Editorial

Land in Sicht?
Prokaryotische Ago-Proteine

Andrea Pitzschke


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Einem griechischen Mythos zufolge segelten die Argonauten auf ihrem Schiff Argo von der Stadt Iolkos nach Kolchis im heutigen Georgien, um das goldene Vlies zu erobern. Einzelne prokaryotische Vertreter der nach den antiken Seefahrern benannten Argonauten-Proteine könnten für das Genom-Editieren geeignet sein. Foto: Encyclopædia Britannica

Argonauten-Proteine galten noch vor wenigen Jahren als mögliche Gen-Editing-Konkurrenten für CRISPR-Cas. Bis sie durch vorschnelle Publikationen in schweres Fahrwasser gerieten und erhebliche Zweifel an ihrer Tauglichkeit als Genom-Editoren auftauchten. Inzwischen sind sie dem ersehnten Ziel aber wieder etwas näher gekommen.

In Eukaryoten bewerkstelligen Argonauten-Proteine (eAgos) als Teil des RNA-Induced Silencing Complex (RISC) einen wichtigen Schritt beziehungsweise Schnitt bei der RNA-Interferenz (RNAi). Sie binden an die kurzen doppelsträngigen siRNA-Moleküle, die nach der RNA-RNA-Paarung von DICER bereitgestellt werden, und zerschneiden den zu einer Ziel-RNA komplementären Strang. Anschließend lassen sie sich vom übriggebliebenen guide-Strang (gRNA) zur passenden Ziel-mRNA führen, die sie ebenfalls zerschneiden. Im weitesten Sinne sind eAgos also Endonukleasen, die von nicht-kodierenden kurzen RNAs zu ihren Ziel-RNAs gelotst werden.

Wie eAgos bestehen auch prokaryotische Agos (pAgos), bis auf einzelne Ausnahmen, aus vier Domänen: MID- und PAZ-Domäne binden an die 5´und 3´-Enden der gRNAs. Die RNAse-ähnliche PIWI-Domäne beherbergt eine katalytische Tetrade, die für das Zerschnippeln der Ziel-Sequenzen verantwortlich ist. Die N-Domäne scheint hingegen für das Entwinden des RNA-Duplexes zuständig zu sein.

Variablere Domänen

In Eukaryoten sind die Domänen sehr ähnlich aufgebaut, in Prokaryoten ist ihre Vielfalt dagegen wesentlich größer. So fand Alexei Aravins Gruppe vom California Institute of Technology in Pasadena über 700 nicht-redundante Proteinsequenzen, als sie aktuelle Datenbanken nach pAgo-homologen Sequenzen in Archae und Eubakterien abgraste, die unabhängig von der Stammbaumzugehörigkeit per Zufall über verschiedene Genera verteilt sind (mBio 9:e01935-18).

Die Domänen-Architektur der pAgos lässt sich in drei Typen einteilen: kurzer Typ, langer Typ A und langer Typ B. Grob gesagt, fehlt den Vertretern des kurzen Typs die PAZ-Domäne und ihre PIWI-Domäne weicht an katalytisch relevanten Positionen ab. Letzteres trifft auch auf den langen Typ B zu. Als Werkzeug für genetische Manipulationen sind pAgos des langen Typs A am vielversprechendsten, da sie eine vollständige Domänen-Architektur und ein intaktes katalytisches Zentrum aufweisen. Hinzu kommt, dass sich einige pAgos, wie zum Beispiel TtAgo (Thermus thermophilus), PfAgo (Pyrococcus furiosus) sowie MjAgo (Methanocaldococcus jannaschii), von siDNA statt siRNA leiten lassen und DNA zerschneiden.

Bemerkenswert ist, dass Prokaryoten, die pAgos ohne aktive Nuklease-Domäne exprimieren, in unmittelbarer Nähe des entsprechenden Lokus, oder oft als Teil desselben Operons, ein Nuklease-Gen tragen. Häufig gibt es in der Nachbarschaft auch kodierende Sequenzen für Helikasen und DNA-bindende Proteine. Es scheint, dass die fehlenden Teile der Domänen extern kompensiert werden.

pAgos aus Thermophilen

Aus der Sequenz allein lässt sich aber wenig darüber herausfinden, wie pAgos mit ­gRNA oder gDNA interagieren, oder wie spezifisch, präzise und effizient sie ihre Arbeit verrichten. Experimentelle Daten beschränken sich auf pAgos aus (hyper-)thermophilen Bakterien, wie zum Beispiel TtAgo oder PfAgo. Diese pAgos kommen aber bei physiologisch relevanten Temperaturen nicht in die Gänge und arbeiten nur bei hohen Temperaturen. Als Gen-Editier-Werkzeuge sind sie daher kaum geeignet, da die Gefahr der DNA-Denaturierung mit zunehmender Temperatur ansteigt. ­PfAgo, das sich bei 65°C am wohlsten fühlt, wird aber manchmal als universelle DNA-geleitete Restriktionsendonuklease für die Klonierung eingesetzt (ACS Synth. Biol., 6(5):752-757).

