Editorial

Software und Neandertaler

Zitationsvergleich 2004 bis 2007: Evolutionsforschung
von Lara Winckler, Laborjournal 6/2010


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Foto: iStock/track5; Montage:LW

Die deutschsprachigen Evolutionsforscher der Jahre 2004 bis 2007 werden dominiert von der Arbeitsgruppe um den Evolutionsgenetiker Svante Pääbo vom Leipziger MPI für Evolutionäre Anthropologie. Doch auch die Bioinformatiker wissen sich zu behaupten.

Heutzutage ist es ein „Klacks“, jedes beliebige Genom zu entschlüsseln. Unbekannte Fisch-, Farn-, Mikroben- oder Forscher-DNA? Kein Problem, in wenigen Stunden kann man seine Proben auf die Base genau sequenzieren und auch gleich noch klären, wer mit wem verwandt ist. Oder, wenn die Verwandtschaft nicht so offensichtlich ist, wieviel Zeit seit dem letzten gemeinsamen Vorfahren vergangen ist und um welche Zeit herum man sich von Fisch, Farn und Mikrobe getrennt hat.

Damit allein ist man aber noch kein Evolutionsforscher.


Scharfe Grenzen

Evolution ist das Netz, das alle Teildisziplinen miteinander verknüpft – jeder Biologe kommt einmal an den Punkt, die Frage nach der Entwicklung des Lebens und der Entstehung der Fisch-/Farn-/Mikrobenart zu stellen. Um eine sinnvolle Publikationsanalyse zur Evolutionsforschung durchzuführen, haben wir daher strenge Grenzen gezogen, das Zentrum – um beim Bild zu bleiben – der Biologie-umspannenden Disziplin gesucht und die weitreichenden Fäden gekappt. In diesem Vergleich sind vor allem Forscher vertreten, die direkt an evolutions­biologischen Projekten arbeiten. Auf diese Weise wollen wir verhindern, dass die „echten“ Evolutionsforscher von den „unter anderem“-Evolutionsforschern mit ihren oft vielzitierten Genom- oder sonstigen Artikeln einfach überrollt werden.

Zu den „unter anderem“-Evolutionsforschern gehören zahlreiche Bioinformatiker, wie etwa die Gruppe um Peer Bork vom EMBL Heidelberg, welche in zahlreichen gutzitierten Artikeln die Software zur Identifizierung von Genen beschreiben – und daher auch als Coautoren auf zahlreichen Artikeln stehen, in denen ganze Genome analysiert und verglichen werden (einen ihrer Artikel mussten wir jedoch unter die Top 10 der meistzitierten Artikel aufnehmen: eine Software zur Rekonstruktion des langgesuchten „Tree of Life“). Oder Mikrobiologen wie Michael Wagner von der Wiener Ökologie, die in Umweltproben laufend neue Arten finden, deren Genome es zu entschlüsseln gilt – und die man dann auch gleich noch in phylogenetische Stammbäume einbaut. Oder der Bremer Meeresmikrobiologe Rudolf Amann, der Zusammensetzung und Funktion von marinen Mikrobengemeinschaften analysiert.


Große Gruppe

Ein erster Blick auf die Liste der Top 50 der deutschsprachigen Evolutionsforschung offenbart zwei Dinge: Knapp ein Drittel der 50 bis heute meistzitierten Wissenschaftler arbeiteten zwischen 2004 und 2007 zumindest zeitweise am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Die meisten sind oder waren Mitglieder der Arbeitsgruppe um den Evolutionsgenetiker Svante Pääbo (1.), platzierten zwei Artikel unter den Top 10 der bis heute Meistzitierten und stellten einen der fünf meistzitierten Reviews. Ihr Thema: die (genetische) Geschichte von Mensch und Menschenaffe und deren Ahnen.

Jüngster Wurf des Pääbo-Teams ist die Sequenzierung der Genome dreier Neandertaler. Erste Analysen weisen darauf hin, dass sich die Neandertaler wohl hin und wieder mit unseren Vorfahren gepaart haben.

Des weiteren fallen die vielen Bioinformatiker auf, die die Liste bevölkern. Immerhin neun der Top 50 sorgen für die nötige Software, welche die moderne Evolutionsforschung erst ermöglicht. Unter ihnen der Leipziger Peter Stadler (2.), der sich gemeinsam mit Andrea Tanzer (6.) der RNA-Evolution widmet. Oder der Münchner Statistiker Korbinian Strimmer (19.), der zusammen mit Arndt von Haeseler (22.) Mitautor bei einem Artikel über die Grafiksoftware „Treefinder“ war, der es auf Platz 4 der meistzitierten Artikel brachte.

Auch einige Mathematiker haben sich auf evolutionsbiologische Fragen spezialisiert, wie der Hamburger Hans-Jürgen Bandelt (5.).

Nachdem der Basler Entwicklungsbiologe Walter Gehring vor über 25 Jahren entdeckt hatte, dass die Homeobox-Sequenz in zahlreichen für die Embryonalentwicklung wichtigen Genen hoch konserviert ist – von Arthropoden bis Wirbeltieren und damit auch Menschen – gewann die Evolutionsforschung eine vielversprechende Disziplin hinzu: Die Evolution entwicklungsbiologischer Prozesse, kurz „Evo-Devo“. Sie findet auch weiterhin die Aufmerksamkeit der Community. So nimmt es nicht Wunder, dass sich „Evo-Devos“ zu den Top 50 der Evolutionsforschung gesellen, wie der Plöner Evolutionsgenetiker Diethard Tautz­ (43.) sowie Ulrich Technau (34.), der im Juni 2007 nach mehreren Jahren Nesseltierforschung in Bergen nach Wien umsiedelte (siehe LJ 4/2006, Seite 46-47).


Starke Frauen

Noch etwas fällt auf: Obwohl die Evolutionsforschung nicht gerade ein „Frauenthema“ zu sein scheint, finden sich doch acht unter den Top 50, drei von ihnen gehören zu den Top 10. Darunter ist mit Linda Medlin (28.) eine Nicht-Leipzigerin. Die Phytoplanktonforscherin zog es 2007 vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung nach Banyuls ans Laboratoire d‘Océanographie Microbienne.

Womit wir wieder bei Netzen wären.


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Letzte Änderungen: 31.05.2012