Editorial

Rezeptor mit Überraschungspotenzial

Larissa Tetsch


(06.09.2022) FRANKFURT AM MAIN: Der T-Zell-Rezeptor wird intensiv erforscht. Dennoch ist bisher völlig unklar, wie durch Antigenbindung die Signaltransduktion ausgelöst wird. Eine Konformationsänderung des Oberflächenrezeptors spielt dabei wohl keine Rolle, wie Frankfurter Biochemiker und Strukturbiologen zeigen konnten.

Cytotoxische T-Zellen sind ein wichtiger Bestandteil des adaptiven Immunsystems: Anhand von Antigenen können sie infizierte oder entartete Körperzellen erkennen und daraufhin gezielt eliminieren – ein Grund, warum sie zunehmend als maßgeschneidertes Werkzeug in der Immuntherapie eingesetzt werden. Wie alle T-Lymphozyten tragen cytotoxische T-Zellen auf ihrer Oberfläche einen hochvariablen Rezeptor für die Antigenerkennung: den T-Zell-Rezeptor. Dieser erkennt kleine Peptide, die infizierte oder entartete Körperzellen – gebunden an Moleküle des Klasse-1-Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC I) – auf ihrer Oberfläche präsentieren. Nach der Antigenbindung lagert sich der Co-Rezeptor CD8 an, der eine gebundene Kinase mit sich führt. Letztere phosphoryliert im cytosolischen Teil des T-Zell-Rezeptors Tyrosine, wodurch eine Signaltransduktionskaskade in Gang gesetzt wird.

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Cryo-EM-Struktur des vollständig zusammengesetzten T-Zell-Rezeptor(TCR)-Komplexes mit einem tumorassoziierten Peptid/MHC-Liganden. Illustr.: AG Tampé

„Die Vorgänge am T-Zell-Rezeptor bauen Schritt für Schritt aufeinander auf“, erklärt Robert Tampé vom Institut für Biochemie der Goethe-Universität Frankfurt, der auf die Strukturanalyse von Membranprotein-Komplexen des adaptiven Immunsystems wie dem T-Zell-Rezeptor spezialisiert ist. „Wenn ein Schritt nicht passt, fällt der ganze Komplex wieder in sich zusammen.“ Während man also schon eine Menge darüber weiß, was im Einzelnen am T-Zell-Rezeptor passiert, ist noch immer unklar, was direkt nach der Antigenbindung geschieht beziehungsweise wie diese die anschließende Phosphorylierung ermöglicht.

Häufig verändern Oberflächenrezeptoren nach der Bindung ihres Liganden ihre Struktur. Setzt sich diese Konformationsänderung über die Zellmembran bis ins Zellinnere fort, kann sie beispielsweise eine Kinase-Domäne aktivieren, die den Rezeptor autophosphoryliert. Möglich ist auch, dass sich zwei Rezeptormoleküle zu einem Dimer zusammenlagern. Dass diese Vorgänge bei einem medizinisch so hochrelevanten Rezeptor wie dem T-Zell-Rezeptor noch nicht aufgeklärt sind, war Grund genug für Tampé und seine Teammitglieder Lukas Sušac und Christoph Thomas, sich dessen Struktur genau anzusehen. Ziel war es, die Struktur des Rezeptors mit gebundenem Antigen abzubilden, um diese mit einer bereits bekannten Struktur ohne Bindung vergleichen zu können. Unterschiede zwischen den Strukturen sollten dann Aufschluss über den Aktivierungsmechanismus geben.

Für die Strukturaufklärung fiel die Wahl der Biochemiker auf die Cryo-Elektronenmikroskopie. Ihr Vorteil ist, dass sich damit im Unterschied zur Röntgenkristallographie einzelne instabile Multimembranprotein-Komplexe untersuchen lassen, die nur in geringen Mengen in Zellen vorhanden sind.

