Die Benennungsverweigerte

Ralf Neumann


Editorial

Rätsel

(09.06.2021) Mit ihren Ergebnissen beschämte sie keinen Geringeren als Carl von Linné. Woraufhin dieser ihr die wohlverdiente Anerkennung verweigerte.

Von 2013 bis 2016 überprüfte eine Kommission sämtliche Freiburger Straßennamen. In ihrem Abschlussbericht schlug sie schließlich die Umbenennung von zwölf Straßen vor, da sie die betreffenden Namensgeber nach heutiger Political Correctness für nicht mehr tragbar hielt. In weiteren 15 Fällen sollte der Name zwar nicht geändert, aber zusätzlich „kritische“ Erläuterungsschilder angebracht werden. In diese zweite Kategorie gehörte nach Auffassung der Kommission auch die Linnéstraße. Deren „Urteil“ über den schwedischen Naturforscher, der im 18. Jahrhundert die biologische Systematik begründete, lautete wie folgt:

Editorial

„Von Linné teilte die Spezies Mensch in vier Rassen anhand von körperlichen Merkmalen ein und wies diesen auch höhere und niedere charakterliche Eigenschaften zu. So wurde zum Beispiel das Temperament der ‚Afrikaner‘ als ‚boßhaft, faul, nachlässig‘ bezeichnet. Darüber begründete und verfestigte er mit seiner Klassifizierung und auch Sexualisierung des Pflanzenreichs anhand der Morphologie in männliche und weibliche Pflanzen sowie durch die nicht zwingende Klassifikation von Tieren (Säugen als weibliche Grundfunktion und Wesensbestimmung) eine Denkweise und Gesellschaftsordnung, die die Unterordnung von Frauen unter Männer sowie die traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung als natürlich erklärt und ‚beweist‘.“

Für das Ergänzungsschild schlug die Kommission daher vor:

„Carl von Linné (1707-1778). Schwedischer Naturforscher und Begründer der biologischen Systematik, Vordenker einer biologistisch begründeten Geschlechterhierarchie und Rassenlehre.“

Gerade unter Naturwissenschaftlern kam dieses Urteil nicht wenigen wie eine schlechte Posse vor. Die Gesuchte unseres Rätsels hingegen hätte das Urteil wahrscheinlich unterschrieben – und zwar aufgrund ihrer ganz eigenen Erfahrungen mit Herrn Carl von Linné.

Als Tochter schottischstämmiger Eltern wurde sie in der damaligen Kolonie New York ausschließlich zu Hause erzogen. Dabei hatte sie das Glück, dass ihr Vater sich dieser Aufgabe sehr gewissenhaft annahm, obwohl er als Absolvent der University of Edinburgh in der neuen Heimat zunächst als Arzt und Wissenschaftler arbeitete, um wenig später sogar zum Vizegouverneur der Kolonie aufzusteigen. Zu seinen Aufgaben in diesem Amt gehörte auch die Klassifizierung der Pflanzen in der gesamten Region – wofür er seine Tochter sehr bald als „Hilfskraft“ anlernte.

Im Rahmen dieser botanischen Ausbildung machte er sie auch mit Linnés kurz zuvor entwickeltem System der Pflanzenklassifizierung vertraut. Im Jahr 1743 veröffentlichte er schließlich unter Mithilfe seiner damals 19-jährigen Tochter das erste botanische Werk über die Pflanzenarten der Kolonie-Region.

Damit diese ihr autodidaktisches Studium fortsetzen konnte, beschaffte ihr der Vater weitere Literatur und Pflanzenschnitte. Zugleich stellte er den Kontakt zu einer ganzen Reihe bedeutender Botaniker her – darunter neben Peter Collinson aus London und dem Amerikaner Alexander Garden eben auch zu Carl von Linné.

In fünf Jahren sammelte unsere Gesuchte im Tal des unteren Hudson River über 400 Pflanzenarten und klassifizierte sie nach von Linnés neuem System. Nahezu alle dokumentierte sie durch detaillierte Tuschezeichnungen. Zudem stellte sie mit einer eigens von ihr entwickelten Technik Tintenabdrücke der Blätter her. Ihr Original-Manuskript, in dem sie die Flora der Region New York zusammengefasst hatte, spülten die Unruhen des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs schließlich bis nach London ins Natural History Museum, wo man es heute noch bestaunen kann.

Irgendwann während dieser Studien stieß unsere Sammlerin allerdings auf Ungereimtheiten in von Linnés eigenen Klassifikationen. Konkret fand sie die Blätter und Blütenstände einer Polygala- und einer Clematis-Art falsch dargestellt – und vermerkte von Linnés Fehler mit seinem Namen in ihrem Manuskript.

Weiterhin blieb bei all diesen Aktivitäten natürlich nicht aus, dass unsere Gesuchte auch Pflanzen entdeckte, die bisher noch nirgendwo beschrieben waren. In einem Fall teilte sie von Linné mit, dass sie eine neue Art gefunden habe, die sie nach ihrem Kollegen Garden mit „Gardenia“ benennen wollte. Von Linné verwarf ihre Einschätzung und ordnete die Pflanze der bereits bekannten Gattung Hypercium zu. Später belegten andere Botaniker, dass unsere Gesuchte richtig gelegen hatte. Und selbst als bald darauf mehrere andere Botaniker von Linné baten, eine weitere von ihr neu entdeckte Art – wie es üblich war – mit ihrem Namen zu benennen, lehnte dieser ab und taufte sie auf Helleborus.

Der Großteil der internationalen Botanikerzunft missbilligte die ungerechte Ablehnung von Linnés – und führte sie schon damals auf dessen negatives Frauenbild zurück. Ihre Rehabilitation als die erste große Botanikerin Amerikas erlebte unsere Gesuchte selbst dann nicht mehr. Sie starb bald nach dieser Episode im Alter von nur 42 Jahren.

Na, wer ist‘s?





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Die „Benennungsverweigerte“ ist Jane Colden, die als „erste Botanikerin Amerikas“ gilt, da sie dort erstmals umfangreich Pflanzen nach dem taxonomischen System Carl von Linnés klassifizierte.