Editorial

Zelllyse mit Seife oder Flüssigsalz
Produktübersicht: Chemischer Zellaufschluss

Chemischer und enzymatischer Zellaufschluss im Überblickpdficon

(07.02.2022) Für den chemischen Zellaufschluss setzen Biowissenschaftler meist Detergenzien ein, die die Zellmembran durchlöchern. Eine interessante, aber noch zu wenig genutzte Alternative sind ionische Flüssigkeiten.

Wenn es darum geht, an Nukleinsäuren, Proteine oder Organellen im Inneren von Zellen heranzukommen, sind Biowissenschaftler nicht allzu zimperlich. Entweder zerquetschen und zerstückeln sie die Zellen mit brachialer Gewalt in entsprechenden Homogenisatoren und Zellmühlen oder sie destabilisieren die Zellmembranen mit chemischen Substanzen, bis sie sich schließlich auflösen. Physikalische Aufschlussverfahren sind aber meist nur bei besonders störrischen Pflanzen-, Hefe- oder Bakterienzellen notwendig, die durch eine zusätzliche äußere Zellwand geschützt sind. Bei Zellen mit einfacher Zellmembran, wie zum Beispiel Säugerzellen, würde man mit ihnen nur unnötigen Schaden in der Zelle anrichten und die gewünschten Proteine oder Nukleinsäuren gleich mit zerschreddern. In diesen Fällen genügen zumeist chemische Aufschlussverfahren, die die Zellen nicht ganz so stark malträtieren und auch einfacher durchzuführen sind.

In der Regel basieren chemische Zelllyse-Techniken auf Pufferlösungen, die mit einem zusätzlichen Detergens versetzt sind, das die Lipiddoppelschicht der Zellmembran angreift. Das Spektrum der verwendeten Detergenzien ist recht groß und reicht von Klassikern wie CHAPS, Triton oder Tween bis zu etwas exotischeren Substanzen wie zum Beispiel IGEPAL, Tergitol NP-40 oder Zwittergent 3-14. Der zugrundeliegende molekulare Aufbau der eingesetzten Detergenzien sowie ihre Funktionsweise sind aber immer mehr oder weniger gleich: Sie enthalten eine polare hydrophile Kopfgruppe, die positiv-geladen, negativ-geladen, ungeladen oder zwitterionisch sein kann, sowie einen unpolaren hydrophoben Schwanz. Letzterer bindet an Membranproteine sowie Lipide und verhindert Interaktionen zwischen Membranproteinen beziehungsweise Membranproteinen und Lipiden, die für die Integrität der Membran unerlässlich sind. Die Membran wird hierdurch zunehmend destabilisiert und löst sich schließlich mehr und mehr auf.

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Illustration: MDPI

Gründlich und dennoch sanft

Die Wahl des perfekten Detergens ist aber gar nicht so einfach und erinnert ein bisschen an die Quadratur des Kreises. Die oberflächenaktive Substanz sollte die Zellmembran möglichst schnell auflösen und dennoch keine Proteine oder Nukleinsäuren in der Zelle beeinträchtigen, die man nach der Zelllyse isolieren will – und natürlich darf das Detergens auch keine nachfolgenden Reaktionen ausbremsen, etwa eine PCR oder einen Enzym-Assay. Von starken ionischen Detergenzien, die dazu neigen, Proteine zu denaturieren wie zum Beispiel Natriumdodecylsulfat (SDS), sollte man deshalb lieber die Finger lassen, wenn man nach der Zelllyse die Funktion eines Proteins analysieren will. Nicht-ionische Detergenzien, etwa Triton X-100, NP40 sowie Tween 20 oder zwitterionische wie zum Beispiel CHAPS, die nicht ganz so rabiat sind, dürften hier die schlauere Wahl sein – falls sie für den jeweiligen Zelltyp geeignet sind.

