Editorial

Neuinterpretierter Klassiker - Kapillarelektrophorese-PCR

Mario Rembold


(07.02.2022) Mit der Kapillarelektrophorese kann man die Länge von PCR-Produkten bis auf das Basenpaar genau ermitteln. Daran ändert sich auch nichts, wenn man bei der PCR fröhlich multiplext oder die Analyse der aufgetrennten Fragmente durch unterschiedliche Farbmarkierungen verfeinert.

Ist ein ganz bestimmter DNA-Abschnitt vorhanden oder nicht? Die schnellste Antwort auf diese „Ja-oder-Nein“-Frage liefert noch immer die gute alte Endpunkt-PCR. Will heißen: Man lässt die PCR mit einer vorgegebenen Anzahl Zyklen komplett durchlaufen und analysiert erst im Anschluss an die Reaktion das PCR-Produkt. Auch für die Genotypisierung einzelner Individuen ist die Endpunkt-PCR perfekt: Die PCR-Produkte können je nach Genotyp unterschiedliche Längen haben – homo- oder heterozygote Individuen erkennt man dann daran, dass nur eine oder aber zwei verschiedene Fragmentlängen im Produkt enthalten sind.

Für die Analyse von PCR-Produkten greift man klassischerweise zum Agarosegel und bestimmt anhand der Banden auf dem Gel die ungefähre Länge der Fragmente. „Jeder hat das im Studium gelernt, und es ist die günstigste Methode“, so Jeannette Kast zur Gelelektrophorese. Kast kommt aus der molekularen Zellbiologie und ist heute Abteilungsleiterin bei der Microsynth AG in Balgach in der Schweiz.

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Agarosegele sind schnell hergestellt und billig – aber manchmal nicht ganz einfach zu analysieren. Sind schlechte Primer für den Schmier verantwortlich, liegt es an einem verdreckten Puffer oder hat eine böse DNase die PCR-Produkte zerstückelt? Mit der Kapillarelektrophorese kann man sich den Ärger sparen und die Länge von PCR-Produkten exakt bestimmen. Foto: Reddit/slyrunner

Weil das altbewährte, selbstangerührte Gel im eigenen Labor leicht verfügbar und nicht teuer ist, sieht auch Kast darin den idealen Weg, um eine handvoll Proben zu überprüfen. Wer aber Material aus vielen dutzend oder gar hunderten PCR-Läufen analysieren will, sollte sich überlegen, ob das Agarosegel wirklich Kosten spart, meint Kast: „Wenn Sie die Taschen des Gels nicht richtig beladen, ist alles verloren – und falls man das Gel vergisst und zu lange laufen lässt, muss man alles wiederholen.“ Immerhin fallen solche Missgeschicke sofort auf. Wirklich problematisch findet Kast aber, dass sich bei der händischen Arbeit auch unbemerkte Fehler auf die Ergebnisse auswirken können: „Sie müssen die Proben einzeln von Hand beschriften, die Ergebnisse auf dem Gel mit dem Auge ablesen und wieder korrekt zuordnen. Und am Ende tippen Sie die Notizen in eine Excel-Tabelle ab. Das sind schon sehr viele potenzielle Fehlerquellen!“

Keine Zitterpartie mehr

Automatisiert läuft die Analyse von PCR-Produkten hingegen in modernen Kapillarelektrophorese-Geräten ab. Anstatt die Proben von Hand in winzige Gel-Taschen zu pipettieren, überführt man sie in die Näpfchen einer Multiwell-Platte, die man in das Instrument einsetzt. Die Proben werden anschließend in ein Kapillar-Array gesaugt, das aus 48 oder 96 Kapillaren besteht, die jeweils einzeln in die zugeordneten Wells der Probenplatte eintauchen. Wird eine Spannung in den Kapillaren angelegt, bewegen sich die DNA-Fragmente je nach Länge unterschiedlich schnell durch die winzigen Röhren und erreichen den Detektor zu verschiedenen Zeitpunkten.

Kast kommt zurück auf die klassischen Schwierigkeiten, wenn man sich mit bloßem Auge die Banden eines Gels anschaut, die oft in alle Richtungen mehr oder weniger verschmiert sind: „Die Banden sind nicht immer gleich stark ausgeprägt, das ist manchmal schwierig zu erkennen.“ Bei der Kapillarelektrophorese hingegen lässt sich eine auf das Basenpaar genaue Auflösung der Fragmentlänge erreichen. Am Ende jeder Kapillare erkennt ein Sensor, ob eine DNA-Fraktion durchläuft. Anhand eines mitlaufenden Größenmarkers, der jeder Probe vor dem Start zugegeben wird, kann das Instrument die Fragmentlänge automatisch zuordnen.

