Editorial

Unkonventionelle Proteinfabriken
Produktübersicht: Proteinexpressions-Kits

Proteinexpressions-Kits pdficon

(11.11.2019) Noch dominieren E. coli und CHO-Zellen in vielen Protein-expressions-­Systemen. Manchmal lohnt sich jedoch auch ein Blick auf alternative Systeme.

Wenn Biowissenschaftler ihr Lieblingsprotein in größeren Mengen herstellen wollen, versuchen sie es zumeist in E.-coli-Zellen zu exprimieren – dem nach wie vor einfachsten und kostengünstigstenen Organismus zur Produktion rekombinanter Proteine.

Die entsprechenden Protein-Expressions­Kits basieren zumeist auf der Transkription des gewünschten Proteins durch eine T7-RNA-Polymerase (T7-RNAP), deren codierende Sequenz in das Bakterien-Chromosom integriert ist. Gesteuert wird die T7-RNAP-Expression durch ein LacUV5-Operon aus ­LacUV5-Promotor und Lac-Operator. Der Lac-Repressor LacI klammert sich an den Lac-Operator und blockiert so die T7-RNAP-Expression durch die E.-coli-eigene Polymerase. Lösen lässt sich die Blockade mit dem Induktor Isopropyl-β-D-1-Thiogalactopyranosid (IPTG), der LacI verdrängt und so den Weg frei macht für die T7-RNAP-Transkription.

Um mit diesen Komponenten ein induzierbares Expressions-System zu basteln, muss man die codierende Sequenz des gewünschten Proteins lediglich hinter einen T7-Promotor klonieren und das Konstrukt in einen Expressionsvektor integrieren, der die LacI-Sequenz beherbergt. Schleust man den Vektor in E.-coli­Zellen ein und versetzt diese mit dem Anheizer IPTG, produzieren die Bakterien T7-RNA-Polymerase, die schließlich das gewünschte, von dem T7-Promotor kontrollierte Protein transkribiert. Damit das Expressions-System tatsächlich dicht hält und erst nach Zugabe von IPTG anspringt, platziert man in der Regel auch auf dem Expressionsvektor einen Lac-Operator hinter dem T7-Promotor.

Dieses bereits Ende der achtziger Jahre von William Studier im Brookhaven National Laboratory von Upton im Bundesstaat New York entwickelte T7lac-Expressions-System dürfte das mit Abstand beliebteste E.-coli-Expressions-System sein und ist Grundlage zahlreicher Kits. Es existieren aber auch andere kommerzielle Systeme, die zum Beispiel die E.-coli-Promotoren tac, trc sowie ara nutzen oder auf Promotoren des Phagen T5 basieren, die von der E.-coli-RNA-Polymerase erkannt werden.

Überraschende Autoinduktion

Gänzlich ohne IPTG oder einen anderen Induktor kommt das selbstinduzierbare Expressions-System SILEX aus, das sich Fabrice Neiers und seine Kollegen vom Centre des Sciences du Goût et de l’Alimentation in Dijon ausgedacht haben. Alles, was man für SILEX braucht, ist ein spezieller von Neiers Gruppe kreierter BL21- (DE3)-E.-coli-Stamm, ein pET-Expressionsvektor mit T7lac-Promotor, in den man die codierende Sequenz des humanen Hitzeschockproteins hHSP70 kloniert, sowie ein weiteres pET-Plasmid, das die Sequenz für das gewünschte Protein enthält (Sci. Rep. 6:33037).

Auf das SILEX-System sind die Franzosen durch Zufall gestoßen, als sie ein gängiges pET-Plasmid (pET28a), das ein hHSP70-Gen beherbergte, in BL21(DE3)-Zellen einschleusten. Zum Erstaunen der Gruppe produzierten die transformierten Bakterien ohne Induktion durch IPTG auf Teufel komm raus hHSP70. Neiers Team vermutete, dass hHSP70 mit einem unbekannten E.-coli-Protein interagierte und hierdurch die Autoinduktion in Gang setzte. Tatsächlich stellte sich nach weiteren Experimenten die Glycerinaldehyd-3-phosphat-deshydrogenase (GAPDH) als Interaktionspartner von hHSP70 heraus. Offensichtlich führt das Wechselspiel von hHSP70 und GAPDH zur Produktion eines unbekannten Induktors, der letztlich die massive hHSP70-Expres­sion auslöst.

Noch kurioser wird die Sache, wenn man neben dem hHSP70-Plasmid (SILEX-Plasmid) ein zweites pET-Plasmid mit beliebiger Protein-codierender Sequenz in E.-coli-Zellen verfrachtet. Jetzt exprimieren die Zellen nicht mehr hHSP70 in rauen Mengen, sondern das auf dem zusätzlichen pET-Plasmid codierte Protein.