Aber auch diese milderen Detergenzien muss man in der Regel mit zusätzlichen Reinigungsschritten wieder loswerden, um zu verhindern, dass sie bei der Analyse der isolierten Proteine oder Nukleinsäuren empfindlichen Detektionsmethoden in die Quere kommen. Vermeiden lässt sich diese Mehrarbeit mit sogenannten ionischen Flüssigkeiten (IL), die eine echte Alternative zu klassischen Detergenzien darstellen, bisher aber nur sehr selten in kommerziellen oder hausgemachten Lysepuffern zu finden sind.

Die grundlegende Struktur ionischer Flüssigkeiten ist recht einfach: Sie bestehen aus einem organischen Kation sowie einem organischen oder anorganischen Anion. Typische Kationen sind N-alkylierte Imidazole oder quartäre Ammoniumverbindungen, wie zum Beispiel Cholin, die mit entsprechenden Anionen etwa Halogeniden oder Alkylsulfaten kombiniert werden. Der Fantasie der Chemiker sind bei der Synthese ionischer Flüssigkeiten so gut wie keine Grenzen gesetzt – theoretisch sind mit den unzähligen Kombinationen aus verschiedenen Kationen und Anionen 1018 Verbindungen möglich. Bemerkenswert ist, dass der Schmelzpunkt ionischer Flüssigkeiten im Gegensatz zu klassischen Salzen unter hundert Grad Celsius liegt und viele bereits bei Raumtemperatur flüssig sind. Zudem sind sie bei weitem nicht so flüchtig wie typische organische Lösungsmittel, in der Regel nicht brennbar und auch nicht toxisch. Das macht sie insbesondere für Verfahrenstechniker attraktiv.

Interaktion mit Proteinen

Für Biowissenschaftler sind ionische Flüssigkeiten interessant, weil sie in vielfältiger Weise mit Proteinen oder Nukleinsäuren interagieren, etwa über hydrophobe oder elektrostatische Wechselwirkungen sowie Disulfid- oder Wasserstoffbrücken.

Vor einigen Jahren begannen die ersten Biologen mit ihnen zu experimentieren und verwendeten sie unter anderem für die Lyse von Zellen. Zu den Vorreitern gehören die Teams von Peter Rossmanith sowie Georg Reischer, die an der Veterinärmedizinischen Universität Wien beziehungsweise der Technischen Universität Wien arbeiten.

Rossmaniths Gruppe war eine der ersten, die versuchte, ionische Flüssigkeiten für die DNA-Extraktion zu nutzen, um damit die Klinik- sowie Lebensmitteldiagnostik zu beschleunigen. Anfänglich wurden hierzu meist hydrophile IL verwendet. Diese stören jedoch häufig qPCRs oder andere molekularbiologische Assays, die mit der extrahierten DNA durchgeführt werden.

Rossmaniths Team besorgte sich deshalb fünf kommerzielle hydrophobe ionische Flüssigkeiten und testete ihr Verhalten bei der Lyse gramnegativer Bakterien sowie der DNA-Extraktion. Anschließend untersuchte die Gruppe, ob die Substanz eine mit der extrahierten DNA durchgeführte qPCR negativ beeinflusst. Tatsächlich lieferte der Testkandidat mit dem Kürzel [BMPyr+][Ntf2-] auch ohne zusätzliche Reinigungsschritte astreine DNA und zeigte keinerlei Hemmung der qPCR (Anal. Bioanal. Chem. 409: 1503-11). Einziger Wermutstropfen: [BMPyr+][Ntf2-] ist nur für die Lyse gramnegativer Bakterien geeignet – das dicke Bollwerk aus Peptidoglykan beziehungsweise Murein, das grampositive Bakterien umgibt, kann die Substanz nicht knacken. Um dieses zu durchbrechen, muss man nach wie vor Enzyme wie zum Beispiel Lysozym oder Proteinase K einsetzen, die mit der Zellwand kurzen Prozess machen.

