Editorial

Aus dem Gleichgewicht geraten

Larissa Tetsch


(07.02.2022) MARBURG: Je früher man allergisches Asthma bei Kindern erkennt, desto besser kann man es behandeln. Dabei kann eine kürzlich entdeckte T-Zell-Population helfen, die spezifisch für diese Krankheit ist.

Allergisches Asthma tritt häufig bereits im frühen Kindesalter auf und ist für die jungen Patienten oft sehr belastend. Die typischen Symptome wie Husten, Kurzatmigkeit und Atemnot entstehen durch eine fehlgeleitete Immunantwort, die sich gegen an sich harmlose Stoffe aus der Umwelt wie Pollen, Tierhaare oder Nahrungsmittel richtet. Doch obwohl in Deutschland immerhin etwa jedes zehnte Kind an allergischem Asthma erkrankt, weiß man noch recht wenig darüber, wie sich das Immunsystem verändern muss, damit die Krankheit ausbricht.

Magdalena Huber vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Philipps-Universität Marburg möchte mehr Licht ins Dunkel bringen. Mit ihrer Arbeitsgruppe interessiert sie sich für die Zellen des adaptiven Immunsystems, insbesondere die T-Zellen. „T-Zellen sind die Manager der Immunantwort“, erklärt die Biologin. „Sie sagen anderen Immunzellen, was sie tun sollen. Auf diese Weise sind sie an der Entstehung von Allergien, Autoimmunerkrankungen, aber auch von chronischen Infektionen und Tumoren beteiligt.“ Mit ihrer gerade veröffentlichten Studie, in der sie mit ihrem Team T-Zell-Populationen von Kindern mit und ohne allergischem Asthma verglichen hat, ist Huber ihrem Ziel einen großen Schritt näher gekommen (Allergy, doi: 10.1111/all.15110). Unterstützt haben sie dabei die Arbeitsgruppen um Bianca Schaub vom Dr. von Haunerschen Kinderspital am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Henrik Mei vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin. Auch Forscher vom Marburger Institut für Bioinformatik und Biostatistik waren beteiligt.

jc_22_01_03a
Foto: Adobe Stock/Anchalee

Gestörte Immunbalance

T-Zellen sind nicht alle gleich. Es gibt ganz verschiedene Subpopulationen, die unterschiedliche Aufgaben haben: „Wie in einer menschlichen Gesellschaft“, bringt es Huber auf den Punkt. Die verschiedenen Subpopulationen erkennt man an spezifischen Oberflächenmolekülen wie CD4 und CD8 und an dem Mix aus Botenstoffen, den sie produzieren. Bei Kindern gibt es hier manche Besonderheiten, wie die Marburgerin erklärt: „Das Immunsystem reift bis zu einem Alter von 18 Jahren und ist dann relativ stabil, bis es ab 45 Jahren anfängt zu altern. Die meisten Allergien entstehen während der kindlichen Entwicklungsphase.“

Bekannt war bisher, dass die Entstehung des allergischen Asthmas hauptsächlich mit zwei Subpopulationen von T-Zellen zusammenhängt. „Diese nehmen gegensätzliche Aufgaben wahr“, sagt Huber und wählt den anschaulichen Vergleich von Verbrechern und Polizisten. Die Verbrecher sind dabei die T-Helferzellen vom Typ 2. Sie sind typische Treiber von allergisch bedingten Entzündungen und aktivieren im Falle des allergischen Asthmas eine andere Art von Immunzellen, die eosinophilen Granulozyten. Diese wandern in die Lunge ein und lösen dort die krankhaften Veränderungen wie eine vermehrte Schleimproduktion, die Entstehung von inaktivem Atemgewebe und eine verstärkte Reaktivität der Lunge aus. „Die Lunge von Kindern mit allergischem Asthma reagiert sehr empfindlich auf Allergene, Krankheitserreger, aber auch auf an sich völlig unschädliche Substanzen“, beschreibt Huber. „Die Th2-Zellen sind ursächlich für den chronischen Verlauf der Krankheit.“

Als Gegenspieler sind die regulatorischen T-Zellen aktiv. In ihrer Rolle als Polizisten schränken sie die Aktivität der Th2-Zellen ein. „Eine gesunde Immunantwort ist immer in der Balance“, betont die Biologin und fügt dann hinzu: „Th2-Zellen haben natürlich auch eine gute Seite. Sie sind vor allem wichtig für die Bekämpfung von Wurminfektionen. Vermutlich gibt es deshalb in Afrika so wenig Allergien: Die Th2-Zellen sind dort mit der Abwehr der vielen Wurminfektionen beschäftigt.“

