Editorial

Nicht gerade eine Nischendisziplin

Publikationsanalyse 2011-2015: Krebsforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 11/2017


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Illustr.: Fotolia / freshidea

Ein Drittel der vielzitierten Krebsforscher im Laborjournal-Verbreitungsgebiet arbeitet in Heidelberg. Vor allem klinische Studien und Artikel zur Genetik onkologischer Erkrankungen landen weit vorne.

Jeder zweite Mann erkrankt hierzulande irgendwann im Leben an Krebs; bei den Frauen sind es gut vierzig Prozent. Diese Zahlen schätzte das Robert-Koch-Institut in einem Bericht aus dem Jahre 2015. Bei Männern trifft es demnach vor allem die Prostata, Frauen erkranken am häufigsten an Brustkrebs – bei beiden Geschlechtern folgen Darm- und Lungenkarzinome, wobei Männer häufiger mit Lungenkrebs konfrontiert sind.

Doch auch ohne Zahlen, Daten und Statistiken wissen wir: Krebs ist allgegenwärtig. Wohl jeder ist irgendwie betroffen – wenn nicht selbst, so gibt oder gab es Fälle im Kreis der Freunde oder der Familie. Kein Wunder also, dass Krebs in der biomedizinischen Forschung ein ganz großes Thema ist. Biologen wollen Mechanismen der Krebsentstehung entschlüsseln und ergründen, welche Gene bei welchen Tumoren somatische Mutationen zeigen, wann eine genetische Veranlagung eine Rolle spielt – und wann womöglich Viren und andere Erreger ihre Finger im Spiel haben. Mediziner suchen nach immer neuen und immer besseren Therapien, die im besten Fall ganz persönlich auf den jeweiligen Patienten und seinen Tumor zugeschnitten sind.

So überrascht es nicht, dass einige onkologische Arbeiten sehr viele Zitierungen einfahren. Weil Krebsforschung keine Nischendisziplin ist, sondern eine große Community dahintersteckt, trifft ein Artikel dieses Gebiets auch auf zahlenmäßig viele Kollegen. Auf diese Weise werden die einschlägigen Arbeiten der Onkologie dann schon fast automatisch in auffällig vielen anderen Publikationen zitiert.

Große Community, viele Zitate

Um sich diese Dimensionen einmal zu verdeutlichen: Neuroonkologe Marc Remke von der Uniklinik Düsseldorf erreicht mit 4.252 Zitierungen Platz 50 unserer aktuellen Köpfe-Liste – ein Pharmakologe hätte mit dieser Zahl im letzten Pharmakologie-Ranking Platz 2 belegt! Um unter den Onkologen aber noch gerade eben in die Top10 einzuziehen, brauchte Peter Fasching von der Frauenklinik der Uni Erlangen fast 8.600 Zitierungen. Der meistzitierter Krebsforscher wiederum heißt Dirk Schadendorf und kommt auf mehr als 17.000 Zitierungen. Spezialgebiet des Essener Dermatologen sind Melanome.

Schadendorf hat auch am meistzitierten onkologischen Artikel im Analysezeitraum mitgeschrieben. In dieser Arbeit testeten die Autoren in einer klinischen Phase-3-Studie den BRAF-Kinase-Inhibitor Vemurafenib an Patienten mit Melanomen. In deren entarteten Zellen war zuvor eine bestimmte Mutation im BRAF-Gen nachgewiesen worden. Wer an dieser Arbeit mitgeschrieben hat, hat alleine damit bereits 3.500 Zitierungen auf dem Konto.

Insgesamt handelt es sich bei sieben der zehn meistzitierten Artikel um klinische Studien zu Krebstherapien. In den drei anderen Arbeiten haben Autoren genetische Auffälligkeiten von Tumorzellen untersucht. So auch im Paper auf Platz 2: Hier ging es um somatische Mutationen bei Darmkrebs.

Der Blick auf die Köpfe-Liste zeigt eine bunte Mischung verschiedener Disziplinen. Dass Dermatologen wie Schadendorf, Gynäkologen wie Peter Fasching (10.) aus Erlangen und Urologen wie Shahrokh Shariat (17.) von der Medizinischen Uni Wien darunter sind, überrascht nicht weiter – schließlich diagnostiziert und therapiert man in diesen Disziplinen auch gängige Krebserkrankungen. Das Know-how für die Analyse von Tumorgewebs-Biopsien haben dann Pathologen wie Andrey Korshunov (12.) oder Andreas von Deimling (8.), beide aus der Neuropathologie der Uni Heidelberg. Sie sind in die Kooperationseinheit Neuropathologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ)­ Heidelberg eingebunden und publizieren vor allem zu Glioblastomen und Astrozytomen.

Ebenso entdecken wir Hämatologen in der Liste, die Krebserkrankungen des blutbildenden Systems erforschen: Michael Hallek (28.) von der Uniklinik Köln zum Beispiel, oder Torsten (36.) und Claudia Haferlach (42.) vom Münchner Leukämielabor. Martin Reck (27.) wiederum ist auf Lungentumore spezialisiert und in der LungenClinik Grosshansdorf als Forscher zu Hause.

Bunter Fächer-Mix

Dieser thematische Rundumschlag durch die Liste der meistzitierten Köpfe spiegelt wider, was jeder sowieso schon weiß: Krebs ist nicht auf ein Organ beschränkt, sondern kann überall im Körper entstehen. Man mag fragen, ob es den Krebs überhaupt gibt. Grundsätzlich haben onkologische Erkrankungen aber gemeinsam, dass sich Zellen unkontrolliert teilen und sich auch außerhalb ihres Zellverbands vermehren können.

