Editorial

Exzellenztheater: Zeit für einen Wechsel im Spielplan?

Ulrich Dirnagl


Narr

Im letzten Heft warb der Wissenschaftsnarr prinzipiell für eine Grundförderung, die alle Forscher antragsfrei erhalten sollten (LJ 6/17: 22-23). Damit hat er sich den Boden bereitet für einen weiteren Frontalangriff auf Altbewährtes: Das Mantra von der Exzellenz. Ist der Ruf erst ruiniert, schreibt sich’s eben gänzlich ungeniert!

Viel ist schon zum Thema „Exzellenz“ geschrieben worden – nicht zuletzt in der diesjährigen Sommeressay-Ausgabe des Laborjournals (7-8/17) das Remake eines Plädoyers des Konstanzer Philosophen Jürgen Mittelstraß aus dem Jahr 2000. In diesem wirbt er, horribile dictu, für mehr Mittelmaß in der Wissenschaft, und dafür weniger Exzellenz und Evaluation. Oder die fast 500 Seiten füllende Abrechnung mit der „akademischen Elite“ des Bamberger Soziologen Richard Münch. In ihr charakterisiert er den Exzellenzbegriff als soziale Konstruktion zur Verteilung von Forschungsmitteln, geißelt die mit diesem Begriff vergesellschafteten Sprechblasen – und kritisiert von DFG bis zum Prinzip der außeruniversitären Forschung sämtliche heiligen Kühe der deutschen Wissenschaftslandschaft. Im Jahr 2007, kurz nach dem Auftakt der Exzellenzinitiative auf fast 500 Seiten bei Suhrkamp erschienen, empörte sein Buch die Vertreter der von ihm gegeißelten „Kartelle, Monopole und Oligarchien“ und führte zu gewaltigem Rauschen in den Feuilletons der Republik.

Am Vorabend der dritten Runde der Exzellenzinitiative (jetzt: Exzellenzstrategie) erinnern sich wohl nur noch die Älteren daran. Gerade deswegen will ich mich dem Thema noch einmal ganz grundsätzlich nähern. Und weil es möglicherweise einen, für Herrn Mittelstraß damals noch nicht fassbaren, direkten Zusammenhang zwischen der derzeit allenthalben beklagten Krise der (Lebens)Wissenschaften und der Exzellenzrhetorik gibt.

Was ist mit „Exzellenz“ eigentlich gemeint? Ist doch eigentlich ganz einfach, oder? Die Spitze, das Außerordentliche, die Elite, etwas Hervorragendes, und so weiter… Bei näherem Hinsehen fällt allerdings auf, dass der Begriff keinen Inhalt hat. In der Wissenschaft gibt es exzellente Biologen, Physiker, Germanisten, Soziologen. Dass sie exzellent sind, oder hervorragend, bedeutet nur, dass sie im Vergleich zu anderen sehr viel besser dastehen – aber woran gemessen? Wir erfahren nur, dass es um die Wenigen am linken Rand einer Gaußschen Verteilung geht. Diese Wenigen werden für wert erachtet, belohnt zu werden – durch Professuren, mehr Forschungsmittel, ja ganze Initiativen. Und das ist beileibe kein deutsches Phänomen. Die Engländer haben beispielsweise ihr Research Excellence Framework (REF). Ganze Universitäten erhalten ihre Mittel relativ zu ihrer wissenschaftlichen Exzellenz. Und alle werden sie sagen: Das ist doch gut so!

Ich sage: Täuschen Sie sich da nicht!

Es stellt sich zunächst die Frage, wer eigentlich die Forscher, Projekte und Universitäten nach exzellenten und nicht-exzellenten sortiert. Und nach welchen Kriterien dies geschehen könnte.

Jack Stilgoe formulierte das im englischen Guardian 2014 so: „‚Exzellenz‘ ist ein altmodisches Wort, das ein altmodisches Ideal anspricht. ‚Exzellenz‘ sagt uns nichts darüber, wie wichtig die Wissenschaft ist, aber alles darüber, wer die Auswahl trifft“. Denn es ist ganz einfach so: Die Suche nach Exzellenz wird bei den Kriterien fündig, die hierfür aufgestellt wurden. In der Biomedizin sind dies Publikationen in einer Handvoll ausgewählter Journale. Oder noch praktischer: Man befragt die abstrakteste aller Metriken, den Journal Impact Factor (JIF).

