Editorial

Jagd auf Neo-Antigene
Frame-shift-Peptid-Arrays

Miriam Colindres


Tumorzellen verraten sich bei einigen Krebsarten durch sogenannte Neo-Antigene, die auf der Zelloberfläche auftauchen. Für Tumorvakzine sind insbesondere Neo-Antigene interessant, die von Antikörpern erkannt werden. Mit einem Frame-Shift-Peptid-Array kann man die vielversprechendsten Vakzin-Kandidaten aufspüren.

Personalisierte Impfstoffe, welche die Immunantwort des Körpers gegen Krebs­zellen aktivieren, könnten die Krebs-Therapie einen großen Schritt voranbringen. Ein Angriffspunkt für Tumorvakzine sind sogenannte Neo-Antigene, die Tumorzellen exprimieren und als fragmentierte Neo-Peptide auf ihrer Oberfläche präsentieren.

Zunächst muss man jedoch wissen, welche der unzähligen Neo-Antigene tatsächlich eine Immunantwort auslösen. Mit Algorithmen versuchen Krebsforscher Peptid-Epitope vorherzusagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Anti-Tumor-Antwort des Immunsystems führen.

Um sicherzustellen, dass Tumor-Impfstoffe eine Reaktion auslösen, enthalten sie in der Regel zehn bis zwanzig verschiedene Neo-Antigene. Ob man wirklich einen Treffer gelandet hat, weiß man jedoch erst, wenn der Impfstoff verabreicht wurde – und bis dahin ist meist schon viel Zeit vergangen.

Mikrosatelliten-instabile (MSI) Tumore sprechen besonders gut auf Immuntherapeutika an. Die Wirkung dieser Tumorvakzine könnte noch verstärkt werden, wenn man sie mit Checkpoint-Inhibitoren kombiniert, wie zum Beispiel Pembrolizumab, das in den USA bereits zur Behandlung fortgeschrittener Tumoren mit dem MSI-high-Phänotyp zugelassen ist. Allerdings gibt es nicht viele Patienten mit diesem speziellen Phänotyp.


Ausgesuchte Frame-Shift-Neo-Peptide werden synthetisiert und auf einem Microarray immobilisiert. Anschießend inkubiert man die Arrays mit Patientenserum und visualisiert die Bindung von Antikörpern an die Peptide mit einem fluoreszierenden Sekundärantikörper. Frame-Shift-Neo-Peptide, die eine besonders starke Antikörperreaktion auslösen, kommen als Tumorimpfstoffe in Frage. Illustration: Gruppe Johnston

Verschobener Leserahmen

Bei MSI-Tumoren entstehen Frame-Shift-Neo-Peptid (FSP)-Antigene aufgrund der fehlerhaften Reparatur von Indels während der DNA-Replikation. FS-Peptide, die von instabilen Mikrosatelliten stammen, führen zwar zu einer starken Immunantwort, treten jedoch sehr selten auf und sind in Tumorimpfstoffen deshalb kaum vertreten.

Stephen Johnstons Gruppe von der Arizona State University vermutete, dass es noch weitere Quellen für FS-Neo-Antigene in Tumoren geben müsste. Dazu könnten zum Beispiel Transkriptionsfehler durch RNA-Polymerasen ohne Proof-Reading-Funktion oder falsch gespleißte Exons zählen. Über das Genom des Tumors, beziehungsweise die Mikrosatelliten-DNA, kennt man die möglichen Sequenzen der hierdurch entstehenden FS-Neo-Peptide.

Die Strategie des Teams sah deshalb vor, die in Frage kommenden FS-Peptide zu synthetisieren und auf einem sogenannten Frame-Shift-Peptid-Array aufzubringen. Tröpfelt man etwas Patienten-Blutserum auf den Array, so binden die darin enthaltenen Antikörper an einzelne FS-Peptide. Mit einem ­Fluoreszenz-markierten Sekundäranti­körper kann man anschließend die Antikörperbindung an die FS-Peptide analysieren und FS-Peptide aufspüren, die für ein Tumorvakzin besonders geeignet sein könnten. Das Team entschied sich, mit Blick auf eine spätere Entwicklung eines FS-Peptid-Tumorvakzins, zunächst dafür, den FS-Peptid-Array an Hunden zu testen, die ähnliche Krebsarten entwickeln wie Menschen.

Studie mit Hunden

Die Forscher wählten 322 FS-Peptide aus 14.000 möglichen Indel-FS-Peptiden des Hunde-Genoms aus. Diese ergänzten sie mit 19 zu humanen FS-Peptiden homologen Kandidaten, die durch fehlerhaftes Spleißen entstehen. Dazu kamen dann noch 36 weitere humane FS-Peptide, die in Hunden stark konserviert sind. Auf Basis dieser 377 FS-Antigene synthetisierten die Amerikaner 830 Peptide und druckten sie auf Amin-beschichtete-Microarray-Träger. Jedes FS-Antigen wurde von ein bis vier Peptiden repräsentiert, die 17 Aminosäuren lang waren (17-mer-Peptide).

Die Gruppe inkubierte die Frame-Shift-Peptid-Arrays über Nacht mit Blutserum der krebskranken Hunde und versetzte sie anschließend mit einem fluoreszierenden Sekundärantikörper. Dieses Experiment führten Johnstons Mitarbeiter für neun verschiedene Krebsarten durch: Karzinom, Fibrosarkom, Hämangiosarkom, Lymphom, Mastzelltumor, Osteosarkom, histiozytäres Sarkom, Synovialsarkom und maligne Histiozytose. Als Kontrolle verwendete die Gruppe Seren gesunder Hunde.

