Editorial

Unterschätzte Fehlerquelle

Unerwünschte Bindung von Peptiden an Reaktionsgefäße

Miriam Colindres


Reaktionsgefäße wählt man zumeist nach geigneter Größe oder passendem Volumen aus. Bei der Arbeit mit Peptiden sollte man aber auch auf das richtige Material achten.

Wissenschaftliche Experimente sollen messbare Ergebnisse liefern, nachvollziehbar, wiederholbar und objektiv sein. Entsprechend tut man alles, um die Ursachen von Fehlern, wie zum Beispiel falsche Probenlagerung, Pipettierfehler, ungenügendes Mischen, das Einschleppen von Verunreinigungen oder den Abbau von Proteinen, von vorne herein zu vermeiden oder die Fehler so klein wie möglich zu halten. Zu diesen bekannten Fehlerquellen kommt jedoch eine weitere hinzu, die viele nicht auf der Rechnung haben: die Adsorption von Proteinen an die Oberfläche von Reaktionsgefäßen und anderen Probenbehältern.

In einem kürzlich erschienen Paper zeigen Miriam Goebel-Stengel und ihre Kollegen vom Digestive Diseases Research Center in Los Angeles und dem Martin Luther Hospital in Berlin, dass man die dadurch verursachten Fehler, gerade bei quantitativen Arbeiten mit Peptiden, nicht unterschätzen sollte (Analytical Biochemistry 414 (2011) 38-46).

Proteine haben aufgrund ihrer Größe, Flexibilität und Ladung sowie ihres amphoteren Charakters stark oberflächenaktive Eigenschaften und adsorbieren unterschiedlich stark an Oberflächen. Bei Trennverfahren ist dies sehr nützlich, bei quantitativen Analysen verursacht dies jedoch unerwünschte und vor allem unkalkulierbare Probenverluste.

Kein neues Problem

In ihrem Paper gehen Goebel-Stengel et. al der Bindung von Proteinen an die Oberfläche von Laborgefäßen auf den Grund. Das Problem ist nicht gänzlich neu. Mit Zusätzen wie Tween-20, hohen Salzkonzentrationen oder BSA versuchen Biowissenschaftler schon seit langer Zeit die Proteinadhäsion an Oberflächen zu reduzieren. Diese Zusätze können jedoch nachfolgende Experimente stören, zum Beispiel massenspektroskopische Analysen.

Für ihre Studie wählten die Autoren acht radioaktiv markierte Peptide aus, die häufig in biologischen Geweben und Flüssigkeiten untersucht werden. Dazu gehörten: Ghrelin, GLP-1, Insulin, Leptin, PYY, CRF, CCK-8S und Nesfatin. Diese Peptide weisen unterschiedliche Nettoladungen zwischen -4 und +6 auf, unterscheiden sich in ihrer Länge (8-154 Aminosäuren), den Endgruppen (freie Carbonsäure oder Carbonsäureamide) und in ihren posttranslationalen Modifikationen.

Unter den getesteten Laborgefäß-Materialien befanden sich die üblichen Verdächtigen, wie Borsilikat und Flintglas, die zum Beispiel in Einmalkulturgefäßen verwendet werden. Hinzu kamen Polypropylen und Polystyren (Polystyrol), die zu den meist verwendeten Plastikoberflächen im Labor zählen. Außerdem testete die Gruppe Polyallomer und Polycarbonat, aus denen viele Zentrifugenröhrchen gefertigt sind.


Laborgefäß-Material


Die Auswahl des Reaktions- und Laborgefäß-Materials sollte man bei der Arbeit mit Peptiden nicht dem Zufall überlassen.


In einem Versuchsansatz ließ die Gruppe die Gefäße unbehandelt, in einem zweiten blockierte sie die Oberfläche der Gefäße mit BSA, um den Probenverlust aufgrund von unspezifischen Wechselwirkungen mit der Oberfläche zu reduzieren. In einem weiteren Ansatz versetzten Goebel-Stengel et al. die Gefäße schließlich mit einem silikonisierenden Agens. Diese Methode löst zunehmend den Zusatz von BSA ab. Gelöste Silanolpolymere reagieren hierbei mit den Silanolen der Glasoberfläche und bilden kovalente Bindungen. Die hydrophoben Eigenschaften des Silikons reduzieren letztlich die Protein-Oberflächenwechselwirkung.

Die Lösungen der mit Jod-125 radioaktiv markierten Peptide inkubierten Stengel und Co. für 48 Stunden in den sechs verschiedenen Gefäßen und überführten anschließend je ein Milliliter in ein Borsilikat-Tube. Die Kontrollen bestanden aus Lösungen mit den radioaktiven Liganden, die 48 Stunden in Borsilikat-Tubes inkubiert wurden. Die Radioaktivität maß die Gruppe mit einem Gammazähler.

