Überleben im All

Juliet Merz


Editorial

(13.09.2021) KÖLN: Die mögliche Existenz außerirdischen Lebens fasziniert die Menschheit seit jeher. Für die gezielte Suche nach Spuren von Lebewesen in unserem Sonnensystem stellt sich die Arbeitsgruppe Astrobiologie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt deshalb zunächst die Frage: Welche Mikroorganismen von unserer Erde würden die harschen Bedingungen auf anderen Planeten oder Monden überstehen?

Im äußeren Sonnensystem kreisen Monde um Gasplaneten, deren Oberflächen von einer dicken Eisschicht bedeckt sind. Die meisten dieser sogenannten Eismonde (etwa der Saturnmond Europa oder der Jupitermond Enceladus) beherbergen darunter salzhaltige flüssige Ozeane – womöglich die perfekten Geburtsstätten für außerirdisches Leben. Etliche Wissenschaftler, die auf der Suche nach Lebewesen fernab der Erde sind, interessieren sich deshalb brennend für diese Eismonde. So auch Forscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. Dort leitet Petra Rettberg seit 1996 die Arbeitsgruppe Astrobiologie. „Die Astrobiologie beschäftigt sich mit dem Ursprung, der Evolution, der Ausbreitung und der Zukunft des Lebens im Universum. Unsere Arbeit ist sehr interdisziplinär und umfasst die Biologie, Chemie, Physik, Geowissenschaft, Planetenforschung und Astronomie“, beschreibt die studierte Chemikerin die Disziplin – und geht dann genauer auf die Forschung ihrer eigenen Arbeitsgruppe ein: „Wir fokussieren uns auf die Mikrobiologie und möchten wissen, ob Leben außerhalb der Erde überhaupt existieren kann.“

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Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, wühlen sich Rettberg und ihre bis zu neun Mitarbeiter durch ein regelrechtes Potpourri unterschiedlichster sich ergänzender Ansätze. In einem Projekt beschäftigt sich die Kölner Arbeitsgruppe beispielsweise mit den harschen Bedingungen der Eismond-Ozeane. „Wir versuchen herauszufinden, ob und welche Mikroorganismen von der Erde mit der Umwelt auf Enceladus oder Europa zurechtkommen würden“, so Rettberg – und beschreibt den Sinn hinter der Bestrebung genauer: „Um Leben auf den Eismonden zu suchen, müssen wir erst einmal wissen, was uns da erwarten könnte.“

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Illustr.: JM
Auf eisigen Monden

Die Bedingungen in den Ozeanen auf Europa und Enceladus – also kalt und salzig – sind für einige auf der Erde lebende Mikroorganismen gar nicht so ungemütlich: „Es gibt Organismen aus der Arktis und der Antarktis, die sich bei bis zu minus 15 Grad Celsius in salzhaltigen Medien vermehren und sogar bei bis zu minus 25 Grad Stoffwechsel betreiben können“, so Rettberg. „Dazu zählen zum Beispiel das grampositive Bakterium Planococcus halocryophilus und die aus der Arktis stammende Hefe Rhodotorula. Es gibt noch viele weitere extremophile Mikroorganismen, aber wir verwenden aktuell diese beiden als Modellsysteme.“ Welche Bedingungen aber genau auf den Eismonden herrschen, können die Forscher nur vermuten. „Bislang hat niemand gemessen, wie hoch die Salzkonzentration der Eismond-Ozeane tatsächlich ist oder wie kalt es dort ist“, gibt Rettberg zu. „Für uns geht es jetzt darum, unterschiedliche extreme Umweltbedingungen zu testen – und ob unsere Modellorganismen diese überstehen.“ Die Kölner Gruppe erprobt die Überlebenschance ihrer Kandidaten daher bei besonders kalten Temperaturen in der Antarktis in sogenannten Expositionsboxen für mindestens anderthalb Jahre.

