Editorial

Vom Darm bis zum Weihwasserbecken

Juliet Merz


(12.04.2022) FURTWANGEN/SCHWENNINGEN: Mikroben leben überall. Und weil ein paar von ihnen auch den menschlichen Körper als Wohnort in Betracht ziehen, möchten manche Mikrobiologen herausfinden, wo uns im Alltag welche Mikroorganismen begegnen. Um die guten zu schützen und die bösen zu vergraulen.

Früher hatte Markus Egert mit der Erforschung von neurodegenerativen Erkrankungen nicht viel am Hut. Als Mikrobiologe interessiert sich der Professor von der Hochschule Furtwangen für all die meist einzelligen Mitbewohner, die sich nicht nur auf beziehungsweise in uns tummeln, sondern auch unsere Umwelt bevölkern. Doch vor ein paar Jahren weckten Stuhlproben von insgesamt fast sechzig Parkinson-Patientinnen und -Patienten sowie Kontrollpersonen seine Neugier, die er mit seinem Team in den Laborräumen am Campus Schwenningen schließlich genauer unter die Lupe nahm.

Morbus Parkinson gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen und ist bislang nicht heilbar. Zu den typischen motorischen Symptomen gehören etwa Muskelsteifheit oder Ruhezittern. Allerdings können schon Jahre vorher Symptome aufblitzen, die nicht gleich mit der Erkrankung in Verbindung gebracht werden – zum Beispiel Verstopfung. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die Erkrankung, bevor sie das zentrale Nervensystem beeinträchtigt, auch das enterische Nervensystem negativ beeinflusst, das nahezu den gesamten Gastrointestinaltrakt durchzieht (zum Beispiel Neurology 57(3): 456-62). „Gerade bei Erkrankungen, die auch den Verdauungstrakt betreffen, ist es natürlich besonders spannend zu untersuchen, ob sich auch die Darmmikrobiota irgendwie verändert“, so Egert. Die Stuhlproben waren das ideale Studienobjekt, wie der Mikrobiologe weiter erklärt: „Die Probanden hatten nicht nur Stuhl abgegeben, sondern wurden auch ausgiebig befragt und untersucht. So wussten wir zum Beispiel über die Medikation Bescheid, die Ernährungsweisen und ob es in der Familiengeschichte bereits Fälle von neurodegenerativen Erkrankungen gab. Solche umfassenden, gut charakterisierten Datensätze sind Gold wert!“

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Foto: Silicya Roth/ Hochschule Furtwangen

Verarmte Artenvielfalt

Zusammen mit Egerts ehemaligem Mitarbeiter Severin Weis sowie Kollegen aus ganz Deutschland untersuchte die Gruppe zunächst die bakterielle Mikrobiota der Stuhlproben (npj Parkinsons Dis. 5: 28), – und stellte dabei fest: Die Stuhlproben der Parkinson-Patienten wiesen einen signifikant verringerten Artenreichtum der Mikrobiota auf. Außerdem verfügten viele der erkrankten Personen über ein nachweislich erhöhtes Calprotectin-Level. Calprotectin ist ein Protein, das vorrangig von neutrophilen Granulozyten produziert wird und daher als fäkaler Entzündungsmarker dient. Egert: „Jedoch hatte keiner der Probanden von einer akuten oder chronischen Magen-Darm-Erkrankung berichtet. Deshalb vermuten wir, dass der Anstieg von Calprotectin ein Indikator für Veränderungen innerhalb der Darmmikrobiota bei Parkinson sein könnte, der mit asymptomatischen, geringgradigen Entzündungen einhergeht.“

Innerhalb der Personengruppe mit Morbus Parkinson konnten Egert und sein Team eine signifikante, jedoch nicht sehr dramatische Abnahme bakterieller Taxa beobachten, die mit gesundheitsfördernden, entzündungshemmenden, neuroprotektiven oder anderen positiven Wirkungen auf die Darmepithelien einhergehen – etwa Faecalibacterium und Fusicatenibacter. Egert ergänzt: „Gleichzeitig besiedelten Bakterien den Darm der Parkinson-Patienten, die im Verdacht stehen, in immungeschwächten Wirten als opportunistische Pathogene zu wüten. Darunter etwa Vertreter von Clostridiales, Peptoniphilus und Finegoldia.“ Gerade die Medikation der Patienten beeinflusste die Darm-Mitbewohner nachweislich stark. Je nach verabreichtem Medikament florierten unterschiedliche potenziell schädliche Bakterien-Familien beziehungsweise -Gattungen.