Interessanter sind pAgos aus mesophilen Spezies, die bei moderaten Temperaturen von 37° C aktiv sind. Zu diesen zählt zum Beispiel auch NgAgo, das 2016 mit großem Brimborium als neues Gene-Editing-Tool vorgestellt wurde, sich aber bald als Flop herausstellte (Nature 536, 136-37).

Neue vielversprechende pAgos

Aravins Team blieb jedoch an den mesophilen pAgos dran und wählte zwei Vertreter des Domänen-Typs A, CbAgo und LrAgo aus Clostridium butyricum beziehungsweise Limnothrix rosea, für weitere Experimente aus (bioRxiv doi: 10.1101/558684).Nach Codon-Optimierung exprimierten die kalifornischen Forscher CbAgo sowie ­LrAgo als His-Fusionsproteine in E. coli und reinigten sie. Anschließend testeten sie, ob die beiden pAgos RNA oder DNA bevorzugen. Bei In-vitro-Experimenten mit den vier möglichen Kombinationen aus gRNA/gDNA sowie RNA- oder DNA-Zielsequenz zeigte sich, dass ­CbAgo und LrAgo gDNA-gesteuerte DNA-Nukleasen sind, die RNAs weitgehend ignorieren.

Beide pAgos favorisieren gDNAs mit sechzehn bis achtzehn Nukleotiden. Mit längeren gDNAs sinkt die Schnitteffizienz. Vermutlich kommt die Schere an ausgedehntere Doppelstrang-Strukturen schwerer heran oder bleibt nach getaner Arbeit an ihnen hängen.

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Phylogenetischer Baum der prokaryotischen Agos. Die meisten enthalten die MID- und PIWI-Domänen. N- und PAZ-Domänen, die in eAgos konserviert sind, fehlen dagegen in vielen Fällen (Hier Fig. in gross). Illustration: Gruppe Alexei Aravin

In Schnitt-Tests bei 37°C mit einer achtzehn Nukleotide langen ­gDNA und dazu passender Ziel-DNA hatte CbAgo immer die Nase vorn und zerlegte die Zielsequenz wesentlich schneller als LrAgo. Zudem war es weit unempfindlicher gegenüber Metall-Ionen und ließ sich zum Beispiel auch von Kobalt-Ionen nicht beeindrucken, die LrAgo komplett ausbremsten. Auch hohe Temperaturen von 55°C hielten CbAgo nicht davon ab, die Ziel-DNA zu zerschneiden – es akzeptierte dann aber nur 5´-phosphorylierte gDNA.

LrAgo kann dafür mit erhöhten Kochsalz-Konzentrationen besser umgehen. Das Optimum des Enzyms liegt bei 50 bis 100 mM. Selbst bei absurd hohen 750 mM, die etwa dem Salzgehalt des Roten Meeres entsprechen, war noch etwas LrAgo-Aktivität vorhanden.

Schnittstelle verschiebt sich

CbAgo und LrAgo binden die gDNA nicht nur in 5´-phosphorylierter, sondern – und das ist neu – auch in nicht-phosphorylierter (5´-OH) Form. Je nach gDNA-Typ verschiebt sich bei LrAgo jedoch die Schnittstelle und liegt mit 5‘-OH-gDNA ein bis zwei Nukleotide weiter stromaufwärts. Beide pAgos sind tolerant gegenüber Mismatches zwischen gDNA und der Zielsequenz, wenn diese in der Seed-Region auftreten, die zwei bis acht Nukleotide vom 5´-Ende der gDNA entfernt ist. Sind die Fehlpaarungen jedoch in der sogenannten 3‘-supplementary guide-Region lokalisiert, sinkt die Schnitteffizienz von Cb- und LrAgo deutlich.

Die zwei pAgos schneiden auch Plasmid-DNA. Verblüffend, da Plasmid-DNA doppelsträngig und rundum gewunden ist. Wie kommen die Nukle­asen da überhaupt ran? Helikase-Domänen kommen schließlich nicht vor. Angesichts der Tatsache, dass die entsprechenden Experimente in vitro stattfanden, kann man jedoch ziemlich sicher ausschließen, dass bakterielle Enzyme dabei mithalfen.

LrAgo zerstückelt doppelsträngige Plasmid-DNA aber auch in Gegenwart einer ­gDNA an völlig zufälligen Positionen – im Gegensatz zu einzelsträngiger DNA, die es an präzisen von der gDNA vorgegebenen Stellen schneidet.

