Editorial

T-Zellen mit Burn-out

Larissa Tetsch


MÜNCHEN/FREISING: Dauerhaft aktivierte T-Zellen schalten irgendwann in einen Zustand reduzierter Aktivität um. Die Entdeckung des molekularen Regulators TOX könnte helfen, „erschöpfte“ T-Zellen wieder fit zu machen für den Kampf gegen Krebszellen.

Zytotoxische T-Zellen sind eigentlich perfekt dafür ausgerüstet, von Viren befallene Zellen auszumerzen. Allerdings können T-Zell-Populationen ihre aggressive Antwort nicht dauerhaft aufrechterhalten. Werden die Zellen über längere Zeit mit einem Antigen konfrontiert, nimmt ihre Aktivität ab. In diesem Erschöpfungszustand produzieren sie weniger Zytokine und präsentieren auf ihrer Oberfläche hemmende Rezeptoren wie PD-1 (Programmed Cell-Death 1). Dies hilft, dauerhafte Schäden an Geweben zu verhindern, kann aber die Bekämpfung von Tumorzellen aushebeln.

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Illustr.: Juliet Merz

Ließen sich „erschöpfte“ zytotoxische T-Zellen wieder scharf schalten, so könnte das die körpereigene Bekämpfung von chronischen Infektionen und Tumoren deutlich verbessern, hoffen Forscher wie Dietmar Zehn, der am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München die molekularen Grundlagen des Erschöpfungszustands erforscht. „Die Verleihung des Nobelpreises im letzten Jahr an Wissenschaftler aus den USA und Japan für die Erkenntnis, dass man durch das Ausschalten von Rezeptoren wie PD-1 die Bekämpfung von Tumoren verbessern kann, verdeutlicht die Bedeutung dieses Forschungsgebiets“, ist der Immunbiologe überzeugt.

Um den Erschöpfungszustand von T-Zellen gezielt manipulieren zu können, muss man die zugrundeliegenden Mechanismen verstehen. „Man wusste bereits, dass es bei einer persistierenden Infektion und vor allem bei hohen Antigen-Mengen zu einem Erschöpfungszustand kommt und welche Veränderungen der T-Zellen das mit sich bringt“, erklärt Zehn. „Was man nicht kannte, war der molekulare Regulator. Diesen haben wir mit dem Protein TOX nun gefunden.“ Die Ergebnisse von Zehns Team wurden in Nature veröffentlicht (571: 265-9) – zusammen mit zwei verwandten Arbeiten und zeitgleich mit drei weiteren Publikationen in anderen Fachzeitschriften. „Dass gleichzeitig sechs völlig voneinander unabhängige Arbeiten TOX als molekularen Regulator des erschöpften Phänotyps beschreiben und sich in den wesentlichen Punkten gegenseitig stützen, ist schon etwas Besonderes“, ist Zehn begeistert.

Erschöpft durch TOX

Experimentell war dieser Nachweis kniffelig, denn der Erschöpfungszustand lässt sich in vitro nicht herbeiführen. Zehns Team arbeitete deshalb mit Mäusen, die sie mit dem Lymphozytären Choriomeningitis-Virus (LCMV) infizierten. Praktischerweise gibt es von diesem Virus Stämme, die einander sehr ähnlich sind, aber entweder eine akute oder eine chronische Infektion hervorrufen. Auf diese Weise konnten die Forscher Mäuse mit voll funktionsfähigen und erschöpften T-Zellen erzeugen und vergleichen, welche Gene bei ihnen unterschiedlich stark abgelesen wurden. Jedoch hat dieser Vergleich auch Grenzen: „Obwohl es sich um das gleiche Virus handelt, liegen doch zwei verschiedene Infektionen vor. Die eine klingt schnell ab, die andere persistiert.“ Zehns Gruppe entwickelte deshalb einen weiteren Ansatz, um erschöpfte und voll funktionsfähige T-Zellen direkt in einer chronischen Infektion miteinander vergleichen zu können. „Wir haben zuvor herausgefunden, dass die Menge an Antigen der kritische Faktor ist, der darüber entscheidet, ob Zellen in den erschöpften Zustand übergehen oder nicht. Diesen Umstand haben wir für unsere Forschung ausgenutzt und einen Weg gefunden, gezielt nur die Menge eines Antigens zu verändern, während die vielen anderen Antigene unverändert bleiben.“ Am Verlauf der chronischen Infektion ändert sich dadurch nichts. Die wenigen Zellen, die aber das reduzierte Antigen „sehen“, verbleiben in einem normalen Funktionszustand und können dann mit erschöpften Zellen verglichen werden.

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Dietmar Zehn möchte müden T-Zellen wieder auf die Beine helfen. Foto: TU München

Mit diesem Verfahren erstellte Zehns Team eine hochspezifische Liste an Genen, die zwischen normalen und erschöpften Zellen unterschiedlich exprimiert werden, darunter das TOX-Gen. Nachfolgende gezielte Analysen zeigten dann, dass eine starke Expression von TOX mit der von PD-1 und dem Auftreten des erschöpften Phänotyps korreliert – und das nicht nur bei den Mäusen, sondern auch bei persistierenden Hepatitis-C-Infektionen beim Menschen. Übertrugen die Forscher die T-Zellen aus einer Maus mit chronischer Infektion in Mäuse mit akuter Infektion oder lösten sie die Hepatitis-C-Infektionen pharmakologisch auf, blieben die Zellen im Erschöpfungszustand. Dieser war offensichtlich epigenetisch fixiert worden, und die Wissenschaftler hatten klare Belege dafür gefunden, dass TOX daran beteiligt ist.

