Editorial

Das Sechseck-Duo

Ralf Neumann


Rätsel

(02.09.2019) Wieder mal geht es um ein erfolgreiches Forscherpaar. Doch war der Weg zum Erfolg für dessen „bessere Hälfte“ deutlich schwerer.

Die Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg war trotz allen Leids zugleich die große Zeit der biochemischen Entschlüsselung unserer Stoffwechselwege. Mittendrin, statt nur dabei war unser gesuchtes Forscherpaar – mit der Folge, dass dessen Name bis heute einen kleinen, aber feinen Zyklus ziert, mit dem unser Körper einen absolut wichtigen Grundstoff unseres Lebens zwischen Skelettmuskel und Leber hin- und herschaufelt.

Die Lebens- und Forschungswege des Paaares verliefen erstaunlich parallel – und doch auch wieder nicht...

Beide wurden im gleichen Jahr kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende in der oftmals so genannten „Goldenen Stadt“ geboren. Er stammte aus einer katholischen Professorenfamilie – sie dagegen wurde als älteste Tochter eines jüdischen Chemikers geboren, der mit einer neuen Methode der Zuckerraffinade ordentlich Karriere machte. Sein Vater wurde bald nach dessen Geburt als Direktor an die meeresbiologisch orientierte Kaiserlich-königliche Zoologische Station in Triest berufen – ihre Mutter war enge Freundin eines weltbekannten Autors, unter dessen bekanntesten Werken sich auch eine Abhandlung über einen Zweiflügler befindet.

Sie und er trafen sich erstmals im Alter von 18 Jahren, als beide an der ältesten Universität Mitteleuropas ihr jeweiliges Medizinstudium begannen. Die gemeinsame Liebe für das Bergsteigen und Skifahren sorgte zusätzlich dafür, dass sie schnell zueinander fanden. Zwar wurde er zwei Jahre später während des Ersten Weltkriegs als Sanitätsoffizier in die österreichische Armee eingezogen. Dennoch konnten beide 1920 promovieren, veröffentlichten ihr erstes gemeinsames Paper über eine immunologische Studie zum Komplementsystem – und heirateten.

Zwei weitere Jahre arbeiteten die Jungvermählten noch in verschiedenen Institutionen in Wien und Graz, dann wanderten sie aus in die USA – vor allem, weil sie keine Chance sahen, dass sie als jüdische Frau im damaligen Nachkriegs-Österreich eine akademische Stelle bekommen könnte.

Allerdings sollte sich dies in „Scientific Betterland“ auch nicht gerade als einfach herausstellen. Zwar bekamen beide zunächst Assistentenstellen in verschiedenen Abteilungen eines Instituts direkt an der kanadischen Grenze. Allerdings wurde ihnen dort umgehend eingetrichtert, dass es „unamerikanisch“ sei, wenn der Mann mit seiner Frau zusammenarbeitet – und dass dies seine Karriere behindert. Tatsächlich bekam er bald darauf eine Professur angeboten – aber nur unter der Bedingung, die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden. Er lehnte ab.

Dennoch wurde er Anfang der dreißiger Jahre Professor für Pharmakologie in einer Stadt, die damals auch als „The Gateway City“ bekannt war. Sie dagegen wurde immer noch „klein gehalten“: Zwar durfte sie als Forschungsassistentin bei ihm arbeiten – aber nur für ein mickriges „symbolisches“ Gehalt, da damals zwei Mitglieder einer Familie nicht an derselben Universität arbeiten durften. Erst 16 Jahre später erhielt auch sie dort eine volle Professur – gerade noch rechtzeitig, bevor das Forscherpaar zu einem Kurztrip nach Nordeuropa aufbrechen durfte, von dem wahrscheinlich bis heute jeder Forscher träumt.

Verdient hatten sich die beiden diesen Trip mit ihren umfangreichen Erkenntnissen über die Verstoffwechselung und Speicherung eines sechseckigen Schlüsselmoleküls unseres Energiestoffwechsels. Wie bereits erwähnt, ist der entsprechende Stoffwechselzyklus mit ihrem Nachnamen benannt; ein essenzielles Zwischenprodukt des Zyklus, das die beiden aufspürten, trägt diesen ebenfalls im „Zweitnamen“. Und damit immer noch nicht genug: Auch eine Krankheit, als deren Ursache sie – diesmal weitgehend ohne ihn – ein defektes Enzym in diesem Stoffwechselgeschehen identifizierte, trägt deren Namen. Womit sie erstmals überhaupt beschrieb, dass ein defektes Enzym die konkrete Ursache einer genetischen Erkrankung sein kann.

Allen – heute würde man wohl sagen „genderdiskriminierenden“ – Widerständen zum Trotz hielt unser Paar also fest zusammen. Und sie wussten, warum. Beide wurden nicht müde zu betonen, dass sie sich perfekt ergänzten – und dass auf diese Weise jeder von ihnen im Duo deutlich besser funktionierte als alleine. Oder wie es ihr einziger Sohn Tom konkretisierte: „Sie hatte die Ideen, er realisierte sie. Sie begann einen Satz, er beendete ihn.“

Leider machte eine seltene Knochenmarkerkrankung dieser produktiven „Symbiose“ ein frühes Ende. Mit 61 starb sie daran. Er überlebte sie um 26 Jahre. Eine neue Lebenspartnerin fand er zwar für diese Zeit – im Labor jedoch, wo er noch bis in seine Achtziger arbeitete, fehlte ihm aber fortan eine „bessere Hälfte“.

Wie heißen die beiden?




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Das „Sechseck-Duo“ ist das Forscher-Ehepaar Gerty und Carl Cori. Nach ihnen benannt sind das Glucose-1-phosphat oder auch „Cori-Ester“, der Glucose-Lactat- oder Cori-Zyklus sowie die Glykogenspeicherkrankheit Morbus Cori.