Um ein gewünschtes Protein mit dem SILEX-System herzustellen, muss man also lediglich das SILEX-Plasmid und ein Protein-codierendes pET-Plasmid in Neiers frisierten BL21 (DE3)-Stamm einschleusen.

E.-coli-Expressions-Systeme sind zwar die erste Wahl für die Expression vieler rekombinanter Proteine, weil sie so einfach und unschlagbar günstig sind. Mit der Expression eukaryotischer Proteine sind sie aber in den meisten Fällen überfordert. Dass die überexprimierten Proteine nicht korrekt gefaltet und häufig als inaktive, unlösliche Klumpen in einen Einschlusskörper eingelagert werden, ist da noch das kleinste Problem. Viel schwerwiegender sind die fehlenden posttranslationalen Modifikationen der exprimierten Proteine, wie zum Beispiel N- und O-Glykosylierungen, Hydroxylierungen, Palmitoylierungen oder Amidierungen, die für die Funktion der Proteine oft unerlässlich sind.

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Zu den neuen nicht-konventionellen eukaryotischen Expressions-Systemen zählt Leishmania tarentolae. Der Parasit ist nur für Geckos gefährlich und lässt sich gefahrlos im S1-Labor kultivieren. Foto: AG Depontei

Für die Expression eukaryotischer Proteine steigt man deshalb in der Regel auf Säuger-Systeme um, wie zum Beispiel CHO- und HEK293-Zellen, oder exprimiert sie in Insekten- oder Hefezellen. Typische Beispiele hierfür sind die verschiedenen Baculovirus-Insekten-Systeme, die in vielen Expressions-Kits zu finden sind, oder auch Systeme, die auf der methylotrophen Hefe Pichia pastoris basieren.

Interessante Newcomer

Neben diesen etablierten Verfahren tauchten in den letzten Jahren einige nichtkonventionelle Expressions-Systeme auf, die zum Teil auch als Kits erhältlich sind. Hierzu zählt das Leishmania tarentolae-System das Kirill Alexandrovs Gruppe, damals noch am Max Planck Institut für Molekulare Physiologie in Dortmund, kurz nach der Jahrtausendwende aus der Taufe hob (Protein Expr. Purif. 25: 209-18). Wenn die Rede von Leishmanien ist, zuckt mancher vielleicht etwas zusammen, weil viele Leishmania-Spezies auch Menschen befallen und ziemlich schaurige Krankheiten auslösen können, wie zum Beispiel die Orientbeule. Der Parasit L. tarentolae hat sich jedoch auf die Eidechse Tarentolae annularis spezialisiert und ist, nach allem was man bisher weiß, für Menschen harmlos.

Die Kultivierung von L. tarentolae ist etwas aufwendiger als die von E. coli, und verglichen mit CHO-Zellen sind die erzielten Ausbeuten der exprimierten Proteine noch ziemlich mau. Dafür wartet das L.-tarentolae-System mit einer äußerst nützlichen Eigenschaft auf: Es erzeugt in den exprimierten Proteinen sehr homogene N-Glykosylierungs-Muster, die sich kaum vom menschlichen Original unterscheiden und N-Glykosylierungen durch CHO-Expressions-Systemen in nichts nachstehen – optimale Voraussetzungen für die Expres­sion humaner Glykoproteine, zu denen auch monoklonale Antikörper gehören. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass mit dem System bereits verschiedene Antikörper-Fragmente exprimiert wurden. Einige Forscher könnten sich sogar vorstellen, mit L. tarentolae in nicht allzu ferner Zukunft therapeutische Antikörper herzustellen.

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Auch in Tabakpflanzen lassen sich rekombinante Proteine exprimieren. Wer keinen Platz für eine Tabakplantage in seinem Labor hat, kann sein Lieblingsprotein auch in einem Zelllysat aus Tabak-BY-2-Zellen herstellen. Foto: Fraunhofer IME

Von Stefan Schillbergs Gruppe am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) in Aachen stammt ein weiteres, nicht ganz alltägliches Expressions-System, das seit kurzem auch als Kit zu haben ist. Im Gegensatz zu den oben angesprochenen In-vivo-Expressions-Systemen handelt es sich dabei um ein zellfreies System zur In-vitro-Expression von Proteinen. Zellfreie Systeme sind eigentlich nichts besonderes und werden in Form von Weizenkeim-Extrakten, Kaninchen-Retikulozytenlysat oder E.-coli-Extrakten schon seit Jahrzehnten für die Proteinexpression genutzt.

