Geteiltes Feld

Zitationsvergleich 1997 bis 1999: Verhaltensforschung
von Ralf Neumann, Laborjournal 12/2002


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Editorial
Unter den Verhaltensbiologen haben diejenigen klare Zitationsvorteile, die die neurobiologischen Mechanismen von Verhalten erforschen.

Zwischen den einzelnen biowissenschaftlichen Disziplinen herrscht eine Art Unschärferelation: Klare Grenzen gibt es nicht, vielmehr überlappen sie einander mannigfach. Und nicht selten gibt es gar großflächige Überschneidungen mit nominell anderen Fächern – etwa mit Medizin, Chemie oder Umweltwissenschaften.

Die Verhaltensbiologie ist solch eine Biodisziplin, die sich weite Flächen ihres Terrains gleich mit einigen anderen Fächern teilt. Das hat im Zeitalter wachsender Interdisziplinarität klare Vorteile, einem Zitationsvergleich "Verhaltensbiologie" bringt es jedoch ziemliche Probleme.

Denn wer ist noch Verhaltensbiologe, wer eher Ökologe? Gerade diese beiden Disziplinen lassen sich kaum trennen, da etwa ein Zoo-Ökosystem sich immer auch durch das Verhalten seiner tierischen Komponenten manifestiert.
Editorial

Oder wer ist mehr Verhaltensbiologe als Hirnforscher? Wo doch sicherlich die meisten Hirnvorgänge mit der Umsetzung von aufgenommener Information in Lernen, Gedächtnis oder konkretes Verhalten zu tun haben. Es soll ja Forscher geben, die Dobzhanskys berühmten Satz "Nothing in biology makes sense unless in the light of evolution" umformuliert haben in "Nothing in neurobiology makes sense unless in the light of behavior".


Journals als Kriterium

Oder man denke an gewisse Fragestellungen, bei denen sowohl andere zoologische Disziplinen wie auch Pharmakologie, Genetik, oder etwa Endokrinologie tief in die Verhaltensbiologie eindringen können. Das hat dann meist nur wenig mit den klassischen Graugans- oder Stichlings-Studien der Herren Lorenz und Tinbergen zu tun, mit Verhalten aber allemal.

Noch unschärfer wird die Lage indes, wenn man lediglich auf den Menschen fokussiert, und dabei schnell mit Disziplinen wie Psychologie, Psychiatrie und Neurologie ins Gehege kommt.

"Verhaltens"-Forscher aus der Psychiatrie und Neurologie haben wir dennoch aus diesem Vergleich heraus gelassen, da diese sich doch vorrangig um die Pathologie von Verhalten kümmern. Und auch Psychologen haben wir nur berücksichtigt, wenn sie nennenswert in klar verhaltensbiologisch orientierten Journalen publizieren (siehe etwa Matthias Laska auf Platz 11). Dies war uns denn auch allgemein ein starkes Richtkritierium bei der Kategorisierung der einzelnen Forscher.


Grund zum Nase rümpfen

Dennoch ist das Bild, das sich aus den Zitierungen der Artikel aus den Jahren 1997 bis 99 ergibt, noch heterogen genug: Klassische Verhaltensbiologen wie etwa der Vogelspezialist Bart Kempenaers (17.) oder der Pinguin-Experte Klemens Pütz (14.) werden sicherlich die Nase rümpfen beim Blick auf die Spitze, die stark belegt ist von Forschern, die ohne Wimpernzucken auch als Neurobiologen durchgehen könnten. Und zugegeben, ausgerechnet die ersten drei – die Zürcher Joram Feldon, David Wolfer und Hans Peter Lipp – erscheinen diesbezüglich besonders grenzwertig. Wiewohl alle immerhin das Wörtchen "Verhalten" noch im Namen ihrer Abteilungen führen.

