Editorial

Die kaltblütige Virologin

Winfried Köppelle


Rätsel

(28.03.2014) Inmitten weltweiter Panik und zusammenbrechender Sozialsysteme behielt sie die Nerven und testete ihren rettenden Impfstoff im heldenhaften Selbstversuch.

Die Seuche hatte sich aus Kirgisien über die Krim in die sizilianische Hafenstadt Messina geschlichen. Sie traf die nichtsahnende Bevölkerung Europas mit unvorstellbarer Wucht und forderte 25 Millionen Tote. Weite Landstriche wurden entvölkert, in den Straßen verfaulten die mit schwarzblauen Beulen überzogenen Leichen, und vor den Toren wurden immer neue Massengräber ausgehoben. Derweil verordneten ignorante Kleriker ihren Schäfchen Messen und Bittprozessionen – was die Seuche, bedingt durch enge Körperkontakte, nur noch ungestümer wüten ließ. In der Künstlerstadt Florenz überlebte nur jeder fünfte Bürger die zwischen 1347 und 1353 grassierende Pandemie; von Neapel bis Tromsø waren die Menschen im Schockzustand und der bisherige Alltag umgekrempelt. Die wahre Natur des hoch aggressiven Erregers blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein nebulös, und erst 2011 gelang es unter deutscher Beteiligung, dessen Erbgut aus Skeletten auf einem Londoner Friedhof zu isolieren und so Yersinia pestis zweifelsfrei als Urheber des „Schwarzen Todes“ auszumachen.

Die Frage ist nicht, ob eine ähnlich dramatische Pandemie auch die moderne Menschheit treffen könnte. Dies ist längst geschehen, 100 Jahre nach Jenner und 25 nach Pasteur, nannte sich Spanische Grippe und forderte 50 Millionen Opfer. Die Frage ist, wann der nächste, hochinfektiöse Killerkeim entstehen wird. Denn dann werden wir viel Glück brauchen – und kaltblütige, fachkundige Wissenschaftler. So wie die Dame, die im Folgenden gesucht wird.

Ein Leben im S4-Hochsicherheitslabor

Nach ihrem Virologiestudium an einer US-Eliteuniversität machte sie Karriere bei einer amerikanischen Bundesbehörde nahe Atlanta, deren Aufgabe im Schutz der öffentlichen Gesundheit besteht (übrigens einer der beiden Orte, an denen die letzten Pockenviren lagern). Einer der Schwerpunkte an dieser Einrichtung sind hochansteckende Infektionskrankheiten, hervorgerufen durch Erreger wie Ebola, MEV-1, Coronaviren (SARS) und Influenza H5N1 (Vogelgrippe). Falls Sie dort mal vorbeikommen, könnten Sie die Gesuchte im S4-Hochsicherheitslabor antreffen.

Prominent wurde sie im Zuge einer beängstigenden Pandemie, die vor wenigen Jahren in Hongkong ihren Anfang nahm. Ein Fledermausvirus war auf ein Hausschwein übergesprungen und von diesem wiederum auf den Menschen. Das – wie die Gesuchte später herausfand – mehrfach rekombinierte Erbgut des Erregers erwies sich als hochinfektiös und befiel vorzugsweise Zellen des menschlichen Nervensystems. Binnen weniger Tage verbreitete es sich auf den internationalen Flugrouten über den Erdball. Problematisch war vor allem die ungewöhnlich kurze Inkubationszeit und eine hohe Mortalitätsrate von bis zu 30 Prozent.

Trotz rascher Erfolge und dem Befund, dass die RNA des neuen Erregers eine absonderliche Mixtur aus dem Erbgut von Schweine- und Fledermausviren darstellt, stockte die Vakzin-Entwicklung. Es lag am aggressiven Erreger, der die üblicherweise zur Kultur benutzten Zellen zu rasch abtötete. „Er lässt sich einfach nicht kultivieren“, so der allabendliche Stoßseufzer der Gesuchten. Während die Epidemie weiter um sich griff, missachtete ein kalifornischer Kollege die strengen Sicherheitsregeln – und entdeckte prompt eine zum Weiterarbeiten taugliche Fledermaus-Zellkultur.

Was folgte, war Routine – und auch wieder nicht. Denn als sie endlich den potenziellen Impfstoff, getestet an Affen, in Händen hielt, umging die Gesuchte die offiziell vorgeschriebenen Protokolle und riskierte einen Selbstversuch: Ohne Mundschutz besuchte sie ihren ebenfalls an der Seuche erkrankten Vater im Hospital und bewies so die Tauglichkeit des von ihr entwickelten Serums. Wie heißt die Dame?




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Die kaltblütige Virologin ist die CDC-Mitarbeiterin und Impfstoff-Expertin Ally Hextall (*1969). Im Herbst 2011 gelang es der bis dahin nicht in Erscheinung getretenen US-Forscherin, die vom neuartigen und überaus tödlichen Meningoencephalitis Virus One (MEV-1) verursachte, weltweite Epidemie mit am Ende 26 Millionen Opfern zu stoppen, indem sie in unglaublich kurzer Zeit einen Impfstoff entwickelte und aus Zeitnot im Eigenversuch testete. Hilfreich zur Seite stand Hextall der kalifornische Universitäts-Professor Ian Sussman, der auf eigene Faust und gegen behördliche Anweisung eine für die Virenanzucht geeignete Zellkultur identifizierte. Die Hollywood-Dokumentation Contagion von Steven Soderbergh zeichnet das Leben der tapferen Forscherin (im Film gespielt von Jennifer Ehle) nach, von der man seither nichts mehr gehört hat.