Editorial

Von nullachtfünfzehn bis plasmabeschichtet
Produktübersicht: Mikrotiterplatten

Mikrotiterplatten im Überblickpdficon

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Einfache Plasmakammer der thailändischen Chiang Mai University. In der evakuierten Röhre wird die Energie einer Radiofrequenz von etwas mehr als 13 MHz mit einer Kupferspirale auf Sauerstoff übertragen, wodurch ein blauviolettes Sauerstoffplasma entsteht. Das gleiche Prinzip verwendet die Firma SiO2 Medical Products für die Plasmabehandlung von Mikrotiterplatten. Foto: Chiang Mai University

(06.04.2020) Mikrotiterplatten gibt es in vielen verschiedenen Ausführungen, Farben, Näpfchenformen sowie Oberflächen. Der letzte Schrei sind plasmabehandelte Platten mit maßgeschneiderten Oberflächen.

Ob der ungarische Arzt Gyula Takátsy ahnte, dass die von ihm 1951 ausgetüftelte Mikrotiterplatte einige Jahrzehnte später einen solchen Siegeszug in biowissenschaftlichen Laboren hinlegen würde? Vermutlich nicht. Ihm ging es zunächst nur darum, die Testprozedur bei einer damals in Ungarn grassierenden Grippeepidemie zu beschleunigen, um seine Patienten mit einer schnelleren Diagnose besser versorgen zu können.

Für seinen Influenza-Test fräste er kleine Vertiefungen in eine Plexiglasplatte, die er in einem Rastermaß mit sechs Reihen und jeweils zwölf Löchern anlegte. Um die kleinen Näpfchen (Wells) möglichst schnell mit den für die Serienverdünnungen des Influenza-Tests nötigen Flüssigkeiten befüllen zu können, entwickelte der erfindungsreiche Mediziner zusätzlich eine Art Kapillar-Pipette. Diese bestand aus sechs parallel angeordneten Drähten mit einer eng gewundenen Spirale am Drahtende. Tauchte Takátsy die Spiralen in ein Flüssigkeitsreservoir, blieb ein konstantes Volumen der Flüssigkeit durch Kapillarkräfte daran hängen, das er anschließend in die Wells der Mikrotiterplatte überführte.

Takátsy erweiterte seine Platten schließlich auf acht mal zwölf Wells und rüstete auch seine Kapillar-Pipette entsprechend mit acht Drähten aus. Die Kapillar-Pipette war aber letztlich zu umständlich und ungenau, sie verschwand deshalb bald wieder in der medizintechnischen Mottenkiste.

Von Ungarn in die Welt

Die Idee der Mikrotiterplatte verbreitete sich dagegen durch ungarische Wissenschaftler auch in Laboren außerhalb Ungarns. Mitte der Sechzigerjahre erkannten dann die ersten kunststoffverarbeitenden Firmen in Europa und den USA nicht nur das technische, sondern auch das wirtschaftliche Potenzial der Mikrotiterplatten, und begannen sie zunächst im 96-Well-Format in größeren Stückzahlen zu produzieren.

Die Hersteller von Mikrotiterplatten stiegen aber sehr schnell von Takátsys ursprünglich verwendetem Plexiglas (Polymethylmethacrylat, PMMA) auf Polystyrol um, das bis heute die Hitliste der beliebtesten Plastikmaterialien im Labor anführt.

Polystyrol ist sehr durchsichtig und daher bestens für Mikroskopie und optische Messungen geeignet. Die Struktur aus einer Kohlenwasserstoffkette mit einem Benzolrest an jedem zweiten Kohlenstoff erklärt die relativ hohe Hydrophobie von Polystyrol, die sowohl Vorteile als auch Nachteile hat. Gewünscht ist sie zum Beispiel bei Suspensions-Zellkulturen, die nicht an der Oberfläche andocken, sondern sich frei im Kulturmedium bewegen sollen. Problematisch ist die Polystyrol-Oberfläche hingegen, wenn etwa Proteine über hydrophobe Wechselwirkungen an sie binden und hierdurch Assay-Ergebnisse verfälscht oder Ausbeuten reduziert werden.

Die Hersteller von Mikrotiterplatten kamen deshalb auf die Idee, die Styrol-Oberfläche entsprechend zu modifizieren. So ersetzen sie zum Beispiel einzelne Wasserstoffatome des Polymers durch hydrophile Carboxyl- oder Hydroxyl-Gruppen, die dafür sorgen, dass auch adhärente Zellen an die Oberfläche von Polystyrol-Platten anhaften. Oder sie beschichten die Wells mit Matrix-Proteinen beziehungsweise den synthetischen Peptiden Poly-L- oder Poly-D-Lysin, auf denen sich selbst schwer zu kultivierende Zellen wohlfühlen und ausbreiten.

Optische Eigenschaften, die an Glas erinnern, machen Mikrotiterplatten aus Cycloolefin (COP) zur ersten Wahl für das High Content Screening oder Absorptionsmessungen von Nukleinsäuren mit ultraviolettem Licht. Das Polymer des bicyclischen Kohlenwasserstoffs Norbornen besticht aber noch durch einige weitere Merkmale, die es zum beinahe perfekten Ausgangsmaterial für Mikrotiterplatten machen. So zeigt es zum Beispiel eine verschwindend geringe Eigenfluoreszenz, wenn es mit UV-Licht bestrahlt wird, ist chemisch inert gegenüber vielen Lösungsmitteln und bleibt bei Temperaturen von -80 °C bis 120 °C mechanisch stabil. Zudem ist die Oberfläche ähnlich hydrophob wie die von Polystyrol und lässt sich ebenso einfach mithilfe hydrophiler Gruppen oder Beschichtungen an den jeweiligen Einsatzzweck anpassen.

