Die burschikose Paläobotanikerin

Winfried Köppelle


Editorial

Rätsel

(24.02.2016) Schon in jungen Jahren in ihrer Wissenschaftsdisziplin führend, gab sie eine blendende Karriere auf, um Hausfrau und Vollblut-Mutter zu werden.

Das Leben fand auf unserem Heimatplaneten drei Milliarden Jahre lang in Salzwasser statt. An der Oberfläche heißer Tiefsee-Vulkane entstanden in der präkambrischen Tiefsee organische Verbindungen und daraus die ersten anaeroben Bakterien. Es folgten die mehrzelligen, am Meeresboden wabernden Schwämme und Nesseltiere der Ediacara-Fauna – und schließlich die kambrische Explosion. Noch immer war die Erde wüst und leer. Vor 480 Millionen Jahren besiedelten dann erste Urlandpflanzen wie Rhynia und Horneophyton die postkambrische Wüstenei. Es folgten Schachtelhalme und Bärlappe, Fluginsekten und Sauropsiden – und der ganze rezente Rest.

Woher wir das alles wissen? Von aufgeklärten Idealisten aus wohlhabenden Familien, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mit religiösen Schöpfungsmythen abspeisen lassen wollten. Der thüringische Oberhofmarschall Ernst Friedrich von Schlotheim (1764-1832) etwa, Mitglied des Illuminatenordens und passionierter Fossilien-Sammler, veröffentlichte 1804 eine Beschreibung merkwürdiger Kräuter-Abdrücke und Pflanzen-Versteinerungen, die ihn als Begründer der wissenschaftlichen Paläobotanik weltberühmt machte. Der lange in Regensburg wirkende Tscheche Kaspar Maria von Sternberg (1761-1838) und der französische Hochschullehrer Adolphe Brongniart (1801-1876) machten sich ebenfalls um die Paläobotanik verdient, indem sie erstmals verwandtschaftliche Zusammenhänge zwischen ausgestorbenen und noch existierenden Pflanzen herstellten.

Editorial
Fachlich exzellent und trotzdem pleite

Die hier gesuchte Amerikanerin führte die Arbeiten der erwähnten Kapazitäten weiter; schon in jungen Jahren galt sie als eine der Besten ihres Fachs. Nun ist es ja aber leider so, dass gerade in randständigen Disziplinen die staatliche Wissenschaftsförderung nahezu Null ist. Ohne privates Mäzenatentum ist daher selbst für Koryphäen kein Blumentopf zu gewinnen. Unsere junge Paläobotanikerin nutzte daher Anfang der 1990er Jahre die unverhoffte Chance, 120 Meilen westlich von Costa Rica eine wissenschaftliche Begutachtung für einen reichen Gönner durchzuführen. Im Gegenzug versprach dieser, er würde eine zeitlang ihre Ausgrabungen finanzieren. Begleitet von zwei weiteren in ihrer jeweiligen Disziplin führenden Forschern entdeckte unsere Wissenschaftlerin schon bald diverse Schwachstellen in der Konzeption ihres Auftraggebers. Dessen Landschaftsarchitekten hatten zum Beispiel „aufgrund der hübschen Blüten“ eine Reihe von Zedrachbäumen angepflanzt. Sämtliche Pflanzenteile von Melia azedarach jedoch sind hochgiftig; besonders die Früchte enthalten jede Menge Triterpene und toxische Bitterstoffe. Prompt kam es in regelmäßigen Abständen zu mysteriösen schweren Vergiftungen.

Die Gesuchte löste das Rätsel, denn sie hatte nicht nur von jahrmillionenalten floralen Versteinerungen viel Ahnung, sondern auch von Pharmakologie und von braunen Stoffwechselendprodukten – und stellte in Zusammenarbeit mit einem anwesenden Veterinär zielsicher die korrekte Diagnose, während sich am Horizont bereits ein tropischer Gewittersturm näherte.

Den desaströsen weiteren Verlauf dieses aus dem Ruder gelaufenen Evaluierungs-Unterfangens schildert der Dokumentarfilm eines ukrainisch-österreichstämmigen Regisseurs. Die gesuchte Paläobotanikerin beendete in der Folge ihre vielversprechende Karriere, um im amerikanischen Klischee der Vollblut-Mutter ihr häusliches Glück zu finden. Sie hat sich ein zu ihrer Frisur passendes, dümmliches Barbie-Lachen angewöhnt und ist der lebende Beweis dafür, dass sich kluge Frauen nicht auf Heim und Herd reduzieren lassen sollten, weil sie sonst intellektuell rapide abbauen. Wie heißt sie?




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Der gesuchte, schottische Marinedoktor heißt James Lind (1716-1794). Lind trat 1739 in die Royal Navy ein und befuhr zehn Jahre lang die Meere. Er war ein Verfechter von Reinlichkeit und sauberer Seemannskleidung; Lind ließ die Kajüten regelmäßig belüften und ferner gelegentlich mit Schwefel und Arsen ausräuchern, um Krankheiten vorzubeugen. Schon zu Lebzeiten galt er als „Pionier der Bordhygiene“. Bekannt wurde er auch durch seinen Vorschlag, Trinkwasser durch die Destillation von Meerwasser zu gewinnen – und durch seine berühmte, sechsarmige Vergleichsstudie, in der er Therapien zur Behandlung von Skorbut gegeneinander austestete. Danach verfasste er eine Doktorarbeit über Geschlechtskrankheiten und wurde bodenständig. Seine gesammelten Erkenntnisse zur Skorbut, 1753 in A treatise of the scurvy niedergeschrieben, wurden zunächst ignoriert.