Editorial

The times they are a-changing

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Rind und Steiner haben viel gemeinsam. Beide sind Professoren an derselben Universität, ja sogar an derselben Fakultät. Beide interessieren sich für Proteine, weshalb sie auch weitgehend in den gleichen Journals publizieren. Und letzten Monat war es schließlich soweit: Sie hatten ihr erstes gemeinsames Manuskript eingereicht.

Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen Steiner und Rind. Steiner ist älter, hat schon eine Weile die Sechzig überschritten, und gilt seit mehr als zwei Jahrzehnten als Koryphäe in klassischer Proteinbiochemie. Proteine aufspüren, stabilisieren, reinigen und analysieren – davon versteht er was, das kann er gut. Vor allem methodisch war er lange Zeit unübertroffen: Proteingele fahren, Western Blots, solubilisieren, chromatographieren, kristallisieren – da macht ihm bis heute keiner was vor. Zuletzt hatte er sich sogar an die Massenspektrometrie herangewagt. Aber da dachte er dann doch: Jetzt habe ich soviel gemacht und damit soviel erreicht – das muss ich jetzt nicht auch noch können.

Rind dagegen ist gerade Vierzig und gehört der jungen Gattung der Bioinformatiker an. Wobei er sich selbst ja lieber als "Computational Biologist" bezeichnet. "Seinen" Proteinen begegnet er nie wirklich – lediglich virtuell ihren Sequenzen oder denen ihrer jeweiligen Gene in den stetig wachsenden Protein- und Genom-Datenbanken.

Das reicht ihm jedoch, um jede Menge Dinge damit anzustellen: Sequenzen zu vergleichen etwa, vielfach genutzte Domänen und Motive aufzuspüren, Proteinstammbäume zu erstellen oder sie nach Familien zu ordnen – um am Ende mit all diesen Daten sogar Strukturen und Funktionen vorherzusagen. Lediglich eine Handvoll schnelle Rechner braucht er dafür, die Programme gibt´s von anderen Gruppen im Internet. Und wenn nicht, schreiben Rind und seine Leute sie kurzerhand selbst und stellen sie ebenfalls ins Internet.

Steiner muss zugeben, dass ihn diese "neue Proteinforschung" durchaus beeindruckt. Schließlich bekommt Rind jetzt mit seinen Rechnern in Nullkommanichts Dinge heraus, an denen er sich selbst vorher jahrelang vergeblich die Zähne ausgebissen hatte. Oder Dinge, an die er mit seinen Möglichkeiten nicht einmal denken konnte.

Logisch auch daher, dass Rind in viel schnellerem Rhythmus als Steiner publiziert: Auf vierzig Publikationen kam er letztes Jahr – während Steiner schon stolz ist, wenn er in einem Jahr fünf richtig gute Paper schafft.

"The times they are a-changing" schleicht sich Steiner immer, wenn er darüber nachdenkt, der Song seines Altersgenossen Bob Dylan in den Kopf. Und altersweise grinsend versucht er sich an dem selbstlosen Gedanken zu erfreuen, dass das alles in allem doch "schön für die Wissenschaft" sei.

Doch das gelingt ihm nicht immer. Wie gestern, als Rind in sein Büro kam und ihm strahlend erzählte, dass er tags zuvor sein bisher schnellstes Paper gemacht habe. Kollegin Gonzalez habe ihm morgens irgendein Problem erklärt, er sei sofort an seinen Rechner gegangen und habe vier Stunden später die Daten zusammen gehabt. Und da erst früher Nachmittag war, habe er gleich das Paper geschrieben. Klein zwar, aber fein – Protein Science würde es wohl nehmen. Immerhin.

In diesem Moment nutzte Steiner auch all seine vermeintliche Altersweisheit nichts mehr.



Letzte Änderungen: 08.09.2004