Editorial

Proteomik, Datenbanken und Analyse-Tools

Publikationsanalyse 2008-2017: Proteinforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 01/2019


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Foto: nicolas_ / iStock

Man kann sich darüber streiten, welches die interessantesten Moleküle des Lebens sind: Nukleinsäuren bilden gigantische Informationsspeicher. Chemisch divers wiederum sind Zuckermoleküle, die lange Ketten und Verzweigungen formieren. Aber funktionell am vielseitigsten sind sicher die Proteine. Vom Cytoskelett über Enzyme bis hin zu komplexen molekularen Maschinen sind sie wahre Alleskönner in der Zelle. Zusammengebastelt werden sie nach Vorlagen aus dem genetischen Code; doch was an post-translationaler Modifikation passiert und wie genau sie sich am Ende falten und anordnen, das kann man nicht so einfach aus den Gensequenzen ablesen.

Folgerichtig also, dass die Proteine auch eine eigene Publikationsanalyse verdienen. Die hatten wir in dieser Form 2014 eingeführt und schauen nun zum zweiten Mal auf die Publikationen und Köpfe aus der Proteinforschung.

Ob ein Wissenschaftler Proteinforscher ist oder nicht, lässt sich in den meisten Fällen leicht entscheiden. Es gab kaum Grenzfälle, über die wir uns lange den Kopf zerbrechen mussten, sobald der Name des jeweiligen Kandidaten erst mal auf dem Tisch lag. Um eine Vorauswahl möglicher Proteinforscher zu erstellen, haben wir unser Netz aber durchaus in verschiedene Richtungen ausgeworfen und bei jedem einzelnen Fang noch mal genauer hingeschaut. Zahlreiche unserer Köpfe publizieren vor allem in Zeitschriften zur Biochemie und haben auch entsprechende Institutsadressen. Doch umgekehrt ist natürlich nicht jeder Biochemiker ein Proteinforscher.

Zur Abgrenzung: Wer als Lebenswissenschaftler Stoffwechselwege und daran beteiligte Metabolite untersucht, der wird gelegentlich auch mit Proteinen und Peptiden zu tun haben. In unserer Reihe zur Publikationsanalyse dürften die meisten dieser Kandidaten aber eher den Physiologen oder Endokrinologen zuzurechnen sein. Außerdem wollen wir unsere Listen zur Proteinforschung nicht mit der Molekularbiologie und Genetik verwässern – denn diese „Genres“ stellen wir ja ebenfalls gesondert vor. Aus demselben Grund bleibt auch der Entwicklungsbiologe außen vor, der etwa den Wnt-Signalweg durch Knockout-Modelle erforscht. Ja, er sammelt auch Erkenntnisse zur Funktion und Bedeutung von Proteinen, doch sein Blick liegt dann eben doch mehr auf den Genschaltern und Entwicklungsprogrammen.

Typischer Proteinforscher?

Als typische Proteinforscher sehen wir zum Beispiel diejenigen an, die an dreidimensionalen Strukturen der Proteine interessiert sind. Dabei kommt es zu Schnittmengen jenseits der Lebenswissenschaften: Röntgenkristallographie und Kernresonanz-Spektrometrie (NMR) sind hier als Methoden zu nennen, um auf atomarer Ebene Erkenntnisse zu sammeln. Wie die Tertiär- und Quartärstruktur eines Rezeptors in der Membran aussieht, kann darüber entscheiden, ob ein Signalweg in der Zelle aktiviert wird oder nicht. Und die Struktur desselben Proteins kann wiederum unterschiedlich sein, je nachdem welche Liganden gebunden sind und mit welchen anderen Proteinen der Rezeptor Komplexe bildet. „Biophysikalische Chemie“ oder „Strukturbiologie“ tauchen hier als gängige Schlagworte auf.

Andere Proteinforscher werfen einen umfassenderen Blick auf den Organismus und wollen möglichst alle Proteine erfassen, die in einer Zelle, einem Gewebe oder auch einem bestimmten Entwicklungsstadium aktiv sind. Damit sind wir bei der Proteomik – und bei Methoden, die sonst vor allem Chemiker einsetzen: Massenspektrometrie und Co.

Auch hier wollten wir natürlich nur die Proteinforscher einsammeln und jene heraussortieren, die Metabolomik betreiben oder nur ganz am Rande mit den Lebenswissenschaften zu tun haben. Hier half uns beim Entscheiden der genaue Blick auf die Publikationsliste – und in einigen Fällen auch die Arbeitsgruppenbeschreibung der jeweiligen Institutswebseite. Nach diesen Kriterien haben wir auch die Artikel und Reviews des Analysezeitraums durchforstet. Arbeiten, die Proteine lediglich als Genprodukte behandeln und klare molekular- oder entwicklungsbiologische Schwerpunkte zeigen, sind nicht gelistet.

Gefragte Bioinformatik

Der Blick auf die meistzitierten Artikel zeigt: Vor allem Bioinformatik ist in der Protein-Community gefragt. An der meistzitierten Arbeit in der Liste hat auch der meistzitierte Proteinforscher mitgeschrieben, nämlich Matthias Mann vom Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried bei München. Manns Expertise liegt in der Massenspektrometrie-basierten Proteomik. In besagtem Paper stellt er zusammen mit Jürgen Cox (4.) vom selben Institut MaxQuant vor: Eine Sammlung von Algorithmen zur Analyse von Proteomik-Daten aus der Massenspektrometrie.