Das Neue an der zellfreien Expressions-Technik, die Schillbergs Mitarbeiter Matthias Buntru, Simon Vogel und Holger Spiegel entwickelten, sind die als Expressions-Lysat verwendeten Tabak-Zellen – genauer gesagt Bright-Yellow-2-Zellen (BY-2), die mit einem speziellen Verfahren aus einer BY-2-Suspensions­kultur während der exponentiellen Wachstumsphase isoliert werden.

Evakuolierte Protoplasten

Die Gewinnung des Pflanzen-Lysats verläuft zunächst nach dem üblichen Routine-Protokoll. Im ersten Schritt wird die Zellwand verdaut und man erhält Protoplasten. Danach kommt der entscheidende Trick, der notwendig ist, um ein aktives Expressions-Lysat zu erhalten: Mit einer Percoll-Dichtegradienten-Zentrifugation entfernt man die Vakuolen, die mit störenden Proteasen und Ribonukleasen vollgepackt sind. Die Lyse der evakuolierten Protoplasten und die weitere Aufarbeitung des Lysats verläuft dann wieder nach Standard-Prozeduren.

Erstaunlich sind die hohen Protein-Ausbeuten, die nach Angaben des Herstellers mit dem kommerziellen BY2-Lysat-Kit zu erzielen sind. Demnach liefert das System bis zu drei Milligramm Protein je Milliliter – davon kann man mit klassischen eukaryotischen oder prokaryotischen zellfreien Expressions-Systemen nur träumen.

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In einem aktuellen JOVE-Paper (J.Vis. Exp. 145, e59495) beschreibt das Team von George Church die Gewinnung des Vibrio natriegens-Lysats Schritt für Schritt. Nach der Zentrifugation der aufgeschlossenen Zellen muss man nur noch den Überstand abheben, ohne den Zellschrott mitzupipettieren. Foto: AG Church
Superschnelle Generationszeit

Vielversprechend, aber noch in den Kinderschuhen steckend ist ein zellfreies Expressions-System aus einem Lysat des Gamma-Proteobakteriums Vibrio natriegens. Der Grund, warum insbesondere Biotechnologen und Forscher aus der Synthetischen Biologie große Hoffnungen in V. natriegens als Proteinfabrik setzen, ist sehr einfach: V. natriegens benötigt keine zehn Minuten, um sich zu verdoppeln und hat damit die kürzeste Generationszeit aller bekannten Organismen. Entsprechend flott muss auch die Transkriptions- und Translations-Maschinerie des Bakteriums arbeiten und sollte deshalb für ein zellfreies Hochleistungs-Expressions-System bestens geeignet sein.

Zu den ersten Teams, die sich an einem zellfreien Expressions-System auf Basis von V. natriegens versuchten, zählte Martin Siemann-Herzbergs Gruppe am Institute of Biochemical Engineering der Universität Stuttgart (Front. Microbiol. 9:1146). Für die Herstellung des V.-natriegens-Extrakts orientierte sich die Gruppe an den für E. coli üblichen Protokollen, zog die Zellen aber in einem speziellen Medium an.

Trotz verschiedener Optimierungsversuche blieb die Ausbeute eines mit dem Lysat in-vitro-transkribierten eGFP-Proteins aber etwas enttäuschend. Aufgrund der sehr hohen Ribosomen-Konzentration in dem Lysat hatte die Gruppe auch auf eine sehr hohe Syntheserate spekuliert. Dies spiegelte sich jedoch nicht in der eGFP-Ausbeute wider. Theoretisch würde man aufgrund der hohen Ribosomenzahl Ausbeuten von mehreren Milligramm pro Milliliter erwarten. In Expressions-Versuchen mit 250 Mikroliter Extrakt erhielten die Stuttgarter aber nur 90 Mikrogramm eGFP je Milliliter.

Konkurrenz aus Boston

Nur wenige Wochen nachdem Siemann-Herzbergs Mannschaft ihre Ergebnisse publiziert hatte, veröffentlichte auch George­Churchs Gruppe von der Harvard Medical School in Boston ein Paper über ein zellfreies V.-natriegens-Expressions-System (ACS Synth. Biol. 7(10): 2475-79). Das Bostoner Verfahren unterscheidet sich von dem schwäbischen nur in Nuancen. Auch die Ausbeute des von Churchs Team exprimierten sfGFP-Proteins ist mit etwas mehr als 260 Mikrogramm pro Milliliter nicht wirklich umwerfend. Aber immerhin ist der Anfang für ein neues Turbo-Expressions-System schon mal gemacht.

Proteinexpressions-Kitse im Überblick pdficon


(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 11/2019, Stand: Oktober 2019, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 10.11.2019