Herz, Nieren und Gehirn

Zitationsvergleich 2000 bis 2002: Physiologie
von Lara Winckler, Laborjournal 10/2005


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Ranking Physiologie
Editorial
Die kardiovaskuläre Physiologie hat die Neurophysiologie nun endgültig eingeholt, auch die Nierenphysiologen mischen kräftig mit. Obschon sich die "Kardiovaskulären" und die "Neuros" im Ganzen betrachtet etwa im Gleichgewicht befinden, haben die Herz- und Kreislaufphysiologen unter den Top10 nicht nur zahlenmäßig die Führung übernommen.

Die Physiologie - die "Lehre von der Natur" - befasst sich mit der Dynamik biologischer Vorgänge. Dies geschieht auf den verschiedenen Hierarchie-Ebenen eines Organismus, entsprechend lassen sich die Physiologen unterteilen: Zellphysiologen beschäftigen sich etwa mit Apoptose, Membranproteinen, Proteinsynthese; Herz- und Nierenphysiologen konzentrieren sich auf Kreislauf, Endothelien, Elektrolythaushalt und ähnliches; Neurophysiologen bilden ein eigenes Fachgebiet, zu ihnen werden auch die Sinnesphysiologen gezählt.

Editorial
Da die Grenzen der Physiologie zu Anatomie, Biochemie, Molekularbiologie, Psychologie und Neurobiologie unscharf sind, wurden in diesem Zitationsvergleich in erster Linie Forscher aus physiologischen Instituten in Betracht gezogen.


Herz überholt Gehirn

Seit dem letzten Zitationsvergleich aus den Jahren 1997 bis 1999 hat sich unter den Top 10 der Physiologen einiges getan. Es gibt ein paar Veränderungen in der Besetzung und auch einige Neuzugänge: Der Zürcher Thomas F. Lüscher (1.) hat den ersten Platz von Bert Sakmann (8.) vom MPI für Medizinische Forschung Heidelberg übernommen, und damit den "Kardiovaskulären" die Führung beschert. Dennoch ist man nicht unter sich: Der Neurophysiologe Thomas J. Jentsch (2.), bis 2003 Direktor des ZMNH Hamburg, hat sich erneut behauptet und noch dazu einen Platz gutgemacht, indem er mit dem Tübinger Nierenphysiologen Florian Lang (3.) tauschte. Mit diesen dreien sind auch die drei großen Parteien der Physiologie vertreten.

Herz- und die Nierenphysiologen haben häufig überlappende Themen - wie etwa Ionenkanäle - und arbeiten daher oft zusammen. Diese "vegetativen Physiologen" beherrschen die Top 10 - es steht 7:3 gegen die "Neuros". Dem geneigten Betrachter fällt jedoch auf, dass sich die Preisträger unter den Top 10 nur aus der Neurophysiologie rekrutieren - Sieger nach Punkten sind die "Neuros" mit 3:0 gegen die "Vegetativen": Sakmann und Erwin Neher (6.) aus Göttingen haben 1991 gemeinsam den Nobelpreis für die Entwicklung der Patch-Clamp-Technik erhalten. Außerdem sind beide Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises 1987 der DFG. Genauso übrigens wie Jentsch, dem der Leibniz-Preis 1995 verliehen wurde, Heinz Breer (42.) aus Hohenheim (1998) und Arthur Konnerth (34.) von der LMU München: er bekam ihn im Jahr 2001.


Nieren vorne mit dabei

Mit dem Freiburger Rainer Greger (44.) befindet sich auch ein Nierenphysiologe unter den Leibniz-Preisträgern. Greger ist Namensgeber des gleichnamigen Promotionspreises der Gesellschaft für Nephrologie; mit diesem Preis wird er für seine Verdienste um die Erforschung der Niere geehrt, da er nach einem tragischen Unfall nicht mehr am aktiven Forscherleben teilnehmen kann.

