Vielseitiges Organ

Publikationsanalyse 2009-2018: Nieren- und Hochdruckforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 9/2020


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Foto: EISCO Labs

Editorial

(01.09.2020) Nierenforscher sammeln viele Zitierungen mit Artikeln über Therapie-resistenten Bluthochdruck. Auch Pathologen, Physiologen und Immunologen sind unter den Meistzitierten – darunter jedoch nur eine einzige Frau.

Die Nieren sind Treffpunkt für gleich mehrere Disziplinen medizinischer Forschung. Da wäre die Harnproduktion, die in den Nierenkörperchen beginnt. Osmotische Gradienten und Elektrolytkonzentrationen – hier wird der Physiologe hellhörig, der die biophysikalischen Prozesse dahinter ganz genau verstehen will. Auch Urologen interessieren sich für die Niere, manch ein Fachjournal deckt daher einfach beide Disziplinen – Nephrologie und Urologie – ab. Wie praktisch jedes andere Organ kann die Niere aber auch von bösartigen Tumoren heimgesucht werden, so dass einige Onkologen und Pathologen ebenfalls zu nephrologischen Themen publizieren.

Weiterhin ist die Niere endokrinologisch relevant: Die Nebennieren regulieren die Stressreaktion über Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Außerdem sind die Nieren an der Blutdruckregulation beteiligt und können Renin ins Blut abgeben, um den Blutdruck zu erhöhen – womit wir mit der Herz-, Gefäß- und Kreislaufforschung ins Gehege kommen. Und endgültig verzetteln kann man sich, wenn neben Bluthochdruck weitere Volkskrankheiten wie Typ-2-Diabetes auftauchen, die letztlich auch wiederum Auswirkungen auf die Nieren haben können.

Editorial

Zu all diesen Querschnittsdisziplinen der Nierenforschung gibt es aber eigene Publikationsanalysen. So mag ein Wissenschaftler einen Signalweg rund um die Apoptose im Hinblick auf Nierenkrebs-Entstehung erforschen. Diesen Wissenschaftler würden wir aber den Krebsforschern oder den Molekularbiologen zuordnen – selbst wenn er vereinzelte Publikationen mit Ärzten vorweisen könnte, die Nierentumore behandeln. Anders sieht es natürlich aus, wenn jemand spezielles Know-how zur Niere mitbringt und vor diesem Hintergrund Nierenkarzinome untersucht.

In mehreren Welten zuhause

Dennoch stoßen wir natürlich auf Einzelfälle, die „in mehreren Welten“ zuhause sind. Der Pathologe Holger Moch vom Universitätsspital Zürich wäre hier zu nennen, der mit der Histologie aller möglichen Organe vertraut ist: Leber, Lunge oder Prostata zum Beispiel. Elfmal im Analysezeitraum tauchen seine Artikel in explizit nephrologisch-urologisch ausgerichteten Fachblättern auf, wenn man nach den Kategorien im Web of Science geht. Nicht oft, gemessen an insgesamt 278 Artikeln. Stattdessen dominieren Onkologie sowie Pathologie in seiner Bibliografie.

Nun beziehen sich aber 89 seiner hier berücksichtigten Arbeiten auf die Niere – meist geht es um Krebs. Zudem dreht sich die Hälfte seiner zehn meistzitierten Artikel um Nierenkarzinome. Zwar ist Moch mit seinen beiden am meisten zitierten Arbeiten einmal in der Prostata und einmal in der Lunge unterwegs, doch mit rund 800 und 700 Zitierungen sind die Auswirkungen auf seinen „Gesamtpunktestand“ eher gering. Man kann ihm also nicht vorwerfen, dass er seine Hauptzitierzahlen in nierenfernen Disziplinen „erwildert“; seine Expertise dürfte vielmehr gerade bei der Niere gefragt sein. Deshalb ist Moch hier berücksichtigt und belegt Platz 4 der meistzitierten Köpfe.

Wo sind die Frauen?

Ebenfalls aus den Reihen der Pathologen haben sich Hermann-Josef Gröne (9.) vom DKFZ Heidelberg und Kerstin Amann (16.) von der Uniklinik Erlangen als Nierenforscher qualifiziert – letztere ist übrigens die einzige Frau unter den dreißig meistzitierten Köpfen.

Das überrascht, weil noch im letzten Ranking von 2015 immerhin drei weibliche Vornamen unter den dreißig meistzitierten Nieren- und Hochdruckforschern zu finden waren. Liegt es daran, dass wir damals noch einen Analysezeitraum von nur fünf Jahren betrachtet hatten, während wir jetzt auf eine ganze Dekade blicken? Es würde den Eindruck untermauern, dass es Frauen schwerer haben auf der Karriereleiter und häufiger im von Dauerbefristung geprägten akademischen Mittelbau hängenbleiben – und deshalb oder aus anderen Gründen weniger lange in der Forschung aktiv sind als die männlichen Kollegen.

Kommen wir nun speziell zu den Bluthochdruckforschern: Berücksichtigt sind auch hier nur diejenigen, die einen klaren Bezug zur Niere haben. Andernfalls sind sie ein Fall für unsere Publikationsanalyse zur Herz-, Gefäß- und Kreislaufforschung. In Letzterem werden deutlich höhere Zitierzahlen erreicht, wie der Blick auf das Ranking vom Juni 2019 zeigt: Mehr als 13.500 Zitierungen hatte damals Gerhard Schuler vom Herzzentrum Leipzig und belegte damit Platz 13. Ein Nierenforscher mit dieser Zitierzahl wäre hingegen unter den vordersten fünf gelandet. Schon deswegen hätte ein Verwässern der Grenzen zu den Gefäß- und Herzspezialisten viele der eigentlichen Nierenexperten aus der Tabelle herausgedrängt.

