Editorial

Die verkannte Brechkleberin

Ralf Neumann


Rätsel

(13.05.2022) Ohne sie wäre die Entwicklung der rekombinanten DNA-Technologie anders verlaufen. Gepreist und berühmt wurden jedoch andere dafür.

1998 erschien das letzte Paper mit unserer Gesuchten in der Autorenzeile. Als Wahl-Pariserin war sie nochmals an die zweite Stelle einer Arbeit gerutscht, die eigentlich an einer italienischen Universität durchgeführt worden war. Inhaltlich ging es darin um das Aufspüren von Mycoplasmen-DNA in Atemwegsproben von HIV-positiven Patienten mittels PCR. Elf Jahre zuvor hatte sie an einem Pariser Edel-Institut die Leitung des Mycoplasmen-Labors in der Abteilung eines Forschers übernommen, der später den Nobelpreis erhalten sollte. (Noch später sollte dieser allerdings mit eher „wilden Thesen“ auffallen.)

Zum Zeitpunkt ihrer letzten Veröffentlichung war die gesamte Abteilung bereits im Umbruch, da obiger „Chef“ kurz zuvor nach New York entschwunden war. Da unsere „Laborleiterin“ jedoch bereits seit zwei Jahren an Malaria litt, hing sie aufgrund der neurologischen Probleme ihre Forschungskarriere im Alter von 62 Jahren gleich mit an den Nagel.

Acht weitere Jahre blieb sie noch in Paris. Als dann ihr Mann starb, kehrte sie schließlich in ihre Schweizer Geburtsstadt zurück, wo ihr bis zu ihrem eigenen Tod nochmals acht weitere Jahre verblieben.

56 Jahre zuvor hatte sie sich an der dortigen Universität als Absolventin eines Chemie- und Biologie-Studiums nach einer Doktorarbeit umgeschaut. Schließlich schloss sie sich einem Team an, das ein junger Schweizer Mikrobiologe nach seiner Rückkehr von einem Postdoc-Aufenthalt in den USA gerade frisch gegründet hatte. Dessen Herzensthema rankte sich um die molekularen Mechanismen, mit denen die kleinsten Lebewesen unserer Erde die stetigen Attacken noch kleinerer, partikulärer Angreifer abwehren. Also stürzte sich auch unsere „Doktorandin“ in dieses Winzlings-Schlachtengetümmel.

Drei Jahre später verkündete sie zusammen mit ihrem Chef auf einem Biophysik-Kongress in Stockholm die Quintessenz ihrer Ergebnisse: Gleich nachdem die lästigen Partikel Teile ihrer selbst in die attackierte Zelle injiziert haben, stürzen sich gezielt Enzyme darauf und zerlegen sie in ungefährliche Bruchstücke. Für die einzelligen Winzlinge selbst geht das allerdings nur deswegen gut, da wiederum andere Enzyme ihren eigenen baugleichen Bestandteilen bestimmte Anhängsel hinzufügen – und diese damit vor dem Wüten der „Brecher-Enzyme“ schützen. Im Jahr darauf veröffentlichten beide diese Ergebnisse in zwei Artikeln „back to back“ – beim ersten stand er an erster Autorenstelle, beim zweiten sie.

Gut eineinhalb Jahrzehnte später vergab das Nobelpreis-Komitee den Preis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckung dieser „Brecher-Enzyme“. Geehrt wurden der Chef unserer Gesuchten sowie zwei US-Forscher, die Eigenschaften und Potenzial dieser Enzyme nachfolgend genauer unter die Lupe genommen hatten. Unsere Co-Erstverkünderin blieb außen vor.

In mehreren Briefen an ihren Bruder beschwerte sie sich damals bitterlich darüber – vor allem über ihren Ex-Chef. So schrieb sie: „Ich bin sehr wütend, weil er meinen Namen kaum erwähnt hat. Dabei habe ich die Hälfte der Arbeit geleistet, für die er den Nobelpreis erhalten hat. [...] Als ich mit ihm zusammen arbeitete, wurde ich plötzlich gezwungen, mein Dissertationsprojekt zu ändern, weil ich angeblich die Ergebnisse aus der Arbeit mit ihm nicht verwenden konnte. Die Wahrheit war aber, dass er nach seiner Rückkehr aus den USA ein anständiges Gehalt brauchte und deshalb die Strahlenforschung übernehmen musste, für die es damals mehr Geld gab. Da er aber nicht daran interessiert war, die Forschung zu betreiben, für die er bezahlt wurde, musste dies jemand anders tun – und dieser ‚jemand‘ war ich.“ Dennoch, so schrieb sie weiter, sei sie der festen Überzeugung, dass der Nobelpreis für die beiden erwähnten Artikel verliehen wurde – und nicht für spätere Arbeiten ihres ehemaligen Dissertations-Betreuers, die ohne sie entstanden waren.

Unsere Gesuchte war zu diesem Zeitpunkt bereits seit über zehn Jahren an der US-Westküste aktiv, wo sie unter anderem direkt an der Identifikation eines wichtigen „Klebe-Enzyms“ beteiligt war. Dass sie mit ihren „Brech-und-Klebe“-Errungenschaften letztlich genau in der Gruppe derjenigen beiden Kalifornier landete, denen man gemeinhin den Startschuss zur rekombinanten DNA-Technologie zuschreibt, scheint im Rückblick irgendwie folgerichtig. Mit dem Jüngeren der beiden, der einige Jahre später die erste große Biotech-Firma gründen sollte, veröffentlichte sie als alleinige Co-Autorin hierzu einen Schlüssel-Artikel, der bis heute knapp 4.500-mal zitiert wurde.

Ihre letzte USA-Episode bestritt sie wiederum in der Gruppe zweier späterer Nobelpreisträger, die sich der Entschlüsselung bestimmter genetischer Voraussetzungen für die Tumorentstehung verschrieben hatten. Danach kehrte sie zurück nach Europa, um – wie bereits erwähnt – zum dritten und letzten Mal bei einem designierten Nobelpreisträger zu arbeiten. Sie selbst hingegen bekam zeitlebens nie einen Preis, nicht einmal die Leitung einer Abteilung wurde ihr übertragen.

Na, wer ist‘s?





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Die „verkannte Brechkleberin“ ist Daisy Roulland-Dussoix, die zusammen mit Werner Arber erstmals das bakterielle Restriktions-Modifikationssystem zur Phagenabwehr beschrieb.