Reischers Gruppe wollte diesen zusätzlichen Schritt einsparen und suchte in dem riesigen Repertoire hydrophiler ionischer Flüssigkeiten nach geeigneten Verbindungen, die grampositive Bakterien lysieren, die anschließende qPCR jedoch nicht hemmen (Sci. Rep. 9: 13994). Reischers Dokorand und Erstautor des Scientific-Reports-Papers, Roland Martzy, wusste aus vorherigen Versuchen, dass sich DNA aus Fleisch mit ionischen Flüssigkeiten auf Basis von Cholin oder 1,3-Dialkylimidazol isolieren lässt. Die Chance, dass dies auch mit einem grampositiven Bakterium funktionieren würde, war also nicht schlecht. Die Gruppe wählte Enterococcus faecalis als Modell für grampositive Bakterien und lysierte es mit vier verschiedenen IL mit Cholin-Grundstruktur sowie vier IL, die auf 1,3-Dialkylimidazol basierten. Als Anionen verwendeten die österreichischen Forscher drei Carboxylate mit unterschiedlichen Kettenlängen, Acetat, Phosphate sowie Halogenide.

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Roland Martzy optimierte für seine Doktorarbeit an der TU Wien die Lyse und DNA-Extraktion von Bakterien mithilfe ionischer Flüssigkeiten. Foto: TU Wien

Die besten DNA-Ausbeuten lieferten Cholinhexanoat sowie 1-Ethyl-3-methylimidazolacetat in einem Tris-Puffer-System. Das Lyse- beziehungsweise DNA-Extraktionsprotokoll mit den beiden IL ist unschlagbar simpel und schnell: Zehn Mikroliter der Zellsuspension werden mit neunzig Mikrolitern des IL-Puffers versetzt und fünf Minuten bei 65 Grad Celsius erhitzt. Will man den Extrakt danach in einer qPCR einsetzen, muss man ihn jedoch noch einmal verdünnen, um sicherzugehen, dass die Reaktion nicht gestört wird.

Brauchbare Alternative

Auch in einem Vergleich mit kommerziellen DNA-Extraktions-Kits, den das Team mit verschiedenen grampositiven sowie gramnegativen Mikroorganismen durchführte, schlugen sich die beiden ionischen Flüssigkeiten mehr als achtbar. Da die Extraktion mit ihnen auch noch günstiger ist als mit kommerziellen Kits und sie zudem umweltfreundlich und ungiftig sind, spricht eigentlich nichts dagegen, sie häufiger in Lyse-Protokollen einzusetzen.

Aber auch mit dem passenden Detergens kann man sich in einigen Fällen die DNA- oder RNA-Extraktion sparen und nach der Lyse direkt mit der qPCR weitermachen. Ein Beispiel hierfür ist die direkte RT-qPCR in Lysaten von SARS-CoV-2. Schon früh in der Pandemie versuchten Forscher, die lästige und zeitraubende RNA-Extraktion zu umgehen, die für die RT-qPCR eigentlich nötig ist. Meist werden die Proben dazu einfach für eine halbe Stunde auf 65 Grad Celsius erhitzt oder mit Proteinase K versetzt und dann ohne viel Federlesen in der RT-qPCR eingesetzt. Grundsätzlich funktioniert dies auch, man muss jedoch Abstriche an die Sensitivität machen, was sich in erhöhten Werten für die Schwellenwertzyklen (Ct) bemerkbar macht.

Christine Tait-Burkards Gruppe von der University of Edinburgh verzichtete daher auf die Erhitzung der Probe und setzte stattdessen verschiedene Detergenzien für die Lyse der Virushülle ein (bioRxiv, doi: 10.1101/2021.11.30.470550). Die besten Ergebnisse erzielten die Schotten mit einer Mischung aus 2,5 Prozent IGEPAL CA-630 in einem einfachen Tris-Puffer.

Das Protokoll für die Lyse von SARS-CoV-2 oder anderen Viren mit Hüllproteinen ist supersimpel, die Probe wird dazu einfach zwanzig Minuten in dem Lysepuffer inkubiert. Das Detergens wirkt sich nicht negativ auf die Empfindlichkeit der RT-qPCR aus und inaktiviert das untersuchte Virus zuverlässig. Es ist damit perfekt für die Analyse von SARS-CoV-2 oder anderer RNA-Viren in Forschungslaboren geeignet.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 1-2/2022, Stand: Januar 2021, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 07.02.2022