind die transkortikalen Blutgefäße nicht gleichmäßig über die Länge des Knochens verteilt. So finden sich vor allem am oberen Abschnitt der Schienbeinknochen vermehrt arterielle, im unteren Abschnitt arterielle und venöse Kapillaren zu gleichen Teilen. Um die venösen Gefäße entstehen sauerstoffarme Bereiche, die dabei helfen könnten, blutbildende Stammzellen in einem Ruhestadium zu halten.

Weiterhin interessiert sich Gunzer für Krebsarten, die wie Brust- und Prostatakrebs hauptsächlich im Knochen metastasieren: „Wir vermuten, dass auch dieser Prozess über die transkortikalen Blutgefäße abläuft. Vielleicht lässt sich eine Möglichkeit finden, diesen Vorgang zu verhindern.“

Die Entdeckung der transkortikalen Blutgefäße zeigt eindrucksvoll, dass selbst die intensiv erforschte Anatomie und Physiologie von Säugetieren noch immer für eine Überraschung gut ist. Nun bleibt zu hoffen, dass sich das viel versprechende Forschungsfeld entsprechend entwickelt: „Es gibt so viele Fragestellungen, die wir uns gar nicht alle alleine anschauen können“, so Gunzer. „Deshalb hoffen wir, dass nun auch andere Arbeitsgruppen Interesse an der Thematik bekommen.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019