Aktuell gehen Rettberg und ihr Team davon aus, dass extraterrestrisches Leben den Lebensformen ähnelt, wie wir sie auf der Erde kennen. „Das heißt, die Lebewesen basieren auf einer Kohlenstoffchemie, es muss in ihrem Lebensraum eine Energiequelle geben – im Falle der Eismonde wahrscheinlich chemische Energie – und es muss zumindest vorübergehend flüssiges Wasser vorhanden sein.“ Diese drei Eigenschaften grenzen die Orte im Sonnensystem drastisch ein, wo die Wissenschaftler Leben für möglich halten. Neben den bereits erwähnten Eismonden erfüllt auch unser Nachbarplanet Mars diese Bedingungen. „Auf den ersten Blick erscheint der Mars recht lebensfeindlich. Man weiß jedoch von Planetenforschern, dass er in früherer Zeit – nämlich genau dann, als auch das Leben auf der Erde entstanden ist – der Erde relativ ähnlich war. Damals herrschten dort höchstwahrscheinlich ein höherer Druck, eine dichtere Atmosphäre und somit auch höhere Temperaturen, sodass auch flüssiges Wasser auf der Oberfläche vorkommen konnte“, weiß Rettberg.

Aktuell ist der Mars jedoch sehr trocken, viel zu kalt, und seine Oberfläche ist für Leben nur wenig einladend: Die solare UV-Strahlung ist durch eine nur dünne Atmosphäre dermaßen ungefiltert, dass auf der Marsoberfläche kein Organismus lange überlebt – das haben Rettberg und Co. getestet: „Wir haben das Sonnenspektrum, wie es auf dem Mars vorherrscht, im Labor in sogenannten Weltraumsimulationsanlagen nachgestellt und getestet, wie dieses auf Mikroorganismen wirkt.“ Es zeigte sich, dass die UV-Strahlung der lebensfeindlichste Faktor auf dem Mars ist, weil er die DNA zu stark schädigt (Adv. Space Res. 40: 1672-7). Die anderen Faktoren beeindruckten die Mikroben hingegen nicht ganz so stark; kalte Temperaturen oder Trockenheit tolerierten die meisten in den Tests untersuchten über lange Zeit.

Doch Wissenschaftler weltweit haben die Suche nach Leben auf dem Mars noch nicht aufgegeben: Der nächste Halt liegt eine Etage tiefer – im Marsboden. Die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) hat dafür schon konkrete Pläne. Nächstes Jahr soll eine Raumsonde im Rahmen der ExoMars2022-Mission auf den Nachbarplaneten fliegen, in den Marsboden bohren und diesen in situ untersuchen. Besonders wichtig dabei: die Einhaltung der internationalen Planetenschutz-Richtlinien. Diese wurden schon 1976 bei einer der ersten Mars-Missionen berücksichtigt und sollen verhindern, dass in unserem Sonnensystem fremde Planeten und Monde von astrobiologischem Interesse kontaminiert werden. „Gerade für die Forschung ist das sehr wichtig, da wir damit falsch-positive Ergebnisse vermeiden beziehungsweise ausschließen können“, stellt Rettberg klar. Gleichzeitig sollen die Richtlinien aber auch die gesamte Menschheit vor möglicherweise schädlichen extraterrestrischen Agenzien schützen, wenn Material von einem Himmelskörper auf die Erde gebracht wird.

Rettberg und ihr Team führen deshalb im Auftrag der ESA seit 2003 sogenannte Planetary Protection Verification Assays durch und sind auch für die ExoMars2022-Mission zuständig. „Erstmal ist die Firma, die das Raumfahrzeug baut, dazu verpflichtet, die Planetenschutz-Richtlinien einzuhalten“, berichtet Rettberg. „Wir sind die unabhängige Kontrollinstanz. Das bedeutet, wir messen die biologische Belastung des Reinraums und des Raumfahrzeugs, indem wir verschiedene Wischproben nehmen. Die ESA muss anhand unserer Ergebnisse dann einordnen, ob die Planetenschutz-Richtlinien eingehalten werden.“