Für die Elektronenmikroskopie musste allerdings der Rezeptorkomplex aus der Zellmembran herausgelöst werden, ohne dass er zerfällt – eine enorme Herausforderung, da der Komplex elf Proteine umfasst: Den eigentlichen T-Zell-Rezeptor bildet die Antigendomäne aus einer α- und einer β-Untereinheit, die beide wie Antikörper zur Immunglobulin-Superfamilie gehören und extrem variable Abschnitte für die Antigenerkennung besitzen. „Beim Menschen existieren etwa 1012 verschiedene T-Zell-Rezeptoren, die sich in ihren variablen Regionen unterscheiden“, erklärt Tampé. „Nach einer klonalen Qualitätskontrolle im Thymus bleiben zwar nur diejenigen übrig, die einerseits die körpereigenen MHC-Moleküle erkennen (positive Selektion), sich aber andererseits nicht gegen Selbstantigene richten und somit die Gefahr einer Autoimmunreaktion verhindern (negative Selektion). Aber auch wenn das nur ein Bruchteil ist, bleibt noch eine ungeheure Vielfalt von 108-109 Rezeptorvarianten übrig.“

Multiproteinkomplex am Haken

Für die Verankerung des T-Zell-Rezeptors in der Membran sorgen sechs zu drei Dimeren zusammengelagerte CD3-Adapterproteine. Diese tragen auf ihrer cytosolischen Seite sogenannte Immunorezeptor-Tyrosin-Aktivierungsmotive (ITAMs), also Sequenzabschnitte, innerhalb derer die Phosphorylierung stattfindet. Zu diesen acht Proteinen des T-Zell-Rezeptorkomplexes kamen noch drei weitere hinzu: Das Antigen und die beiden MHC-I-Untereinheiten. „Das sanfte Herauslösen von Multiproteinkomplexen aus einer Lipidmembran mithilfe von milden Detergenzien ist unsere Expertise“, sagt Tampé und fügt hinzu: „Bislang hätte aber niemand gedacht, dass es überhaupt möglich ist, so große und labile Komplexe stabil aus einer Membran zu lösen.“

Für die Produktion des Rezeptors in Zellkultur holten sich die Frankfurter Hilfe aus Oxford. „Simon Davis ist auf die Biologie des T-Zell-Rezeptors spezialisiert“, so der Biochemiker. „Sein Team hat ein lentivirales System verwendet, um ausgehend von drei DNA-Konstrukten die acht Proteine des T-Zell-Rezeptorkomplexes in Säugerzellen zu produzieren.“ Für den Transport an die Zelloberfläche lagerten sich die acht Komponenten des Rezeptorkomplexes dann von selbst zusammen. Anschließend kam der Antigen-MHC-I-Komplex hinzu. Der ganze Komplex konnte nun sanft aus der Zellmembran herausgelöst werden. Um dabei nur die funktionsfähigen Rezeptorkomplexe zu erhalten, setzten die Strukturbiologen auf einen Trick, wie Tampé erklärt: „Für unsere Studien haben wir einen T-Zell-Rezeptor verwendet, der in der Immuntherapie von Melanomen eingesetzt wird. Dieser ist gentechnisch für eine besonders starke Antigenbindung optimiert worden. Durch die hohe Affinität konnte das Antigen sozusagen als Köder für die funktionalen Rezeptorkomplexe dienen.“ Die MHC-I-Moleküle waren ebenfalls gentechnisch verändert, sodass sie nicht mehr in die Membran inserieren konnten. Stattdessen besaßen sie einen Affinitäts-Tag, über den sie – und damit die Rezeptorkomplexe – aus der Lösung gefischt werden konnten.

Phosphatasen unerwünscht!

Die Cryo-Elektronenmikroskopie lieferte wie erhofft erstmals ein Bild des Antigen-gebundenen T-Zell-Rezeptorkomplexes in nahezu atomarer Auflösung. Und dazu gleich auch eine große Überraschung: Die Strukturen des Antigen-gebundenen und des nicht-gebundenen Komplexes waren faktisch gleich (Cell, doi: 10.1016/j.cell.2022.07.010). „Eine große Konformationsänderung, wie sie andere Oberflächenrezeptoren nach der Ligandenbindung zeigen, können wir deshalb ausschließen“, schlussfolgert Tampé.