Ebenjener Artikel aus dem Jahr 2008 hatte auch in unserem ersten Ranking zur Proteinforschung bereits die Liste angeführt, damals mit 1.082 Zitierungen zum Stichtag am 19. Mai 2014. In den folgenden fünf Jahren haben sich die Zitierzahlen dann vervierfacht, auf 4.344 Erwähnungen in anderen Publikationen. Die Analyse-Tools der beiden Forscher erfreuen sich demnach also großer Beliebtheit in der Szene.

Ein weiteres großes Thema ist das Zusammenspiel zwischen den Proteinen. Wer trifft in der Zelle auf wen? Welche Protein-Netzwerke ergeben sich daraus? Eine Datenbank namens STRING stellt sowohl bekannte als auch diverse vorhergesagte Protein-Protein-Interaktionen zu verschiedenen Organismen zur Verfügung (https://string-db.org). Auch hierzu hatten wir im Ranking von 2014 bereits Publikationen gelistet. Die Datenbank wurde seither mehrfach aktualisiert und liegt derzeit in Version 11 vor. Drei Artikel zu STRING haben es auch jetzt ins Ranking geschafft, darunter zwei „Neuzugänge“ aus den Jahren 2013 (Platz 7) und 2015 (Platz 3).

Ausreißer und Steckenpferde

Federführend für die STRING-Datenbank sind aktuell zehn Wissenschaftler, von denen sieben an Instituten im Verbreitungsgebiet forschen und allesamt unter den meistzitierten Köpfen gelistet sind: Peer Bork (2.), Kristoffer Forslund (7.) und Michael Kuhn (6.) vom ­EMBL Heidelberg sowie Christian von Mering (5.), Damian Szklarczyk (8.), Alexander Roth (9.) und Milan Simonovic (11.) am Institute of Molecular Life Sciences der Uni Zürich.

Die Top-Ten der meistzitierten Köpfe ist komplett in der Hand von Proteomik-Experten und Informatikern – ein Trend, der sich ebenfalls schon bei unserem Ranking von 2014 abzeichnete. Sechs der zehn meistzitierten Artikel drehen sich um bioinformatische Tools zur Proteom-Analyse oder zum Homologie-Vergleich zwischen Proteinen. Ein thematischer Ausreißer ist Platz 5 der Liste: Eine Arbeit über die Regulation der Genexpression durch microRNAs. Die Publikation steht in der Grauzone zur Molekulargenetik, doch weil die Autoren explizit einen proteomischen Ansatz betonen, haben wir das Paper hier berücksichtigt.

Auf weitere Themen der Proteinforschung stoßen wir beim Blick auf die Publikationen der meistzitierten Köpfe jenseits der obersten Zehn. So geht Dmitri Svergun (13.) der Feinstruktur von Proteinen mittels Röntgenkristallographie auf den Grund; Svergun forscht in einem EMBL-Ableger am Hamburger DESY. Ebenfalls auf das (aus Sicht der Lebenswissenschaftler) Allerkleinste schauen Christian Griesinger (28.) und Markus Zweckstetter (29.) am MPI für Biophysikalische Chemie in Göttingen: Ihr Steckenpferd ist die NMR-basierte Strukturbiologie.

Frauenarme Spitze

Natürlich gibt es auch Proteinforscher, die weniger an Proteomik und großen Datenbanken als vielmehr an einem konkreten Prozess in der Zelle interessiert sind. Die Arbeitsgruppe von Ivan Đikić (14.), Uni Frankfurt, nimmt das Ubiquitin-System unter die Lupe und schaut sich außerdem Regulationsmechanismen zur Autophagie an. An der Universität Kiel möchte Paul Saftig (24.) mehr erfahren über die Rolle lysosomaler Proteine bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen.

Beim Blick auf die Landkarte sehen wir drei Hotspots. Zum einen sticht Heidelberg hervor, denn dort am EMBL waren fünf unserer Köpfe irgendwann zwischen 2008 und 2017 aktiv. Zählen wir die Außenstelle des ­EMBL am DESY in Hamburg noch dazu, wo Svergun zuhause ist, dann käme diese Einrichtung sogar auf sechs Repräsentanten in unserem Ranking. Auch die Schweizer schlagen sich gut, denn dort haben sieben der meistzitierten Proteinforscher ihr Türschild angebracht – sechs von ihnen in Zürich, und dort wiederum fünf am Institute of Molecular Life Sciences. Ganz vorn steht aber München mit acht Positionen in der Köpfe-Liste. Dabei haben wir auch den MPI-Standort in Martinsried zugezählt – von hier finden wir sechs Forschernamen im Ranking.

Eine Sache fällt noch ins Auge, wenn man sich die meistzitierten Wissenschaftler der Protein-Disziplin anschaut: Nur zwei Frauennamen stehen auf der Liste. Zum einen ist hier Andrea Franceschini (19.) von der Uni Zürich zu nennen, die mehr als 90 Prozent ihrer Zitierungen der Beteiligung an den drei Artikeln zur STRING-Datenbank verdankt. Und die meistzitierte Dame heißt Petra Schwille (18.), forscht in Martinsried und geht dem Geschehen in der Zelle mit Einzelmolekül-Fluoreszenzspektroskopie und Rasterkraftmikroskopie auf den Grund.

So vielfältig die Proteinforschung auch sein mag, geschlechtermäßig zeigt sie sich zumindest bei den viel zitierten Köpfen doch recht monoton.


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Letzte Änderungen: 07.02.2019