Was also ist exzellent? Publikationen in Journalen mit sehr hohem Impact Factor. Und wie wählen wir exzellente Forscher und deren Projekte aus? Durch Zählen von Publikationen mit hohem JIF. Worin zeigt sich die Exzellenz im geförderten Projekt? Durch Publikationen mit hohem JIF. Wem diese selbstreferentielle Schleife zu simplistisch ist: Na klar, da kann man noch ein paar Kriterien dazunehmen – und damit die Schleife nur vergrößern. Was ist exzellent? Viele Drittmittel, bevorzugt von der DFG. Wie bekommt man viele Drittmittel? Durch Publikation in Journalen mit hohem JIF. Und so weiter und so fort.

Aber sind nicht Spitzenpublikationen ein guter Prädiktor für künftige bahnbrechende Ergebnisse? Leider nein, denn wir Wissenschaftler, die wir die Arbeit im Peer Review als publikabel eingestuft haben, tun uns schwer darin, die Bedeutung und künftige Relevanz von Forschung zu beurteilen. Dies belegen viele Studien, wie zum Beispiel diese: Die Bewertung von NIH-Anträgen (genauer: der „percentile“ score) korreliert sehr schlecht mit der auf Basis von Zitationen extrapolierten Relevanz der geförderten Projekte. (Hier nur als Fußnote: Für DFG-Anträge könnte man so einen Zusammenhang gar nicht untersuchen, denn die DFG stellt die relevanten Informationen gar nicht zur Verfügung.) Am plakativsten zeigt sich unsere Unfähigkeit, Projekte oder Publikationen mit hoher Relevanz zu erkennen, in der „Ablehnungshistorie” einer Vielzahl von Arbeiten, die dann Jahre oder Jahrzehnte später mit dem Nobelpreis gekürt wurden. „Breakthrough Findings“ werden nicht über Förderprogramme ausgeschrieben oder durch die Beschwörung von Exzellenz herbeigeredet. Sie „passieren“ einfach – meist wenn „Zufall begünstigt wird durch den vorbereiteten Geist“, wie es Louis Pasteur formulierte.

Die Sensitivität und Spezifität der Begutachtung von Spitzenforschung ist also ausgesprochen unbefriedigend. Von den Falsch Negativen werden vielleicht manche noch Jahre später entdeckt, die Falsch Positiven ziehen bloß Ressourcen aus dem System.

Darüber hinaus hat die Rhetorik der Exzellenz aber noch weitere, korrosive Effekte. Sie fördert Narrative der übertriebenen Wichtigkeit und Effektgrößen der eigenen Ergebnisse. Sie belohnt „Abkürzungen“ in Form von „flexibler” Analyse und Publikation auf dem Weg zum vermeintlich spektakulären Resultat. Dies erklärt die Inflation der signifikanten p-Werte und Effektgrößen, der behaupteten unmittelbar bevorstehenden Durchbrüche in der Therapie von Krankheiten und so weiter... Mancher Forscher erliegt gar der Verlockung, durch Wissenschaftsbetrug garantiert und schnell exzellente Resultate zu erhalten.

Während der Drang zur Exzellenz also viele Anreize für fragwürdige wissenschaftliche Praxis bietet, ist er ein Hemmnis für „normale Wissenschaft“. Normale Wissenschaft meint nach Thomas Samuel Kuhn das alltägliche, unspektakuläre Theoretisieren, Beobachten und Experimentieren von Forschern, womit sie Wissen schaffen und konsolidieren. Normale Wissenschaft wird nur sehr gelegentlich durch „Paradigmenwechsel” durchgeschüttelt und dabei neu aufgestellt. Normale Wissenschaft führt nicht zu spektakulären Befunden („Stories”), sie basiert auf kompetenter Methodik, hohem Rigor und Transparenz – sie ist replizierbar. Also all das, was bei der Suche nach Exzellenz unter den Tisch fällt.

