Editorial

Umgebautes Viren-Fließband - Coronavirus-Imaging

Mario Rembold


(13.06.2022) Wenn Coronaviren eine Zelle kapern, wird das endoplasmatische Retikulum umstrukturiert und die Zelle trennt doppelsträngige von einzelsträngiger viraler RNA. Forscher schauten mit einem superauflösenden Mikroskop dabei zu.

Inzwischen kennen wir alle die Animationen von Coronaviren, die mithilfe ihrer Spike-Proteine an Zellen andocken. Virale Lipidhülle und Zellmembran verschmelzen, die Virus-RNA gelangt in die Wirtszelle. Dort wird das virale Erbgut repliziert, zugleich dient die RNA als Vorlage zur Translation viraler Proteine. Neue Virionen entstehen, bis die Zelle schließlich zugrunde geht und die Viruspartikel nach außen gelangen.

Was in der Animation simpel aussieht, können Forscher im Labor aber nicht so ohne weiteres beobachten, bestätigt der Biochemiker Leonhard Möckl. Vielmehr entscheiden sie sich in jedem einzelnen Experiment für wenige Details, die sie zeigen oder nachvollziehen möchten. „Man schaut sich dieselben Prozesse aus unterschiedlichen Blickwinkeln an“, erklärt er und nennt als Beispiele biochemische Verfahren, Sequenzieren, Massenspek­trometrie oder die Rekonstruktion von Nachbarschaften zwischen einzelnen Molekülen.

„Und natürlich ist auch das Imaging ein wirkungsvoller Ansatz, um dieses Puzzle schrittweise zu lösen.“ Seit 2020 leitet Möckl eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen. „Wir verwenden Licht, um biologische Systeme zu untersuchen und zu beeinflussen“, beschreibt er den roten Faden seiner Arbeit. Dazu gehört auch die superauflösende Lichtmikroskopie, mit der sich die Beugungsgrenze von 200 Nanometern austricksen lässt.

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Die magenta gefärbte genomische RNA des Coronavirus HCOV-229E ist in der infizierten Zelle immer von der grün markierten doppelsträngigen Virus-RNA getrennt. Foto: Jiarui Wang

Vereinte Kräfte

Als die Pandemie begann, war Möckl noch Postdoc im Labor von William E. Moerner an der Stanford University. Moerner ist einer der Pioniere der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie. Zusammen mit Stefan Hell und Eric Betzig erhielt er 2014 den Nobelpreis für Chemie. Ebenfalls in Stanford leitet L. Stanley Qi ein Labor, das spezialisiert ist auf Genome Engineering und synthetische Biologie. Beide Gruppen vereinten ihr Know-how, um die RNA von Coronaviren mithilfe fluoreszierender Proben in menschlichen Zellen zu beobachten (Cell Rep. Methods 2(2): 100170).

Das Forscherteam rekrutierte allerdings nicht SARS-CoV-2 für die Versuche, sondern das bereits in der menschlichen Population endemische Coronavirus HCoV-229E. „Das hatte praktische Gründe“, meint Möckl, denn während man für SARS-CoV-2 die Sicherheitsstufe 3 benötigt, reicht für das weniger gefährliche HCOV-229E Stufe 2 aus. Der Aufwand für die Experimente ist damit geringer. „Beim Andocken an die Zelle und der Replikation sind sich beide Viren aber recht ähnlich“, so Möckl. Als Wirtszellen verwendeten die Wissenschaftler fibroblastische Lungenzellen aus der Zellkulturlinie MRC5.

