Editorial

Der smarte Programmierer

Winfried Köppelle


Rätsel

(26.11.2013) Einst bastelte er die Algorithmen zusammen, mit denen man Genome entschlüsselt, heute entwirft er vierdimensionale Landkarten komplexer biologischer Systeme.

Am Morgen des 26. Juni 2000 stellten sich die Herren dem Blitzlichtgewitter der Fotografen: US-Präsident Bill Clinton hatte zwei Landsleute, die zerstrittenen Genforscher Francis Collins und Craig Venter, ins Weiße Haus geladen. Das ein Jahrzehnt zuvor als Humangenomprojekt (HGP) begonnene Vorhaben, die drei Millionen menschlichen Basenpaare zu entziffern, sei vollendet.

„Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben schuf“, versuchte sich der Lebemann Clinton als Philosoph. Dabei ist die „Sprache“ der Gene doch bereits seit dem Jahr 1966 bekannt! Zudem lag zum Zeitpunkt der Pressekonferenz erst eine unvollständige Version des menschlichen Genoms vor. „Wir sind eine Bande von Schwindlern und haben einfach alles hübsch verpackt, was wir hatten, und behauptet, wir seien fertig“, hatte sich ein Kollege noch kurz vor dem Pressetermin bei Venter beschwert. Im eigentlichen Sinne beendet war das Projekt dann auch erst drei Jahre später.

Wie üblich bei derlei Anlässen mussten diejenigen, die die Hauptarbeit erledigt hatten, im Hintergrund bleiben. Immerhin erwähnte Venter in seiner Rede den Namen des hier Gesuchten, der sich zusammen mit weiteren Protagonisten des Projekts im Saal befand – und wunderte sich im Stillen, wie schrill dieser gekleidet war. Manch ein Fotograf mag unseren Mann, der die Erbinformation im Vornamen trägt, für Richard Gere gehalten haben.

Schneisen durchs Datendickicht

Dabei half der Gesuchte entscheidend dabei mit, Forschungsprojekte wie das HGP zu ermöglichen, denn er gehört zu denen, die sich hinterher im Rohdatendickicht zurechtfinden: Ihm wird nachgesagt, selbst spätabends vor dem Kaminfeuer noch Algorithmen zu basteln, während der Hund auf dem Sofa pennt. Somit kam er wie gerufen, als er Anfang der 90er Jahre ein ziemlich cooles Computerprogramm mitentwickelte und es den Kollegen vom molekularbiologischen Lager kostenlos zur Verfügung stellte. Mit so etwas macht man sich Freunde – und diese revanchierten sich prompt, indem sie den famosen Software-Kracher mit den fünf Großbuchstaben brav in ihren eigenen Veröffentlichungen nannten. Der das Programm beschreibende Fachartikel wurde so zum meistzitierten des folgenden Jahrzehnts. In den Genlaboren entstand sogar ein neues Verb, das Forscher seitdem bei der Sequenzanalyse im Munde führen.

Natürlich legte sich unser Mann, der ausgedehnte Spaziergänge liebt und gerne mit dem Drahtesel ins Institut radelt, nicht auf die faule Haut. Als Experte für genomische Schrotschüsse war er spätestens seit 1995 ein gefragter Mann. Trotzdem hielt man den Vorschlag, man möge seine im Kleinen durchaus bewährte Methode doch auch am Humangenom ausprobieren, für vermessen. Venter hingegen traute ihm das zu, und der wollte ja auch das Rennen gegen Erzfeind Collins gewinnen. So bastelte der Gesuchte um die Jahrtausendwende mal wieder an seinen Algorithmen, dieses Mal für viel Geld als Chefentwickler eines kommerziellen Genomsequenzierer-Betriebs: „Es war die stressigste Zeit meines Lebens, aber auch die aufregendste“, erinnert er sich.

Editorial

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Seit kurzem ist der smarte Formelfreak, der „nie eine Biologievorlesung besucht“ hat, an einem ostdeutschen Eliteinstitut zugange. Dort soll er die informatorische Verarbeitung komplexer Bilddaten managen und Verfahren erarbeiten, die mit heutigen Rechnerkapazitäten noch gar nicht möglich sind: „Ich will wissen, auf welche Weise die Gene einer Fliege bewirken, wie deren Gehirn aussieht und funktioniert.“ Dazu will er Supermikroskope mit ultrahoher Auflösung bauen – und Informatiker einstellen, die die von ihm angeleierten Vorhaben weiterführen. Deutsch versucht er auch gerade zu lernen. Vielleicht ist das ja das erste Problem, an dem er scheitert. Wie heißt er?




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Der gesuchte, smarte Programmierer ist der amerikanische Mathematiker und Bioinformatiker Eugene „Gene“ Myers (*1953). Myers wuchs an wechselnden Wohnorten in Fernostasien auf und begann Anfang der 1980er Jahre, Algorithmen für den DNA-Sequenzvergleich zu entwickeln. Zusammen mit Stephen Altschul und anderen ist er Mitentwickler der Software BLAST zur Analyse von DNA-Sequenzen; die entsprechende Veröffentlichung ist eine der meistzitierten der 1990er Jahre. Zur Jahrtausendwende arbeitete Myers als Chefinformatiker bei Craig Venters Firma Celera Genomics maßgeblich an der Aufklärung des Humangenoms mit; er plädierte dafür, Venters „Schrotschuss“-Methode auch aufs Humangenom anzuwenden. Seit 2012 ist Myers Leiter des Zentrums für Systembiologie in Dresden.