Kooperation mit Kinderklinik

Dieses Wissen um die beteiligten T-Zellen müsste sich doch nutzen lassen, um die Immunantworten bei Kindern mit allergischem Asthma so gut zu charakterisieren, dass man sie diagnostisch nutzen kann, dachte sich die Marburgerin und suchte für dieses Unterfangen die passenden Kooperationspartner. „Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, ob erkrankte Kinder Veränderungen in den T-Zell-Populationen haben und ob diese mit Verlauf und Schweregrad der Krankheit korrelieren.“ Im ersten Schritt musste das Team an Probenmaterial – sprich Blut – von erkrankten Kindern gelangen. Hier kam Bianca Schaub ins Spiel, die am Dr. von Haunerschen Kinderspital als Oberärztin und stellvertretende Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz arbeitet. „Das Dr. von Haunersche Kinderspital ist führend auf dem Gebiet der Kinderallergien“, berichtet Huber. „Wir haben von dort peripheres Blut von 14 Kindern mit allergischem Asthma und zum Vergleich von 9 gesunden Kindern bekommen. Dieses haben wir darauf untersucht, welche T-Zell-Populationen vorkommen und wie stark sie vertreten sind.“

Das Besondere an der Kooperation: Die Münchner Ärztin stellte auch die kompletten Krankenakten der Kinder zur Verfügung. „So konnten wir uns vertieft in die Krankengeschichte einarbeiten und den Krankheitsverlauf mit den Ergebnissen unserer Blutuntersuchungen abgleichen“, freut sich Huber.

Im nächsten Schritt beteiligte sich die Berliner Gruppe um Henrik Mei, der am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum das Zentrallabor für Massenzytometrie leitet. Mit der zytometrischen Methode konnten die Berliner Kollegen auf jeder einzelnen Immunzelle gleichzeitig 42 Marker in einem einzigen Assay messen. „Hierfür kommt eine Kombination von Durchflusszytometrie und der induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS) zum Einsatz – eine Technologie, die für die Analyse von Spurenelementen entwickelt wurde“, beschreibt Mei die in seiner Gruppe etablierte Methode. Die Marburger färbten die T-Zellen anhand ihrer spezifischen Oberflächen- und intrazellulären Marker und schickten sie anschließend nach Berlin. Als Retoure erhielten Huber und Co. die Rohdaten, werteten diese aus und brachten sie in einen Zusammenhang mit den Krankengeschichten.

jc_22_01_03b
Magdalena Huber (re.) und ihre Arbeitsgruppe möchten herausfinden, wie ein nicht austariertes Immunsystem zu allergischem Asthma bei Kindern führt. Foto: AG Huber

Allergietreiber entdeckt

Zur Freude aller Beteiligten zeigten sich tatsächlich große Unterschiede zwischen den Blutproben von gesunden und kranken Kindern. Zuerst einmal war bei Asthmatikern das Verhältnis von CD4- zu CD8-Zellen deutlich erhöht. Das Oberflächenmolekül CD4 tragen unter anderem Th2-Zellen – ihre starke Zunahme bei kranken Kindern kann also das veränderte Verhältnis erklären. Auch beim direkten Vergleich der CD4-positiven Zellen von kranken und gesunden Kindern wurde die Forschungsgruppe fündig: „Wir konnten eine proallergische Subpopulation von T-Zellen finden, die spezifisch für Kinder mit allergischem Asthma ist. Die Menge dieser Zellen korrelierte mit der Schwere der Krankheit sowie mit dem Vorhandensein weiterer allergischer Erkrankungen“, so Huber. Viele Kinder mit allergischem Asthma entwickeln nämlich zusätzlich weitere Krankheiten aus dem sogenannten atopischen Krankheitskreis wie die chronische Hautentzündung atopische Dermatitis oder Nahrungsmittelallergien. „Wir glauben, dass wir mit dieser Zellpopulation den gemeinsamen proallergenen Ursprung dieser Krankheiten gefunden haben“, ist Huber überzeugt.

Gleichzeitig gab es auch auf der regulatorischen Seite Unterschiede. So waren die „Polizisten“ bei den asthmatischen Kindern in niedrigerer Frequenz anwesend. Das lag zum einen daran, dass weniger reife Polizisten (regulatorische Effektorzellen) vorhanden waren, zum anderen daran, dass die Ausbildung der regulatorischen Zellen beeinträchtigt war. Diese Veränderungen korrelierten außerdem direkt mit der Zunahme der proinflammatorischen Th2-Zellen.

Die besondere T-Zell-Signatur im Blut von Kindern mit allergischem Asthma soll nun helfen, die Krankheit bei jungen Patienten frühzeitig zu identifizieren und ihre Behandlung zu verbessern. „Betroffene Kinder haben ein verändertes CD4/CD8-Verhältnis, die spezifische Th2-Zell-Population und eine Veränderung der regulatorischen T-Zellen“, fasst Huber die Ergebnisse zusammen. „Alle Merkmale vereint ergeben einen deutlichen Unterschied zwischen gesunden und erkrankten Kindern.“

Neben einem Nutzen bei der Früherkennung kann die T-Zell-Signatur möglicherweise auch prognostisch genutzt werden, hofft Huber. So könnte man frühzeitig Aussagen über den Verlauf treffen und entscheiden, ob eine bestimmte therapeutische Maßnahme, etwa eine Hyposensibilisierung, angeraten ist. „Wir möchten auf jedem Fall an dem Thema weiter dranbleiben und die gute Zusammenarbeit fortsetzen“, bestätigt Huber.