Nerven veröden

Trotzdem kann auch der nephrologische Blick auf den Blutdruck viele Zitierungen bringen. Bei dem Erlanger Roland Schmieder sind es fast 16.000 an der Zahl, und die sichern ihm Platz zwei der meistzitierten „Köpfe“. Mehr als 4.000 Zitierungen verdankt Schmieder einem Guidelines-Paper, das im Web of Science aber als „Article“ kategorisiert ist. Therapie-resistente Hypertonie ist ein Thema, das bei Schmieder immer wieder auftaucht.

Daneben hat Schmieder unter anderem an demjenigen Artikel mitgeschrieben, der am dritthäufigsten zitiert wurde und aus dem Jahr 2010 stammt. Darin geht es um die renale Denervation, die Bluthochdruckpatienten helfen soll, bei denen keinerlei pharmakologische Intervention anschlägt. Die Idee dahinter: Nervenbahnen des Sympathikus können über die Niere bewirken, dass Renin oder Nor­adrenalin ausgeschüttet und damit der Blutdruck erhöht wird. Kappt man diese neuronale Verbindung, dann sollte sich der Blutdruck absenken. Renale Denervation ist minimalinvasiv über einen Katheter möglich, wobei die Nervenbahnen verödet werden. Aus der Liste der meistzitierten „Köpfe“ waren außerdem Felix Mahfoud (6.) und Lars-Christian Rump (15.) an dieser in The Lancet publizierten Arbeit beteiligt.

Erwähnt sei jedoch, dass nicht alle Forscher von der renalen Denervation überzeugt sind. 2014 erschien im New England Journal of Medicine eine vielbeachtete Arbeit, die hierzu Ergebnisse einer verblindeten placebokontrollierten Studie vorstellte (370(15): 1393-401). An den Patienten der Kontrollgruppe hatte man nur einen Scheineingriff vorgenommen, die sympathischen Nerven jedoch intakt gelassen. Bei tatsächlich denervierten Patienten sank der Blutdruck um durchschnittlich 14,1 mm Hg, bei der Placebogruppe waren es im Mittel 11,7. Dieser Unterschied, so die Autoren, sei nicht signifikant gewesen. Andere, auch neuere, Publikationen sehen die Methode wiederum optimistisch – unter anderem da sich auch die Methodik verbessert habe.

Drei der meistzitierten Artikel stellen Ergebnisse zur Behandlung von Nierenkarzinomen vor. So auch die Arbeit auf Platz 10, an der Michael Staehler (13.) aus der Urologischen Klinik und Poliklinik der LMU München mitgeschrieben hat. Andere der meistzitierten „Köpfe“ erforschen die Behandlung von Typ-2-Diabetes oder zu hohem Cholesterin bei Patienten mit Nierenschäden. An deren Spitze finden wir Christoph Wanner aus Würzburg, der am dritthäufigsten zitiert worden ist. Sein Name steht außerdem auf zwei der meistzitierten Artikel (Platz 5 und 7).

Wenn die Nieren nicht funktionieren

Wie wichtig ein Organ ist, bemerkt man vor allem dann, wenn es nicht mehr richtig funktioniert. Auch hier sind Nierenforscher natürlich gefragt. So untersuchten die Autoren der am achthäufigsten zitierten Forschungsarbeit, inwiefern Dialysepatienten vom Cholesterinsenker Rosuvastatin profitieren. Auch Experten für die Organtransplantation finden sich unter den hochzitierten Nierenforschern, so etwa Klemens Budde (21.) von der Berliner Charité und Martin Zeier (29.) von der Uniklinik Heidelberg. Zeier erforscht vor allem akutes Nierenversagen durch Virusinfektionen.

Schnittmengen gibt es auch zur Immunologie – nicht nur, weil man Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantation in den Griff bekommen will, sondern weil Nieren wie andere Organe auch von Entzündungen betroffen sein können. Christian Kurts (28.) aus Bonn ist ein Fachmann, der speziell Immunreaktionen des Urogenitaltrakts auf der Agenda hat.

Schauen wir noch auf die Pole Position, wo wir den Allrounder Florian Lang finden. Lang hatte auch schon die Riege der Physiologen und der Zellbiologen angeführt. Seine wissenschaftliche Heimat sieht er nach eigener Aussage aber in der Nierenforschung (siehe auch unser Interview unter www.laborjournal.de/editorials/955.php). Hier nimmt er unter anderem Mechanismen zum Membrantransport unter die Lupe.

Zuletzt ein Blick auf die geografische Verteilung: Nicht dabei ist diesmal Österreich. Dafür sind oder waren drei der meistzitierten „Köpfe“ irgendwann im Analysezeitraum in der Schweiz tätig. Einen echten Hotspot konnten wir nicht ausmachen. Aber vier Städte tauchen jeweils viermal als aktuelle oder ehemalige Adresse eines Nierenforschers auf: Berlin, Erlangen, Heidelberg und – ein Ort, von dem man sonst nur selten liest und der in den Datenbanken daher oft falsch geschrieben und mit einer Hansestadt verwechselt wird – Homburg. In Homburg betreibt die Universität des Saarlandes eine Uniklinik, an der zum Beispiel Felix Mahfoud (6.) forscht.

Das kleine Saarland hält hier also mit der Bundeshauptstadt Schritt, obwohl das gesamte Bundesland nicht mal ein Drittel der Einwohner Berlins vorweisen kann. Unter diesem Gesichtspunkt können wir Homburg eigentlich fast als nephrologische Siegerstadt durchgehen lassen.


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Letzte Änderungen: 01.09.2020