Gleichzeitig ist normale Wissenschaft das Substrat für „Breakthrough Science”, eben den Paradigmenwechsel. Dieser ist nicht steuerbar, erfolgt per Zufall und ist auch nicht per Ausschreibung zu erzwingen. Daher, auch wenn es paradox klingt: Wer Spitzenforschung will, muss normale Wissenschaft fördern! Wer dagegen Exzellenz fördert, erhält Exzellenz – mit allen ihren Wirkungen und Nebenwirkungen.

Dazu zählen natürlich Top-Publikationen, welche für sich ja keinen Wert darstellen. Außer den, dass sie Forscher, Initiativen, Unis, Länder in Exzellenz-Rankings nach oben bringen. Zudem führt die Auswahl nach Exzellenzkriterien zu Förder-Homophilie, also der Tendenz von Gutachtern, Wissenschaftler zu fördern, wenn diese ähnliche Forschung machen wie sie selbst. Auch kommt es zur Konzentration von Ressourcen (Matthäus-Effekt: „Wer hat, dem wird gegeben“) – zumeist auf Kosten nicht-exzellenter Bereiche, also der normalen Wissenschaft.

Die Exzellenzrhetorik ist vom Wesen her rückwärts gewandt: Sie urteilt auf Basis vorausgegangener Exzellenz. Dadurch verringert sich die Chance, wirklich Neues zu fördern, während Rigor, Kreativität, Diversität durchs Raster fallen. Die Rhetorik der Exzellenz hat allerdings noch eine wesentliche, auf den ersten Blick kaum zu ersetzende Funktion. Sie liefert der Wissenschaft vor der Politik ein einfaches und jedermann einleuchtendes Kriterium für die Verteilung oder gar den Aufwuchs von Forschungsmitteln. Schaut her: Bei uns fördert ihr Exzellenz! Und mit exzellenten Forschern wollen auch Politiker aufs Foto. Wie unattraktiv wäre dagegen der Ruf nach Förderung von „normaler Wissenschaft“!

Wir spielen also Exzellenztheater. Wäre es nicht an der Zeit, das Stück zu wechseln, oder zumindest das Bühnenbild? Man könnte, ganz sachte, der Rhetorik von der Exzellenz eine Rhetorik der „fundierten Wissenschaft“ beistellen. Im Englischen eignet sich hierfür der Begriff „Soundness“. Denn Soundness bedeutet Schlüssigkeit, Stichhaltigkeit, Fundiertheit und Zuverlässigkeit. Förderung von Sound Science wäre demnach ein pluralistischer Ansatz zur Verteilung von Ressourcen. Er schließt die vielen Qualitäten, welche (gute) Wissenschaft ausmachen, mit ein.

Kann man Soundness bewerten, oder ist das nicht genauso ein „Empty Signifier“, also ein inhaltsleerer Bedeutungsträger, wie „Exzellenz“? Team Science und Kooperation, Open Science, Transparenz, Adhärenz zu wissenschaftlichen und ethischen Standards, Replizierbarkeit – all dies und noch eine Menge mehr lässt sich nicht nur benennen, sondern sogar bis zu einem gewissen Grad quantifizieren. Dies wären dann Kriterien für eine Förderung in der Breite. Dafür braucht es keine zusätzlichen Mittel, denn es würde weniger Exzellenz gefördert. Als Nebeneffekt kaufen die Förderer damit auch mehr „Tickets“ in der Lotterie, welche die Forschungsförderung in Ermangelung von prädiktiven Kriterien für Breakthrough Science nämlich tatsächlich ist. Und wer mehr Tickets hat, gewinnt häufiger. Die Spitzenforschung, die neuen Therapien, die Paradigmenwechsel erwachsen dann aus einer größeren Anzahl von qualitativ hochwertigen Projekten normaler Wissenschaft.

Wohl nur ein Narr hält das für machbar, oder?

(Sollten Sie die hier nur angerissenen Überlegungen nicht für völlig abwegig halten, sind sie herzlich eingeladen, weiterführende (und hier teils ohne Angabe zitierte) Literatur unter http://dirnagl.com/lj einzusehen. Insbesondere sei Ihnen dann der Beitrag „Excellence R Us: University Research and the Fetishisation of Excellence“ von Moore et al. anempfohlen, der mich zu diesen Überlegungen angeregt hat.)


Letzte Änderungen: 25.06.2018