Einer der Neuankömmlinge unter den Top 10 ist mitnichten ein Neuling unter den Physiologen: Max Gassmann (5.) ist seit März 2002 Direktor des Instituts für Veterinärphysiologie an der Universität Zürich, davor hat er bei Heini Murer (15.) an der Physiologie Zürich die Ursachen für eine ungenügende Sauerstoffzufuhr und die Anpassungsmechanismen an Sauerstoffmangel untersucht. Drei der sieben aufgeführten Nierenphysiologen entstammen dem Zürcher Institut für Physiologie: Murer und Jürg Biber (25.) haben viele ihrer gut zitierten Artikel über Natrium-Phosphat-Cotransporter in der Niere gemeinsam veröffentlicht. Ihr Kollege am Zentrum für Integrative Humanphysiologie (ZIHP) Carsten A. Wagner (24.) erforscht die Säure/Base-Homöostase.

Zwei weitere altbekannte Namen vervollständigen die Fraktion der Nierenphysiologen: Armin Kurtz (22.) ist Geschäftsführer am Institut für Physiologie in Regensburg und im Vorstand der Gesellschaft für Nephrologie, Michael Fromm (32.) ist Direktor der Klinischen Physiologie an der Charité Berlin. Fromm forscht über die Barrierefunktion und genomische Regulation der Tight junction-Proteine Occludin und Claudin.

Viele Abteilungsleiter, wenn nicht gar Direktoren finden sich unter den Top 50 der Physiologen: Insgesamt 22 Forscher besetzen Chefsessel, fünf von ihnen haben es unter die Top 10 geschafft, darunter vier "Vegetative" - Gassmann, Lang, Rudi Busse (4.) und Gerd Heusch (9.) - und ein "Neuro": Jentsch. Aufs Ganze gesehen sind die Direktoren jedoch gleichmäßig verteilt: elf "Vegetative" und zehn "Neuros".


Die Parteilosen

Wieder mit dabei und wieder ganz hinten ist der einzige Glykosylierungs-Physiologe, Eric G. Berger (49.) vom Physiologischen Institut Zürich.

Weder "Herz" noch "Hirn" sind auch die Münchner Michael W. Pfaffl (31.) und Dieter Schams (48.). Sie arbeiten bei Heinrich H.D. Meyer an der Physiologie der TU München. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Regulation der Fortpflanzung, die Bildung der Proteohormone und Wachstumsfaktoren sowie die Biotechnik in der Fortpflanzung.

Allein auf weiter Flur steht ferner der Ernährungsphysiologe Wulf Dröge (30.) vom DKFZ Heidelberg, der sich unter anderem mit Immunregulation durch Proteinkinasen und Apoptose sowie mit den molekularen Aspekten der Tumorkachexie beschäftigt. Dröge hat das meistzitierte physiologische Review der Jahre 2000 bis 2002 veröffentlicht. Darin beschreibt er die Vor- und Nachteile freier Radikale für die physiologische Kontrolle der Zellfunktion, einschließlich Mutagenese und Bildung von "Second Messengern".


Frauen mit Herz

Gar nicht parteilos und auch nicht einsam sind die drei Frauen unter den Top 50 der Physiologie. Ingrid Fleming (12.), Beate Fißlthaler (27.) und Agnes Görlach (33.) kommen alle drei aus dem gleichen Stall: Sie arbeiten an der Kardiovaskulären Physiologie der Uni Frankfurt bei Rudi Busse. Zusammen mit Ralf P. Brandes (10.) untersuchen sie unter anderem vom Endothel gebildete Faktoren - wie Stickstoffmonoxid, Superoxidradikal und andere -, die bei der Regulierung von Gefäßtonus und -wachstum, bei der Wechselwirkung zwischen Blutzellen und Gefäßwand sowie bei der Blutgerinnung eine entscheidende Rolle spielen. Dank dieser starken Gruppe lautet die "nach Arbeitsgruppen bereinigte" Statistik: 14 "Kardiovaskuläre" und 5 "Nieren" zu 17 "Neuros".


Wer bleibt draußen?

Da die Grenzen zu anderen Fachgebieten oft etwas verwaschen sind, mussten im Zweifelsfall diejenigen draußen bleiben, die weder in einem physiologischen Institut arbeiten noch ihre Artikel hauptsächlich in physiologischen Fachzeitschriften veröffentlicht haben. Auch die Pflanzenphysiologen wurden nicht miteinbezogen; sie werden beim Zitationsvergleich "Pflanzenforschung" berücksichtigt.


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Letzte Änderungen: 12.06.2006