Doch mit den Ergebnissen endete das Forschungsvorhaben nicht sofort – die Gruppe um Egert hatte schon ein neues Ziel vor Augen: „Wenn es um Darmmikrobiota geht, konzentrieren sich die meisten – wie wir zu Beginn auch – auf die Bakterien. Das hat verschiedene Gründe; einer ist, dass sie schlicht in der Überzahl sind“, kommentiert Egert. „Allerdings tummeln sich im Darm nicht nur Bakterien. Ein kleiner Teil der Mikrobiota besteht aus Eukaryoten, und hier insbesondere aus Pilzen.“

Um Spuren der Eukaryoten im Darm zu finden, müssen Mikrobiologen ihre Methoden etwas anpassen: Während sich Prokaryoten am besten durch die Sequenzierung von Genen der 16S-ribosomalen RNA aufspüren lassen, müssen Forscher bei Eukaryoten nach anderen Genen suchen, zum Beispiel für die 18S-ribosomale RNA. Gesagt, getan. Als Ergebnis veröffentlichte das Forschungsteam vergangenes Jahr erneut eine Publikation in npj Parkinson’s Disease (7: 101). Wobei die Analyse der Proben dieses Mal ein paar Schwierigkeiten bereithielt.

Egert und Co. nahmen dasselbe Stuhlmaterial aus der vorherigen Studie zur Hand, konnten aber aus lediglich 53 Prozent aller Proben der Parkinson-Patienten auswertbare Daten generieren; bei den Proben aus der Kontrollgruppe waren es immerhin 72 Prozent. Egert begründet: „Wie bereits erwähnt, machen eukaryotische Mikroorganismen nur einen kleinen Teil der Darmmikrobiota aus. Bei der Analyse der Proben kann es dann dazu kommen, dass zu wenig eukaryotisches Gen-Material vorhanden ist und wir dadurch kein PCR-Signal bekommen.“

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Markus Egert (li.) und sein ehemaliger Mitarbeiter Severin Weis haben die Darmmikrobiota von Parkinson-Patienten untersucht. Foto: Hochschule Furtwangen

Dennoch reichten die fast sechzig Stuhlproben, um aussagekräftige Daten zu erhalten. Der Trend aus dem zuvor veröffentlichten Bakterien-Paper setzte sich fort: Die Artenvielfalt der Darm-Eukaryoten sank bei Personen mit Morbus Parkinson signifikant. Am auffälligsten blitzte ein Vertreter hervor: Geotrichum candidum. Der Schimmelpilz ist ein eigentlich harmloser Bewohner unseres Mundes und Darms, der auch bei der Herstellung von Käse eine wichtige Rolle spielt. Bei immungeschwächten Erwachsenen (häufiger bei Frauen) kann der Pilz aber auch zur Geotrichose führen, die von Entzündungen des Mund-Rachen-Raumes und der Haut eine recht vielfältige Symptom-Palette bietet.

In den Proben der gesunden Kontrollgruppe kam der Schimmelpilz mit einer relativen Häufigkeit von 0,05 Prozent unauffällig selten vor. Die Ergebnisse der Parkinson-Patienten hingegen verblüfften: Dort hatte G. candidum eine relative Häufigkeit von fast 40 Prozent. „Damit hatten wir nicht gerechnet,“ kommentiert Egert. „Einen solchen dramatischen Unterschied findet man recht selten.“ Aber wenn der Schimmelpilz auch bei der Käseherstellung eine Rolle spielt, könnte es dann sein, dass Parkinson-Patienten einfach nur gerne Käse essen? Egert: „Die Parkinson-Patienten und die Kontrollgruppe hatten im Fragebogen nicht angegeben, dass sie sich dramatisch unterschiedlich ernährten. Ausschließen kann man es aber nicht.“

