Editorial

Halo-Tag statt Antikörper - HEAP-Pulldown-assay

Andrea Pitzschke


(08.12.2019) Für die Identifikation von MikroRNA-Targets existieren verschiedene Verfahren, die auf der Immunopräzipitation von AGO2-Proteinen basieren. Vernünftig einsetzen lassen sich diese aber nur in vitro. Eine neue, auf Ago2-Halo-Tags basierende Methode funktioniert dagegen auch in vivo.

MikroRNAs (miRNAs) mit einer durchschnittlichen Länge von 22 Nukleotiden sind wichtige Vertreter nicht-codierender RNAs (ncRNAs). Ihre Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, ausgewählte Ziel-mRNAs auszuschalten. Dazu reifen sie zunächst aus primären miRNAs (pri-miRNAs) zu miRNA-Doppelsträngen heran. Einer der beiden Stränge verbindet sich mit dem Argonautenprotein Ago2 zu einem sogenannten miRNA-Induced-Silencing-Complex (miRISC), der von der miRNA zur Ziel-mRNA geführt wird. Dort bindet die miRNA an miRNA-responsive Elemente (MRE), worauf die Endonuklease Ago2 die mRNA zerstückelt. Die Überlebensaussichten der mRNAs sind hierbei umso geringer, je mehr miRNA-Moleküle sich in der Nähe befinden und darauf warten, an ein passendes MRE zu binden. Existieren mehrere MREs, an die sich verschiedene miRNAs klammern können, sehen die Perspektiven für die mRNA ebenfalls düster aus.

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Im Fitness-Studio sollen Pulldowns den Rücken stärken. Im Labor kann man mit dem neu entwickelten HEAP-Pulldown-Assay Ziel-mRNAs von miRNAs in vivo aufspüren. Foto: Avatar Nutrition
Vollständiges miRNA-Om

Kennt man die miRNAs, die an das Transkript eines untersuchten Gens binden und dessen Untergang einleiten, kann man die Expression des Gens entsprechend steuern und dies zum Beispiel für Therapieansätze ausnutzen. Noch besser wäre es allerdings, wenn man neben dem Transkriptom eines Wunschorganismus auch dessen komplettes miRNA-Om kennen würde – schön sortiert nach Gewebetyp, Entwicklungszustand oder Krankheit.

Auf welche mRNA es eine miRNA abgesehen hat, können Computeralgorithmen immer besser vorhersagen. Dennoch verlieren diese angesichts der vielen Variablen in der Zelle, die darüber bestimmen, ob eine potenzielle miRNA-Bindungsstelle tatsächlich frei zugänglich ist, noch zu oft den Überblick. Am Ende des Tages geht dann doch nichts ohne direkten biochemischen Nachweis der miRNA-mRNA-Interaktionen. Bei diesen kommt das Protein Ago2 sehr gelegen, das in allen RISC-Komplexen vorkommt. Mit anti-Ago2-Antikörpern fängt man die gebildeten Ago2-miRNA-mRNA-Komplexe in sogenannten Pulldown-Assays ab und sequenziert die darin enthaltenen mRNAs. Die Kunst dieser Technik besteht darin, Ago2 inklusive der spezifisch daran gebundenen mRNAs zu angeln, und gleichzeitig die unspezifischen RNAs loszuwerden. In Zellkulturen funktioniert diese Technik ganz gut, unter In-vivo-Bedingungen wird die Sache aber sehr kompliziert, und es ist praktisch unmöglich, spezifische Zelltypen innerhalb eines Gewebes zu analysieren.

Ein Forscherteam um Andrea Ventura vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York ging deshalb einen etwas anderen Weg und entwickelte die Halo-Enhanced Ago2-Pulldown-Methode, kurz HEAP, die auch in vivo funktioniert (biorxiv; doi: 10.1101/820548v1).

Auch HEAP basiert auf der Bindung von miRNA-Ago2 an die Ziel-mRNA. Ago2 wird aber nicht mit einem Antikörper „heruntergezogen“, sondern mithilfe eines Halo-Tags. Dieser besteht aus der 33 kDa schweren Haloalkan-Dehalogenase des Bakteriums Rhodococcus rhodochrous, die mit synthetischen Chloralkanen eine irreversible kovalente Verbindung eingeht. Beim HEAP-Assay ist der Chloralkan-Ligand auf Sepharose-Kügelchen immobilisiert, während der Halo-Tag an den N-Terminus von Ago2 gekoppelt ist.

Kovalente Bindung an AGO2

Kommen Chloralkan-Ligand und Halo-Tag in Kontakt, gehen sie eine kovalente Bindung ein, die wesentlich robuster ist als die in klassischen Ago2-Pulldown-Assays (Crosslinking immunoprecipitation, CLIP-Assays) vorhandenen Bindungen der Antikörper an entsprechende Ago2-Epitope. Statt der Reinigung in einem SDS-Gel, wie in den CLIP-Assays, genügt ein simpler Waschschritt, um unspezifische Anhängsel zu entfernen, ohne den Ago2-miRNA-mRNA-Komplex zu zerstören.