Fluoreszenz in Krebsproben

In den Krebsproben traten durch die Bank signifikant stärkere Fluoreszenz-Signale auf als in den Kontrollen – zumeist ausgehend von FS-Peptiden der Mikrosatelliten-instabilitäten – aber auch von Spleiß-FS-Peptiden. Bei etwa der Hälfte der Peptide war die Fluoreszenz in den Tumorproben vergleichbar mit der Fluoreszenz in den Kontrollen. 122 FS-Peptide in den Tumorproben führten zu einer sehr starken Fluoreszenz, 65 FS-Peptide zeigten jedoch keinerlei Fluoreszenz-Signal.

Mehr als 400 FS-Peptide reagierten demnach stärker mit den Tumorproben als mit den Kontrollen. Die Gruppe ging davon aus, dass sich etliche davon als Antigene beziehungsweise Peptid-Epitope für Tumorvakzine eignen müssten. Gleichzeitig wollte sie herausfinden, warum 65 FS-Peptide keinerlei Reaktion zeigten.

Das Team suchte deshalb nach reaktiven und nicht reaktiven FS-Peptiden, die vom gleichen FS-Antigen abstammten. Fündig wurden die amerikanischen Forscher bei einem FS-Antigen, das von dem Gen CS1 herrührte. Ein FS-Peptid dieses Antigens reagierte sehr stark mit Antikörpern aus den Krebsproben, ein anderes dagegen überhaupt nicht.

Die Wirkung dieser beiden FS-Peptide als Tumorimpfstoffe verglichen die Amerikaner in Mäusen, die an einem Melanom oder an Brustkrebs litten. Dazu immunisierten Johnstons Mitarbeiter die Tiere mit einer Genkanone und zusätzlich über eine subkutane Injektion mit den FS-Peptiden.

Nur reaktive FS-Peptide wirken

Knapp drei Wochen später stand das Ergebnis fest: Der Impfstoff mit dem reaktiven FS-Peptid hielt den Tumor in beiden Tumor-Mausmodellen wesentlich besser in Schach als der Impfstoff mit dem nicht-reaktiven FS-Peptid. Mit dem Frame-Shift-Peptid-Array ist es also prinzipiell möglich, FS-Antigene auszuwählen, die sich für Tumorvakzine eignen könnten.

Die Forscher vermuteten, dass die positive Antikörper-Reaktion durch eine direkte Anti-Tumor-Wirkung ausgelöst wurde oder von einem indirekten Anti-Tumor-Mechanismus herrührte, etwa der Aktivierung von CD4-T-Zellen. Die Antikörper-Reaktion müsste demnach mit der Anti-Tumor-Wirkung korrelieren – je stärker die Antikörper-Reaktion gegen die FS-Peptide, desto schwächer sollte das Tumorwachstum sein.

Gebremstes Tumorwachstum

Um diese Annahme zu überprüfen, analysierten die Forscher die Antikörper-Reaktion der Blutseren aus den mit reaktiven FS-Peptiden immunisierten Mäusen mit einem ­ELISA-Test direkt nach der Immunisierung und bei der Tumoranalyse. Das Ergebnis war eindeutig: Die Größe des Tumors hing tatsächlich von der Stärke der Antikörper-Reak­tion gegen die reaktiven FS-Peptide ab.

Eine weitere kritische Komponente bei der Tumorabwehr, die T-Zell-Antwort, untersuchte das Team ebenfalls. Dazu isolierte es Milzzellen aus zehn mit reaktiven FS-Peptiden immunisierten Mäusen am Endpunkt des Experiments, also zum Zeitpunkt der Tumoranalyse. Die Milzzellen wurden für 48 Stunden mit den reaktiven FS-Peptiden des Impfstoffs inkubiert und anschließend die T-Zell-Aktivität gegen die FS-Peptide mit einem IFN-γ­ELISPOT-Assay gemessen.

Effektive T-Zell-Epitope

Die reaktiven FS-Peptide induzierten in sämtlichen Mäusen eine positive T-Zell-Antwort. Mit nicht-reaktiven FS-Peptiden erhielten die Forscher aber ebenfalls eine positive T-Zell-Antwort. Daraus schlossen sie, dass FS-Peptide, die keine Antikörper-Antwort auslösen, dennoch effektive T-Zell-Epitope aufweisen.

Interessant ist, dass der Tumor-Schutz von der T-Zell-Antwort abhing: Mäuse, die mit reaktiven FS-Peptiden geimpft wurden und am Ende des Experiments kleinere Tumore aufwiesen, zeigten auch eine stärkere T-Zell-Antwort als Mäuse mit größeren Tumoren.

Johnstons Team untersuchte nur einen winzigen Bruchteil der etwa 220.000 möglichen FS-Antigene. Peptid-Arrays herzustellen, die alle möglichen FS-Antigene abdecken, ist grundsätzlich kein Problem. Mit diesen umfassenden FS-Peptid-Arrays sollte es möglich sein, noch viele weitere Neo-Antigene aufzuspüren, die bei einzelnen Tumorarten oder sogar Tumor-übergreifend starke Antikörper-Reaktionen auslösen. Darunter dürften auch etliche sein, die als Tumorvakzine in Frage kommen.



Letzte Änderungen: 08.03.2019