Editorial

Erhellende Einblicke

Wie verlängert man die Publikationsliste

Hubert Rehm


Es lohnt sich immer, in Analytical Biochemistry zu schmökern. Nicht immer findet man ein wissenschaftliches Ei, aber immer erhält man einen erhellenden Einblick in die Soziologie der Forschung.

Nehmen wir zum Beispiel das Paper von Clive Dawes et. al (Anal. Biochem. 338, 186-191) mit dem schönen Titel Thiophilic Paramagnetic Particles as a Batch Separation Medium for the Purification of Antibodies from Various Source Materials. Der erste Eindruck ist: Dawes berichtet über eine neue und bessere Methode Antikörper zu reinigen. Dazu benutzt er thiophile Partikel. Thiophile Partikel? Zu meiner Schande muß ich gestehen: Der Begriff war mir neu. Es gibt sie jedoch schon seit Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Man setzt Agarosepartikel mit Divinylsulfon um und das Produkt mit 2-Mecaptoethanol. Es entsteht ein an die Agarosematrix gekoppelter Thio-ether, in dessen Nähe eine Sulfongruppe sitzt. Dieser Ligand adsorbiert selektiv bestimmte Proteine: Enzyme wie Meerettich Peroxidase, Glutathion Peroxidase und Lactatdehydrogenase oder Procollagen, Serpine und Immunglobuline. Die Proteine adsorbieren bei hohen Salzkonzentrationen, meistens verwendet man Sulfate (Gegenion: Na+, K+ oder Ammonium). Es handelt sich dennoch nicht um eine hydrophobe Adsorption, sondern die Proteine adsorbieren wegen der besonderen Elektronen-Donor-Akzeptor-Eigenschaften des Thioethers.

Erfunden wurde die thiophile Adsorption von Jerker Porath. Der alte Schwede (geboren 1921) publizierte sie 1985 in FEBS Letters. Porath stammt aus dem Arbeitskreis von Tiselius und war Miterfinder der Gel Filtration. Von ihm stammt auch die Metallchelat-Chromatographie zur Reinigung von His-getaggten Proteinen.

Das neue Adsorptionsprinzip erwies sich als brauchbar für die Reinigung von Immunglobulinen. So scheint die Chromatographie von Serum an thiophilen Säulen der an Protein-A-Säulen überlegen zu sein. Die thiophile Adsorption entwickelte sich daher schnell zu einem Renner. Sichtbarer Ausdruck ist die Kommerzialisierung: Mehrere Firmen, so Pierce und Clontech, bieten inzwischen thiophile Adsorbentien an.

Wie hat es Clives Dawes geschafft, aus Poraths Idee ein Paper herauszukitzeln?


Gründlich aber langweilig

Dawes hatte die nicht allzu fern liegende Idee, Immunglobuline im Batchverfahren zu reinigen. Ebenfalls recht nahe lag die Idee, zu diesem Zweck große Partikel zu nehmen, die leicht und schnell sedimentieren und zudem paramagnetisch sind, also mit einem Magneten am Röhrchenboden festgehalten werden können. Dawes kaufte paramagnetische Agarosepartikel und machte diese nach Poraths Vorschrift mit Divinylsulfon und 2-Mercaptoethanol thiophil. Mit diesen Partikeln isolierte er im Batchverfahren Immunglobuline aus Serum, Blut und Zellkulturüberständen. Die Methodik ist denkbar einfach: Thiophile Partikel in ein Spitzröhrchen geben, mit Serum etc. in Gegenwart von 1,2 M Ammonsulfat inkubieren, Überstand abnehmen, Waschen, Eluieren. Bestechend ist der Trick, die paramagnetischen Partikel mit einem Magneten am Röhrchenboden festzuhalten und die Überstände dann einfach abzukippen sonst aber: Gähnen!

Zugegeben: Dawes macht gründliche Arbeit. Die Adsorptionszeit wurde bestimmt, die Eluate charakterisiert, er zeigt wunderschön, wie überlegen die thiophile Adsorption dem Protein A ist (albuminsauberes Eluat, größere Mengen von IgA, mildere Elutionsbedingungen, kein Lecken von Protein, das thiophile Gel kann sterilisiert werden etc.), er zitiert Porath auch mehrfach und doch wundert man sich, wie es ein Paper mit so geringer "Erfindungstiefe" bzw. Originalität zum Druck geschafft hat.


Zungenbrecher

Gewundert habe ich mich auch über eine Arbeit von Yoshihiro Ohtsu. Er hat in Analytical Biochemistry 338, 245-252 ein Paper mit dem Titel Selective Ligand Purification using High-Performance Affinity Beads publiziert, bei dem ihm nicht weniger als 13 Koautoren geholfen haben. Yoshihiro verkündet darin die Erfindung der reversen Affinitätschromatographie. "Was soll das sein?", habe ich mich gefragt und voll Spannung und Neugier Yoshihiros Werk gelesen. Die Spannung hat sich schnell verflüchtigt. Reverse Affinitätschromatographie besteht einfach darin, nicht den Liganden ans Gel zu koppeln, sondern das zugehörige Protein. Mit dem gekoppelten Protein ist es dann möglich, aus der oder jener Brühe Liganden zu fischen. Auch das ist keine geniale Idee und zudem ein alter Hut, viele Biosensoren wenden schon lange das Prinzip der reversen Affinitätschromatographie an. Allerdings: Ein schöner Name dafür fiel erst Yoshihiro ein und das scheint ein Paper wert zu sein. Zudem verwenden Yoshihiro et al. Affinitätslatexkügelchen mit der aktiven Gruppe Glycidylmethacrylat. Der Vorteil dieser Matrix sei ihre große Oberfläche und die Undurchlässigkeit für Proteine. Letzteres mache das Waschen effizient. Die Latexkügelchen wurden allerdings schon vor sieben Jahren in Nature Biotechnology vorgestellt. Toll an der Matrix ist jedoch ihr Name: SGNEDGDEN. Yoshihiro scheint die Analytical Biochemistry Publikation hauptsächlich seiner semantischen Begabung zu verdanken.