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Jeannette Kast, Expertin für Genotypisierungen beim Schweizer Unternehmen Microsynth, ist von den vielen Vorteilen der Kapillarelektrophorese bei der Analyse von PCR-Produkten überzeugt. Foto: Microsynth
Gel-gefüllte Kapillare

In den QIAxcel-Kapillarelektrophorese-Geräten von QIAGEN wandert die DNA durch Kapillaren, die mit Gel gefüllt sind. „Eigentlich ist es also eine Gelelektrophorese, nur elektronisch und digitalisiert“, erklärt Kast. Auch QIAxcel-Instrumente kommen bei Microsynth zum Einsatz. Kast ist aber vor allem mit dem ABI 3730 vertraut. Dieses hat den Vorteil, dass sich auch unterschiedliche Fluoreszenzfarben detektieren und zuordnen lassen. Die XL-Version des Geräts erfasst bis zu 96 Proben gleichzeitig. Kunden schicken, so Kast, eine nach Anleitung vorbereitete Multiwell-Platte ein, alles Weitere geschieht im Instrument. Sobald die Proben-Platte in das Gerät eingesetzt ist, entfallen menschliche Fehlerquellen bis zur Datenausgabe. „Sie können sich die Ergebnisse direkt in einer Tabelle ausgeben lassen“, bestätigt Kast. Zusätzlich bekomme der Kunde auch immer die Rohdaten aus den Messungen – „da sind wir sehr transparent.“

Weil die Kapillarelektrophorese Fragmentlängen unterscheidet, kann eine Probe verschiedene DNA-Fragmente enthalten. Die zuvor durchgeführte PCR darf man also multiplexen sowie mehrere Primer gegen unterschiedliche Targets einsetzen – etwa wenn man eine Probe auf verschiedene Organismen hin testen will. „Voraussetzung bei einer Multiplex-PCR ist natürlich, dass sich die Primer vertragen“, schränkt Kast ein. Die Primer dürfen sich also nicht gegenseitig stören, und sie müssen auch bei gleichen Temperaturen gemeinsam funktionieren. Am Ende kann die Kapillarelektrophorese natürlich nur nachweisen, was die PCR amplifiziert hat. Fehler bei der PCR kann sie nicht ungeschehen machen. Es gilt also, die Experimente gut zu planen, und die PCR-Verfahren gerade beim Multiplexen sorgfältig zu validieren. „Da sind durchaus PCR-Kits verfügbar, mit denen Sie gegen 16 bis 20 Loci testen können“, weiß Kast.

„Es gibt aber noch eine zweite Möglichkeit“, ergänzt sie, „denn man kann ja auch einzeln amplifizieren und erst später die Produkte für die Fragment-Analyse zusammenmischen. Damit umgeht man die Problematik zu vieler Primer pro Reaktion“.

Für die Analytik per Kapillarelektrophorese sind viele unterschiedliche PCR-Produkte in einer Probe unproblematisch – solange man sie eindeutig anhand ihrer Länge zuordnen kann. Im ABI 3730 lassen sich auch ähnliche Fragmentlängen sauber messen, sofern der Experimentator beim Amplifizieren Primer mit unterschiedlichen Fluorophoren nutzt. Denn das Gerät ordnet die PCR-Produkte nicht nur der Länge, sondern auch der Farbe nach zu. Kast rät dazu, gleiche Farben zu vergeben, wenn die Längen der zu erwartenden Fragmente sehr unterschiedlich sind, und verschiedene Farben für Targets ähnlicher Größe zu nutzen. Wegen der Basenpaar-genauen Auflösung ist das ABI 3730 bei Microsynth auch das Standardgerät für die Sanger-Sequenzierung. „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – man kann alles hineinpacken, was mit den Assays verträglich ist“, so Kast.

Nur winziger Probenverbrauch

Nach der Messung geht das aufgenommene Probenmaterial allerdings verloren. Während man sich aus dem Agarosegel eine Bande herausschneiden und weiterverwenden kann, ist das beim ABI 3730 nicht möglich. „Ein Vorteil der Kapillarelektrophorese ist aber: Man braucht nur sehr, sehr wenig Material!“, erklärt Kast hierzu. „Wenn man in einem Zehnmikroliter-Ansatz amplifiziert und dann vielleicht einen halben Mikroliter für die Analytik rausnimmt, bleibt immer noch genügend Material aus der PCR übrig.“ Allerdings müsse man berücksichtigen, dass die Proben für die Analyse im ABI 3730 Fluoreszenz-gelabelt sind. Das kann die weitere Verwendung einschränken.