Somit gibt es sehr wohl einen klaren „Zuständigkeitsbereich“, der einen Krebsforscher als solchen kennzeichnet. Für uns war auch diesen Monat wieder ausschlaggebend, dass ein Forscher in den speziellen Zeitschriften der entsprechenden Disziplin in nennenswertem Umfang publiziert haben muss. Aber auch die Institutsbezeichnung war uns wichtig. Wer etwa im DKFZ arbeitet, betritt täglich ein Institut mit klarem Auftrag zur Krebsforschung.

Deshalb haben wir diesen Monat auch Epidemiologen in der Liste. Die klammern wir in anderen Disziplinen meist aus, weil sie lediglich Prävalenzen und Vorkommen von Erkrankungen in einzelnen Bevölkerungsgruppen anschauen und daher weit weg sind von biologisch-medizinischen Mechanismen. Andererseits liegt bei den Ursachen zur Krebsentstehung einiges im Dunkeln. Epidemiologen helfen dabei, Korrelationen zu entdecken, die dann auf mögliche Ursachen hinweisen. Die Epidemiologen liefern also Hypothesen, die dann wieder von „Labor-Onkologen“ getestet werden können. Dass Rauchen zu einem erhöhten Lungenkrebsrisiko führt, dürfte ja kaum mehr umstritten sein. Doch wie sieht es mit dem Passivrauchen aus? Was ist mit der Feinstaubbelastung in Innenstädten? Welche Rolle spielen Dauer oder Intensität einer Exposition? Zur Krebsforschung gehört also auch die Epidemiologie.

Zudem sind die Statistiker und Zahlenexperten auch beim DKFZ in Heidelberg zu finden – allen voran Hermann Brenner auf Platz 2 der meistzitierten Köpfe. Eine Grenze ziehen wollten wir aber zu den Epidemiologen, die ganz allgemein nach Korrelationen zwischen Lebenswandel und allen möglichen Krankheiten suchen. So gehören Ernährungsforscher eigentlich nicht in die Liste, mit einer Ausnahme: Heiner Boeing (7) vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam ist dennoch mit im Boot. Denn mehr als zwei Drittel seiner 397 Artikel sind in onkologischen Fachjournalen erschienen. Und 90 Prozent der Arbeiten tragen krebsrelevante Stichworte im Titel.

Wo ist die Grundlagenforschung?

Abgrenzen wollten wir die Onkologen auch zu den Molekulargenetikern. Hier kommt es gelegentlich zu Überschneidungen, doch innerhalb der 50 meistzitierten Köpfe spielten diese Überlappungen fast keine Rolle. Arif Ekici (39) war einer der wenigen Grenzfälle. Ekici forscht in der Abteilung Humangenetik der Uniklinik Erlangen und würde demnach nicht speziell unter die Krebsforscher fallen. Doch auch bei ihm spielt die Onkologie eine zentrale Rolle. Zwei Drittel seiner Artikel haben einen Bezug zur Krebsforschung, also gehört er aus unserer Sicht mit auf die Liste.

Experten für die unterschiedlichsten Organe, Pathologen, Statistiker und Genetiker – die Krebsforscher warten mit einer breiten Palette an Fachrichtungen auf. Trotzdem fällt eine Gemeinsamkeit ins Auge: Praktisch alle hier gelisteten Forscher untersuchen den Krebs direkt am Menschen; die meisten der Köpfe sind in Kliniken tätig. Wo also sind die Grundlagenforscher, die molekularen Mechanismen der Krebsentstehung am Mausmodell oder in Zellkulturen auf der Spur sind?

Hier sollte klar sein, dass in diesem Ranking natürlich die Artikel und Reviews vorne landen, die am häufigsten zitiert sind; und die Autoren, deren Publikationen in der Forscher-Community auf hohe Resonanz stoßen. Verständlich, dass hier vor allem klinische Studien Aufmerksamkeit erregen, die einen unmittelbaren Nutzen für uns Menschen zeigen.

Das bedeutet keineswegs, dass Grundlagenforschung im Kampf gegen den Krebs weniger wichtig wäre! Den Namen dieser Autoren begegnen wir aber wohl eher in anderen Publikationsanalysen. Manch einer mag später bei den Zellbiologen zu finden sein, anderen sind wir letzten Monat erst im Pharmakologie-Ranking begegnet: Da waren es unter anderem Matthias Schwab und Thomas Efferth, die nach Wirkstoffen gegen Tumorzellen suchen, aber mit ihren Zitierzahlen weit unterhalb der hier gelisteten Krebsforscher landen. Deren Forschung ist für den Kampf gegen Krebs aber genauso wichtig wie klinische, genetische und epidemiologische Studien. Das Beispiel zeigt, dass eine möglichst saubere Abgrenzung der Disziplinen bei unseren Rankings auch gewährleistet, dass die Leistungen einzelner Forscher wahrgenommen werden.

Zurück zu den Krebsforschern: Hier fehlt noch der Blick auf die regionale Verteilung. Ein Standort sticht klar hervor: Heidelberg. 18 unserer Köpfe haben irgendwann im Analysezeitraum in der Stadt am Neckar geforscht, 13 von ihnen am DKFZ. Offenbar ist das DKFZ ein wichtiger Kristallisationskeim für die hiesige Krebsforschung. Nach Heidelberg fallen keine besonderen Hotspots mehr auf. Viermal tritt die Uniklinik Erlangen in Erscheinung, dreimal das Universitätsspital Zürich – und anschließend verteilt sich die hochzitierte Krebsforschung gleichmäßig dünn durchs Verbreitungsgebiet.

Behalten wir aber im Hinterkopf, dass wir beim Blick auf die meistzitierten Köpfe und Paper aus der Krebsforschung nur auf die Spitze eines riesigen Eisbergs schauen.


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Letzte Änderungen: 03.11.2017