Editorial

Melanome und dann lange nichts

Publikationsanalyse 2009-2012: Hautforschung
von Ralf Neumann, Laborjournal 1/2015


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Foto: imagenarrative.wordpress.com

Wie so oft, wenn der Fokus auf einem Organsystem liegt, dominiert auch in der Dermatologie nach Zitaten die Tumorforschung. Dabei hätte man eigentlich erwarten können, dass das ebenfalls große Feld der allergisch-entzündlichen Hautkrankheiten halbwegs mithalten würde.

Wäre es völlig daneben, wenn man Mikro­biologen im Ranking „Hautforschung“ erwarten würde? Immerhin schätzt man, dass eine Billion Bakterienzellen, verteilt auf über tausend verschiedene Spezies, auf der Haut eines Menschen leben. Und keineswegs von Mensch zu Mensch immer die gleichen. Im Gegenteil, wir Menschen können uns offenbar in unseren Haut-Mikrobiomen erheblich unterscheiden.

Naheliegend daher, dass auch verschiedene Hautkrankheiten mit spezifischen Veränderungen im Mikrobiom einhergehen. Entsprechend proklamierte etwa vor knapp zwei Jahren der stellvertretende Leiter der Wiener Universitäts-Hautklinik, Erwin Tschachler, in einem Beitrag für die Zeitschrift hautnah (Vol. 2/2013: 23):

Mikroorganismen im Mittelpunkt

„Was haben die seborrhoische Dermatitis, die Akne vulgaris und die Rosacea gemeinsam? Bei allen drei Erkrankungen spielen Mikroorganismen, die bereits unter normalen Bedingungen die gesunde Haut besiedeln, eine pathogenetische Rolle. Wie es dazu kommt, dass Keime der Mikroflora plötzlich krankheitsrelevant werden können und was die Bedeutung ebendieser Keime für die Gesundheit des Hautorgans ist, wurde in den letzten Jahren zunehmend zu einem zentralen Forschungsgebiet.“

Wo sind die Hautflora-Forscher?

Hierzulande hat dieses „zunehmend zentrale Forschungsgebiet“ allerdings offenbar noch nicht entsprechend durchgeschlagen. Bei den Recherchen für den vorliegenden Publikationsvergleich „Hautforschung“ der Jahre 2009 bis 2013 ist uns unter den „besser zitierten“ Forschern jedenfalls weit und breit niemand mit ausgewiesenem Schwerpunkt „Mikrobiologie und Mikrobiomik der Haut“ begegnet. Schade eigentlich.

Womit hat also die Hautforschung des deutschen Sprachraums in den Jahren 2009 bis 2013 stattdessen in besonderem Maße gepunktet? Es ist eigentlich wie immer: Richtet man den Fokus auf ein bestimmtes Organsystem, werden in aller Regel Arbeiten zu den entsprechenden Krebserkrankungen mit Abstand am häufigsten zitiert. Die Gründe dafür sind sicher vielschichtig. Ganz entscheidend aber ist, dass vergleichsweise viel Forschungsmittel in die Krebsforschung im Allgemeinen fließen – sowohl aus öffentlichen Quellen, wie auch aus der Pharmaindustrie. Eine Konsequenz ist, dass dadurch vergleichsweise viele Leute in der Krebsforschung arbeiten – was unmittelbar die schiere Masse potentieller Zitierer der eigenen Arbeiten erhöht. Eine Studie zu den molekularen Ursachen des schwarzen Hautkrebses wird immer eine deutlich höhere Zahl an Forscherkollegen ansprechen als beispielsweise ein Artikel über Dellwarzen-Bildung – zumal erstere womöglich zusätzlich noch die Spezialisten ganz anderer Organtumoren aufhorchen lässt. Und trotzdem kann die weniger zitierte Dellwarzen-Arbeit bezüglich Qualität und Erkenntnishöhe durchaus viel „besser“ sein.

Womit wir mal wieder die tatsächliche Aussagekraft der reinen Zitierzahlen relativiert hätten.

„Melanomologen“ vorn

Hautkrebs ist also das Top-Thema der deutschsprachigen Hautforschung 2009-2013. Entsprechend drehen sich sieben der zehn meistzitierten Artikel aus dieser Zeitspanne um bösartige Melanome. Und auch hierbei zeigt sich wieder einmal ein weiteres Kernmerkmal für stark klinisch orientierte Fächer: Mit Abstand die meisten Zitierungen ziehen in der Regel großangelegte Medikamentenstudien an. Die Plätze 1, 2, 3, 6 und 8 gehen allesamt an Paper, welche die möglichen Anti-Tumor­effekte verschiedener Wirkstoffe bei der Behandlung von aggressiven Melanomen zum Thema haben.