Das Genom von Coronaviren besteht aus einzelsträngiger RNA in positiver Polarität ((+)ssRNA) die direkt wie eine mRNA translatiert werden kann. Dies geschieht auch unmittelbar nach der Infektion mit den Abschnitten ORF1a und ORF1b, die etwa zwei Drittel des Virus-Genoms ausmachen, beginnend am 5’-Ende. Beide ORFs werden jeweils zusammenhängend translatiert, anschließend werden die Polyproteine in einzelne funktionelle Proteine zerschnitten. Auf der genomischen Virus-RNA ist auch ein RNA-dependentRNA Polymerase (RdRp)-Abschnitt zu finden. Diese zwischen ORF1a und ORF1b überlappende Region codiert für verschiedene Proteine, die in einem Komplex vereint für die Replikation der Virus-RNA notwendig sind. Neben der genomischen RNA entstehen in infizierten Zellen aber auch kürzere Stücke viraler RNA, die sogenannten subgenomischen RNAs.

Um die genomische RNA sichtbar zu machen, setzte die Gruppe FISH-Sonden (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) gegen die genomische RdRp-Sequenz ein, die nur auf der genomischen RNA vorkommt und nicht in den subgenomischen RNAs enthalten ist. FISH-Sonden sind Oligonukleotide mit Fluorophor-Anhängsel, die ihr Ziel auf einer RNA über komplementäre Basenpaarung finden. Für RdRp benötigte das Team 48 FISH-Sonden, um ein möglichst starkes Fluoreszenzsignal zu erhalten.

Während der Replikation der viralen RNA entstehen auch doppelsträngige Zwischenstufen. Diese dsRNA machten die Forscher mit einem Antikörper sichtbar, der doppelsträngige RNA erkennt, die länger ist als vierzig Basenpaare.

Umstrukturiertes ER

Das endoplasmatische Retikulum (ER) wird während der Infektion mit Coronaviren stark verändert. Auch das schaute sich die Gruppe unter dem Mikroskop genauer an und fusionierte hierzu das ER-spezifische Protein Sec61B in MRC5-Zellen mit GFP. Für die Experimente wählte das Team fixierte Zellen. Mit diesen konnte es zwar die Replikation nicht in Echtzeit verfolgen, dafür aber die räumlichen Details sehr gut auflösen. Die Forscher wollten zum einen genau verfolgen, wo die RNA in der Zelle verteilt ist, und zum anderen einzelne Kopien genomischer RNA aufspüren. Lebende Zellen wären da einem enormen Stress ausgesetzt. Hinzu kommt, dass FISH-Sonden und Antikörper für die Markierungen in die Zellen gelangen müssen – auch das ist alles andere als schonend.

Das Team aus Stanford arbeitete sowohl mit der beugungslimitierten Konfokalmikroskopie als auch mit superauflösender dSTORM-Mikroskopie. Mit dSTORM kann man die Positionen einzelner sichtbarer Moleküle auf einige Nanometer genau eingrenzen. Eigentlich ist ein optisches Mikroskop dazu nicht in der Lage, denn unterhalb von 200 Nanometern verschwimmt die räumliche Information. „Wenn man stattdessen aber immer nur ein einzelnes Molekül betrachtet, lässt sich dessen Intensitätsmaximum bestimmen. Auf diese Weise kann man das Molekül mit einer Unsicherheit von vielleicht plus/minus fünf Nanometern lokalisieren“, erläutert der Nanoskopie-Experte.

Voraussetzung dafür sei aber, so betont Möckl, dass man sich wirklich sicher ist, nur ein einziges Molekül zu sehen. Darin liegt der Trick von dSTORM: Zwar können markierte Moleküle auch enger als 250 Nanometer beieinanderliegen, doch ein einzelnes Fluorophor leuchtet nicht permanent im Anregungslicht, sondern blinkt nur gelegentlich kurz auf. Es ist also unwahrscheinlich, dass zwei benachbarte Fluorophore genau zur selben Zeit leuchten.

