Editorial

Pfirsiche und Nektarinen

Zitationsvergleich 1998 bis 2000: Toxikologie
von Ralf Neumann, Laborjournal 7-8/2003


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Die moderne Toxikologie orientiert sich stärker auf molekulare Mechanismen und langfristige Wirkungen. Hierzulande allerdings nur langsam.

Ganz grob kann man die Toxikologie in zwei Reiche einteilen: Die medizinische Toxikologie und die Ökotoxikologie. Erstere beschäftigt sich - ganz allgemein ausgedrückt - mit den schädlichen Auswirkungen chemischer Substanzen auf den Organismus, sowie gleichsam mit den zellulären Mechanismen zur "Schadensbegrenzung". Natürlich lässt sich dieses Feld weiter unterteilen - etwa nach der verwendeten Methodik in chemische, genetische oder molekulare Toxikologie, aber auch nach Herkunft der Schadstoffe beispielsweise in Lebensmittel- oder Arbeitsmedizinische Toxikologie, oder nach betroffener Gewebeart etwa in Neurotoxikologie oder auch Embryotoxikologie.

Die Öko- oder Umwelttoxikologie dagegen hat weniger den einzelnen Organismus oder die einzelne Zelle im Fokus, als vielmehr die Wirkung solcher Schadstoffe auf das Netzwerk ganzer Lebensräume. Wobei natürlich auch hier die Grenzen ineinander fließen, wie etwa in der Umweltmedizin.


Ein Zitationsvergleich der "gesamten" Toxikologie muss schon allein deshalb in eine leichte Schieflage geraten. Man vergleicht zwar nicht unbedingt Äpfel mit Birnen, aber vielleicht doch Pfirsiche mit Nektarinen. Relativ einleuchtend zum Beispiel, dass "medizinische" Toxikologen gegenüber ihren "ökologischen" Kollegen einen Vorteil haben, da medizinische Artikel ein deutlich größeres Kollegenpublikum ansprechen - und damit auch deutlich mehr potenzielle Zitierer. Sicherlich der Hauptgrund, weshalb kein ökotoxikologischer Artikel unter den zehn meistzitierten Papers der Jahre 1998-2000 rangiert - und weshalb nur fünf Ökotoxikologen unter den Top 50 der meistzitierten "Köpfe auftauchen", mit Michael McLachlan vom Institut für Ostseeforschung (10.) sowie Gerrit Schüürmann vom Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig (11.) an der Spitze.


Apoptose und DNA-Reparatur

Doch auch unter den medizinischen Toxikologen sind Schieflagen festzustellen. Und zwar gleich mit der Nummer eins der meistzitierten Köpfe: Michael Arand, jetzt am Toxikologischen Institut der Uni Würzburg, zuvor bis 2001 in Mainz. Dieser profitiert nämlich in überragender Weise von insgesamt sechs Koautorenschaften auf Artikeln, die in der Hämatologie und Onkologie des Frankfurter Nordwestkrankenhauses entstanden. An sich kein Problem, für unseren Zitationsvergleich aber doch: Denn diese Arbeiten haben nicht einmal einen entfernt toxikologischen Inhalt, sondern sind allesamt Studien zur Immuntherapie bestimmter Tumoren.

Zwei davon belegen die Spitzenplätze der zehn meistzitierten Paper, zwei weitere folgen auf den Plätzen 7 und 10 - nur wegen des einen ausgewiesenen Toxikologen Michael Arand in der Autorenzeile, weitere Mitarbeiter seiner Gruppe tauchen auf diesen Papern nicht einmal auf. Zieht man diese sechs Paper ab, bleiben Arand von den insgesamt 603 Zitierungen gerade noch 82 übrig - die meisten davon für sein toxikologisches Kernthema Epoxid-Hydrolasen. Klar daher auch, dass sich aus Arands Labor kein weiterer Mitarbeiter unter den Top 50 platzieren konnte.

