Editorial

Von Umweltschadstoffen bis Designerdrogen

Publikationsanalyse 2010-2019: Toxikologische Forschung
von Mario Rembold, Laborjournal 4/2021


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Illustr.: Foto: AdobeStock / kirill_makarov

(08.04.2021) Toxikologische Forschung überlappt sich mit Ökologie, Epidemiologie und Zellbiologie. Sechsmal taucht Österreich als Adresse der meistzitierten Köpfe auf.

Wir alle haben eine Idee davon, woran ein Toxikologe forscht. Die „Giftkundler“ untersuchen, wie Substanzen einem biologischen System Schaden zufügen können und wollen mehr über deren Natur und Wirkungsweisen herausfinden.

Andererseits sind auch die Pharmakologen fit in diesen Fragen. Allerdings liegt deren Fokus eher darauf, eine möglicherweise schädigende Substanz konstruktiv einzusetzen – etwa als Medikament, das einen Krankheitserreger bekämpft. Für die Lebertoxizität eines Wirkstoffs können sich dann aber sowohl Pharmakologen als auch Toxikologen interessieren. Schließlich gibt es ja eine ganze Reihe von Instituten für „Pharmakologie und Toxikologie“ – also Adressen, die beide Disziplinen im Namen tragen. Medikamentenmissbrauch wäre ein weiteres mögliches Überlappungsgebiet, in dem sich hin und wieder sogar noch zusätzlich Psychologen und Neuroforscher tummeln.

Und was ist wiederum mit Zellgiften, die im körpereigenen Stoffwechsel produziert werden? Reaktive Sauerstoffspezies etwa, also jene „bösen Radikale“. Oder sind nicht auch falsch gefaltete Proteine irgendwie ein Toxin, wenn sie mutmaßlich zu neurologischen Erkrankungen führen? Thematisch würden wir also auch unter Zell- und Molekularbiologen sowie Proteinexperten Forscher finden, die auf zellschädigende Prozesse spezialisiert sind. Aber würde solch ein Wissenschaftler sich selbst als „Toxikologe“ ansehen? Und sich der großen Zahl an Toxikologen zuordnen, die genau an solchen Themen arbeiten?

Sammelsurium an Themen

Die Suche nach Stichworten, die irgendwie nach „Gift“ oder „Zellschädigung“ klingen, würde uns also jede Menge Forscher liefern, die sich eigentlich nicht in der Toxikologie zuhause fühlen. Für die aktuelle Publikationsanalyse sind wir daher konservativ vorgegangen und haben nach Namen Ausschau gehalten, die regelmäßig in toxikologischen Fachblättern auftauchen. Ein weiterer Anhaltspunkt liefert uns das Türschild: Wer explizit an einem Institut für Toxikologie forscht oder auf einem entsprechenden Lehrstuhl sitzt, den haben wir uns ebenfalls näher angesehen.

Blicken wir nun auf die Forschung der dreißig meistzitierten Toxikologen, so stoßen wir auf ein buntes Sammelsurium an Themen. Beginnen wir mit Platz 1 der Liste: Thomas Brüning arbeitet am Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) der Universität Bochum, und er darf sich bis heute über fast 10.000 Zitierungen seiner Artikel aus den Jahren 2010 bis 2019 freuen. Arbeitsmedizin oder Arbeitsforschung – diese Institutsbezeichnung taucht noch drei weitere Male in den Top Ten auf. Das leuchtet ein, denn die Sicherheit am Arbeitsplatz zu bewerten, erfordert natürlich toxikologische Expertise. Welche Substanzen werden bei welchen Konzentrationen zu Schadstoffen?

Jene „Arbeitstoxikologen“ schlagen dabei eine Brücke zu den Umweltgiften und zur Epidemiologie, wenn es um Gifte geht, denen ein Großteil der Bevölkerung im Alltag ausgesetzt ist. Bei Brüning ist es der Tabakkonsum und dessen Zusammenhang mit Krebs, der ihm viele Zitierungen einbringt. Ganz oben stehen bei ihm aber sieben Artikel zu Brustkrebs, die sich größtenteils genetischen Risiko-Loci widmen. Sie bringen zusammen rund 2.700 Zitierungen auf die Waage.

Natürlich sind solche onkologischen und humangenetischen Arbeiten nicht berücksichtigt in unseren Listen zu den meistzitierten Artikeln und Reviews. Dennoch hat Brüning im Analysezeitraum 64 seiner Artikel speziell in toxikologischen Journalen platziert. Das Beispiel zeigt, dass sich Toxikologen nicht immer anhand ihrer Forschungsthemen klar festnageln lassen – und dass relevante Zitierzahlen auch aus Ko-Autorschaften bei Arbeiten jenseits der Toxikologie stammen können.

Bleiben wir zunächst bei der Arbeitsmedizin und schauen auf Platz 3 der meistzitierten Köpfe: Barbara Hoffmann von der Uniklinik Düsseldorf widmet sich ebenfalls Umweltgiften, die dem Menschen schaden und sucht in ihren meistzitierten Arbeiten nach Zusammenhängen zwischen Luftverschmutzung und Lungenkrebs sowie dem Einfluss von Stickoxiden auf die menschliche Gesundheit.

Eisen im Visier

Auf Platz 4 folgt Jan Hengstler vom Institut für Arbeitsforschung (IfADo) der TU Dortmund. In seiner Publikationsliste tauchen beispielsweise zellbiologische Arbeiten zur Regeneration von Leberzellen auf. Hengstlers Team setzt dabei auf 3D-Kulturen und lässt Zellen unter anderem in kleinen Sphäroiden wachsen.