Voll verstrahlt

Allerdings sorgen sich die Wissenschaftler nicht nur um den Schutz der Planeten, sondern auch um den der Astronauten. In einem weiteren Projekt testet das Kölner Team deshalb, ob die fehlende Gravitation die DNA-Reparaturprozesse beeinflusst. Denn im Weltraum gibt es nicht nur UV-Strahlung, die das Erbgut schädigen kann, sondern auch gefährliche ionisierende Strahlung. Das Projekt dazu befindet sich noch in den Kinderschuhen: Rettberg und Co. schicken bald Bakterien ins All, genauer auf die Internationale Raumstation (ISS). „Dort sind die Mikroorganismen Strahlung ausgesetzt, und wir beobachten anschließend ihre Reparaturleistung unter Mikrogravitation“, beschreibt Rettberg den Versuchsablauf und ergänzt: „In der sogenannten BIOLAB-Facility auf der Raumstation befindet sich außerdem eine kleine Zentrifuge, die 1 g Schwerkraft produziert, damit wir einen direkten Vergleich haben.“

Zurück auf der Erde gehen die Bemühungen um das Wohlbefinden der Astronauten weiter. In einem Gewächshaus in der Antarktis namens EDEN-ISS überprüfen die Forscher, wie sicher der abgeschottete Anbau von Lebensmitteln ist. Erste Ergebnisse veröffentlichten Rettberg et al. im vergangenen Jahr (Front. Microbiol. 11: 525). Über neun Monate lang wurden Nutzpflanzen wie diverse Salate, Tomaten und Gurken herangezogen sowie geerntet und anschließend die mikrobielle Belastung des Gewächshauses und der darin enthaltenen Pflanzen getestet. Dabei verglich das Team um Rettberg die Proben aus dem EDEN-ISS-Gewächshaus mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt.

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Egal ob Planetenschutz oder Sicherheit von gezüchteten Lebensmitteln: In der AG Astrobiologie von Petra Rettberg dreht sich alles um Mikroben. Foto: DLR

Die erfreuliche Nachricht (für die Astronauten): Die mikrobielle Diversität und Belastung in EDEN-ISS war deutlich niedriger als bei kommerziellen Anbietern von Obst und Gemüse. Es gibt also keine Bedenken, die in EDEN-ISS angebauten Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteile zu essen – ein weiterer Schritt für die Selbstversorgung von Astronauten. „Wir möchten das Experiment allerdings in einer zweiten Saison noch einmal überprüfen“, blickt Rettberg in die Zukunft. „Damals war das Gewächshaus noch ganz neu, doch jetzt läuft das schon über einige Jahre. Da ist es wichtig nachzuschauen, ob die angebauten Pflanzen immer noch sicher sind.“

Um die Pflanzen und auch die Beprobung kümmern sich Rettberg und ihr Team aber nicht selbst, dafür ist aktuell eine Gastwissenschaftlerin der National Aeronautics and Space Administration (NASA), die Botanikerin Jess Bunchek, vor Ort. (Auf ihrem Instagram-Kanal @astro_botanist gibt sie einen Einblick in ihre Arbeit.)

Und während Bunchek sich in der Antarktis um Gemüse und Obst kümmert, sprüht Rettberg vor unzähligen weiteren Ideen. „Ich halte es für sehr wichtig, die mikrobiologischen Grundlagen bei der Erforschung unseres Sonnensystems noch weiter auszubauen. Es stehen noch viele Fragen offen, aber wir sind in unseren Mitteln natürlich begrenzt“, so Rettberg. Einen Einblick in ein mögliches zukünftiges Projekt gewährt sie uns aber doch: „Wir fänden es unglaublich spannend, einen kleinen Bioreaktor auf dem Mond oder dem Mars zu betreiben.“ Warum? „Um zu erforschen, wie die Mikroben mit der Umgebung klarkommen und möglicherweise dort genutzt werden können“, deutet Rettberg an. Alles Weitere bleibt vorerst ein Betriebsgeheimnis.