Auch wenn man auf genaue DNA-Mengen im Ausgangsmaterial rückschließen will, ist diese Art der Analytik nicht ideal, betont Kast. „Quantifizieren ist mit der Kapillarelektrophorese relativ schwierig; das ist dann eher semi-quantitativ. Auf jeden Fall muss man eine Referenz zu einem Locus mitlaufen lassen, die immer gleich stark amplifiziert wird.“

Nicht für Quantifizierung

Die eingeschränkte Quantifizierbarkeit ist auch dem Prinzip der Endpunkt-PCR geschuldet. Während die Reaktion läuft, hat man keinerlei Kontrolle darüber, wie sich die Dynamik der Amplifikation entwickelt. Eine Real-Time-PCR oder quantitative Echtzeit-PCR (qPCR) wäre in diesem Fall die bessere Wahl. Denn bei dieser zeichnet das Gerät den DNA-Zuwachs auf. Für die Auswertung kann man sich an dem Abschnitt der Kurve orientieren, der einem exponentiellen Wachstum entspricht und auf diese Weise die Kopienzahl im Ausgangsmaterial abschätzen.

Doch auch die qPCR ist nur eine indirekte quantitative Messung. Darauf weist Michael Traugotts Gruppe an der Universität Innsbruck in einer Publikation aus dem vergangenen Jahr hin (PLoS One 16(7): e0254356). Dagegen lässt sich die Kopienzahl im Ausgangsmaterial mit einer digitalen PCR (dPCR) sehr genau bestimmen: Die Probe wird in einzelnen Tröpfchen analysiert – idealerweise so verdünnt, dass in einem Tröpfchen keine oder maximal nur eine Kopie des Targets enthalten ist. In jedem Tröpfchen findet eine PCR statt, ein leuchtender Tropfen steht für eine vorhandene Kopie in diesem Volumen. Über das Verhältnis zwischen positiven und negativen Tröpfchen sowie deren Gesamtvolumen kann man die Konzentration des Targets im Ausgangsmaterial ermitteln.

Verglichen mit Endpunkt-PCR und anschließender Analyse per Kapillarelektrophorese (celPCR) sind qPCR und dPCR aber recht teuer. Wie die Innsbrucker darlegen, sind dPCR und qPCR zwei- bis dreimal kostspieliger als die Analyse eines vergleichbaren Targets per celPCR. Durch Multiplexen lassen sich die celPCR-Kosten noch weiter reduzieren.

Testlauf mit Umwelt-DNA

Traugotts Team wollte wissen, ob sich die kostengünstigere celPCR eignet, Organismen in Proben aus dem Freiland quantitativ anhand ihrer DNA-Spuren zu erfassen. Dazu wählte es beispielhaft Zielsequenzen aus sieben europäischen Süßwasserfischen aus und verglich qPCR, dPCR und celPCR bei unterschiedlichen Konzentrationen des Ausgangsmaterials – später verwendeten die Wissenschaftler auch echte Proben aus dem Freiland.

Wie erwartet stößt die Endpunkt-PCR an ihre Grenzen, wenn hohe Konzentrationen eines Targets ins Spiel kommen. Die Österreicher halten einerseits Sättigungseffekte in der Reaktion für wahrscheinlich, andererseits könnte auch die Kompetition zwischen den Primern oder inhibitorische Effekte durch Fremdsubstanzen im Probenmaterial eine Rolle spielen.

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Michael Traugotts Gruppe an der Universität Innsbruck setzt die Kapillarelektrophorese-PCR unter anderem für das Aufspüren von Umwelt-DNA aus Gewässern ein. Foto: Sinsoma

Beim Multiplexen ermittelten sie eine ähnliche Sensitivität wie mit aufgesplitteten Proben für einzelne Primer-Paare. Weil die Zielsequenzen unterschiedlich groß sind, kam die Gruppe ohne Fluoreszenzmarker aus und nutzte für die Kapillarelektrophorese ein QIAxcel.

Der semi-quantitative Nachweis von DNA in Umweltproben sei auch mit Endpunkt-PCR und anschließender Analytik via Kapillarelektrophorese möglich, ist Traugotts Gruppe überzeugt. Die Kombination der beiden Techniken sei zudem reizvoll für kleinere Labore, die kosteneffizient arbeiten müssen und nicht immer Zugriff auf die modernsten Geräte hätten.

Billiger wäre wohl nur das eigene Agarosegel, mit dem eine halbwegs aussagekräftige Quantifizierung aber fast unmöglich ist. Kast rät an dieser Stelle dazu, auch den Wert der gesparten Zeit in die Kalkulation einzubeziehen. „Viele Wissenschaftler rechnen gar nicht mit ihrer eigenen Arbeitszeit!“