Der Mikrobiologe betont, dass die Ergebnisse bislang nur einen groben Einblick bieten. „Ob wir die gleichen Ergebnisse auch in Stuhlproben von anderen Parkinson-Kohorten finden, wäre äußerst interessant. Auch ob es geografische Unterschiede gibt. Außerdem können wir bislang noch nichts darüber sagen, was die möglichen Auswirkungen des Schimmelpilzes auf die Erkrankung sind. Weiterhin ist unklar, ob die veränderte Darmmikrobiota bei Morbus Parkinson die Krankheit begünstigt oder sogar zumindest teilweise mit verursacht, oder andersherum, ob die Krankheit die Darmmikrobiota verändert.“

In und um uns

Doch Egert interessiert sich nicht nur für das Ökosystem Mensch: „Alles, was wir mit unseren Händen oder unserer Haut berühren, beherbergt potenziell für den Menschen relevante Mikroorganismen.“ In den vergangenen Jahren hat der Mikrobiologe deshalb alle möglichen Alltagsgegenstände auf ihre Keimbelastung untersucht. Darunter Spülschwämme, Waschmaschinen, Smartphones oder sogar das Weihwasser in katholischen Kirchen.

Doch die reine wissenschaftliche Neugier reicht für Egerts Forschungsprojekte nicht. „An einer Hochschule für angewandte Wissenschaften müssen wir bei nahezu allen Projekten einen Industrie-Partner mit ins Boot holen, für den das Projekt einen Nutzen hat, damit er es im besten Fall anteilig mitfinanziert“, erklärt Egert. Und wie kommen derartige Projekte zustande? „Eine ganz amüsante Geschichte ist die unseres aktuellen Brillen-Projektes“, schmunzelt der Mikrobiologe. Angefangen habe alles mit einer Studie zur Keimbelastung von Smartphones. „Man hört immer wieder Horrorgeschichten über die Keimschleuder ‚Smartphone’, die sogar Handy-Akne auslösen soll. Dem wollten wir nachgehen.“ Und so beauftragte Egert im Rahmen eines kleines Projektes zwei Studentinnen, Smartphones mit „Abklatsch-Tests“ auf Mikroben hin abzusuchen. Egert: „Als ich zu Beginn meiner Karriere in der Industrie gearbeitet habe, habe ich gelernt: Man kann nicht nur ein Problem beschreiben, man muss auch eine Lösung liefern.“ Daher schickte er die Studentinnen gleichzeitig los, Brillenreinigungs-Tücher zu organisieren, um die Smartphones im Vorher-Nachher-Vergleich auch gereinigt auf ihre Keimbelastung zu prüfen.

„Als wir die Ergebnisse später veröffentlichen wollten, fragten die Reviewer, was in den Brillenreinigungs-Tüchern drin sei“, erinnert sich Egert. Die Putztücher stammten von der Firma Zeiss, deren Kundenservice Egert schließlich kontaktierte. „Ich bekam dann einen Anruf eines Mitarbeiters aus der Entwicklungsabteilung, der wissen wollte, wofür ich diese Information überhaupt brauchte“, erzählt er. „Ich habe ihm von dem Studentenprojekt berichtet, und er war von unserer Forschung hellauf begeistert.“ Der Anruf besiegelte eine jahrelange Kooperation, in der Egert und seine Kollegen beispielsweise Brillen, Mikroskop-Okulare und Spaltlampen auf ihre Keimbelastung untersuchten und die bereits einige Publikations-Früchte getragen hat (zum Beispiel Front. Cell. Infect. Microbiol., doi: 10.3389/fcimb.2021.745653).

„Gerade die Untersuchung von Alltagsgegenständen macht viel Spaß und ist stark von wissenschaftlicher Neugier geprägt“, so Egert. „Manchmal wirkt die Forschung meines Teams wie ein Gemischtwarenladen, weil unsere Projekte sehr divers sind. Das verbindende Element ist jedoch immer die Frage: Welche mikrobielle Gemeinschaft finden wir an bestimmten Orten, und wie wirkt sie sich auf den Menschen aus? Sind uns die gefundenen Mikroben wohlgesinnt oder nicht, und wie können wir die Mikrobiota so ändern, dass sie für den Menschen förderlich wird?“