Der Code-knackende Komparse

Ralf Neumann


Editorial

Rätsel

(30.10.2019) Wie heißt es zum Brain Drain? Postdoc in den USA okay – aber bitte wieder zurückkommen. Unser Gesuchter blieb ganz drüben, auch wenn er dort bisweilen „Qualität“ vermisste.

In den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts ging die noch junge Molekularbiologie auf wie ein Hefekuchen. Vor allem in den USA experimentierten sich deren Vertreter in einen regelrechten Rausch. Es war also kein Wunder, dass in dieser Goldgräber-Stimmung damals auch so manches junge Forschertalent aus deutschen Landen mit frischem Doktortitel in der Tasche den Sprung über den großen Teich machte. Und tatsächlich sollte der eine oder andere von ihnen in der Folgezeit besonders große Nuggets schürfen – und sich damit den Weg zu einer durchaus bemerkenswerten Karriere ebnen.

Zwei der bekannteren Beispiele sind die beiden späteren Max-Planck-Direktoren Peter Seeburg und Axel Ullrich. Beide gingen 1974 beziehungsweise 1975 nach Kalifornien, arbeiteten zwischendrin einige Jahre beim molekularbiologischen Pionierunternehmen Genentech und kehrten in den späteren Achtzigern auf akademische Leitungspositionen in Deutschland zurück.

Unser Gesuchter folgte den beiden 1978 nach Kalifornien und erregte dort mit seinen Resultaten bald ebenfalls einiges Aufsehen in der damals so quirligen Westcoast-Molbio-Szene. Im Gegensatz zu Seeburg und Ullrich sollte er jedoch bis zu seinem Lebensende nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren – ein Brain Drain ohne Regain, also. Seine Karriere verlief indes ähnlich erfolgreich.

Editorial

Natürlich hatte das noch keiner geahnt, als der älteste Sohn eines Bauingenieurs, statt den Familienbetrieb zu übernehmen, sich ein paar Kilometer weiter in der Nachbarstadt an der Universität einschrieb. Gerne hätte er Medizin studiert, doch scheute er damals davor zurück, da er beim Anblick von Blut leicht in Ohnmacht fiel. So wurde es schließlich das Studium der Pharmazie, welches er durch Jobs in einer Drogerie sowie am Theater seiner Heimatstadt als nicht-singender Komparse in hunderten von Opern-Aufführungen mitfinanzierte. Dieses langjährige Mitlaufen in einem Kunstbetrieb weckte letztlich seine generelle Leidenschaft für die Künste, die zeit seines Lebens nicht mehr nachlassen sollte.

Nach einem Abstecher nach Berlin folgte die biochemische Doktorarbeit bei einem deutschen „Fettstoffwechsel“-Nobelpreisträger. Kurz zuvor hatte der Goethe-, Schiller- und Karl-May-Liebhaber noch eine Begegnung der besonderen Art: Bei einem exklusiven Meeting in Deutschlands Süden traf der Doktorand just denjenigen „Antibiotikum“-Nobelpreisträger, nach dessen Namen später ein Institut an der US-Ostküste benannt wurde, welches unser Auswanderer schließlich von 1985 bis zu seiner Emeritierung leiten sollte.

Nach seinem wissenschaftlichen Credo gefragt, antwortete er einmal: „Der Schlüssel zum Erfolg ist gar nicht mal so sehr Talent, sondern vielmehr die Qualität des Trainings und die Anleitung durch andere.“ Zumindest dies scheint in Deutschland gestimmt zu haben, denn schon vor seiner Übersiedlung in die USA konnte er als Doktorand auf zwei Nature-Paper zurückblicken – das eine zur Lokalisierung der Zielsequenz für die Integration von Lambda-Phagen, das andere über die Generierung von Restriktionsschnittstellen in E. coli.

Seinen größten Coup landete er schließlich in seinem dritten US-Jahr – und es war nicht weniger als ein methodischer Paukenschlag: Mit einem völlig neuen Prinzip des „In-Stückeschneidens-und-wieder-Zusammenpfriemelns“ revolutionierte er das Entziffern des sogenannten „Codes des Lebens“. Als Proof of Principle legte er damals den kompletten Code eines Kreuzblütler-Schädlings vor – und nahm sich mit der Methode in den folgenden Jahren noch ein gutes Dutzend weiterer, vor allem pflanzlicher Organismen vor.

1991 registrierte das Institute for Scientific Information unseren „Code-Knacker“ schließlich als meistzitierten Wissenschaftler der 1980er Jahre. Und es ist sicher keine Übertreibung, zu behaupten, dass das gesamte Zeitalter der Genomik ohne ihn zumindest ein bisschen länger auf sich hätte warten lassen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil er kein Patent auf die Methode beantragte – damit, wie er selber sagte, „es zukünftiger Forschung nicht im Wege steht“.

Erst vor wenigen Wochen starb unser „Entschlüsseler“. Er hinterlässt seine Frau Rita samt einem Sohn und drei Enkelkindern. Immer wieder war er mit ihnen ins nicht gerade nahe gelegene Quebec gefahren, um dort Kleider zu kaufen. Material und Verarbeitung seien dort einfach besser als in den USA – so wie in Deutschland, erklärte er einmal dazu.

Sein Qualitätsbewusstsein hatte er offenbar nicht nur in wissenschaftlichen Dingen von dort mitgebracht.




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Der „Code-knackende Komparse“ ist Joachim Messing, der vor seinem Tod am Waksman Institute of Microbiology der Rutgers University in Piscataway, New Jersey, aktiv war. Seit 2016 ist dort der Endowed Chair of Plant Molecular Genetics nach ihm benannt.