Hoffnungsträger CbAgo

Interessanter ist hier CbAgo. Bei diesem lässt sich das unkontrollierte Schneiden doppelsträngiger Plasmid-DNA durch Erhöhen der Temperatur auf 55°C verhindern – oder aber durch eine gDNA. Man kann das Enzym sogar dazu bringen, doppelsträngige DNA spezifisch und präzise zu schneiden. Hierzu sind zwei gDNAs nötig, die jeweils einen der beiden Stränge an der gleichen Stelle anvisieren. Die gDNA-pAgo-Komplexe schneiden dann unabhängig voneinander die entsprechenden Einzelstränge.

Wer sich fragt, warum bei CRISPR/Cas9 nur ein guide-Molekül und kein Paar nötig ist, um dsDNA auf beiden Strängen zu schneiden, findet die Antwort in der Architektur der beiden Nukleasen: Cas9 trägt zwei verschiedene Nuklease-Domänen (einen für jeden Strang), pAgos dagegen nur eine. Im Fall von Cas9 verläuft der Schnitt synchron, bei pAgos ist mehr Koordination nötig, was aber wiederum Chancen für das Enzym-Engineering bietet. So haben die CbAgo-Entdecker vor, CbAgo als In-vitro­Restriktionsnuklease zu verwenden. Mit zwei gDNAs, die leicht versetzt auf je einem Strang der Ziel-dsDNA ansetzen, sollte es möglich sein, an definierten Positionen klebrige Enden mit gewünschter Länge zu generieren.

Anders als bei herkömmlichen Restriktionsenzymen wäre man nicht auf Erkennungsmotive angewiesen. Zudem ist CbAgo mit weniger als 100 kDa Molekulargewicht auch deutlich zierlicher als Cas9 und benötigt im Gegensatz zu Letzterem kein Protospacer Adjacent Motif (PAM) für die Erkennung der Schnittstelle.

Auch die Mannschaft des CRISPR-Pioniers John van der Oost von der Universität Wageningen, Niederlande, hat ein Auge auf CbAgo geworfen. Wie Aravins Gruppe exprimierte auch sein Team rekombinantes CbAgo in E.coli, um es genauer zu untersuchen (bioRxiv, doi: 10.1101/534206). Zunächst ermittelte die Gruppe mit Förster-Resonanz-Transfer-(FRET)-Analysen, ob CbAgo siRNA oder ­siDNA bevorzugt und kam zum gleichen Ergebnis wie Aravin: CbAgo interagiert zwar kurzfristig auch mit siRNAs, die Bindung an siDNAs ist aber um ein Vielfaches stärker. Auch das Temperatur-Optimum von 37°C bestätigte die holländische Gruppe, maß aber auch bei 10°C und 50°C noch eine Endonuklease-Aktivität.

Mit Schnitt-Assays, bei denen die Gruppe CbAgo-siDNA mit 45 Nukleotide langen Einzelstrang-DNA-Fragmenten mischte, untersuchte sie die Kinetik des Substrat-Umsatzes. Einem zunächst sprunghaften Aktivitätsanstieg folgte eine moderat aktive Phase. Offensichtlich klammert sich das Enzym für mehrere Minuten an die Ziel-DNA und löst sich nur langsam wieder von dieser ab.

Starke Bindung an siDNA

Wie andere pAgos bindet auch CbAgo bei der heterologen Expression in E.coli an die guide-Moleküle. Im Fall von CbAgo blieben jedoch nur siDNAs bei der gemeinsamen Reinigung an dem Enzym hängen. Besonders innig war die Verbindung, wenn die siDNAs kurz vor der Seed-Domäne ein TTT-Motiv trugen. Diese Präferenz von CbAgo für sogenannte TTT-Sub-Seeds bestätigte sich auch bei In-vitro-Schnitt-Assays.

Wie sich CbAgo gegenüber doppelsträngiger Plasmid-DNA verhält, untersuchten die Holländer zunächst mit einem apo-CbAgo-Enzym ohne siDNA. Da dieses zur Zirkularisierung des spiralisierten (supercoiled) Plasmids führte, gehen die Forscher davon aus, dass apo-CbAgo nur einen Strang einkerbt. Das Gleiche geschah, wenn die Gruppe ­einen ­CbAgo-siDNA-Komplex verwendete. Wie Aravin beobachtete auch van der Oosts Team, dass zwei CbAgo-siDNA-Komplexe nötig sind, um doppelsträngige DNA zu schneiden. Am besten gelingt dies, wenn die von den ­siDNAs vorgegebenen Schnittstellen exakt gegenüber liegen.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt jedoch: van der Oosts Gruppe gelang es bisher nicht, Gene in Säugerzellen mit CbAgo zu editieren. Die Holländer vermuten, dass dies an den noch nicht optimalen Versuchsbedingungen liegen könnte. Die Argonauten-Proteine sind also noch nicht ganz an ihrem Ziel angekommen.



Letzte Änderungen: 08.04.2019