In Hengstlers Arbeitsgruppe zur Systemtoxikologie forscht auch Karolina Edlund (5.). Allerdings wäre Edlund uns wohl durch die Lappen gegangen, hätten wir nicht im Vorfeld den Hinweis per E-Mail bekommen, sie uns näher anzuschauen. 4.200 Zitierungen verdankt sie einer Arbeit zum Proteom aus 32 verschiedenen Geweben und Organen (Science 347(6220): 1260419). Auch der am zweithäufigsten zitierte Artikel mit Edlunds Ko-Autorschaft kommt auf fast 1.200 Zitierungen und läuft unter Proteomik (Mol. Cell. Proteomics 13(2): 397-406). Nur sechs ihrer Arbeiten sind in explizit toxikologischen Zeitschriften veröffentlicht und jeweils deutlich seltener zitiert – weshalb sie bei unserem Suchfilter eigentlich unter dem Radar bleibt, zumal auch die Adresse „IfADo“ nicht toxikologisch klingt. Aber seit 2013 ist Edlund Teil der Arbeitsgruppe „Systemtoxikologie“ und steht daher nun in der Köpfe-Tabelle.

Zurück zu derjenigen Umweltverschmutzung, die dem Menschen auf die Gesundheit schlägt: Ihr geht auch der Epidemiologe Nino Künzli am Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH) in Basel auf den Grund. Er belegt den zweiten Platz unter den Köpfen und ist einer von zwei Schweizern im aktuellen Publikationsvergleich.

Durch den Menschen eingetragene Umweltgifte treffen natürlich auch Fauna und Flora. So kommen wir zu den Ökotoxikologen wie Matthias Liess (19.) vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig oder Ralf Schulz (21.) an der Universität Koblenz-Landau. Insektizide im Oberflächenwasser, Medikamente im Abwasser oder die Wirkung von Neonicotinoiden auf Wirbellose sind unter anderem Themen dieser beiden Wissenschaftler.

Gleich fünf Forscher der Top 30 sind in Wien tätig und damit in der mit Abstand am häufigsten genannten Stadt unseres Vergleichs. Mitgeschrieben haben sie an Arbeiten zu Toxinen in Lebensmitteln, wie sie etwa durch Schimmelpilze produziert werden. Eine Kernkompetenz der Wiener ist dabei die Arbeit mit massenspektroskopischen Nachweismethoden. Der meistzitierte Österreicher heißt demnach Rudolf Krska und belegt den sechsten Platz. Zusammen mit drei anderen Wienern forscht er an der BOKU, der Universität für Bodenkultur.

Mit Graz ist Österreich sogar noch ein sechstes Mal vertreten. An der dortigen Uni erforscht Walter Gössler (17.) per Magnetresonanztomographie Eisenablagerungen im Gehirn.

Und wo wir gerade beim Gehirn sind: Marcel Leist (13.) von der Uni Konstanz erforscht Therapien gegen Parkinson und hat dabei ebenfalls Eisen im Visier – vor allem in der Substantia nigra. Weiterhin testet er menschliche embryonale Stammzellen als Alternative zu Tierversuchen. Ebenfalls in Konstanz forscht auch Thomas Hartung (9.) an alternativen Testmethoden. Um die bunte Vielfalt der toxikologischen Forschung zu verdeutlichen, sei auch noch Hans Maurer (22.) aus Homburg erwähnt, der an der Universität des Saarlandes Designerdrogen per Massenspektroskopie nachweist.

Interessanterweise haben die Toxikologen der Köpfe-Liste nicht an den zehn meistzitierten Artikeln aus dem Analysezeitraum mitgeschrieben. Einzige Ausnahme ist Barbara Hoffmann, die an den Publikationen auf den Plätzen 3 und 5 mitwirkte – beides Paper mit Ergebnissen aus der multizentrischen European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE). Der Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Mortalität sowie Krankheiten wie Lungenkrebs steht hier im Mittelpunkt.

Nanopartikel im Fokus

Den ökologischen Teil repräsentieren die Plätze 8 und 10 zu polaren organischen Verbindungen in Abwässern sowie Platz 7 über Pestizide und Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Böden. Bestimmte Pestizide könnten auch das Parkinson-Risiko erhöhen – zu diesem Schluss kommen die Autoren des am sechsthäufigsten zitierten Artikels.

Auf zunehmendes Interesse stoßen auch bei Toxikologen die Nanopartikel. Dem Einfluss von Mikroplastik auf Zellen und Gewebe der Miesmuschel geht die Arbeit auf Platz 9 nach. Auch die beiden erstplatzierten Originalartikel haben Nanopartikel im Fokus – der am häufigsten zitierte Artikel speziell die Toxizität von Silberpartikeln.

Um Silber-Nanopartikel ging es auch in einer Arbeit, die wir nicht für die Artikelliste berücksichtigt haben (Environ. Sci. Technol. 44(14): 5649-54). 535 Zitierungen hatte diese Publikation zur antibakteriellen Wirkung von Silber. Man mag argumentieren, dass auch hier eine toxische Wirkung auf Organismen untersucht wurde – zumal Walter Gössler, der in der Köpfe-Liste Platz 17 belegt, neben anderen toxikologischen Arbeiten ebenfalls zur antimikrobiellen Wirkung von Silberpartikeln publiziert hat. Wenigstens im Vergleich der meistzitierten Paper sollte der Schwerpunkt aber klar auf Toxizität im Sinne des direkten Risikos für Mensch und Umwelt liegen.


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Letzte Änderungen: 08.04.2021