Ganz anders ist dies etwa beim viertplatzierten Pierluigi Nicotera, der im Bewertungszeitraum 1998-2000 die Molekulare Toxikologie an der Uni Konstanz leitete. Davor war er am Karonlinska-Institut in Stockholm, seit 2001 an der Universität Leicester in England. "Sein" Thema, die Regulation der Apoptose vor allem in neuronalen Zellen, ist natürlich ein Trend-Thema der gesamten aktuellen Biomedizin, weit über die Toxikologie hinaus. Klar daher, dass man hier besonders viele Zitierungen ernten kann; genauso klar aber, dass es gerade in diesem kompetitiven Feld auch besonders schwer ist vielzitierte Artikel zu veröffentlichen. Dies gelang Nicoteras Gruppe indes sehr gut, wobei sein Mitarbeiter Marcel Leist, jetzt bei der Firma Lundberg in Dänemark, den "Chef" sogar um 59 Zitierungen übertraf und damit auf Platz zwei rutschte. Für drei weitere Mitarbeiter Nicoteras reichte es ebenfalls unter die Top 50.

Das Thema Apoptose in der Toxikologie signalisiert indes zugleich eine Neuorientierung, die sich seit einiger Zeit in der modernen Toxikologie vollzieht: Nicht mehr nur – salopp gesagt – die direkte Wirkung von Giften samt den Mechanismen zu deren Entgiftung, sondern vielmehr generelle, vor allem molekulare Mechanismen der manchmal auch langfristig wirkenden Zellschädigung. Neben Apoptose gehört hierzu etwa das große Feld der DNA-Mutagenese und -Reparatur. Dass die übrigen sechs "Köpfe" unter den ersten Zehn ganz oder teilweise diesem Gebiet zugehören, kann man durchaus als weiteres Indiz für diese Neuorientierung nehmen.

Wiewohl die Vertreter dieser modernen Toxikologie hierzulande weiter klagen: Immer noch würde im Vergleich mit den anderen Forschungsnationen dieses "neue Feld" zu wenig gefördert. Frei werdende Toxikologie-Lehrstühle würden oftmals umgewidmet oder zurückgestuft, und Anträge zu einem entsprechenden DFG-Schwerpunktprogramm bereits zweimal abgelehnt. Dieses wichtige Feld könne sich hierzulande daher nicht gesund entwickeln.

Es scheint sich noch nicht allzu viel getan zu haben seit der DFG-Denkschrift "Toxikologie" vor vier Jahren, in der deren Vertreter vor dem Veschwinden einer ganzen Disziplin aus der deutschen Forschungslandschaft gewarnt hatten.


KORREKTUR

Für den Zitationsvergleich "Toxikologie" berücksichtigten wir Klaus Aktories vom Freiburger Institut für Pharmakologie und Toxikologie nicht – unter anderem, da er in den Jahren 1998 bis 2000 keinen seiner 38 Artikel in einer toxikologischen Zeitschrift veröffentlichte. Mit seinen Projekten rund um die Wirkung bakterieller Toxine auf GTPasen fühlt er sich dennoch auch als Toxikologe. Also müssen wir uns entschuldigen und ihn mit seinen 1004 Zitierungen der oben erwähnten Artikel auf Platz 1 nachtragen.

Zudem entging uns ein Artikel im New England Journal of Medicine (Bd. 342: S. 1686-92), der 103mal zitiert wurde und die beiden Heidelberger DKFZ-Toxikologen Heinz Schmeiser und Christian Bieler als Ko-Autoren führt. Heinz Schmeiser hätte sich damit bei 172 Zitierungen und 11 Artikeln etwa auf Platz 27 platziert, Christian Bieler mit 140 Zitierungen und 4 Artikeln etwa auf Platz 39. Wir bitten auch hierfür um Entschuldigung.



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Letzte Änderungen: 08.09.2004