Doch noch aus einem anderen Grund ist das "Nase rümpfen" nicht unberechtigt. Denn eines muss man sich klar vor Augen führen: Wer Neurobiologie des Verhaltens betreibt, hat sicherlich mehrfach bessere Chancen auf viele Zitierungen als jemand, der beispielsweise das Tauchverhalten von Walrossen untersucht. Vor allem, wenn man dann noch Veröffentlichungen über Verhaltensänderungen bei Mäusen mit ausgeknocktem Prion-Protein in seiner Publikationsliste hat – wie geschehen bei Lipp (3.) und Wolfer (2.).

Grund genug, die Spitzen der eher klassischen Verhaltensforschung nochmals gesondert zu erwähnen. Da wäre zuerst der Ex-Basler Christophe Boesch, jetzt Direktor am Leipziger MPI für evolutionäre Anthropologie, auf Platz fünf. Dieser macht noch echte Feldforschung und publizierte in den letzten Jahren vor allem über seine Beobachtungen zu wahrhaft kulturellen Leistungen von Schimpansen. Allerdings ging auch dieser "fremd" und sammelte einen gehörigen Teil seiner Zitierungen als Koautor bei molekularen Studien zur Populationsgenetik und Evolution von Primaten und Hominiden (siehe die Plätze 7 und 8 in "Die meistzitierten Artikel").

Der am nächstbesten platzierte "nicht-neurobiologische" Verhaltensforscher ist der Würzburger Soziobiologe Bert Hölldobler, der von 1973 bis 1990 in Harvard arbeitete und lehrte. Mit Edward O. Wilson, dem Doyen der Soziobiologie, veröffentlichte er viele gemeinsame "Werke" über Ameisengesellschaften – unter anderem auch das berühmte Buch "The Ants", für das beide den Pulitzer-Preis bekamen.

Ab dem Berner Heinz Richner auf Platz 12, der auch wiederum offiziell "Evolutionsökologie" an der Tür zu seiner Abteilung stehen hat, wächst dann die Dichte derer, die Verhalten nicht vor allem mechanistisch als Hirnleistung untersuchen. Dies wird beispielsweise schon dokumentiert durch die unmittelbar nachfolgenden Plätze für Manfred Gahr und den bereits erwähnten Klemens Pütz.

Zum Schluss noch einige geografische Aspekte des "Köpfe"-Ergebnisses. Aus dem einstmaligen deutschen Vorzeige-Institut, dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen, schafften es fünf Forscher unter die Top 50. Vier davon haben das Institut jedoch bereits wieder verlassen – was nicht verwundert, da die MPG auf Senatsbeschluss zum 30.11.2003 dessen Pforten schließen wird. Lediglich das ursprünglich angegliederte Forschungszentrum für Ornithologie in Andechs wird weitergeführt – inklusive der Nachwuchsgruppe von Bart Kempenaers (17.).

Überdies sticht die enorme Schweizer Präsenz ins Auge. Nicht nur teilen sich die bereits erwähnten Zürcher die ersten drei Plätze – insgesamt platzierten sich elf Forscherinnen und Forscher, die im Analysezeitraum zumindest teilweise in Schweizer Instituten arbeiteten, unter den ersten Vierzig. Sicherlich auch ein Zeichen für den hohen Stellenwert, den "organismische" Biodisziplinen wie Verhaltensforschung, aber auch Evolution oder Ökologie in der Schweiz haben.

Wiewohl der womöglich bekannteste Schweizer Verhaltensbiologe fehlt: der Zürcher Ameisenorientierungs-Spezialist Rüdiger Wehner. Die Zitierungen seiner Arbeiten der Jahre 1997-99 reichten nicht für die Top 50. Er wird sich damit trösten, dass aus den bereits vielfach dargestellten Gründen "mehr Zitierungen" keineswegs gleich "bessere Forschung" bedeutet. Und noch viel mehr mit dem frisch an ihn verliehenen Marc-Benoist-Preis.


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Letzte Änderungen: 08.09.2004