Die Messungen lieferten ein eindeutiges Ergebnis: Die Wiederfindungsrate der Proteine hängt sehr stark von der Oberfläche der verwendeten Gefäße ab. Bis zu 70 % an radioaktiv markiertem Ghrelin und CCK-8S banden an die Oberfläche von Flintglas oder Polystyren. In Polypropylen fielen die Verluste deutlich kleiner aus. Im Gegensatz dazu war die Insulinausbeute in Polypropylen am geringsten und in Polyallomer-Tubes am höchsten. Auch die Verwendung von Polycarbonat verbesserte die Ausbeute von Insulin signifikant. Für PYY, CRF und CCK-8S wiederum machte es keinen großen Unterschied, ob Polyallomer oder Polycarbonat verwendet wurde. Bei Nesfatin1 und CRF unterschieden sich die Ausbeuten zwischen den weniger und den besser geeigneten Tubes, nur um 5%.

Die Verwendung von Borsilikat-Tubes verbesserte bei den meisten getesteten Peptiden die Ausbeuten im Vergleich zu Flintglas signifikant. Für Nesfatin-1 und CCK-8S gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Glasmaterialien. Zur Überraschung der Autoren verringerte die Silikonisierung der Tube-Oberflächen bei den meisten Peptiden die Ausbeute. BSA dagegen bestätigte seinen Ruf unerwünschte Proteinbindungen zu unterdrücken. In den meisten Fällen verbesserte die Zugabe von 1 % BSA die Ausbeute und in keinem der getesteten Tubes kam es zu einer Verschlechterung.

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die gängige Ansicht, unterschiedliche Glasoberflächen würden bei der Arbeit mit Proteinen keine große Rolle spielen, sehr fahrlässig ist. Die Verwendung eines ungeeigneten Glases kann die Rückgewinnungs-Ausbeute von 63 % auf 20 % senken wie das Beispiel Ghrelin zeigt. Dasselbe gilt für Plastikoberflächen. So bleibt zum Beispiel CCK-8S fast vollständig an Polystyren-Oberflächen hängen (Wiederfindungsrate: 16%), während es an Polypropylen fast gar nicht adsorbiert (Wiederfindungsrate: 86 %).


Schwierige Vorhersage

Wünschenswert wäre eine Methode, mit der Forscher abschätzen können, wie stark einzelne Peptide an eine bestimmte Oberfläche binden. Damit könnte man die optimalen Tubes bereits im Voraus auswählen. Unter den getesteten Peptiden waren drei basisch (PYY, Leptin und Ghrelin), drei sauer (Nesfatin-1, GLP-1 und CCK-8S) und zwei waren ungeladen (Insulin und CRF). Diese Eigenschaften ließen sich jedoch mit den erzielten Ergebnissen nicht in ein Muster einordnen, mit dem man das Bindungsverhalten der Peptide beziehungsweise Proteine voraussagen könnte. So war zum Beispiel die Rückgewinnungsrate von Ghrelin, trotz der hydrophoben Seitenkette, in Plastikgefäßen höher als in Glasgefäßen. Eigentlich würde man erwarten, dass die hydrophoben Seitenketten stärker mit der Plastikoberfläche wechselwirken.


Empfohlenes Material

Auch anhand anderer Protein-Eigenschaften, wie zum Beispiel der Größe, der Nettoladung oder der Ladungsverteilung, lässt sich die Bindungspräferenz von Proteinen an die Oberflächen von Reaktionsgefäßen nicht prognostizieren.

Das klingt im ersten Augenblick ernüchternd, dennoch kann der Experimentator aus dieser Studie einiges lernen. So empfehlen die Autoren Borsilikatglas und Polypropylen bevorzugt zu verwenden, da sie mit diesen Materialien für sieben aus acht Proteinen im Durchschnitt die besten Ergebnisse erzielten. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Oberflächen-Silikonisierung nicht immer sinnvoll ist und sogar zu höheren Peptid-Verlusten führen kann.

Im Verlauf eines Experiments verwendet man in der Regel viele verschiedene Glas- und Plastikbehälter, die aus unterschiedlichen Materialien hergestellt sind. Bei kleinen Peptidkonzentrationen führt dies zwangsläufig zu verfälschten Ergebnissen. Dies lässt sich sehr einfach vermeiden. Wenn der Experimentator zum Beispiel weiß, dass seine Peptide nur geringfügig an Polypropylen binden, sollte er wann immer möglich Polypropylengefäße verwenden. Mit BSA kann man der Peptid­adsorption zusätzlich entgegenwirken, muss dieses aber wieder entfernen, bevor man zum Beispiel spektroskopische Analysen durchführt.

Es lohnt sich also durchaus zu überlegen, welche Tubes man für welche Proteine­ benutzt. Wer ganz genau wissen möchte, welches Laborgefäß-Material für sein Peptid am besten geeignet ist, muss dies aber, so der Rat von Goebel-Stengel et al., selbst experimentell ermitteln.




Letzte Änderungen: 27.07.2011