Die einzige andere Art von Studien, die aktuell hin und wieder zitatemäßig mit solchen klinischen Multi-Center-Studien mithalten kann, sind genomweite Assozia­tionsstudien. Im Rahmen der Hautforschung sind solche Arbeiten hierzulande im Analysezeitraum vor allem zur Schuppenflechte publiziert worden. Deren meistzitierte schaffte es immerhin auf Platz 5, allerdings schon mit großem Rückstand auf die ersten Drei.

Das an sich ebenfalls große Feld der allergischen und/oder entzündlichen Haut­erkrankungen ist gerade noch mit Platz 10 unter den Top 10 der meistzitierten Artikel vertreten.

„Aus der Art geschlagen“

Etwas „aus der Art geschlagen“ dagegen ist das Paper auf Platz 7. Der jetzige Heidelberger Jochen Utikal (28. der „Köpfe“-Liste) beschreibt darin als Erstautor unter anderem die Generierung induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS-Zellen) aus Melanozyten, was ihm seinerseits weitgehend in Harvard gelang. Der einzige wirkliche Grundlagen-Artikel in der Liste, wenn man so will.

Nach dem bis hierhin Gesagten ist es natürlich kein Wunder, dass die „Melanomologen“ auch die Liste der meistzitierten Köpfe dominieren. Logisch vor allem, dass die Ko-Autoren der erwähnten, stark zitierten klinischen Studien sich entsprechend ganz vorne tummeln: Mit Dirk Schadendorf (Duisburg/Essen), Axel Hauschild (Kiel), Reinhard Dummer (Zürich), Claus Garbe (Tübingen) und Jessica Hassel (Heidelberg) in dieser Reihenfolge auf den Plätzen 1 bis 5. Auch Jürgen Becker (Graz/Essen) auf Platz 8 gehört „in diese Ecke“.

Nesselsucht gut dabei

Torsten Zuberbier auf Platz 6 führt dann die Riege der Nicht-Krebsforscher an – sein Fokus liegt vor allem auf der entzündlichen Nesselsucht (Urticaria). Sein Berliner Kollege Marcus Maurer landete mit gleichem Schwerpunkt auf Platz 9.

Bleiben noch genau zwei Köpfe unter den Top Ten, die grob als halbe Hautaller­gie-Forscher durchgehen können: Der Berliner Emeritus Wolfram Sterry auf Platz 7 forschte parallel auch über maligne Lymphome der Haut; der zehntplatzierte Immunologe Cezmi Akdis aus dem schweizerischen Davos studiert die Rolle des T-Zell-Systems sowohl bei atopischer Dermatitis wie auch bei Asthma. Die bestplatzierten Schuppenflechte-Experten kommen direkt dahinter: der Hamburger Kristian Reich auf Platz 12 und der Kieler Michael Weichenthal zwei Plätze dahinter.

Dazwischen schob sich auf Platz 13 der einzige unter den Top 50, der einen starken Schwerpunkt auf Haarkrankheiten hat: Ralf Paus, der aktuell zwischen seinen Arbeitsplätzen in Münster und Manchester pendelt. Seine Position könnte sich allerdings tatsächlich als ein wenig „haarig“ erweisen, da er sich im Zuge der 13 Paper-Retraktionen seiner Ehefrau Silvia Bulfone-Paus vom Forschungszentrum Borstel als mehrfacher Ko-Autor aktuell auch einer Untersuchung der Rechtschaffenheit seiner Paper ausgesetzt sieht.

Berlin vor Kiel

Bleibt zum Schluss noch ein wenig Geographie: Wo sind die Hotspots? Sieben der fünfzig meistzitierten Hautforscher arbeiteten wenigstens teilweise in Berlin, immerhin fünf Kollegen in Kiel. Dahinter rangieren sechs Städte mit jeweils drei Köpfen unter den Top 50: Duisburg/Essen, Hannover, Graz, Köln, München und Zürich.

Ob unter diesen Hotspots demnächst deutliche Verschiebungen zu erwarten sind? Wohl kaum. Außer vielleicht, es entstünde irgendwo ein Schwerpunkt „Mikrobiologie und Mikrobiomik der Haut“.


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Letzte Änderungen: 14.02.2015