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Was nach Antigenbindung am T-Zell-Rezeptor passiert, ist noch kaum erforscht. Das wollen Lukas Sušac (li.) und Robert Tampé ändern. Foto: Katrin Schanner

Stattdessen rückt nun ein anderer, weniger gut verstandener Aktivierungsmechanismus in den Vordergrund: die Kondensation. Durch die Anlagerung von Co-Rezeptoren und anderen Oberflächenproteinen könnten Cluster entstehen, die große Proteine wie Phosphatasen räumlich ausschließen. Dabei handelt es sich um die Gegenspieler der Kinasen, die die CD3-Adapterproteine wieder dephosphorylieren und damit die Signaltransduktionskaskade im Keim ersticken könnten. Ohne die Phosphatasen bleibt die Kaskade dagegen in Gang, bis am Ende die T-Zelle als „Zellkiller“ aktiv wird. „Die Kondensationstheorie wird schon länger diskutiert“, sagt Tampé. „Durch unsere Daten wird sie nun sehr wahrscheinlich.“ Ein Beweis dafür habe man aber noch nicht. „Im cytosolischen Teil des T-Zell-Rezeptors liegen viele unstrukturierte Regionen, die die Strukturaufklärung schwer machen“, bedauert der Strukturbiologe. Den Einwand, dass die unnatürlich hohe Affinität des Rezeptors zum Antigen eine Konformationsänderung verhindert haben könnte, konnten die Forscher immerhin gleich entkräften. Ihrem Kooperationspartner Gerhard Hummer vom benachbarten Max-Planck-Institut für Biophysik gelang es, die einzelnen Optimierungsschritte am Computer rückgängig zu machen und in Simulationen zu zeigen, dass dies die Struktur nicht beeinflusst.

Die Struktur ist erst der Anfang

Auch über dieses unerwartete Ergebnis hinaus lieferte die Cryo-Elektronenmikroskopie wertvolle Erkenntnisse, etwa darüber wie der T-Zell-Rezeptor sein Antigen bindet. So konnten die Forscher bestätigen, dass aus biochemischen Analysen bereits bekannte Disulfidbrücken in den CD3-Untereinheiten den Komplex stabilisieren. Ganz neu war die Beobachtung, dass Sterol-Lipide in die Lücken zwischen die Dimeren eingelagert sind. Sie weisen dort wohl einerseits ebenfalls einen stabilisierenden Effekt auf, sind aber andererseits wahrscheinlich auch an der Zusammenlagerung der Untereinheiten beteiligt. „Auffällig an der Struktur ist außerdem ein Kippwinkel von circa sechzig Grad zur Membran, den niemand so vorhergesagt hatte“, bemerkt Tampé und spekuliert: „Das könnte der Grund sein, warum der T-Zell-Rezeptor effizient zehntausende MHC-Moleküle durchmustern kann, um zwei bis zehn Antigenkomplexe auf der Zielzelle zu erkennen. Für mich eine der faszinierenden ungelösten Fragen.“

Die Struktur soll für die Frankfurter erst der Beginn der Forschung am T-Zell-Rezeptor sein: „Es ist der Traum eines jeden Forschers auf diesem Gebiet, maßgeschneiderte T-Zell-Rezeptoren herzustellen, die Infektionskrankheiten, Autoimmunerkrankungen und Krebserkrankungen behandeln können. Mit unserer Struktur haben wir jetzt eine Blaupause, die wichtige Impulse liefert, um die große Unbekannte – das Signalnetzwerk – aufzuklären und den T-Zell-Rezeptor therapeutisch nutzbar zu machen“, ist Tampé überzeugt.

Und dann gäbe es ja noch einen etwas anders aufgebauten T-Zell-Rezeptor-Typ und andere zelluläre Maschinerien des adaptiven Immunsystems, die sich mit den nun etablierten Methoden ebenfalls untersuchen ließen. Da ist es praktisch, dass am 1. Juli 2022 der Sonderforschungsbereich 1507 „Membrane Protein Assemblies, Machineries, and Supercomplexes“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Start gegangen ist und Erstautor Sušac in diesem Forschungsverbund die Cryo-Elektronenmikroskopie-Infrastruktur-Plattform koordiniert. Um die Begeisterung für sein Forschungsgebiet zu verbildlichen, zitiert der Biochemiker den tschechischen Schriftsteller Franz Kafka: „Wenn man durch eine Tür geht und in einen Raum kommt, sieht man immer gleich die nächsten Türen, die nächste faszinierende Welt.“ Tampé ergänzt: „Unsere Struktur ist so ein Türöffner für viele neue Fragen in der Immunologie und Biomedizin, selbst mehr als ein Jahrhundert nach dem Nobelpreis 1908 an Paul Ehrlich und Ilja Metschnikow für ihre bahnbrechenden Arbeiten zum Immunsystem.“