Publikationskünstler

Frankreich gilt seit jeher als das Land der Künste und der Künstler und so wundert es nicht, daß sich dort auch Publikationskünstler finden. Im sonnigen Montpellier forscht beispielsweise Jerome Solassol am Krankenhaus Arnaud de Villeneuve. Solassol steht damit in einer uralten Tradition: Schon 1220 war in Montpellier eine medizinische Schule gegründet worden, 1289 hatte sie den Status einer Universität erhalten und legendären Ruf genossen. Diesen Ruf wird das Paper Solassols in Analytical Biochemistry 338, 26-31 nicht wesentlich steigern. Es trägt den Titel Proteomic Detection of Prostrate-Specific Antigen using a Serum Fractionation Procedure: Potential Implication for New Low-Abundance Cancer Biomarkers Detection. Die Fraktionierung besteht darin, Serum in Gegenwart von hohen Konzentrationen von Harnstoff und CHAPS auf einen Anionenaustauscher zu geben und mittels pH-Änderung sechs Fraktionen zu isolieren. Danach werden Aliquots auf den schwachen Kationen-Protein-Chip der Firma Ciphergen gegeben und mit dem SELDI-Massenspektrometer untersucht. Das Ergebnis: Nach der Fraktionierung sind 25 % des Proteins verschwunden. Weil die Ausbeute an BSA nur 50 % betrug und BSA über die Hälfte des Gesamtproteins ausmacht, schließen Solassol et al., dass die 25 % Verlust aus BSA bestehen und daher bei der Fraktionierung keine seltenen Proteine verloren gingen ein fragwürdiger Schluß, den Solassol nicht mit weiteren Experimenten untermauert. Glaubhaft ist dagegen, daß im Massenspektrum der Fraktionen Gipfel auftauchen, die im Serum nicht zu sehen sind. Die Fraktionierung habe die Auflösung verbessert, versichert Solassol. Die Zahl der Proteingipfel in den Massenspektren der verschiedenen Fraktionen sei um 20 bis 70% höher als im Massenspektrum des Serums.

Solassol untersuchte zudem Serum und Serumfraktionen von Gesunden und von Patienten mit Prostatakrebs auf den Tumormarker PSA (Prostataspezifisches Antigen).

Immunofluoreszenztests zeigten, daß die PSA-Konzentration der Patienten bei 1-3 mg/mL lag. Kann man diese PSA-Konzentration mit zweidimensionaler Elektrophorese sichtbar machen? Nicht wenn man Serum auf das Gel aufträgt. Nimmt man jedoch Aliquots der Serumfraktion 5, taucht in den Gelen der Patienten ein PSA-Fleck auf, nicht aber bei Gesunden. Das dazu gezeigte Bild (Fig. 3) ist allerdings alles andere als überzeugend.


Ausgetrampelte Pfade

Was ist nun das Neue, das Unerwartete am Paper von Solassol et. al.? Schwer zu sagen. Daß man Proteome besser auflösen kann, wenn man sie zuvor in Subproteome aufteilt, ist weder ein origineller noch ein neuer Gedanke. Die dafür angewendete Technik, Ionenaustausch-chromatographie in Gegenwart denaturierender Substanzen, ist ebenfalls alt und die Methode der Denaturierung mit Harnstoff stammt aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts oder ist womöglich noch älter.

Wie hat es dieses Manuskript in den Druck geschafft? Durch Beziehungen? Ist vielleicht der Senior Autor des Papers, Alain Mange, mit Analytical Biochemistry verbunden? Anscheinend nicht. Im Editorial Board von Analytical Biochemistry sitzen fast nur Amerikaner, kein einziger Franzose. Unter den Executive Editors ist zwar ein Straßburger Forscher, er trägt den interessanten Namen Van Regenmortel, aber eine Verbindung mit Alain Mange ließ sich nicht feststellen. Anscheinend reicht bei manchen Zeitschriften schon eine Kombination von bekannten Techniken für eine Publikation aus.

Die Lehre daraus? Nun: Die Paper der Herren Dawes, Ohtsu und Solassol lesen heißt publizieren lernen. Clive, Jerome und Yoshihiro haben anscheinend für das grundlegende Forschungsproblem, wie verlängere ich schnell und mit wenig Mühe meine Publikationsliste, eine Lösung gefunden.

Sie mögen einwenden, daß die Analytical Biochemistry Paper den Herren in der rauhen Forschungswirklichkeit nicht weiterhelfen werden. Ich bin da nicht so sicher. Die Mechanismen des Aufstiegs in der Forschungshierarchie orientieren sich nicht an der Wirklichkeit, sondern an Tatsachen. Tatsache ist, daß eine Publikationsliste mit zehn Papern so viele hat z.B. Jerome Solassol bisher vorzuweisen besser aussieht als eine mit fünfen. Dies vor allem dann, wenn sich Gutachter oder Kommissionsmitglieder nicht die Mühe machen dieselben zu lesen. Bei zehn Papern ist übrigens noch mehr Widerwillen zu überwinden als bei fünfen.




Letzte Änderungen: 30.05.2007