Nur in den seltensten Fällen wird dagegen die Oberfläche von Mikrotiterplatten aus Polypropylen behandelt, die in der Regel für die Probenlagerung eingesetzt werden. Polypropylen ist nicht ganz so hydrophob wie Polystyrol und zieht Proteine entsprechend weniger stark an. Der größte Trumpf von Polypropylen ist aber, neben der sehr hohen Resistenz gegenüber laborüblichen Chemikalien sowie Lösungsmitteln, die unverminderte Stabilität bei sehr tiefen Temperaturen. So ist selbst ein Bad in flüssigem Stickstoff bei -196 °C kein Problem, bei dem die meisten Kunststoffe zerbröseln wie Knäckebrot.

Für spezielle Anwendungen, etwa in der Proteomik oder Proteinanalytik, bei denen möglichst keine Proteine durch das Anhaften an der Oberfläche von Mikrotiterplatten verloren gehen dürfen, entwickelten die Hersteller sogenannte Low-Binding-Platten. Um Proteinen möglichst wenig Halt zu bieten, müssen die Oberflächen dieser Platten polar aber dennoch ungeladen sein und Akzeptoren für Wasserstoff-Brücken enthalten, jedoch keine Donoren.

Erreichen kann man dies zum Beispiel durch Polymer-Beschichtungen, die aber das Risiko erhöhen, dass Inhaltsstoffe als sogenannte Leachables oder Extractables von der Plattenoberfläche in die Proben übergehen. Einige Hersteller favorisieren deshalb die Behandlung der Platten mit einem Plasma, das die Plastikoberfläche in die gewünschte Richtung verändert.

Ein Plasma ist ein teilweise oder vollständig ionisiertes Gas. Herstellen lässt es sich, indem man einem Gas im Vakuum Energie zuführt und die Gasatome hierdurch in energiereiche Ionen, freie Elektronen sowie andere reaktive Teilchen überführt.

Die Plasmabeschichtung von Oberflächen ist zwar ein ziemlich alter Hut, der in der Werkzeugindustrie schon seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Mit ihr eine möglichst dünne, inerte und proteinabweisende Schicht auf eine Plastikoberfläche aufzubringen, ist aber ziemlich tricky und erfordert sehr viel Know-How.

Eine interessante Lösung, die auf der sogenannten Plasma-Enhanced Chemical Vapor Depositon (PECVD)-Technologie basiert, entwickelte die amerikanische Firma SiO2 Medical Products. Die Methode überzeugte selbst den Schweizer Pharmariesen Novartis, der sich Ende letzten Jahres bei den Amerikanern einkaufte, um die Plasmabeschichtung in seinen Medikamentenfläschchen im großen Stil einsetzen zu können. SiO2 nutzt die Technik aber auch für die Beschichtung von Mikrotiterplatten.

Superdünne Glasschicht

Der Firmenname SiO2 ist nicht schlecht gewählt: Mit der PECVD-Technik wird eine hauchdünne Glasschicht auf die Plastikoberfläche aufgebracht. Die Plastikgefäße, zum Beispiel Mikrotiterplatten, platziert man dazu in einem Reaktor mit Gas- und Elektrodenanschluss, der evakuiert wird. Über den Gasanschluss leitet man anschließend gasförmige Siloxane, Argon sowie Sauerstoff in den Reaktor und erzeugt aus der Gasmischung mithilfe einer eingestrahlten Radiofrequenz ein Plasma, das sich als hauchdünne Siliciumdioxid-Schicht auf der Plastikoberfläche niederschlägt.

Wiederholt man den Prozess und variiert die Gasmischung, kann man auch mehrere Beschichtungen mit unterschiedlichen Eigenschaften aufbringen – etwa eine zusätzliche pH-Schutzschicht oder einen Film mit maßgeschneiderter Hydrophobie beziehungsweise Hydrophilie.

Wie gut die plasmabehandelte Oberfläche das Anhaften von Proteinen verhindert, testete eine Forschergruppe von SiO2 anhand der Wiederfindungsraten von Proteinen in extrem verdünnten Proteinlösungen mit Konzentrationen von einem bis zwölf Nanomol pro Liter. Die Raten lagen durchweg bei über neunzig Prozent und waren deutlich höher als bei kommerziellen Low-Bind Mikrotiterplatten, die als Vergleich dienten (SLAS Technology, 22(1): 98-105). Auch bei Versuchen zu Leachables und Extractables schnitten die plasmabehandelten Mikrotiterplatten, die inzwischen als Ultra-Low-Binding-Platten im Handel sind, besser ab als die Konkurrenz aus unbehandeltem Polypropylen (SLAS Technology 23(6): 560-65).

Wer auf Wiederfindungsraten von Proteinen und aus dem Plastikmaterial austretende Substanzen pfeifen kann, findet auf den nächsten Seiten jede Menge Standard-Mikrotiterplatten in allen nur erdenklichen Variationen.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 4/2020, Stand: März 2020, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 06.04.2020