Aktiv, aber kurzlebig

TOX ist ein im Kern lokalisierter Transkriptionsregulator. Entfernten die Forscher seine Kernlokalisierungssequenz und den Großteil der DNA-Bindedomäne, löste eine chronische Infektion keinen Erschöpfungszustand mehr aus. Das galt allerdings nur, wenn TOX bei Mäusen ausgeschaltet wurde, die sich noch in einer frühen Phase der Infektion befanden. Zu einem späteren Zeitpunkt machte es keinen Unterschied, ob TOX funktionsfähig war oder nicht. „TOX wird für den Eintritt in den erschöpften Zustand, aber nicht für dessen Aufrechterhaltung benötigt“, fasst Zehn zusammen. „Wahrscheinlich findet frühzeitig ein epigenetisches Imprinting statt, sodass der Regulator anschließend entbehrlich ist.“

Tatsächlich fanden sich bei erschöpften T-Zellen Anzeichen für Veränderungen in Methylierungsmuster und Chromatinzugänglichkeit. Die Rolle von TOX dabei ist jedoch noch unklar. „Wir wissen, was herauskommt, wenn man TOX ausschaltet, aber die Kette an Ereignissen, die für den Phänotyp verantwortlich ist, kennen wir noch nicht“, gibt Zehn zu. Bislang wurde keine DNA-Bindestelle für TOX beschrieben. Möglicherweise erkennt das Protein stattdessen bestimmte Chromatinstrukturen, was sich mit herkömmlichen Methoden wie der Chromatin-Immunpräzipitation allerdings schwer nachweisen ließe.

Plan B fürs Immunsystem

T-Zellen ohne TOX waren wie erwartet aggressiver und senkten die Virenlast in Blut und Milz stärker als unveränderte T-Zellen. Dass sie gleichzeitig Leber und Lunge der Mäuse stärker schädigten, zeigt eindrucksvoll die physiologische Bedeutung des Erschöpfungszustands zum Schutz vor zu starken Abwehrreaktionen. Zudem war die bessere Immunabwehr der TOX-negativen Mäuse nicht von Dauer. Bereits nach zwei Wochen stieg der Virus-Titer wieder an, während die Zahl an TOX-negativen T-Zellen abnahm. Offensichtlich starben die Zellen, wenn sie dauerhaft aktiviert wurden, aber nicht in den Erschöpfungszustand eintreten konnten. „TOX hat also eine zweifache Rolle“, resümiert Zehn. „Es induziert den Erschöpfungszustand, und sorgt gleichzeitig dafür, dass die T-Zellen längere Zeit überleben können. Nur so kann die Population an erschöpften T-Zellen bestehen bleiben.“ Um dieses Ergebnis zu erklären, muss der Freisinger Immunbiologe dann etwas weiter ausholen: Im Mittelpunkt steht eine Population von Vorläufer-T-Zellen, die dadurch charakterisiert ist, dass sie den Transkriptionsfaktor TCF1 produziert. Diese TCF1+-Zellen vergleicht der Immunologe mit Stammzellen, aus denen immer wieder neue erschöpfte T-Zellen hervorgehen können. „Da die erschöpften T-Zellen so kurzlebig sind, sind die TCF1+-Zellen essenziell, um ihre Population aufrechtzuerhalten. Ohne TOX geht genau diese TCF1+-Population verloren, und damit verschwinden auch die erschöpften T-Zellen.“ TOX schützt folglich die erschöpften T-Zellen.

Im Klartext heißt das: Ohne TOX gibt es keinen erschöpften Phänotyp, aber auch keine dauerhafte Immunantwort, weil die aggressiven T-Zellen verloren gehen. Zeit zum Umdenken: „Lange dachte man, dass der Erschöpfungszustand eine Art terminales Stadium ist“, sagt Zehn. „Unsere Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass es sich um eine funktionelle Differenzierung der T-Zellen, eine hoch spezifische Anpassung des Immunsystems handelt. Die funktionell reduzierten Zellen schützen den Körper bei einer dauerhaften Infektion vor einer aggressiven Immunantwort und sorgen dafür, dass eine schwache Immunantwort in Gang gehalten werden kann, um das Virus unter Kontrolle halten zu können.“

So sinnvoll der Erschöpfungszustand als Schutz für den Wirt ist, hinderlich ist er für eine wirksame Tumorbekämpfung. „Wir möchten jetzt untersuchen, ob man den Erschöpfungszustand gezielt an- oder abschalten kann, sodass es therapeutisch nutzbar wird“, so Zehn. Durch gezieltes Anschalten ließen sich möglicherweise überschießende Immunreaktionen auf Infektionen oder bei Autoimmunerkrankungen behandeln. Für wirksame Krebstherapien müsste man TOX dagegen ausschalten oder zumindest hemmen. Um eine langfristig wirkende Therapie zu entwickeln, steht den Forschern noch einiges an Arbeit bevor, wie Zehn betont: „Aktuell versuchen wir herauszufinden, wieso die Zellen ohne TOX sterben. Dann kann man versuchen, diese Mechanismen und solche, die zum Aufheben des Erschöpfungszustands führen, voneinander zu entkoppeln.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019