Editorial

Die Küchentrick-Profiteure

Ralf Neumann


Rätsel

(20.08.2020) Manchmal bieten Hausfrauentricks die Lösung für ein wissenschaftliches Methodenproblem. Unsere Gesuchten schoben auf diese Weise jedenfalls ein ganzes Feld entscheidend an.

Am 24. März 1882 verkündete Robert Koch am Berliner Institut für Physiologie in seinem berühmten Vortrag über die „Ätiologie der Tuberkulose” die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers – und wurde weltberühmt. Den Namen des 36-jährigen Bezirksarztes einer damaligen Bergbaustadt, der gerade ein sechsmonatiges Sabbatical bei Koch am Kaiserlichen Gesundheitsamt verbrachte, erwähnte er in dem Vortrag jedoch nicht. Was dieser allemal verdient gehabt hätte. Immerhin erwähnte Koch dessen entscheidenden Beitrag zu der „Jahrhundert-Entdeckung“ wenigstens in einem Satz am Rande.

Nimmt man es genau, so hätte Koch allerdings in gleichem Maße auch den Namen der Ehefrau in seinen Vortrag miteinschließen müssen. Denn tatsächlich war sie es, die damals die entscheidende Idee beisteuerte, mit der das zentrale Problem der stabilen und sterilen Kultivierbarkeit der Tuberkelbazillen gelöst wurde. Und damit generell auch für alle anderen Mikroorganismen danach.

Die Idee selbst basierte auf nichts anderem als auf einem „Hausfrauengeheimnis“ der Ehefrau. Unser späterer Bezirksarzt hatte die Tochter einer wohlhabenden holländischen Einwandererfamilie während eines Besuches bei seinem älteren Bruder, ebenfalls ein Arzt, in New York kennengelernt – und 1874 in Genf geheiratet. Und als er wieder einmal über die frustrierende Frage des obigen Kultivierungsproblems sinnierte, fielen ihm plötzlich die Gelees und Puddinge seiner Frau ein – genauer gesagt, eine ganz bestimmte Eigenschaft derselben. Diese Eigenschaft, so referierte ihm seine Frau, resultiere aus dem Zufügen einer Zutat, die sie und ihre Mutter in New York bei einer holländischen Immigrantin aus Java kennengelernt hatten. Kurz darauf hatte diese Zutat das Problem von Koch et al. ein für allemal gelöst.

Im Rückblick kann man durchaus sagen, dass die „Erfindung“ der beiden die Bakteriologie schlichtweg revolutionierte. Besonderer Ruhm sprang für die beiden damals allerdings nicht heraus, da die universelle Anwendbarkeit ihres „Grundrezepts“ erst nach und nach klar werden sollte. Auch zogen sie keinerlei finanziellen Gewinn aus ihrem Geistesblitz, da sie eine Patentierung und kommerzielle Verwertung der Erfindung als „unanständig“ ablehnten.

Vielleicht spielte bei alledem auch eine Rolle, dass die Hinwendung des Ehemanns zur Bakteriologie offensichtlich eher indirekt motiviert war. Vielmehr hatte ihn schon als Feldassistenzarzt im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ein Interesse an Hygiene gepackt, das ihn bis an sein Schaffensende nicht mehr loslassen sollte. Dies war auch der Grund, weshalb er sich Ende der 1870er bei dem seinerzeit führenden Hygieniker Max von Pettenkofer in München fortbildete. Und da er bei seinen Hygiene-Studien zwangsläufig immer wieder mit der Bakteriologie in Kontakt kommen würde, tat er das Gleiche bald darauf auch bei Robert Koch.

Nichtsdestotrotz ging die Vielseitigkeit des Hygienikers und Teilzeit-Bakteriologen noch über beide Fachgebiete hinaus. Beispielsweise schrieb er als Schiffsarzt auf der New-York-Linie nach dem Krieg von 1870/71 die nach Kollegen-Meinung erste ernsthafte wissenschaftliche Abhandlung über die Seekrankheit. Ebenso identifizierte er später in seiner Zeit als Bezirksarzt eine unter den Bergleuten verbreitete Krankheit als Lungenkrebs – wobei er allerdings, da radioaktive Substanzen wie Uran und Radium damals noch nicht entdeckt waren, fälschlicherweise die Arsen-Belastung als Ursache verdächtigte.

1890 wurde unser Universalmediziner schließlich als Bezirksarzt nach Dresden berufen, wo er unter anderem durch Milch verursachte Infektionen als Auslöser fataler Verdauungserkrankungen bei Kleinkindern ausmachte. Er entwickelte daraufhin ein Protokoll zur Pasteurisierung der Milch und überzeugte umgehend eine große Dresdener Molkerei, dass sie ihre Milch fortan komplett pasteurisierte. Viele weitere sollten bald folgen.

Da zu dieser Zeit rund um ihn herum auch Typhus, Diphtherie und Cholera grassierten, startete er neben seiner ärztlichen Tätigkeit mit einem Kollegen ein Labor in einer Dresdener Vorstadt, wo er die bakteriellen Grundlagen dieser Krankheiten untersuchte und schließlich entsprechende Hygienevorschriften erarbeitete. Als er 1911 starb, wurde das Laboratorium aus Angst vor Verseuchung abgebrannt.

Trotz all dieser Verdienste wird unser Hygiene-Experte heute dennoch vor allem in Zusammenhang mit dem simplen hausfräulichen Geistesblitz seiner ihm damals assistierenden Ehefrau genannt. Was schließlich auch kaum wundert, da heute nahezu als Konsens gilt, dass die beiden damit die moderne Mikrobiologie überhaupt erst ermöglichten.

Wie heißen sie?




Zur Auflösung klicken

Die „Küchentrick-Profiteure“ sind Fanny Angelina und Walther Hesse, die mit der Einführung von Agar-Agar eine effektive Plattenkultivierung in der Mikrobiologie überhaupt erst ermöglichten.