Mit Proteinase K werden die Ribonukleinsäuren von Ago2 gelöst und anschließend mit einer Phenol-Chloroform-Extraktion isoliert. Nach einem Dephosphorylierungs-Schritt sind sie bereit für die Ligation mit Adaptern am 5´- beziehungsweise 3´-Ende. Fehlt nur noch die reverse Transkription und PCR-Amplifikation der miRNA- und mRNA-basierten cDNAs. Am Ende erhält man HEAP-mRNA- und -miRNA-Bibliotheken für das Deep Sequencing.

Identität und Häufigkeit der Sequenzen liefern nach dem Vergleich (Mapping) mit dem Referenz-Genom schließlich die Antwort auf die Fragen: Welche miRNAs waren in der Probe und welche Gene haben diese wie gründlich stillgelegt? Die Software für die Auswertung gibt es bei https://bitbucket.org/leslielab/clipanalyze.

Attacke am 3‘-Ende

Aus den miRNA/mRNA-Sequenzdaten, die Venturas Mannschaft erhielt, zeichneten sich bestimmte Muster ab. So wurden die Transkripte offensichtlich von den miRNAs insbesondere in der 3´-untranslatierten Region (UTR) attackiert, was mit anderen Studien übereinstimmt. Zudem reicherten sich einige 7- sowie 8mer-Motive besonders an, die zu stark exprimierten miRNAs gehörten.

Die HEAP-Strategie setzt voraus, dass der an Ago2 hängende Halo-Tag die Bildung oder Funktionalität des RISC-Komplexes nicht beeinflusst. Diese Möglichkeit schlossen Venturas Mitarbeiter in Experimenten mit Fibroblasten von Mäuseembryonen mithilfe einer Ago2-Nullmutante aus. Die Forscher exprimierten in dieser ein Ago2-Halo-Fusionsprotein, das in den Mutanten die Fähigkeit zur RNAi wiederherstellte – ähnlich wie nicht-getaggtes Ago2. Das mit einem Fluoreszenzfarbstoff markierte Fusionsprotein fand sich im Cytoplasma, wie für normales Ago2 erwartet. Der markierte Halo-Tag war dagegen überall in der Zelle anzutreffen.

Auch wenn der Halo-Tag das Ago2-Protein offenbar kaum beeinflusst, ist die Manipulation mit Ago2 ein heikles Spiel. Die ektopische Expression von Ago2 an einem anderen Ort oder zu einem anderen Zeitpunkt in der Zelle birgt die Gefahr, zusätzliche oder untypische RISC-Komplexe herzustellen oder normale Komplexe zu destabilisieren. Dieses Risiko umging die Gruppe um Ventura elegant, indem sie die Halo-Tag-Kassette als Knock-in-Allel so in den endogenen Ago2-Lokus einbaute, dass das fertige Fusionsprotein erst in Gegenwart der Cre-Rekombinase entsteht.

Raffinierter Trick in Mäusen

Die Forscher verwendeten hierfür embryonale Stammzellen von Mäusen (mESCs), die Cre-induzierbare Halo-Ago2-Allele trugen. Mit diesen generierten sie sogenannte Halo-Ago2-LSL-Mäuse. Diese kreuzten sie mit einer Mauslinie, die die Cre-Rekombinase mitbrachte, wodurch die LSL-Kassette entfernt wurde. Die nächste Mäusegeneration beherbergte schließlich die Halo-Ago2-Fusion und exprimierte diese vom endogenen Lokus aus. Aus diesen Mäusen isolierten Ventura und seine Kollegen mit dem HEAP-Assay die miRNA-mRNA-Ago2-Komplexe und analysierten die hieraus erhaltenen miRNA-/mRNA-Bibliotheken nach dem bewährten Prozedere.

HEAP eignet sich auch für Vergleiche gesunder und kranker Gewebe. Welche miRNAs könnten für einen Tumor verantwortlich sein? Venturas Team verglich hierzu die miRNA-Target-Interaktionen anhand der aufbereiteten Daten von Sequenzierung und Genom-Mapping und stellte fest, dass bestimmte 8mer-Motive im kranken Gewebe angereichert waren.

Der Hauptvorteil von HEAP gegenüber bisherigen Immunopräzipitations-basierten Verfahren ist die wesentlich einfachere und reproduzierbarere Isolierung der Ago2-miRNA-mRNA-Komplexe. Zudem können auch Zelltyp-spezifische Interaktionen ohne aufwendige Feinschnitte oder Zellisolierung identifiziert werden.

Ein weiterer Pluspunkt ist der Trick mit der konditionalen Rekombinase: Erst nach der Kreuzung mit einer Mauslinie, welche die Cre-Rekombinase zum Beispiel von einem Zelltyp-spezifischen Promotor exprimiert, entsteht ein funktionales Halo-Ago2-Fusionsprotein. Damit ist es möglich, HEAP systematisch in verschiedenen Zelltypen und Geweben anzuwenden, um ein globales detailliertes Abbild von miRNA-gesteuerten Vorgängen im Mausmodell zu erhalten.



Letzte Änderungen: 08.12.2019