„Wenn in der Probe immer nur ganz wenige Moleküle eingeschaltet sind, kann ich sie auch räumlich voneinander trennen“, fährt Möckl fort. „Man nimmt einen Film auf, in dem jeder Frame nur ein kleines Subset von Molekülen zeigt; wenn ich diese Lokalisationen dann plotte, bekomme ich ein Bild, das nicht mehr der Beugungsgrenze unterliegt.“

Einfaches Prinzip

In der Theorie klingt die Sache simpel. Man sucht ein geeignetes Fluorophor aus, das sich „zum Blinken“ anregen lässt, und platziert es auf einer FISH-Sonde oder einem Antikörper. Alternativ können die Strukturen, die man sehen will, auch mit einem Molekül markiert sein, das in einer späteren Reaktion ein Fluorophor bindet. Die Gruppe verwendete zum Beispiel für die Lokalisationsmikroskopie einen Nanobody gegen GFP, um das ER auch in Superauflösung sehen zu können. „Die Labeling-Konditionen muss man aber optimieren, und wir lassen immer auch Negativkontrollen mitlaufen“, erklärt Möckl. Die Sonden oder Antikörper könnten ja auch unspezifisch binden und ein Hintergrundsignal erzeugen. „Bei Super-Resolution ist das besonders wichtig, weil wir auf dem Level einzelner Moleküle sind“, mahnt der Erlanger Forscher. All diese Kontrollen und Optimierungen seien ein Schlüsselteil der Arbeit gewesen – auch wenn dieser Aufwand nicht in den bunten Abbildungen zu sehen ist. „Die FISH-Proben sind extrem spezifisch“, lobt Möckl das Team des FISH-Spezialisten Qi. „In Abwesenheit des Targets binden die extrem selten, die Zelle ist dann wirklich zappenduster.“

Getrennte RNA

Die fluoreszenzmikroskopischen Aufnahmen bestätigen, dass sich das ER infizierter Zellen umfaltet, die Forscher beschreiben die ER-Membran daher als „convoluted“. Die genomische virale RNA bildet größere Cluster, in direkter Nachbarschaft davon sitzen Punkte doppelsträngiger RNA. Dennoch bleiben einzel- und doppelsträngige RNA räumlich voneinander getrennt.

Doppelsträngige RNA fand das Team auch in Doppelmembran-Vesikel verpackt, die offenbar aus dem ER hervorgehen. Allerdings zeigen diese Vesikel kein Sec61B-Signal, wie es für das ER charakteristisch wäre. Doch die Dimension dieser 100 bis 500 Nanometer großen runden dsRNA-Kleckse sowie Daten aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen vergangener Arbeiten legen nahe, dass sie von einer Doppelmembran umgeben sind. Dass der ER-Marker nicht anschlägt, könnte an der stärkeren Krümmung der Vesikel-Oberfläche liegen, oder daran, dass das Virus das ER stark modifiziert hat.

Offenbar trennt die vom Virus gekaperte Zelle die genomische RNA von doppelsträngigen Intermediär-Produkten und speichert sie in verschiedenen Kompartimenten. Darüber hinaus fand die Gruppe etwa 70 Nanometer kleine Punkte aus genomischer RNA, die aufgrund ihrer Größe aus einzelnen Kopien bestehen könnten. Möglicherweise werden diese wieder zu neuen Virionen verpackt.

Möckl ordnet die verschiedenen Beobachtungen zu einem Gesamtbild: „Das Virus befällt die Zelle, die RNA wird repliziert. Während neu entstandene RNA vielleicht schon zu Virionen verpackt wird, wird andere RNA zeitgleich abgelesen. All das geschieht kontinuierlich. Die Zelle wird zu einem Viren-Fließband. Ein sehr produktives Fließband – leider.“

Obwohl vieles gleichzeitig passiert, sind bestimmte Prozesse voneinander separiert. „Es gibt eine räumliche Ordnung, die die virale Replikation begünstigt: Wir finden Strukturen assoziiert mit dem endoplasmatischen Retikulum, wir sehen die sehr starke Anti-Korrelation zwischen doppelsträngiger und einzelsträngiger RNA, und wir beobachten separierte Punkte an wieder anderen Stellen.“